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Colombia Es Pasión!

Im Februar 2004 hatte Präsident Álvaro Uribe Brüssel und Straßburg besucht, wo Mitglieder des europäischen Parlaments demonstrativ den Saal verließen und weiße Flaggen schwenkten, als wollten sie sagen: »Nicht schießen.« Im Oktober desselben Jahres hielt eine dänische Gruppe namens Oprør eine Benefizveranstaltung zugunsten der FARC ab und überwies ihnen 8.500 US-Dollar. Uribe folgerte daraus, dass Europa seine Informationen offenbar von Guerilla-Sympathisanten erhielt, und beschloss, dass es an der Zeit wäre, etwas zu unternehmen.

Der damalige Leiter von ProExport – der Regierungsbehörde, die damit betraut war, Kolumbiens Tourismus und Handel anzukurbeln – war Luis Guillermo Plata Páez. Als Absolvent der Betriebswirtschaftslehre an der University of Arizona mit einem Master-Abschluss an der Harvard Business School war Plata ein typisches Beispiel der jungen, des Englischen mächtigen, im Ausland ausgebildeten Technokraten, die Uribe geholt hatte, um das Land zu erneuern. 2006 vom Weltwirtschaftsforum zu einem der Young Global Leader gewählt, wurde er später Kolumbiens Minister für Handel, Industrie und Tourismus. Aber zu der Zeit, als Uribe seinen Beschluss fasste, fiel noch die Transformation von Kolumbiens Image im Ausland in Platas Zuständigkeitsbereich.

Sein wohlklingendes amerikanisches Englisch ist gespickt mit Wirtschaftsjargon und Statistiken.

»Wussten Sie, dass 90 Prozent des kolumbianischen Kaffees ungeröstet exportiert wird? Toller Kaffee, aber in der Wertschöpfungskette steht er ganz unten. Das ist so, als würde Frankreich Trauben exportieren statt Wein. Ich meine, in welcher Branche wären Sie lieber? Trauben exportieren oder edle Weine herstellen und mehrere hundert Dollar pro Flasche kassieren?«

Wir trafen uns in Usaquén, einem der vornehmsten barrios von Bogotá – barrios sind kleinteilige urbane Gebiete, so etwas wie Stadtviertel oder -bezirke, die ihrerseits in einem übergeordneten Distrikt zusammengefasst sind, der je nach Stadt comuna oder localidad heißt. Umgeben von Kolonialarchitektur, Restaurants, Boutiquen und kleinen Marktständen, die Krimskrams feilboten, erläuterte er, wie er zusammen mit Coldeportes, der Regierungsbehörde für Freizeit und Sport, die notwendigen Finanzmittel bereitstellte und so das Team Colombia Es Pasión ins Leben gerufen wurde.

»Dann rief ich einen Freund an, jemand, den ich seit langem kenne, und bat ihn, das Team zu leiten.«

Dieser Freund war ein weiterer in den USA ausgebildeter Technokrat, ein Finanzberater aus Medellín namens Ignacio Vélez, der mathematische Modellierung an der Stanford University studiert hatte. Vélez, ein passionierter Radsportfan, begann sogleich Handbücher über Trainings- und Sportwissenschaft zu verschlingen, obwohl seine Rolle anfangs rein externer Natur war.

Das erste Jahr des neuen Teams war ein Desaster. Tests, die am Tag vor der Vuelta a Colombia 2006 durchgeführt wurden, ergaben mehr als 50 Fahrer mit verdächtigen Resultaten, die auf den massiven Gebrauch des damals noch nicht nachweisbaren Hormons Erythropoietin hindeuteten – EPO im Sportjargon. Unter den Übeltätern waren auch Fahrer von Colombia Es Pasión. Vélez war fuchsteufelswild.

Er erzählte mir: »Wir repräsentierten ein Land, das gebeutelt wurde von seiner Assoziation mit Gewalt und Kokainhandel. Die Worte ›Drogen‹ und ›Kolumbien‹ durften nicht im gleichen Satz auftauchen. Für Kolumbien mit einem Team zu werben, das auf illegale Mittel zurückgriff, war unvereinbar.«

Die Blutproben wurden vernichtet, die Resultate gelöscht und eine zweite Runde Tests am Morgen der ersten Etappe durchgeführt. Es gab weitere Sperren, aber verglichen mit den Ergebnissen vom Vortag wurde das Ergebnis als akzeptabel eingestuft.

Auf jeder Bergetappe schien eine Gruppe von Fahrern im Alter von 35 und darüber hinaus ihren deutlich jüngeren Rivalen davonzufahren. Zu den Gesamtführenden zählten drei Fahrer – José Castelblanco, 36 Jahre alt, Libardo Nino, 38, und Hernán Buenahora, 39 –, die für die spanische Kelme-Mannschaft gefahren und von deren berüchtigtem Arzt Eufemiano Fuentes betreut worden waren, der zentralen Figur der im Zuge der Operación Puerto in Spanien enthüllten Dopingaffäre. Am Vorabend der Schlussetappe verbreitete sich die Nachricht, dass Buenahora, der Gesamtführende, disqualifiziert worden war, jedoch gab es keine vollständige Erklärung. Das Rennen gewann schließlich Castelblanco, der bereits 1997, 1998 und 2002 gewonnen hatte und ebenso 2004, allerdings war dieses Ergebnis annulliert worden, nachdem er positiv auf Testosteron getestet worden war.

Dies war die Welt, in der Vélez und Colombia Es Pasión ihren Platz finden wollten. In den ersten drei Jahren des Bestehens, während Vélez versuchte, seinen Fahrern und Betreuern die Werte des sauberen Sports einzuschärfen, rutschte das Team von einer Krise in die nächste.

2007 wandte er sich mit dem Vorhaben, in seinem Team den Biologischen Pass einzuführen, an den Weltradsportverband UCI, doch die für das Programm nötige Infrastruktur existierte in Südamerika nicht. Stattdessen beförderte er mit Luís Fernando Saldarriaga einen überzeugten Doping-Gegner vom Assistenz- zum Cheftrainer und holte zudem eine neue Geschäftsführerin an Bord.

Saldarriaga war selbst ein guter, wenn auch kein herausragender Juniorenfahrer gewesen. Er studierte Sport an der Universität Antioquia und Sportwissenschaft am Politécnico Grancolombiano, einer privaten Uni in Bogotá. Er hatte als Bahntrainer in Medellín, Bogotá und Tunja gearbeitet, bevor er 2006 in Teilzeit bei Colombia Es Pasión einstieg. Aus ihm sollte Kolumbiens größter Radsportfachmann aller Zeiten werden.

Luisa Fernanda Ríos, ehemalige aktive Abenteuersportlerin und inzwischen Veranstalterin, wurde 2008 als Geschäftsführerin verpflichtet, kurz nachdem erneut ein Fahrer von Colombia Es Pasión, Rafael Anibal Montiel, positiv getestet wurde.

»Ich wurde ursprünglich für sechs Monate geholt, um Bücher und Inventar des Teams in Ordnung zu bringen und zu helfen, die interne Kultur zu verändern«, erzählte mir Ríos. »Falls ich scheiterte, hätte Vélez das Team aufgelöst. Ich wusste nichts über professionellen Radsport. Ich wusste nicht einmal, was ein Peloton ist oder ein Ausreißer. Ignacio sagte: ›Genau das brauche ich: jemand, für den das alles neu ist, mit einem klaren Verstand.‹ Ich wollte nicht zu stark involviert sein und die Freiheit einbüßen, an meinen eigenen Projekten zu arbeiten, aber ich verliebte mich in das Projekt eines sauberen Radsports und blieb die nächsten zehn Jahre dort.«

Vélez, Saldarriaga und Ríos brachten viele Dinge ein, die im kolumbianischen Radsport neu waren: aktuellste Erkenntnisse aus Sportwissenschaft und -psychologie, wattgesteuertes Training, eine strikte Anti-Doping-Politik. Ríos holte Colsanitas als Sponsor an Bord. Als Teil seines Engagements ließ das private Gesundheitsunternehmen alle Fahrer zweimal im Monat nach den Vorgaben für den Biologischen Pass der UCI testen, ging aber noch einen Schritt weiter, indem auch Hormonwerte wie Thyroxin und Testosteron überwacht wurden. Jeder Fahrer erhielt ein eigenes Heft, das – als teameigener Bio-Pass – potenzielle Arbeitgeber mit einem detaillierten physiologischen Profil versorgte.

Vélez, Saldarriaga und Ríos bombardierten ihre Fahrer geradezu mit Anti-Doping-Aufklärung, und auch wenn das Team einen permanent schwelenden Kleinkrieg gegen die Sportinstitutionen führte, einschließlich denen, die für seine Finanzierung zuständig waren, schuf es eine Oase des sauberen Sports in der kolumbianischen Radsportszene.

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