Читать книгу Täubchen alla Boscaiola - Martin Schlobies - Страница 4

2. Kapitel

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Antonio, der Hauswart der Pension in den Bergen, hatte Pauline angeboten, sie in seinem Wagen mit nach unten zu nehmen, in die Stadt, nach Cefalú, wo er sie an einem kleinen Platz absetzen sollte, oberhalb einer Kehre der Landstraße, einer Stelle, die sie sich am Tag zuvor ausgesucht hatte, um dort zu malen. Inzwischen waren sie dort angelangt.

„Halten Sie jetzt bitte!“, rief sie, „Hier ist es!“

„Unmöglich! - Impossibile! Signora!“, rief Antonio, „Ich kann hier nicht anhalten!“ Er fuhr um die Kehre herum, fuhr weiter und weiter, bremste endlich und setzte sie viel zu weit unten ab; - obwohl es weiter oben auch gegangen wäre, sie hatte es doch gesehen, dort in der Einfahrt! - sodaß sie die schwere Staffelei und ihre Tasche mit dem Wasser, dem Papier und den Farben ein ganzes Stück die Straße wieder zurück und die Treppe hoch zu der kleinen Plattform schleppen mußte.

Keuchend und ganz außer Atem langte sie oben an, konnte ihre Sachen neben dem Geländer abstellen, und warf einen ersten prüfenden Blick auf das Meer, auf Cefalú, den mächtigen Normannenfelsen, der die Stadt dominierte. - Raphael hatte es ihr erklärt, daß es ein Basaltkegel vulkanischen Ursprungs sei, - er als Bergbau-Ingenieur kannte sich in Geologie natürlich aus. - mit Tempelresten oben, - wo gab es hier in Sizilien nicht oben auf den Bergen Reste von griechischen Tempeln? -

Raphael!

Gestern noch war ihr die Aussicht hier so wunderbar vorgekommen! - Doch jetzt fiel ihr der entsetzliche Lärm auf, das Rauschen des ständig vorbeifließenden Verkehrs, die Lastwagen, die Motorräder, das Bremsen, das Hupen, die aufheulenden Motoren; dazu stieg quälend der Gestank von Dieselqualm zu ihr hoch und beleidigte ihre Nase.

Nun hatte sie alles ausgepackt, ihre Staffelei aufgestellt, und stand, das Gesicht unter dem Strohhut geschützt, und begann zu zeichnen, - doch die Striche wollten sich nicht fügen, sie war unaufmerksam, nervös, und wieder überfielen sie die Gedanken an den Mann, den sie gestern kennengelernt hatte. - Raphael.

Diese Idee, nach Sizilien zu fahren und hier allein in der Landschaft zu stehen und zu malen, - und was denn überhaupt? - erschien ihr auf einmal absurd. Der Ort, an dem sie stand, der Ausblick auf die Stadt und das Meer erschien ihr häßlich, ohne jeden Reiz, und sie begann ihn zu verabscheuen.

Plötzlich hatte sie den Wunsch, all ihre Malsachen einzupacken oder sie über die Brüstung des kleinen Platzes zu werfen, - und sie hätte es getan, wenn sie dadurch diesen Mann, den sie gestern getroffen hatte, sich hätte hierher zaubern können.

Würde sie ihn denn jemals wiedersehen?

Wie groß war Sizilien!

Sie hatte nichts zu ihm gesagt, weil sie gewartet hatte, daß er etwas sagen würde, und er hatte nichts zu ihr gesagt, - ja warum? Vielleicht hatte sie sich ihm gegenüber zu abweisend gezeigt?

So waren sie auseinandergegangen, ohne eine Verabredung zu treffen.

Warum?

Immer wieder lief die gleiche Gedankenfolge in ihr ab und wiederholte sich bis zur Sinnlosigkeit.

Pauline versuchte sich zusammenzureißen, als sie sich bei diesen sinnlosen Gedankenwiederholungen ertappte, und schalt sich innerlich selbst für ihr Trägheit und Mutlosigkeit. Sie wußte es doch: hatte sie diese erst überwunden, würde sie arbeiten können, - und was dann folgte, war die Freude, - die Freude am Schauen, am Schöpferischen. 'Und wer von der Freude erfüllt ist', dachte sie, 'ist auf dem richtigen Weg.' Deshalb war die Überwindung der Trägheit der Weg zur Kunst!

'Malen - das ist mönchisches Tun!' - sie liebte diesen Satz, obwohl sie ihn noch mehr geschätzt hätte, wenn ihr das entsprechende Adjektiv zu 'Nonne' eingefallen wäre.

Während ihre Gedanken sie so narrten, zeichnete sie beharrlich weiter, doch lange blieb alles formlos, was sie auf das Papier brachte, plump, ungestalt, - wieder riß sie einen Bogen ab.

Doch sie wußte, sie mußte sich zwingen, - war es doch schon schwierig genug, sich gegen den Verkehrslärm zur Wehr zu setzen, - und durch Geduld und Ausdauer überwand sie auch wirklich ihre innere Ablenkung, und konnte sich konzentrieren, - endlich auch hatte sie sich in die Ansicht vor ihren Augen eingesehen und eingelebt, und so belebte sich auch ihre Zeichnung.

Ganz in ihre Arbeit versunken hörte sie mit einem Male eine Kinderstimme auf italienisch sagen:

„Was machst du?“ Es lag etwas Gelangweiltes, Nörgelndes, Bösartiges in dieser Stimme, was sie sofort ärgerte.

„Zeichnen! Das siehst du doch!“, entgegnete sie heftig, ohne aufzublicken.

„Und was zeichnest du?“

„Die Stadt, - schau, da unten liegt sie!“, in dem Augenwinkeln nahm sie einen kleinen Jungen wahr, der seinen Roller auf den Boden abgelegt hatte und mit gespieltem Interesse und übertriebenen Bewegungen seines Kopfes ihre Handbewegungen über das Papier auf der Staffelei verfolgte, etwas, was sie verabscheute.

„Du, ich arbeite, verstehst du, ich wäre gern ungestört, sola, allein!“

„Ich sehe keine Stadt,“, nörgelte der Junge, „Das ist doch nur Krikelkrakel!“

An diesem Morgen schien alles daraus aus zu sein, sie zu ärgern! Empört drehte sie sich um, sah sich zum ersten Mal den Jungen richtig an, er war so alt wie ihrer, doch es ärgerte sie, daß er so wenig Kindliches an sich hatte, und schon das spätere Männergesicht in seinen groben altklugen Zügen vorgezeichnet war.

„Schenkst du mir ein Bild?“, bat der Kleine.

„Nein! Warum denn?“, erwiderte sie schroff, „Hast du keine Eltern? Wo wohnst du?“

„Dort!“, er zeigte auf ein Haus, das auf der anderen Seite des kleinen Platzes stand.

„Ich möchte arbeiten, kannst du nicht woanders weiterspielen?“

„Nein! - Und ich störe dich solange, bis du mir ein Bild schenkst!“ Der Kleine war wirklich hartnäckig. Wenn er weniger unverschämt gewesen wäre, hätte sie ihm eines gegeben, doch so? Nein!

"Fahre bitte weiter mit deinem Roller!“

„No!“ Der Junge blieb neben ihr stehen, begann, an ihrem Block, der auf der Erde lag, herumzufingern.

„Laß das!“

„No!“

„Ich sage dir: Laß das! - Te dico: lascialo!“, sagte sie gereizt. - Wenn sie beim Malen gestört wurde, packte sie etwas, was nicht weit von Mordlust entfernt war. Der Junge schielte sie boshaft von unten an.

„No!“

„Du kleiner häßlicher Teufel,“, rief sie jetzt auf deutsch, „ich bringe dich um, wenn du mich nicht sofort in Ruhe läßt!“

Der Junge glotzte blöde, griff aber weiter nach ihrem Block. Schließlich schlug sie ihm voller Wut auf die Finger. Der Junge sah sie an, fassungslos, ohne zunächst zu begreifen, was geschehen war, krümmte sich zusammen, sodaß er noch jämmerlicher anzusehen war, und fing an zu weinen. - Sie hatte ihm also wehgetan! - Und sein klägliches Greinen erfüllte sie mit Befriedigung.

Endlich raffte der kleine Kerl sich auf und rannte ohne seinen Roller laut plärrend über den Platz, - und da kam auch schon ein Mädchen, offenbar seine ältere Schwester, aus dem Haus geeilt und fing ihn auf.

Schluchzend preßte er seinen Kopf an ihre Schulter und redete heftig auf sie ein. Das Mädchen zog aus der Tasche ihres Rocks ein kleines Taschentuch, putzte dem Jungen die Nase und wischte ihm die Tränen ab. Schließlich nahm sie ihn an der Hand und kam mit ihm zu Pauline.

Sie hatte die gleichen großen, häßlichen Züge wie der Bruder, doch ihre dunklen Augen leuchteten sanft und still. Sonst hätte Pauline Mitleid mit einem so unglücklichen Geschöpf gehabt, heute brachte es sie auf. An diesem Morgen hatte sie tief innen eine solche Wut, eine solche erbitterte Gereiztheit im Leibe, daß ihr jeder Vorwand recht gewesen wäre, mit irgend jemand Händel anzufangen.

Das Mädchen blickte bewundernd auf die angefangene Zeichnung auf der Staffelei, „Oh, welch schöne Zeichnung! - Que bello disegno!“, flüsterte sie andächtig, was Pauline etwas versöhnte.

Sie schämte sich jetzt. Um die beiden loszuwerden, schenkte sie dem Jungen eine Zeichnung, die er ohne Dank an sich preßte und auf diese Weise sogleich zerknitterte. Er wollte nun noch bleiben, zuschauen, 'guardare un po', doch die Schwester hob seinen Roller auf und zog den kleinen verheulten und verrotzten Quälgeist mit sich fort.

Pauline versuchte, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, doch nichts wollte gelingen. Statt auf die schöne Ansicht von Cefalú schielte sie immer wieder auf die Straße, die sich unter ihrer Plattform nach oben in die Berge und nach unten zur Stadt hinab wand.

Und plötzlich, - tatsächlich! - sah sie jetzt einen offenen gelben Wagen die Straße von den Bergen herabkommen.

Ja, es war derselbe Wagen, dieser offene alte Sportwagen, und auch das Nummernschild war englisch!

Er mußte es sein!

Raphael!

Ihr stockte der Atem.

Ihr Herz begann heftig gegen ihre Brustwand zu pochen, und sie winkte, ohne zu überlegen mit ihrem Hut.

Der Wagen fuhr weiter, - er hatte sie nicht gesehen!

Eine abgrundtiefe Enttäuschung machte sich in ihr Raum. Unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen.

Der Wagen war jetzt hinter der Kehre unterhalb ihrer Plattform verschwunden, tauchte dann kurz wieder auf.

Da!

Er wurde anscheinend abgebremst, - blieb wirklich stehen.

Er hatte sie also doch gesehen!

Gottlob!

Schnell wischte sie ihre Tränen ab.

Der Fahrer, - ihr Raphael! - fuhr waghalsig und zu schnell mit heulendem Getriebe rückwärts, stellte den Wagen in eine Einfahrt, und kam zu ihr die Treppe hoch gelaufen. „Ich habe Sie gerade noch im Rückspiegel gesehen!“, sagte er, noch ganz außer Atem.

Ihr Herz schlug jetzt, als ob es aus dem Mund heraus wollte. Sie mußte sich sehr zusammennehmen, um diesem Mann nicht um den Hals zu fallen. Stattdessen setzte sie eine möglichst unbeteiligte Miene auf und tat so, als ob sie immer noch von der Landschaft, diesem fabelhaften Ausblick auf Cefalú fasziniert wäre. „Sieht man sich wieder?“, sagte sie mit unterkühlter Stimme und zeichnete weiter.

Er achtete nicht auf ihre Worte, sondern trat an die Staffelei, und warf einen Blick auf das angefangene Bild. Ihr kam es vor, als verzöge er das Gesicht, und schürzte die Lippen. „Machen Sie das professionell?“, fragte er ganz sachlich. Doch diese Frage und das Gesicht, das er dabei machte, kränkten sie. Kam sie sich doch schon als Künstlerin vor! Sie war so gespannt und verärgert, daß sie ihm die Staffelei samt dem Karton darauf über den Kopf zu schlagen vermocht hätte.

„Ich bin bald fertig . . . “, ließ sie sich schließlich herab zu murmeln, und war unendlich dankbar, daß ihre Stimme nicht zitterte, wie jetzt ihre Hand.

„Ich warte gern ein wenig . . . “, erwiderte er ruhig und setzte sich auf die schmiedeeiserne Balustrade und schaute interessiert in die Landschaft hinaus.

Er wäre wieder in den Bergen gewesen, sagte er, als sie endlich begann, ihre Sachen zusammenzupacken.

„Was treiben Sie denn eigentlich dort?“, fragte sie.

„Ich suche etwas!“

„Was?“Er lächelte fein,

„Gemsen!“

„Haben Sie Gemsen gesagt?“

„Ja! - Nein, ich suche etwas anderes, aber das möchte ich nicht sagen! - Noch nicht, wir kennen uns noch nicht genug!“

Das war nun kein großer Vertrauensbeweis, doch Pauline nahm sein Angebot, sie einmal beim Suchen mitzunehmen, an. Gern nahm sie es auch an, als er ihr anbot, sie hoch zum Hof zu bringen, wo sie wohnte.

„In meinem letzten Gasthof war es schrecklich . . . “ , erzählte er während der Fahrt. Keine weitere Nacht würde er dort verbringen wollen. Laute Musik und Gesang bis in die tiefe Nacht hinein, eine ständige Unruhe im ganzen Haus. Er hatte all seine Sachen schon wieder hinten im Auto. Und er hatte für die Übernachtung doppelt soviel bezahlten müssen, als üblich. Pauline mußte über ihn lachen, ihn, der einen so gescheiten und weltgewandten Eindruck machte.

Raphael zog dann zu ihr auf diesen Bauern-Hof, ins Haupthaus, in dem auch sie wohnte. Wohnzimmer, Küche, Flur benutzten sie beide gemeinsam, doch jeder hatte einen eigenen Eingang, und er gelangte nur über eine Außen-Treppe in sein Zimmer, das oben im ersten Stock, direkt unter dem Dach lag.

„Ein richtiges Schwalbennest!“, so nannte sie es und bei dieser Benennung blieb es.

Täubchen alla Boscaiola

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