Читать книгу Täubchen alla Boscaiola - Martin Schlobies - Страница 18

16. Kapitel

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Raphael war mit seinem Wagen auf dem Wege nach Castellina al Monte Largo, zum dritten Mal in den letzten Tagen. Von Cefalú aus fuhr er wieder die Küstenstraße entlang und dann die Landstraße in die Berge. Dort verpaßte er einen schlecht ausgeschilderten Abzweig, irrte endlos in verschlafenen Tälern und Hügeln herum, hielt immer wieder an, befragte die Karte. - Die Karte war ungenau. - Mehrmals mußte er wieder zurück, und es dauerte über eine Stunde, bis er endlich die richtige Straße fand.

In der Gegend von Castellina angelangt, nahm er den Schotterweg zu der verlassenen Bleigrube am Berghang. Er hatte vor, noch ein wenig mit dem Wächter zu reden, vielleicht konnte er doch mehr erfahren, bevor er sich an die Besitzer der Erzgrube wandte.

Das Haus am Hang, vielleicht fünfzig Meter vom Eingang der Grube entfernt, war verschlossen, nur der Hund an der Kette bellte drohend. Der Wächter oder ein anderer Mensch, mit dem Raphael hätte reden können, zeigte sich jedoch nicht. Mit seiner Kamera machte Raphael noch einige wenige Fotos, die den Hang, die Lage der Grube, ihren Eingang zeigten, und einige Gesteinsbrocken mit Erzadern, wie sie hier herumlagen.

Danach stieg er wieder in den Wagen, fuhr über die Landstraße einen langen Umweg bis zum Ortsrand von Castellina, ließ dort den Wagen stehen, und ging zu Fuß in den Ort. Es war gerade die Zeit der Mittagsruhe.

In einer kleinen Gasse kam Raphael an einem Laden vorbei, der dennoch jetzt sinnlos offen war. Der Besitzer sah Raphael stumpf an, ohne zu grüßen. Er trug eine winzige gestrickte Wollmütze oben auf seinem Knochenschädel, über dem straffgespannt die Haut saß. Er handelte mit allem, was die Leute auf dem Land brauchen. - In großen offenen Säcken lag Mais, in den Regalen waren Farbbüchsen hochgestapelt, Knoblauch-Zöpfe hingen von den Wänden herab und hingen neben der Eingangstür, und in den Winkeln lag modern verpacktes Gerümpel, Spielzeug möglicherweise. Und er selbst, so schien es Raphael, dämmerte und verstaubte in seinem Kramladen zusammen mit all diesem Gerümpel.

Die ganze Zeit, während Raphael durch die Gassen schlenderte, brannte die Sonne sengend und schonungslos steil vom Himmel herab. Unter seinem Hemd fühlte Raphael jetzt Schweißperlen sickern und in Fäden die Achseln herablaufen, dann über die Brust. Die Füße in den eng gewordenen Schuhen schmerzten. Schließlich kam Raphael zu Bewußtsein, daß er noch nicht zu Mittag gegessen hatte, und den ganzen Tag über wohl zu wenig getrunken hatte.

Ihm war auf einmal schwindlig und beim Anblick der leeren Straße, der Häuser mit den dazwischenliegenden Läden, die im Mittags-Frieden versunken lagen, - und die ihm alle versperrt waren, - packte ihn eine heftige Sehnsucht nach einem kühlen, dunklen Ort - einem Keller vielleicht, - einer Weinhandlung, oder etwas anderem, wo es feucht und kühl war.

War das nicht eben das Geräusch von Wasser, das auf Steinfliesen tropfte? Diese Sinnestäuschung, wenn es eine war, ließ seine durch die Sonne überreizten Nerven noch mehr in Anspannung geraten.

Erschöpft und betäubt, fast dem Weinen nahe, betrat er einen kleinen Gang zwischen zwei Geschäften, von dem wenige Stufen zu den noch tiefer gelegenen Eingängen herabführten. Kein Sonnenstrahl drang dorthin. Hier blieb er einen Moment ermattet stehen, die Hand gegen die kühle, bröcklige Mauer gestützt, direkt neben zwei geschlossenen Fensterläden.

Plötzlich wurde einer dieser Fensterläden zu seiner Überraschung geöffnet, und aus einem dahinterliegenden, dunklen Zimmer schaute ihn das Gesicht einer jungen Frau an. „Es tut mir leid . . . !“, sagte Raphael unwillkürlich. Es war ihm peinlich, hier wie ein Eindringling ertappt zu werden; wie jemand, der die Heimlichkeiten einer fremden Wohnung neugierig beäugte.

Das am Fenster erscheinende Gesicht war so eigenartig, von solcher Milde, daß es einer auf Glas gemalten Heiligen in einer Kathedrale zu gehören schien. Es war ein blasses Gesicht, von einer Wolke schwarzgelockter Haare umrahmt. Die Frau, der dieses Gesicht gehörte, war nicht schön. Die Nase war recht groß und gerade. Der Mund etwas zu scharf gemeißelt. Neben dem Mund schienen schon winzige Fältchen eingegraben zu sein. Die Augen waren nicht einmal besonders groß, aber eigenartig milde und sanft.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte die Frau. Diese freundliche Frage überraschte ihn jedoch weniger als ihre Stimme, die so gar nicht zu jemandem paßte, der in einer so ärmlich wirkenden Behausung wohnte; eine Stimme, die weder roh noch barsch klang, sondern kultiviert und klar war, - eine Stimme, die der Sanftheit der Augen entsprach.

„Draußen auf der Straße ist es so schrecklich heiß!“, sagte er, „Die Läden sind alle geschlossen, und ich wollte nur irgendwo sein, wo es kühl ist. - Es tut mir sehr leid, wenn ich gestört habe.“

„Wollen Sie nicht einen Moment hereinkommen?“, erwiderte sie.

Das Gesicht am Fenster verschwand. Irgendwo in der Wand neben dem Fenster öffnete sich eine Tür, die Raphael vorher nicht gesehen hatte, und einen Moment später, nach zwei, drei Schritten, fand er sich in einem Gewölbe wieder. Der Raum war angenehm kühl und dunkel. Die junge Frau bot ihm einen Stuhl an und reichte ihm ein Glas Wasser.

„Danke, vielen Dank!“, sagte er und trank. Als er aufblickte, bemerkte er, daß die junge Frau ihn genau betrachtete. Mit ihrer sanften, schmeichelnden Stimme fragte sie:

„Darf ich Ihnen noch etwas anbieten?“ Er schüttelte den Kopf. Fast unmerklich lächelnd zog sie, mit einer vielleicht wohlberechneten Geste, den gehäkelten schwarzen Schal fester um ihre Schultern. Sie hatte wohl bemerkt, daß er die Rose an ihrem Ausschnitt betrachtete.

„Was tun Sie da immer am Hang?“, fragte sie.

„Woher kennen Sie mich?“, erwidert er überrascht.

„Ich habe Sie gestern oder vorgestern in der Nähe der Blei-Grube gesehen, dort wo . . . ”, hier unterbrach sie sich. Raphael schaute sie nachdenklich an. Gewiß, er erinnerte sich, daß er in der Ferne von einer jungen Frau beobachtet worden war. Sie hatte sich nicht in seine Nähe getraut, ihn aber lange Zeit nicht aus den Augen gelassen. Er hatte sie sogar mehrmals entdeckt, während er fotografierte und maß; immer an einer anderen Stelle, hinter einer Pinie, an einen Felsen gelehnt, auf einem Felsblock am Feldrand sitzend, aber immer war sie so weit entfernt, daß er ihr Gesicht nicht erkennen konnte.

„Warum sind Sie nicht näher gekommen?“, fragte er. Sie errötete und machte sich an einem Schrank zu schaffen. Er betrachtete sie von hinten. Jetzt war er es, der die Augen nicht abwenden konnte: Das taillierte Kleid, die bloßen Arme, ein wunderschön geformter Nacken und dazu dieser Kopf mit den gelockten Haaren! - Vielleicht spürte sie seine Blicke, denn sie blieb eine Zeitlang so stehen, mit dem Rücken zu ihm, ging dann die wenigen Schritte zu einer Anrichte.

Erstaunt bemerkte Raphael auf einmal, daß eine ganz eigentümliche Ruhe und Wärme von dieser jungen Frau ausging und ihn zu überfluten begann. Nie hatte er etwas ähnliches bei einer vollkommen fremden Frau erlebt! - Er schloß einen Moment beinahe überwältigt die Augen, um sich ganz diesem Gefühl der Geborgenheit und Wärme und Nähe zu überlassen.

Als er die Augen wieder öffnete und aufblickte, hatte sie sich zu ihm umgedreht, und er glaubte etwas wie Bewunderung in ihren Augen zu lesen, und er bemerkte auch, daß ihre Hände zitterten. Erschrocken nahm er einen Schluck aus dem Glas.

Der Zauber, der von ihr ausgeging, schien auf einmal geschwunden, genauso plötzlich, wie er gekommen war. - 'Wie wenig schön sie ist, ja, - fast häßlich!', dachte er - und empfand mit einem Male sogar Mitleid mit ihr.

Um dieses Gefühl abzuschütteln, griff er in seine Hemdentasche und zog eine Filmpatrone hervor,

„Ich habe einen Film zum Entwickeln mitgebracht. Könnten Sie diese Patrone nachher in der Drogerie nebenan abgeben? Im Fenster habe ich einen Hinweis gelesen, daß man dort Filme entwickelt. - Würden Sie das für mich tun?“ Vorsichtig, wie etwas Wertvolles, nahm sie die Patrone entgegen, und wieder zitterten ihre Hände.

„Selbstverständlich, gern.“, sagte sie sanft. Eine Röte flog über ihr Gesicht, sie wandte verwirrt die Augen ab. Dann, beinahe schuldbewußt, sah sie ihn wieder an. Diese scheue, aber unverhohlene Bewunderung war ungewohnt für Raphael. Es war, als könne sie ihre Augen nicht von ihm losreißen. Herausfordernd schaute er ihr so lange ins Gesicht, bis sie aufs neue errötete. Etwas Verschwiegenes glomm in ihren Augen auf und verschwand wieder.

Sie lächelte, als hätte sie seine Gedanken gelesen und sagte begütigend,

„Sie müssen mir Ihren Namen sagen,“ Raphael sah sie so überrascht an, daß sie erklärend hinzufügte: „Damit der Film nicht verwechselt wird, . . . damit er gefunden werden kann, meine ich . . . wenn Sie die Abzüge abholen!“

„Wolters heiße ich.”, sagte er schnell, „Raphael Wolters. - Können Sie das nicht auch für mich erledigen? Ich muß leider gleich fort; aber morgen oder übermorgen komme ich wieder hier in den Ort. - Darf ich Ihnen dafür etwas Geld dalassen?“ Er zog sein Portemonnaie hervor und entnahm ihm einen Schein, „Das dürfte reichen!“, sagte er. Zögernd nahm sie den Schein entgegen und besah ihn,

„Es ist viel zu viel! - Dann müssen Sie aber bestimmt wieder hierher kommen, - zu mir!“, sagte sie, und fügte leise und fast zerstreut hinzu, als wäre sie mit ganz anderen Gedanken beschäftigt: „Wenn Sie die Bilder haben wollen!“ Und wieder sah sie ihn mit ihren dunklen Augen beinahe ergeben an.

„Natürlich!“, sagte er und lächelte sie auch an; - und wieder überflutete ihn für einen langen Moment eine unglaubliche Ruhe und Wärme und Vertrautheit, die von dieser unbekannten Frau ausging und die er sich nicht erklären konnte. -

Er wollte sich schon zum Abschied wenden, da fiel ihm noch eine Frage ein, „Wem gehört eigentlich die Blei-Grube da draußen? - Mit wem könnte ich darüber reden? - Mir hat der Wächter gestern gesagt, sie gehörte der Familie Botello. - Kennen Sie diese Leute?“

„Oh!“, sagte sie bedauernd, „Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen, ich kenne die Familie natürlich, aber fragen Sie vielleicht eher jemand anderen!“

„Etwas können Sie aber dennoch für mich tun!“, sagte er.

„Was ist das?“

„Verraten Sie mir bitte Ihren Namen!“

„Anna-Maria,“, sagte sie verschämt und errötete, „Anna-Maria Costalo.“ Raphael bedankte und verabschiedete sich, verließ den Raum und stieg nachdenklich und verwirrt die Stufen zur Gasse und dann zur Straße empor.

Täubchen alla Boscaiola

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