Читать книгу Vier Adventsgeschichten - Martin Opatz - Страница 6

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Es ist Montagmorgen. Ich liege auf der Matratze und döse vor mich hin. Kurzer Uhrenvergleich: Ich habe sechs Minuten gewonnen. Da kann ich mich ruhig noch mal auf die Seite drehen.

Die Stunde, die ich damit verpennt habe, hole ich heute locker auf. Ich döse weiter ein bisschen vor mich hin. Kurzer Uhrenvergleich. Da sind sie wieder, meine sechs Minuten.

Diesmal nutze ich sie. Carpe diem. Es muss ja nicht immer gleich der ganze Tag sein. Sechs Minuten sind auch schon was. Da bekommt man auch mal einen Bus früher. Heute wird geweihnachtsbummelt – warum auch immer. Ich bin eh allein. Ich will mir aber unbedingt die Weihnachtsstimmung holen.

Ich liebe Weihnachten. Dieses Fest der Liebe. Dieses endlich mal wieder mit den Lieben zusammensitzen und fröhlich sein. Gänsebraten, Rotkohl und Klöße. Ich versuche, kurz zu errechnen, wieviele Gänse überlebt hätten, wenn es Weihnachten nicht gegeben hätte, aber das sprengt nun doch den Rahmen.

Ich bin so schnell fertig mit meiner morgendlichen Prozedur, dass ich mich völlig überraschend auf der Straße wiederfinde. Wer hat mich denn hier hingestellt? Aber wenn ich mich schon mal hier befinde, kann ich auch gleich losmarschieren. Ab in Richtung Schlossstraße.

Ich habe ein absolutes Deja Vu. Es ist zwar heute heller auf der Straße, als beim letzten Besuch dieser Gegend, aber alles sieht gleich aus. Ich bin mir sicher, wenn ich mir die Gesichter letztens gemerkt hätte, würde ich jeden wiedererkennen.

Der Rassel-Indio verschafft sich immer noch in gebückter Haltung seinen Freiraum an der Ecke. Sein Kumpel flötet vor sich hin und von der nächsten Ecke sind die Laien zu hören, wie sie auf ihren Blasinstrumenten rumtuten. Geld liegt auch wieder in den dafür vorgesehenen Behältern. Alles wie es war.

Ich schiebe mich in Richtung Karstadt. Eine Ecke davor steht der Titania Palast. Natürlich interessiert es mich jetzt, ob der alte Mann wieder seine Position eingenommen hat. Durch die dichte Menschenmenge kann ich noch nichts sehen.

Als ich dann freie Sicht habe, kann ich ihn nicht entdecken. Der Platz ist leer. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Vielleicht kommt er ja noch. Die Passanten rempeln mich weiter. Ich drehe mich ab und zu noch einmal um, aber ich kann den Platz, an dem der Alte saß, nicht mehr sehen.

Es ist merkwürdig, wie mich diese Situation beschäftigt. Ich brauche einen Kaffee.

Beim Feinkostladen Butter Lindner im Boulevard Berlin, einem der Einkaufspaläste, bestelle ich mir das Getränk und setze mich in die festlich geschmückte Passage. Es ist voll hier. Menschen mit Tüten und Taschen hasten von einem Laden in den nächsten. Sicherlich nimmt niemand von der wirklich schönen, dennoch sehr überladenen Weihnachtsdekoration Notiz. Wer sich allerdings Weihnachtslieder gewünscht hat, wird enttäuscht: Es läuft Lounge-Mucke zur Berieselung.

Ich versuche, mir wieder das Gefühl von Weihnachten vorzustellen. Es gelingt mir schon allein deshalb nicht, weil ich dauernd an den Bettler mit seinem kleinen struppigen Hund denken muss.

Ich trinke den Kaffee aus und drängle mich durch die Menschenmassen zurück zu der Currywurstbude, die genau gegenüber der Stelle steht, wo der Mann letzte Woche noch saß. Der Verkäufer erkennt mich nicht wieder. Ich frage ihn, wann denn der alte Bettler immer seinen Platz hier einnimmt.

»Der wird hier wohl nich mehr herkomm.«

Ich frage ihn, woher er das wissen will.

»Ach jetze erkenn ick dir. Du bist doch der Typ, der dem Ollen die Wurscht jekooft hat. War letzte Woche, stimmt‘s?«

Ich nicke kurz. Ich habe keine Ahnung, warum ich unruhig werde.

»Der is uf eenma langsam im Sitzen umjekippt. Wir ham jedacht, der pennt. Bis uf eenma der Köter Rabatz jemacht hat und den imma anjestupst hat und jebellt hat. Da hamwa denn die Bullen jerufen und ‘n Krankenwajen. Na ja, anne Koppbewejung von dem eennen Bullen konnste schon erkenn, dat der Olle über‘n Jordan war. Der Köter hat‘n riesen Theater vaanstaltet und wollte keen rannlassen an sein Herrchen. Denn hamse den Alten uffe Bahre jepackt und ab jing die Luzi. Der feiert jetze da oben Weihnachten. Aba vielleicht hat der dit da ja ooch viel bessa als hier uf‘m kalten Pflasterstein.«

Ich bin sichtlich betroffen.

»Wat isn los mit dir? Du bist ja janz blass jeworden. War dit‘n Bekannta von dir?«

Ich schüttle den Kopf, bedanke mich kurz für die Informationen und gehe langsam zurück. Wieso nimmt mich das jetzt gerade so mit? Das kommt doch hundertfach jeden Tag so vor. Ich kannte diesen Mann überhaupt nicht.

Im Supermarkt decke ich mich noch mit Lebensmitteln für die Feiertage ein und gehe dann nach Hause. Was mir noch fehlt, ist der obligatorische Tannenbaum, den werde ich mir aber ersparen. Ich hole mir Tannenzweige und packe ein paar Christbaumkugeln drauf. Den Rest macht dann meine Weihnachtsbeleuchtung an der Balkontür.

Vier Adventsgeschichten

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