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Dezember 1944

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Erlbach, den 3. Dezember 1944

Vater geht ½ 9 Uhr zum Volkssturm nach dem Turnplatz. Unterwegs wird Vater von Todts Fritz (Ortsgruppenleiter der NSDAP) und Hilde rein gerufen. Fritz, der wieder sein altes Amt ausübt, überreicht Vater einen Brief von der Feldposteinheit 00620 mit dem Vater heimkommt. Nun lieber Helmut lüftet sich das Geheimnis deines Schweigens. Dieser Brief bringt uns die bitter schwere Nachricht, dass du lieber Helmut, vermisst bist. Dein Schwadronführer schreibt uns folgendes:

Im Felde, den 10. November 1944

Sehr geehrter Herr Adler!

Als Schwadronführer fällt mir die schwere Pflicht zu, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Sohn mit dem 23. Oktober 1944 vermisst wird. Bei den schweren Kämpfen während der Absatzbewegungen in Nordfinnland im Raum von Kirkenes bekam die Schwadron den Auftrag, eine Höhe im Gegenangriff zu nehmen. Ihr Sohn hat diesen Angriff in vorderster Linie mitgemacht und ist seitdem vermisst. Von einigen Kameraden wurde er am 23. Oktober 1944 um 15.00 Uhr zuletzt gesehen.

Ihr Sohn war einer meiner besten Soldaten, der stets in treuester Pflichterfüllung die ihm gestellten Aufgaben und gegebenen Befehle ausführte. Sein frischer Schneid, sein Draufgängertum und seine männliche Sicherheit erwarben ihm schnell das Vertrauen seiner Kameraden und Vorgesetzten.

Die quälende Ungewissheit, die ich Ihnen auferlegen muss, macht mir das Herz schwer. Gott allein weiß den Weg Ihres Jungen. Er möge Ihnen die Kraft geben, Ihren Weg so zu gehen, wie ihn Ihr Sohn unter uns ging.

Alle Opfer aber, die Opfer der Soldaten und das Leid der Heimat wolle Gott dazu segnen, dass der Opferweg unseres Volkes zur Freiheit führt, zu dem Weg, für den unsere Besten ihr Leben einsetzten.

In aufrichtigem Mitgefühl grüßt Sie Ihr Ihnen sehr ergebener

gez.) Beckers Lt. u. Schwadronführer.

Ja, mein lieber Helmut,

das war der erste Adventsgruß 1944. Und noch dazu Tante Elsas Geburtstag. Dass irgend etwas mit dir nicht in Ordnung war, das habe ich gefühlt. Ich habe auch Ende Oktober bei Todts gesagt, dass Ihr hier oben in einer Mausefalle sitzt und nicht wieder herauskommt. Dass sich deine Soldatenlaufbahn so bald und so schlimm beendet, hätten wir nicht gedacht. Es wäre alles nicht so furchtbar, wenn wenigstens jährlich ein oder zweimal ein schriftlicher Austausch stattfinden könnte. Aber leider, leider. Dass du lieber Helmut noch am Leben bist, steht für mich felsenfest. Ich glaube an eine Gedankenübertragung, denn in den Wochen vor Ende Oktober bis Mitte November war mir das Leben so schwer und ich glaube bestimmt, dass du dir da so viele schwere Stunden gemacht hast, weil du nun nicht mehr heim schreiben kannst, und was noch schlimmer ist, du bekommst ja auch keine Post mehr von all deinen Lieben. Es ist schwer, bitter schwer, aber es ist noch nicht das Schwerste. Denke an deinen Kameraden Hans Süßmann. Frau Süßmann bekam am 5. Dezember 1944 die Nachricht, dass ihr Sohn Hans am 21. Oktober 1944 gefallen ist. Kopfschuss. Er war sofort tot, und wurde von seinen Kameraden beerdigt. Lieber Helmut musstest du diese schwere Pflicht mit erfüllen? Was wirst du in den Tagen vom 7. Oktober bis 23. Oktober alles Schweres erlebt haben. Vielleicht ist der Weg in die Gefangenschaft noch nicht einmal der schlechteste. Wollen wir Gott bitten, dass wir gesund bleiben, dass er uns stark macht alles zu ertragen, damit wir doch noch einmal uns alle wiederfinden. Mein lieber Helmut, bleibe gesund und stark und Gott sei mit Dir. Du gingst in Gottes Namen aus Deiner Eltern Haus so wird er dich auch weiterhin behüten und auch gesund durch alles Leid wieder heim führen. Dies ist unser aller Wunsch und vor allem der deiner Eltern.

Erlbach, den 8. Dezember 1944

Heute kamen 14 Feldpost - Briefe zurück. Wir können dir also nicht mehr schreiben. Nicht einmal ein bar armselige Zeilen können wir dir übermitteln. Als du daheim fortgingst, habe ich zu dir gesagt, jeden Donnerstag sollst du dein Päckchen haben, damit du Sonntags etwas von daheim hast. Und was konnten wir dir senden, nicht einen einzigen Kuchen, außer den, den wir mit nach Zwickau genommen haben. Hätten wir nicht die Gastfreundschaft von Matthes gehabt, so hätten wir dich überhaupt nicht als Soldat zu sehen bekommen. Froh bin ich auch, dass ich noch einmal dort war bei Eurem Abgang nach Polen. Ich sehe Euch heute noch vorbei marschieren, hinein in den sinkenden Abend, bis Euch die zunehmende Dunkelheit ganz verschluckt hatte. Und doch haben wir uns an diesem Abend noch einmal gesehen. Gertrud und ich wir standen an den Bahnschranken, um noch einmal etwas von Euch zu sehen. Da ließ uns der Schrankenwärter durch und wir konnten der langen Kolonne nachgehen. Und so haben wir noch einmal uns sehen können. Wer hätte gedacht, dass du dann soweit fort kommst. Mir sagte ein Feldwebel an diesem Abend, als ich nach dir fragte, na in 16 Wochen haben Sie ihren Jungen daheim auf Urlaub. Ja in 16 Wochen warst du lieber Helmut in Nordnorwegen an Diphtherie erkrankt im Lazarett. Und dazu kam es auch nur weil du schon von Zwickau aus fort bist mit eitrigen Mandelentzündung und auch in Polen dieselbe nicht ausgeheilt wurde. Ich möchte nicht wissen, wie schwer dir oft der Dienst gefallen ist wenn du immer mit Fieber geplagt warst. Kaum warst du raus aus dem Lazarett, da ging es wieder 700 km weiter hinein in die Mausefalle. Recht kurz war dann dein Aufenthalt in dem schönen Unterkunftsort südwestlich Petsamo. Wahrscheinlich vom 18. Dezember bis zum 7. Oktober, dann meldet der Wehrmachtsbericht von den Kämpfen bei Petsamo. Am 8. und in der Nacht zum 9. Oktober hast du dann deine Feuertaufe bekommen. Ein Reichenbacher Kamerad von dir schrieb am 18. Oktober, dass er in 10 Tagen nur 4 - 5 Stunden geschlafen habe. An Helga hast du geschrieben, dass der Iwan an einem Tage 50 - 60 mal im Tiefangriff kommt, um dann nachts von vorn und das Partisanengesindel von hinten anzugreifen. Und das bei Schnee und Kälte an der Eismeerfront. Was du dann noch bis zum 23. Oktober erlebt hast und was dann weiter aus dir wurde, werden wir erst erfahren, wenn du wieder gesund zu uns heimkommst. Bis dahin wünschen wir dir ein halbwegs erträgliches Los. Möge es das Schicksal gut mit dir meinen. Dies ist unser tägliches Gebet. Deine Eltern.

Erlbach, den 24. Dezember 1944

Mein lieber Helmut!

Heiliger Abend 1944. Vor einem Jahr haben wir bewusst ein schönes Weihnachtsfest gefeiert. Es war uns allen sicher, dass es das letzte schöne Weihnachtsfest zu dreien war. Dass wir aber dieses Weihnachten so traurig begehen müssen, hätten wir doch nicht gedacht. Wo wirst du lieber Junge sein? Wirst du ein Dach über dem Kopf haben? Wirst du gesund sein? Wie werden deine Gedanken daheim sein. Vergangene Nacht träumte mir, du hättest Rolf das Leben gerettet. Rolf (Sohn von Werner Pschera, lebt in Schweden) war ins Wasser gefallen und du hast ihn wieder herausgeholt. Überhaupt sehe ich dich oft im Träume als kleinen Jungen. Ich deute es als ein gutes Zeichen und glaube, dass auch du viel und oft an daheim denkst.

Heute ist der erste heilige Abend, wo der Laden geschlossen ist. Erstens weil Sonntag ist und die Leute schon zeitig ihre Geschenke gekauft haben. Arbeit gibt es trotz alledem. Auch für unsere kleine Gisela müssen wir doch einen Weihnachtstisch aufbauen. Die Familie unserer kleinen Hausgenossin, die seit dem 10. Oktober 1944 bei uns ist, wurde am 4. Dezember 1944 ausgebombt. Im März 1944 ist die 32jährige Mutter an Rauchvergiftung gestorben. Seit dieser Zeit werden die drei Kinder bei fremden Leuten herum geschoben. Wir haben nun unsere Elfriede wieder hervorgesucht, haben aus ihr ein Wickelkind gebaut und dazu von Tröger, Ruth ein Himmelbett bekommen. Ferner habe ich einen Rock und einen Mantel angefertigt. Gegen Abend 5 Uhr ging Gisela in die Kirche. Wir brachten es doch nicht fertig, nach der Kirche zu bescheren. Nachdem Gisela im Bett war, sie schläft in der großen Stube, haben wir es sogar fertig gebracht, einen kleinen Baum zu putzen. Dann haben wir dir lieber Helmut, beschert. Vater hat 10 schöne Bücher vom sächsischen Heimatschutz gekauft und dazu haben wir dir noch 500, - RM in dein Sparkassenbuch eingezahlt. Hoffentlich hast auch du den heiligen Abend gesund verlebt und warst uns im Gedanken verbunden. Dies wünschen von ganzen Herzen Deine Eltern.

Erlbach, den 25. Dezember 1944

Weihnachten 1944 früh ½ 8 Uhr haben wir die Lichter am Baum angebrannt, aber in der Stube regte sich nichts, trotzdem der Weihnachtsbaumständer seine Weihnachtslieder spielte. ich haben dann die Tür soweit aufgemacht und Vater sagte: "na, was ist den da los, da muss doch der Weihnachtsmann gewesen sein", erst da ist unser kleines Fräulein unter der Zudecke hervor gekrochen und hat sprachlos dies Wunder von einem singenden und drehenden Weihnachtsbaum angestaunt. Es hat wie lange gedauert, ehe sie herein in die kleine Stube ging. Der Baum stand auf der Maschine und daneben auf den kleinen Stuhl stand das Bett mit Elfriede unter dem Baum lagen 1 Paar Handschuhe, 2 Haarschleifen und ein Weihnachtsteller. Am Schrank hing Rock und Mantel. Lieber Helmut, wir dachten, wir tun dir unrecht wenn wir einen Weihnachtsbaum putzen und du vielleicht unter den schlimmsten Verhältnissen das Fest verbringen musst. Aber die Freude der Kleinen, die uns doch so ganz fremd ist, und der es genau so geht wie dir, sie ist doch auch nur der Gnade oder Ungnade fremder Menschen ausgesetzt, hat uns gezeigt, dass wir doch recht getan haben. Vielleicht begegnest auch du Menschen, die dir mal etwas Gutes erweisen. Es sind doch nicht alle Menschen so hart und so schlecht wie es so oft geschildert wird. Man müsste jetzt verzweifeln, wenn alles wahr wäre, was vom Iwan gesagt wurde. Wir wünschen und hoffen von ganzem Herzen, dass dein Los erträglich ist und dass der Krieg recht bald ein gutes Ende nimmt, damit du lieber Helmut, wieder heim in deine geliebte Heimat kommst. Deine Eltern.

Erlbach, den 30. Dezember 1944

Heute Mittag ist Rolf (Sieber) zum Militär nach Oschatz. Er hatte schon einmal Ordre nach Danzig. Weil aber Bärbel Scharlach hatte und Rolf nach dem Arbeitsdienst daheim war, so hatte er das Glück, noch einige Wochen daheim bleiben zu können. Aber alles vergeht. Weihnachten hat Rolf doch noch daheim verlebt. Auch Herr Sieber war mit dem Rad von Schneeberg auf einen Sprung daheim. Es war vielleicht auch das letzte Weihnachten der ganzen Familie. Jetzt werden ja sogar die Mädchen vorläufig von 18 - 21 Jahren zum Militärdienst geholt. Da kann es Helga auch noch erwischen, wenn nicht bald Schluss wird. Im Gedanken Deine Mutter.

Erlbach, den 31. Dezember 1944

Heute, Sonntag, der letzte Tag des Jahres. Matthes sind nach Zwickau. Wir sitzen alleine daheim und denken an unseren Jungen. Wo wird er sein? Was wird er machen? Ist er gesund? Und auf alles gibt es keine Antwort. Auch von Günter und von Horst und Walter ist bis heute keine Nachricht gekommen. Jenny ihr Mann hat bis jetzt zwei Funksprüche über das Marineministerium durchgegeben, dass er lebt und gesund ist. Er ist in La Rochelle eingeschlossen. Hertas Schwiegervater lässt nichts hören, er war in Brest wie auch Hertas Schwiegervater. Pschera, Ernst ist in Ungarn, Rudi und Werner Pschera sind im Lazarett. Hertas (Voigt - Ofensetzerfrau in Markneukirchen?) Mann ebenfalls, er ist zum zweiten mal am Bein verwundet. Tröger Werner lässt auch nichts von sich hören, nachdem er am 14. Oktober aus Algier geschrieben hatte. So ist fast in jeder Familie Leid und dieses tragen wir mit in das neue Jahr. Es besteht keine Hoffnung, dass es besser wird, im Gegenteil, wir werden 1945 viel Schweres zu ertragen haben.

Das Leiden einer Mutter

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