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Warum ich Ronald Reagan ficken möchte 3

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Auf dem Parteitag der Republikaner 1980 in San Francisco kopierte und verteilte eine Gruppe Prankster einen Auszug aus Die Schreckensgalerie mit dem Titel Warum ich Ronald Reagan ficken möchte4, ohne eine Quellenangabe und dafür mit dem Emblem der Republikanischen Partei. »Man hat mir erzählt«, berichtet Ballard, »dass man es als das akzeptierte, was es zu sein schien, nämlich ein psychologisches Positionspapier zur unterschwelligen Anziehungskraft des Kandidaten, die irgendein Think Tank in Auftrag gegeben hat.«5

Was sagt uns dieser neo-dadaistische Akt der Möchtegern-Subversion? In gewissem Sinne handelt es sich wirklich um eine perfekte Aktion. Aber in anderer Hinsicht zeigt der Streich auch, dass Subversion heute un­mög­lich ist. Das Schicksal einer ganzen Tradition der spielerischen Intervention – von den Dadaisten über die Surrealisten und Situationisten – scheint sich in der Schwebe zu befinden. Wo einst die Dadaisten und ihre Erben davon träumen konnten, die Bühne zu stürmen und das, was der offenkundig sehr zu dieser Tradition gehörende Burroughs das »Realitätsstudio« nennt, mit Logikbomben zu stören, da gibt es heute keine Bühne mehr – keine Kulisse, wie Baudrillard sagen würde. Und das aus zwei Gründen: Erstens, weil das Irrationale und Unlogische im Grenzgebiet des Hyperkapitals weniger unterdrückt, als vielmehr absorbiert wird, und zweitens, weil der Unterschied zwischen Bühne und Wirklichkeit von einer gelassen-inklusiven Fiktionsschleife abgelöst wurde. Reagans Karriere übertrifft jeden Versuch ihrer Karikierung und zeigt die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen zwischen dem Realen und seinen Simulationen. Für Baudrillard sind es gerade die Angriffe auf die »Wirklichkeit« durch Gruppen wie die Surrealisten, die das Reale am Leben erhalten (indem sie ihm eine fabelhafte Traumwelt liefern, die vermeintlich absolut anders ist, aber letztlich mit der Alltagswelt des Realen unter einer Decke steckt). »Der Surrealismus ist noch solidarisch mit dem Realismus, den er verachtet, doch er verdoppelt schon durch sein Eindringen in das Imaginäre.«6 Wo sich die Simulakra zur dritten (und vierten) Ordnung aufschwingen, verströmt die schwindelerregende Hyperrealität eine banalisierende, kühl-halluzinogene Atmosphäre, die alle Wirklichkeit in der Simulation absorbiert. Fiktion ist überall – und wird dadurch gewissermaßen als besondere Kategorie ausgelöscht. Während Reagans Rolle als »Schauspieler-Präsident« früher einmal tatsächlich »neu« war, hat seine anschließende Karriere, in der Momente der Filmgeschichte mit Reagans Rollen in bestimmten Filmen zusammenmontiert wurden – und zwar durch seine eigene lückenhafte Erinnerung sowie durch Medienberichte – das Spielerische lächerlich gemacht.

Dass die republikanischen Delegierten den Text Warum ich Ronald Reagan ficken möchte offenkundig als echt akzeptierten, ist zugleich schockierend und eigentümlich vorhersagbar, und tatsächlich zeugen beide Reaktionen von der Kraft Ballardscher Literatur, die aber ebenso wenig in seiner Fähigkeit gründet, die bestehende Wirklichkeit mimetisch zu reflektieren, wie darin, sie phantasievoll zu transzendieren. Vielmehr kreiert Ballard, in den Worten Iain Hamilton-Grants einen »Realismus der Hyperrealität«, eine homöopathische Teilnahme an der medieninduzierten Kybernetisierung der Wirklichkeit im Spätkapitalismus. Der Schock entsteht, wenn wir uns die (scheinbar) radikale Abweichung von Ballards Text vor Augen führen. Warum ich Ronald Reagan ficken möchte ist, wie vieles in Die Schreckensgalerie, vor allem gegen Ende des Romans, der Bericht eines Zuschauerexperiments über die Resonanz auf Medieneindrücke.

»Ronald Reagan und das konzeptuale Autounglück. An paretischen Patienten wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, in denen Ronald Reagan in einer Reihe von simulierten Autounfällen erschien – z.B. Massenkarambolagen, Frontalzusammenstößen usw. Dabei zeigten die Patienten ein starkes Interesse an imaginären Anschlägen auf das Leben des Präsidenten und eine deutlich polymorphe Fixierung auf Windschutzscheiben und rückwärtige Wagenpartien. Das Image des Präsidentschaftskandidaten löste starke erotische Phantasien von anal-sadistischem Charakter aus.«7

Doch diesem Schock steht ein Gefühl der Vorhersagbarkeit entgegen, das durch die coole Eleganz von Ballards Simulationen entsteht. Der technische Stil seiner Sprache – die Unpersönlichkeit und der Mangel an Emotionalität – neutralisiert oder normalisiert das vermeintlich unzumutbare Material. Handelt es sich bei dieser Simulation der Operationen von Hyperkontrollagenturen um Satire oder machen ihre Aktivitäten – und das ganze kulturelle Feld, zu dem sie gehören – Satire überhaupt unmöglich? Was ist eigentlich das Verhältnis zwischen Simulation und Satire? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir Ballards Text mit anderen, wirklich »satirischen« Texten vergleichen. Doch zuvor sollten wir uns kurz Jamesons Kommentar zur Ablösung der Parodie durch den Pastiche in Erinnerung rufen.

Dies ist nicht der Ort, um sich eingehend den Unterschieden von Parodie und Satire zu widmen; wir gehen von der Annahme aus, dass, worin auch immer diese Unterschiede bestehen, es genügend Gemeinsamkeiten gibt, um in Jamesons Analyse behandelt zu werden. Die Parodie hängt, so Jameson, von einer ganzen Reihe modernistischer Quellen ab, die allerdings alle versiegt sind: das individuelle Subjekt, dessen »persönlicher«, idiosynkratischen Stil, wie Jameson ironisch bemerkt, seine Imi­tation überhaupt erst möglich machte; ein starkes histo­ri­sches Bewusstsein, das als sein notwendiges Gegenstück das Vertrauen in wirklich zeitgenössische Formen des Ausdrucks besitzt; und eine Verpflichtung auf ein kollektives Projekt, die das Schreiben motiviert und ihm ein politisches Ziel gibt. Mit deren Verschwinden, so legt Jameson nahe, verschwindet auch der Raum der Parodie. Der individuelle Stil macht einem »Spielfeld einer stilistischen und diskursiven Heterogenität ohne Norm« Platz, so wie auch der Glauben an den Fortschritt und an die Möglichkeit, neue Zeiten in neuen Begriffen zu beschreiben verfällt, um durch die »Imitation toter Stile« ersetzt zu werden, »der Rede durch all die Masken und Stimmen, die im imaginären Museum einer neuen weltweiten Kultur lagern«. Der »neue Analphabetismus« des Spätkapitalismus verweist wiederum auf »Abwesenheit eines großen, kollektiven Ziels.« Das Ergebnis einer solchen tiefenlosen Erfahrung ist, laut Jameson, die Gegenwart der Vergangenheit überall zur selben Zeit und ein Schwinden des historischen Bewusstseins; wir leben in einer »geschichtslosen Welt« die zugleich unfähig ist, irgendetwas anderes als eine neu aufgewärmte Version der Vergangenheit darzustellen. Der Pastiche tritt an die Stelle der Parodie:

»In dieser Situation findet die Parodie, verstanden als parodistischer Umgang mit einem Original, kein Betätigungsfeld mehr. Sie hat sich überlebt, und die seltsam neue Erscheinung des Pastiche, die Imitationskunst, nimmt langsam ihren Platz ein. Pastiche und Parodie sind Imitationen einer eigentümlichen Maske, Sprechen in einer toten Sprache.«8

Entgegen Jamesons eigener Aussagen über Ballard9, besteht ein wichtiger Unterschied zwischen Ballards Text und dem Pastiche in der Abwesenheit jeglicher »Nostalgie« oder eines »nostalgischen Modus« – die in anderen postmodernen Texten ständig präsent sind, wie Jameson zeigt. Tatsächlich machen die textlichen Innovationen Ballards – wie man im Seitenlayout von Die Schreckensgalerie sieht – zu einer Art Anomalie in Jamesons Analyse; in diesem Sinne scheint Ballard eher zum Modernismus, wie Jameson ihn versteht, zu gehören. In anderer Hinsicht jedoch – besonders bezüglich des Verfalls von individueller Subjektivität und dem Scheitern kollektiven politischen Handelns – ist Ballard emblematisch für Jamesons Postmoderne. Anders als der Pastiche imitiert Ballard jedoch keinen »persönlichen oder einzigartig idiosynkratischen Stil«. Der Stil, den Ballard in Warum ich Ronald Reagan ficken möchte imitiert – ein Stil, der dem gesamten Roman eigen ist – besteht gerade im Fehlen jeder Einzigartigkeit: Wenn es irgendwelche Idiosynkrasien gibt, dann gehören sie zum Register der (pseudo-)wissenschaftlichen Reportage, nicht zur Persönlichkeit eines individuellen Subjekts. Die Tatsache, dass der Text von einer politischen Führungspersönlichkeit handelt, weist auf die Abwesenheit einer expliziten – und wenn es um Satire oder Parodie geht, impliziten – politischen Teleologie in Ballards Schriften hin. In diesem Sinn ist Warum ich Ronald Reagan ficken möchte anders als Jamesons Pastiche, »frei von den Hintergedanken der Paro­die«.

Darin unterscheidet sich Ballards Text von einem klassischen Stück Satire wie Jonathan Swifts Ein bescheidener Vorschlag. Ein bescheidener Vorschlag ist ein paradigmatischer Fall dessen, was Joyce »kinetische« Kunst genannt hat, eine Kunst, die unter spezifischen politischen und kulturellen Umständen entstanden ist und ein bestimmtes Ziel im Blick hat, nämlich das Publikum zum Handeln zu bringen. Swifts politische Motive – seine vernichtende Kritik an einigen grausamen englischen Reaktionen auf die Hungersnot in Irland – zeichnen sich durch einen bestimmten stilistischen und thematischen Exzess aus (ein Exzess, der einigen Lesern von Swifts Text vollkommen entgangen ist, die ihn vielmehr für bare Münzen nahmen). Ballards Text hingegen, der auch unter spezifischen soziokulturellen Umständen entstanden ist, ist gekennzeichnet von Flachheit. Darin geht er (sogar) einen Schritt über Burroughs hinaus. Denn trotz ihres sprachlichen Einfallsreichtums bleiben Burroughs’ humorvolle »Routinen« wie die vom »vollkommenen, von allen Ängsten befreiten Amerikaner«10 durch ihre Übertreibung und ihre klare politische Agenda vollständig in der klassischen Tradition der Satire: Indem Burroughs eine Reihe exzessive Tropen verwendet, verspottet er die amoralische Haltung der amerikanischen Technologiewelt. Im Gegensatz dazu »fehlt« Ballards Texten ein Plan für die Leser oder den von Jameson beschriebenen »Hin­tergedanken«; der parodierende Text beruhte immer auf der Wichtigkeit des Parodisten dahinter, dessen implizit angezeigten Haltungen und Meinungen, Warum ich Ronald Reagan ficken möchte hingegen ist so kalt und anonym wie der Text, den er imitiert. Während wir Burroughs über den »vollkommenen, von allen Ängsten befreiten Amerikaner« und den absurden Exzess der Wissenschaftler lachen hören können, ist die Reaktion Ballards auf die Wissenschaftler, die er imitiert, unlesbar. Was möchte »Ballard«, das der Leser fühlt: Abscheu? Amüsement? Es bleibt unklar und ist auch, wie Baudrillard mit Blick auf Crash11 gesagt hat, irgendwie unaufrichtig von Ballard, dass er seine Texte – durch einleitende Bemerkungen – übercodiert und mit all dem traditionellen Ballast der »Warnung« versieht, dem sie sich selbst offenkundig entziehen. Die Haltung, die Ballard in Warum ich Ronald Reagan ficken möchte annimmt, ist nicht die der (satirischen) Übertreibung, sondern eine Art (simulierte) Extrapolation. Schon allein das Genre der Umfrage oder der Untersuchung macht, wie Baudrillard zeigt, die Frage unbeantwortbar und unentscheidbar.

Entgegen Ballards eigener Aussage (siehe oben) geht es weniger um die (mögliche) Ähnlichkeit von Warum ich Ronald Reagan ficken möchte mit (möglichen) Untersuchungen, sondern vielmehr um die Zirkulation der Simulation, zu der solche Untersuchungen beitragen. Im Zusammenhang mit dem Pastiche kommt Jameson auf den Begriff der Simulation zu sprechen, den er – zumindest hier – jedoch auf Platon bezieht, statt auf Baudrillards Neufassung zu verweisen. Jamesons Intuition bezüglich des Verhältnisses von Pastiche und Simulation ist jedoch wichtig. Vielleicht können wir eine Korrelation zwischen Baudrillards Simulakra der dritten Ordnung und Jamesons Pastiche auf der einen Seite, und Ballards Text auf der anderen Seite konstatieren. Im Simulakrum der dritten Ordnung bei Baudrillard geht es, wie wir bereits mehrfach betont haben, um das Schwinden der Distanz zwischen Simulation und Simuliertem. Klassische Satire würde demgegenüber eher in das »Simulakrum der ersten Ordnung« gehören – eine Simulation, die dem Original ähnelt, aber mit einigen verräterischen Unterschieden. Ballard simuliert die Simulation (die Umfrage, die Untersuchung).

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