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Angst und Elend im Dritten Reich’n’Roll 66

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Mit etwas Verspätung habe ich vor ein paar Tagen, auf die Empfehlung von Karl Kraft hin, den traumatisch guten Film Der Untergang gesehen. Die Überbewertung von mittelmäßigem Schrott macht einen misstrauisch, wenn zeitgenössische Filme gelobt werden, aber dieser ist ein echtes Meisterwerk und zwar eines, das man nur im Kino richtig genießen, wo das unbarmherzige Hämmern der sowjetischen Artillerie und die klaustrophobische Enge von Hitlers Bunker eine erdrückend viszerale Wirkung haben.

Der Untergang ist der zweite Film in diesem Jahr [2005] (der erste war The Aviator), der mein ansonsten sehr verlässliches Motto widerlegte, dass Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen, zu vermeiden sind. Aber der Grund, warum beide Filme funktionieren, liegt darin, dass sie Situationen beschreiben, in denen die Realität selbst psychotisch geworden ist. Wie Ballard einmal schrieb, zeichnet sich das Delirium des Nationalsozialismus dadurch aus, dass die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenwelt keinen Bestand mehr hatte: Die Hölle ist auf Erden ausgebrochen, es gibt keinen Ausweg, keine Zukunft und du weißt es ganz genau…

Der Untergang fasziniert, weil er aufmerksam und, wie ich annehme, akribisch die »Abschaffungslinie« doku­men­tiert, von der Deleuze und Guattari sagen, dass sie konstitutiv für den Nationalsozialismus ist. Deleuze und Guattari, die diese Idee von Virilio übernommen haben, galt die von den Nazis anvisierte Selbstzerstörung – »Wenn wir besiegt werden, soll auch die Nation untergehen« –, weniger als ein Zwangsprodukt kontingenter Umstände, sondern als die Verwirklichung, als der eigentliche Vollzug des nationalsozialistischen Projekts.67 Ihre Analyse mag empirisch fragwürdig sein, doch ihr Verdienst liegt weniger in der Diagnose, dass die Nazis suizidal waren, sondern in dem Gedanken, dass das Suizidale, das Selbstzerstörerische nationalsozialistisch ist.

Spätestens seit dem Tod Chattertons war die Versuchung der Populärkultur, die Selbstzerstörung zu verherr­lichen, unwiderstehlich. Die Version des 20. Jahrhunderts dieser alten Romanze mit dem Tod boten die Nazis. Wie Ballard in seinem Essay über Hitlers Mein Kampf, »Alphabets of Unreason«, schreibt, handelt es sich bei den Nationalsozialisten um ein unheimliches Phänomen der Moderne, deren Technicolor-Glamour sich Welten weit weg von den pedantischen Figuren im Gehrock aus der englischen Elite zu Zeiten Eduards II. befand. Der Umgang der Nazis mit Radio und Fernsehen legte das Fundament für die Medienlandschaft, in der wir heute leben. War Hitler der erste Rockstar?

Der Untergang führt uns durch Szenen, in denen die Nazipartei zerfällt, damit das Dritte Reich’n’Roll beginnen kann. Der Tod des Frontmanns ist das rituelle Blut­opfer, das eine scheußliche Unsterblichkeit garantieren wird. Hitler war der erste Mensch im 20. Jahrhundert, aus dessen historischer Besonderheit ein ewiges Archetyp-Arte­fakt im McLuhan-Ballard-Unbewussten der Medien geworden ist. Kennedy, Malcolm X, Martin Luther King, Morrison, Hendrix wirkten nach ihm lokal, partikular, während Hitler für ein ganzes Prinzip stand, das moderne Böse schlechthin. Als Zuschauer von Der Untergang be­finden wir uns die meiste Zeit im Führerbunker, gezwungen zu einer beunruhigenden Sympathie, weniger für die Elite des Dritten Reichs, sondern eher für die Sekretärinnen und Funktionäre, die Hitler und den Nationalsozialismus (keinesfalls fanatisch) bewunderten. Was wir von dem Berlin darüber sehen, gleicht einer Landschaft aus Brueghels Triumph des Todes, eine Stadt, die in totale Anomie zerfällt: Kindersoldaten, Lynchjustiz, berauschte Schwelgereien, karnevalesker, sexueller Exzess.

Während sich diese Szenen abspielten, hört man fast die Zeilen Johnny Rottens: »When there’s no future how can there be sin? // Ohne Zukunft, gibt es dann Sünde?« (Obwohl es für Deutschland eigentlich nichts anderes als die Zukunft gab: Nachkriegsdeutschland unterlag einer will­fährigen Amnesie, einer Verleugnung der kulturellen Erinnerung.) Es ist kein Zufall, dass der Post-Punk in vielerlei Hinsicht hier ansetzt. Die Sex Pistols begannen ihre eigene Abschaffungslinie auf den Weg zum Nihi­lismus der verbrannten Erde mit »Belsen was a Gas« und »Holidays in the Sun« und kehrten immer wieder zu der von Stacheldraht überzogenen, wie von Hieronymus Bosch gezeichneten Landschaft des nationalsozialistischen Berlins und der Pynchon-Zone zurück, die nach dem Krieg existierte. Siouxsie war bekanntermaßen ein paar Mal mit einem Hakenkreuz zu sehen, und obwohl es bei dem Spiel mit Nazi-Symbolik vorgeblich um Scho­ck­effekte ging, bestand die Verbindung zwischen Punk und Nationalsozialismus in mehr als der Lust an der Überschreitung. Die sehr englische Fixierung in den 1970er Jahren auf die Nazis warf ethische Fragen auf, die so beunruhigend waren, dass man sie kaum aussprechen konnte: Was sind die Grenzen liberaler Toleranz? Konnte sich England so sicher sein, dass es nichts mit dem Nazismus zu tun hatte (gerade in jener Zeit als die National Front eine bis dato unbekannte Unterstützung erhielt)? Und vor allem: Was unterscheidet das Böse der Nazis vom heroischen Guten?

Der Untergang stellt diese Fragen auf überzeugende Weise, vor allem in Hinblick auf Žižeks und Zupančičs Theorie vom unbedingten Akt als Bestimmung des Ethischen. Als ich die »monströseste« Tat des Filmes sah, die Szene, in der Frau Goebbels ihre Kinder betäubt und vergiftet – lieber diese »Erlösung«, so ihr Gedanke, als in einer Welt ohne den Nationalsozialismus zu leben –, war ich verblüfft von den Parallelen zu Sethe in Toni Morrisons Menschenkind, die eines ihrer Kinder umbringt, anstatt es in die Hände der Sklavenhalter geraten zu lassen. Was unterscheidet Frau Goebbels’ abscheuliche Tat des Bösen von Sethes heroischem Akt des Gutes? (Wer Das fragile Absolute gelesen hat, wird sich daran erinnern, dass Žižek Sethe als Beispiel für einen Akt des Guten anführt, der der liberalen Moral und ihrer Ethik des aufklärten Selbstinteresses vollkommen entgegensteht.)

Der Untergang scheint uns dazu anzuhalten, mit den »liberalen Nazis« zu sympathisieren, dem »vernünftigen Arzt« zum Beispiel, der die Krankenversorgung aufrechterhalten will und das »sinnlose, suizidale« Verhalten ent­setzlich und abscheulich findet, das entsteht, wenn man seiner Pflicht bis zum Ende folgt; oder der General, der den Krieg beenden will, um das Leben von Zivilisten zu retten. Doch diese »pragmatischen Humanisten« sind am wenigsten zu verteidigen, da sie den Prinzipien ihrer Handlungen nicht bis zum Schluss folgen können. (Wenn sie wirklich auf den Nazismus schwören, warum nicht dann auch für ihn sterben? Und wenn sie es nicht tun, warum leisten sie keinen Widerstand?) Merkwürdigerweise scheint der Film nahezulegen, dass das untilgbar Böse des Nationalsozialismus in seinem Willen liegt, für die Sache zu sterben.

Ohne dass wir es wollen, erwischen wir uns plötzlich bei dem Gedanken, dass den bösen Nazis – also jene, die sich vollkommen mit dem nationalsozialistischen Projekt identifizieren, auch dann noch, als sie bemerken, dass es scheitert – eine Art tragischer Heroismus eigen ist, weil sie sich weigern, von ihren Überzeugungen abzulassen. All das führt uns wieder zu der Frage zurück: Legitimiert Kants unbedingte Pflicht das Böse des Nationalsozialismus?

Zupančič, die sich der kantischen Ethik aus der Perspektive der Theorie Lacans genähert hat, widmet sich dieser Frage in einem Interview mit der Zeitschrift Cabinet:

»Frage: Man denke daran, dass, nach Hannah Arendts berühmten Beispiel, Nazifunktionäre wie Eichmann sich selbst als Kantianer verstanden habe: Sie behaupten, aus Pflichterfüllung gehandelt zu haben, ohne an die Folgen ihrer Taten zu denken. Inwiefern ist das eine Verkehrung von Kant?

Antwort: Diese Haltung ist ›pervers‹ im strengen, klinischen Sinne: Das Subjekt übernimmt hier die Rolle eines bloßen Instruments für den Willen des Anderen. Mit Blick auf Kant würde ich folgendes Moment betonen, auf das schon Slavoj Žižek aufmerksam gemacht hat: In der kantischen Ethik sind wir verantwortlich für das, was wir als unsere Pflicht anerkennen. Das moralische Gesetz ist nichts, was uns aller Verantwortung enthebt; im Gegenteil, es macht uns nicht nur für unsere Handlungen verantwortlich, sondern auch – und vor allem – für die Prinzipien, nach denen wir handeln.«68

Reicht das, um Goebbels von Sethe zu unterscheiden? Stimmt es wirklich, dass sich Frau Goebbels zu einem »bloßen Instrument des Willen des Anderen« gemacht hat? Oder hat sie sich frei entschieden, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und für die Prinzipien, nach denen sie gehandelt hat? Man denke daran, dass Freiheit bei Kant darin besteht, sich zu entscheiden, sich dem Gesetz zu unterwerfen. Von etwas anderem als »Pflichterfüllung« motiviert zu sein, heißt »pathologischen« Leidenschaften zu unterliegen und damit unfrei zu sein. Freilich gibt es keine offenkundig pathologischen Gründe für die Tat von Frau Goebbels. Sie hat nichts gewonnen durch diesen Akt der »Zerstörung dessen, was ihr am liebsten war« (und tatsächlich lässt sie sich kurz nach dem Mord an ihren Kindern von ihrem Ehemann erschießen).

Die einzige Antwort, die übrigbleibt, ist, dass der Nationalsozialismus selbst etwas Pathologisches ist. Per de­fi­nitionem kann die nationalsozialistische Tat nicht universell sein, weil sie darauf beruht, die besonderen, pathologischen Eigenschaften eines »erwählten Volkes« zu erhalten – wenngleich am Ende auf der Ebene des Mythos –, und damit, etwas abstrakter gesagt, das Prinzip der »ethnischen Pathologie«. Sethes schreckliche Tat in Menschenkind ist ein tödliches Aussteigen aus einer ge­sellschaftlichen Situation, die von einem wiederum tödli­chen und idiotischen Rassenwahn unrettbar korrumpiert wurde; Frau Goebbels mehrfacher Kindsmord hingegen, ist ein Versuch, sich selbst und ihre Kinder auf ewig mit einem ethnozidalen Wahn zu verbinden, der nur durch ihren Tod und den Tod von Millionen anderer Menschen am Leben bleiben kann.

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