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Ripleys Glam 45

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»Er haßte den Gedanken, wieder Thomas Ripley zu sein, haßte es, ein Niemand zu sein, haßte es, seine alten Gewohnheiten wieder anzunehmen, zu spüren, daß man wieder auf ihn herabsah, daß man sich mit ihm langweilte, es sei denn, er gab eine Schau wie ein Clown, haßte es, sich inkompetent zu fühlen und unfähig, etwas mit sich anzufangen, außer daß er andere Leute für wenige Augenblicke zu amüsieren verstand.«46

Patricia Highsmith, Der talentierte Mr. Ripley

Vieles von dem, worum es im Glam geht, können wir aus diesen Zeilen aus Der talentierte Mr. Ripley lernen.

Es ist nicht unbedeutend, dass Highsmith den ersten Ripley-Roman 1955 schrieb und erst 1970 zu der Figur zurückkehrte. Tom Ripley und seine Fokussierung auf Teenager-Begehren, soziale Aufmüpfigkeit und dionysischer Exzess hätte nicht in die Ära des Rock’n’Roll gepasst. Sein »hedonistischer Konservatismus«, sein Snobismus und sein Umgang mit Masken und Verkleidungen jedoch machen ihn zu einem perfekten Bewohner des Marienbad-ähnlichen Glam-Reiches. Wenn der Rock der 1960er sich einerseits dadurch auszeichnete, dass er auf ein großes Anderes anspielte (Forderungen nach gesellschaftlicher Veränderung und/oder mehr Genuss), und andererseits aber die Existenz der symbolischen Ordnung als solcher negierte (Psychedelika), bestand Glam anfänglich in einer hyperbolischen/parodierenden Identifikation mit dem großen Anderen – in der Rückkehr von Zeichen und/des Status.

In den oben zitierten Sätzen gibt es offenkundig zwei Toms: »Thomas Ripley«, die soziale Rolle und Tom, der diese Rolle spielt; Tom, das sprechende Subjekt, und Tom, das Subjekt des Gesprochenen. Am Anfang von Der talentierte Mr. Ripley sind beide Figuren »niemand« – als sprechendes Subjekt, so wie alle sprechenden Subjekte, ist Tom ein ontologisches Nichts; und als Subjekt des Gesprochenen ist er ein gesellschaftliches Nichts. Auf dieser Stufe ist Tom noch weit von der sorglosen, gelassenen Figur entfernt, als die er später auftreten wird; Selbstbewusstsein kann er nur simulieren, wenn er die Rolle anderer Menschen annimmt. Nicht, dass Tom keinen Status besäße; er hat nur keinen Platz in der sozialen Hierarchie. Sein Status ist nicht einmal niedrig. Seine unbestimmbare gesellschaftliche Herkunft und seine Fähigkeit zu imitieren und zu fälschen (die Fähigkeiten, auf denen seine Anti-Karriere als Betrüger aufbaut) bedeuten, dass er nirgendwo hineinpasst. Tom erfährt diese Nichtigkeit auf klassisch existenzialistische Weise, er fühlt sich unvollständig, leer, unentschlossen, unwirklich.

Doch das Buch verwandelt sich in eine Art Schelmenroman, in dem am Ende Tom die (finanziellen) Mittel besitzt, um einen Thomas Ripley zu erschaffen, dessen Verkörperung er nicht mehr hasst. Am Beginn des nächsten Romans, Ripley Under Ground, ist offensichtlich, dass Tom zu einer solchen Figur geworden ist bzw. sie geschaffen hat. Tom ist seine beste Fälschung gelungen – ein Thomas Ripley, der unabhängig und reich ist, ein elegantes Haus in der Pariser Vorstadt besitzt und mit einer schönen, hedonistischen Erbin verheiratet ist. Von nun an geht es Ripley nicht mehr um die Herstellung einer Identität, sondern darum, den erreichten Status zu bewahren und zu verteidigen.

Ripleys Entwicklung gleicht auf unheimliche Weise der von Brian Ferry. Roxy Music und For Your Pleasure, diese Übungen im Er- und Verlernen von Akzenten und Umgangsformen, sind die Pop-Äquivalente von Der talentierte Mr. Ripley. Die Kleidung, das Auftreten und die Stimme sind vorgetäuscht, aber noch nicht ganz perfekt. Man erkennt die Herkunft noch und das schmerzhafte Drama, jemand zu werden, der man nicht ist, ist existenziell aufgeladen. Stranded und die darauffolgenden Alben sind hingegen das Pendant zu den späteren Romanen von Patricia Highsmith; hier ist der Erfolg bereits vorausgesetzt und das zwar banale aber geschmackvolle Idyll wird einzig durch Ennui infrage gestellt, einem bestimmten Unwohlsein in der Zufriedenheit und – am bedrohlichsten – durch die Gefahr der Rückkehr der Vergangenheit. Die fade Ländlichkeit von Roxys Avalon – aufgenommen zu einer Zeit, da Ferry selbst mit einer Erbin verheiratet war und auf einem Landgut lebte – ist der perfekte Soundtrack zu Thomas Ripley in seinem Harpers & Queens entsprungenen Anwesen Belle Ombre, wie er sich gemeinsam mit seiner Frau, Heloise, die Zeit vertreibt.

Als erster Schritt zur Verwandlung Tom Ripleys in einen Jemand stellt sich die vampirische Aneignung der Identität von Dickie Greenleaf heraus. Ich sage »stellt sich heraus«, weil – anders als der Film von Anthony Minghella es nahelegt – Tom nicht schon mit dem Gedanken nach Europa geht, Dickie zu zerstören. Ripley ist ein brillanter Improvisator, kein Planer; die Pläne, die er macht, sind kurzfristig und führen oft zu mehr Problemen als sie lösen, und er schöpft Freude daraus, die Sachen wieder in Ordnung zu bringen, anstatt sie von vornherein zu vermeiden.

Am Anfang ist Toms Haltung gegenüber Dickie ambivalent und nicht einfach räuberisch – er ist aggressiv und neiderfüllt, aber auch herzlich. Wenn Tom ein Nichts ist, ein Chaos von nicht erreichten Zielen, ein Tumult aus Scham und Unzulänglichkeit, dann ist Dickie hingegen wirklich ein Jemand, ein Objekt, entschlossen und wirklich, mit der »Festigkeit eines Steins«. Indem Tom seinen Platz einnimmt, kann er dem Schmerz, der Angst und dem Unbehagen, dass es bedeutet, er selbst oder ein Selbst zu sein, entfliehen. Ein Objekt zu werden – vom Druck der Subjektivität befreit zu werden, ungestört zu sein von jeder Innerlichkeit – ist das nicht eine der zentralen Phantasien des Glam? Žižek hat sicherlich recht, wenn er konstatiert, dass die Sexualisierung der Beziehung zwischen Tom und Dickie in Anthony Minghellas Film ein Fehler ist. Und dennoch ist Žižeks Argumentation nicht vollkommend zutreffend. Er schreibt:

»Für Tom ist Dickie nicht das Objekt seines Begehrens, sondern das ideale begehrende Subjekt, das übertragene Subjekt, das ›angeblich weiß, wie man begehrt.‹ Kurz gesagt, Dickie wird für Tom sein Ideal-Ich, die Figur seiner imaginären Identifikation: Wenn er immer wieder begehrende Seitenblicke auf Dickie wirft, dann ist das kein Beweis für sein erotisches Begehren, mit Di­ckie in sexuellen Kontakt zu kommen, also Dickie zu HABEN, sondern seines Begehrens, Dickie zu SEIN.«47

Žižeks Analyse erkennt aber nicht, dass Dickies Erhebung zum Ideal-Ich nicht gelingt. Der entscheidende Moment des Romans ist, als Ripley die Phantasie einer Identifikation mit Dickie nicht länger aufrechterhalten kann. Wenn Tom in Dickies Augen schaut und dort nicht die Fenster zur Seele erblickt, mit der er sich identifizieren kann, sondern die tote, glasige Oberfläche einer trägen und idiotischen Puppe, fällt er (zurück) in ein tiefe existenzielle Krise und erlebt einen Moment tiefer kosmischer Abscheu und miserabler Orientierungslosigkeit.

»Er starrte in Dickies blaue Augen, die immer noch finster blickten, auf die sonnengebleichten, weißen Augenbrauen und auf die Augen selbst, glänzend und leer, nichts als kleine Kugeln aus hellblauem Gelee mit einem schwarzen Punkt darin, ausdruckslos, ohne jede Beziehung zu ihm. Man soll ja durch die Augen in die Seele schauen können, durch die Augen Liebe erblicken können, die Augen sollen das einzige Fleckchen am Körper des Mitmenschen sein, in das man hineinschauen, in denen man sehen kann, was innen wirklich vor sich geht, aber in Dickies Augen sah Tom jetzt nicht mehr als in der harten, blutlosen Oberfläche eines Spiegels. Tom fühlte einen schmerzhaften Riß in der Brust, und er verbarg sein Gesicht in den Händen. Es war, als wäre Dickie ihm plötzlich entrissen worden. Sie waren keine Freunde. Sie kannten sich nicht. Darin sah Tom die entsetzliche Wahrheit, sie galt für alle Zeiten, für alle Menschen, die er früher gekannt hatte, für alle Menschen, die er künftig noch träfe: jeder hat vor ihm gestanden, wird vor ihm stehen, und er wird immer und immer wieder wissen, daß er sie niemals kennt, und das schlimmste ist, daß er immer eine Zeitlang die Illusion haben wird, er kennte sie, er und sie seien völlig im Einklang miteinander und eins. Einen Augenblick lang schien der wortlose Schock seiner Erkenntnis mehr, als er ertragen konnte. Es war, als schnürte ihm ein würgender Griff die Luft ab, als müsse er gleich zu Boden sinken.«48

Einerseits registriert Tom hier zweifelsohne Dickies Zurückweisung. Andererseits kommt aber auch Toms Abscheu gegenüber Dickie zum Ausdruck. Was Tom »entrissen« wurde, ist nicht länger Dickie »selbst«, sondern die Phantasievorstellung von Dickie. Es scheint, als könne Tom (sich selbst gegenüber) nicht länger so tun, als sei Dickie irgendetwas anderes als eine einigermaßen mittelmäßige Person; so als ob er, zum ersten Mal, mit der brutalen, dummen Körperlichkeit von Dickie in Kontakt kommt – ihn wirklich gesehen hat, ohne den Schein/ Glanz der Phantasie, der ihn seligspricht.

Toms Bruch mit Dickie ist schon etwas früher unvermeidlich geworden, in einer unglaublich schmerzhaften Szene, als Dickie bemerkt, wie Tom seine Kleidung trägt und ihn im Spiegel imitiert. Dickie ist angewidert und verärgert von Toms Imitation (was ist angsteinflößender als jemandes Ideal-Ich zu sein?), während Tom tief beschämt ist, dass Dickie ihn erwischt hat (was ist beschämender als von seinem Ideal-Ich beim Phantasieren über dasselbe erwischt zu werden?). Interessanterweise macht Dickie genau denselben Fehler wie Minghella: Er (fehl-) interpretiert Toms Verhalten als sexuelle Obsession und nutzt den Moment, um Tom nachdrücklich zu erklären, dass er nicht »schwul« sei. Doch Toms Wunsch, Dickie zu sein, ist viel obszöner, viel tödlicher, viel burroughesquer, als wenn er ihn nur hätte haben wollen.

Sobald Tom seine phantasmatische Identifikation mit Dickie nicht länger aufrechterhalten kann, erzwingt die Logik seiner Psychose, dass die einzige Möglichkeit, die existenzielle Krise – sein Mangel an Sein – zu lösen, darin besteht, Dickie zu töten. Das hat zum Teil damit zu tun, dass Dickie in Ripleys Vorstellung bereits tot ist: eine seelenlose Hülle, die unberechtigt zu Reichtum und gesellschaftlichem Ansehen gekommen ist, die der stilvolle und gebildete Tom für sich beansprucht. Tom ist sich sicher, dass er besser Dickie sein kann als Dickie selbst und so wird Dickie das Material, aus dem Tom sein Meisterwerk schafft, den neuen Thomas Ripley. Indem Tom Dickie tötet, »verdient« er sich in gewisser Weise dessen Status unter den unproduktiven, feinen Leuten. Schon vor diesem Aufstieg hegt Tom eine Abneigung gegen »Schufterei«. Der Unterschied zwischen Tom, dem gewöhnlichen Dieb und Betrüger, und Tom, dem Mitglied der Elite des Müßiggangs, ist ein erfolgreicher Akt der Gewalt. Laut Thorstein Veblen gründet die »müßige Klasse« auf der »barbarischen« Unterscheidung zwischen Ausbeutung – »der Verwandlung von Kräften – die ursprünglich von einem anderen Agens für andere Zwecke bestimmt waren – und in deren Lenkung für die eigenen Zwecke« – und Industrie (oder Schufterei) – »das Bemühen, aus dem passiven ›rohen‹ Stoff etwas Neues mit einem neuen Zweck zu schaffen«.49 Wie ein Vampir muss sich der Herr immerzu die Arbeit anderer aneignen, niemals produziert er selbst.

»Aus demselben Grunde bringt man der produktiven Arbeit oder der Beschäftigung im Dienst einer andern Person nichts als Verachtung entgegen. Auf diese Wie­se entsteht die diskriminierende Unterscheidung zwischen Heldentat und gewaltsamem Erwerb auf der einen und produktiver Arbeit auf der anderen Seite. Die Arbeit wird als Bürde empfunden, weil ihr das Odium des Verächtlichen anhaftet.«50

Die Jagd war immer schon eine Tätigkeit, auf die die fei­nen Leute stolz waren und Ripley ist ein perfekter Jäger (Beute ist eine der Bedeutungen von Ripleys Game).

Die Anwendung mörderischer Gewalt, um eine privilegierte Position zu erreichen und zu erhalten, ist alles andere als eine Abweichung, und Tom hat genauso wenig mit Konsequenzen zu rechnen wie die Räuber der herrschenden Klasse der Wirklichkeit. (Highsmiths Weigerung, den Opfern in ihren Romanen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ganz so wie es in der unserer Welt geschieht, ist einer der subversivsten Aspekte ihrer Figurendarstellung.) Wenn Toms Handeln pathologisch ist, dann sind seine Pathologien die Pathologien einer bestimmten Klasse; von seinen neuen Freunden trennt ihn einzig, dass das Blut, das er vergießt, frisch ist (und seine Bereitschaft, selbst zur Tat zu schreiten). Im Gegenteil, die Figur des Thomas Ripley ist deswegen so furchterregend, weil er Mord als eine praktische Aufgabe, ohne jede existenzielle oder affektive Dimension betrachtet. Ripleys Morde zeichnen sich durch ihre Kälte und den Mangel an Grausamkeit aus; bekanntermaßen tötet Ripley nur, weil er muss, nicht weil es ihm gefällt. Ripley tötet aus einer kalten, utilitaristischen Logik heraus, er eliminiert die, die ihm im Weg stehen oder ihn entlarven könnten. Nochmals, die sorgsam aufrecht erhaltene Unterscheidung zwischen der gewalttätigen, obszönen Unterseite und einer blassen, offiziösen Oberfläche gehört zur normalen Praxis von Macht und Privileg und ist alles andere als abweichend. Es sind keine moralischen Skrupel, die Ripley antreiben (die kennt er überhaupt nicht), sondern die Angst vor Demütigung. Julie Walker formuliert es so:

»Tom fürchtet die Demaskierung; nicht nur die Demaskierung seiner selbst als Dickie oder seine Enttarnung als Mörder, sondern die Demaskierung seines Mangels an Selbst und damit seiner eigenen Unzulänglichkeit in den Augen anderer – es gibt keinen nennenswerten Unterschied zwischen der Angst, dass sein Steuerbetrug oder dass seine Morde auffliegen. Seine wichtigste Angst ist die, gesellschaftlich nicht mithalten zu können.«

Diese Form der Amoralität ist das (Post)moderne an Ripley. Die klassische Psychose bestand darin, das Reale und das Symbolische zu verwechseln (das offensichtlichste Beispiel ist, die Stimme Gottes zu hören). Doch Ripleys Psychose beruht auf der Überzeugung, dass nur das große Andere existiert. Von spezifischen, namhaften Anderen, die seine Kriminalität vermuten oder von ihr wissen, ist Tom nicht beunruhigt, solange seine kriminellen Taten nicht in das Symbolische eingeschrieben sind. Das Besondere an Ripleys postmoderner Herangehensweise an das Andere ist, dass sie radikal atheistisch ist – weder glaubt er an Gott noch an irgendeine moralische Ordnung, die in das Gewebe des Universums eingeschrieben ist. Das postmoderne große Andere ist eine Symbolische Ordnung ohne Symbolisierung; sie postuliert keinen Gott und keine Geschichte mehr, sondern bekennt sich freimütig als gesellschaftliches Konstrukt – doch diese vorgebliche Entmystifizierung hindert sie nicht am Funktionieren. Im Gegenteil, das große Andere funktionierte nie besser.

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