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Aus dem Flugpark

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Frankreich, 14. März 1915.

Wieder ist ein Monat verflossen, seit ich Dir einen genaueren Bericht schickte. Viel hat sich inzwischen ereignet. Diese Zeilen schreibe ich Dir aus der Champagne. Ich muss bei meiner Erzählung mit den Ereignissen der zweiten Februarhälfte beginnen.

Als ich am 12. Februar nach . . . kam, waren schon viele Flugschüler da, die alle dasselbe Ziel, die dritte Prüfung vor Augen hatten. Aber leider standen nur wenig Maschinen zur Verfügung, und so konnte die Ausbildung hier lange dauern. Auf vier bis sechs Wochen musste man sich schon einrichten. Nach vierzehn Tagen, also Ende Februar, hatte ich bis auf die beiden „kleinen Überlandflüge“ alle Vorbedingungen zur dritten Prüfung, d. h. ungefähr 45 Flüge unter verschiedenen Bedingungen, erledigt. Eines Tages kam aus dem Felde ein Leutnant von Pannewitz angereist, um für eine Abteilung zwei neue Flugzeugführer auszusuchen. Als v. P. zwei gefunden hatte, die schon fertig ausgebildet waren, stellte sich heraus, dass der eine krank und somit z. Z. nicht dienstfähig war. Wer sollte einspringen? Die Wahl fiel auf mich. Ich sollte dem Leutnant einige Landungen unter gewissen Bedingungen und Annahmen vorführen. Gelängen sie, so sollte ich trotz Fehlens der dritten Prüfung mit ins Feld kommen. Ich war selig! Die drei kleinen Bedingungsflüge wollte ich schon bestehen; und zwar sofort. Die erste Bedingung wurde glatt erledigt. Die zweite Bedingung — schwerer Bruch bei der Landung! Die Maschine überschlug sich.

Mir war im Augenblick des Überschlagens ganz eigenartig zu Mute, obwohl nur doch ein Überschlag an und für sich (ohne Flugzeug) durchaus nichts Neues ist. Hätte ich nochmal Gas gegeben, so hätte sich der ganze Bruch vermeiden lassen. Während ich mich unter den Trümmern hervorarbeitete, dachte ich: Na, der Leutnant wird sich schön hüten, dich mitzunehmen, und so kam es auch. Als ich aus dem Flugzeug heraus war, musste ich mich orientieren, dann besah ich die Folgen meiner Landung: Propeller, Fahrgestell, linke Tragflächen waren zerbrochen, der Rumpf eingeknickt, kurz: „Kiste restlos verbraucht“.

Ich selbst kam unbeschädigt davon. Mit meinem Kommando ins Feld war‘s natürlich nichts mehr. Mit wohlgemeinten Ratschlägen: „Ich solle noch fleißig Landungen üben usw.“ wurde ich am Startplatz empfangen. Ich war zunächst geknickt. Nun konnte ich sicher noch mehrere Wochen in der Heimat sitzen!

Da kam am 4. März ein Telegramm: „Sofort zwei Flugzeugführer nach Armeeflugpark III in Marsch setzen“. Wider Erwarten wurde ich dazu befohlen. Am gleichen Tage erfuhr ich es. Ich war ganz und gar nicht reisefertig. Über den Sinn des Wortes „sofort“ im Telegramm herrschten die verschiedensten Ansichten. Die einen meinten, ich müsse schon am nächsten Tage fahren, andre sagten, das habe mindestens drei Tage Zeit.

Immerhin musste ich mich sputen! Ich lief zum Zahlmeister, um mir das zustehende Ausrüstungsgeld auszahlen zu lassen. Der behauptete jedoch, das Geld bekäme ich im Felde.


Der neue Leutnant


Ein äußerst steiler Korkenzieher mit L.V.G.=Doppeldecker

Das war aber nicht richtig und erwies sich später auch als falsch, denn was nützt mir das Ausrüstungsgeld im Felde! — ich bekam aber kein Geld. Schließlich habe ich es mir von Herrn K. gepumpt.

Nachdem ich das Geld hatte, begann eine rege Einkaufstätigkeit: auch sonst war Verschiedenes zu erledigen: Abschiedsbesuche machen, Koffer packen, Bekleidungsstücke auf Kammer empfangen, Bescheinigungen und Papiere ausstellen lassen usw.

Allmählich merkte ich aber, dass die Sache gar nicht so furchtbar eilig war, und so nahm ich mir schließlich etwas mehr Zeit.

Endlich am Dienstag war ich so weit, dass ich mich marschbereit melden konnte. In gewisser Beziehung schied ich ungern von dem Orte, an dem ich mir mit wirklich großem Interesse und viel Liebe zum Dienst eine angenehme Stellung verschafft hatte. Wann ich fahren wollte, wurde mir freigestellt. Um den 8 Uhr-Schnellzug nach Köln zu erreichen, fuhr ich am Dienstag von . . . weg. Nur ungern ließ meine Wirtin den guten Tyras ziehen. Abends fuhr ich von Berlin-Friedrichstraße in Richtung Köln ab, nachdem ich mich zuvor nochmals mit Franz getroffen hatte. Der Arme hat nicht viel von seinem Urlaub gehabt; meine Einkäufe sind ihm sicher sehr langweilig gewesen. Am nächsten Morgen um halb neun war ich in Köln, wo ich bis Mittag Aufenthalt hatte. Ich bummelte durch die Stadt und fuhr dann Richtung Herbesthal weiter (also mittwochmittags, kam am Nachmittag in Lüttich an, fuhr von da (am Donnerstag) weiter nach Namur, Maubeuge, St. Quentin, bis Tergnier, wo ich gegen 11 Uhr vormittags war. Fuhr weiter nach Laon, Charleville, hier Aufenthalt von nachts 1 Uhr bis morgens 6 Uhr, dann Endfahrt bis R., wo ich gegen 10 Uhr ankam. Am Freitag, den 12., bin ich also angekommen. Der gute Tyras ist immer mit mir gefahren. Auf der Fahrt sah ich weniger Spuren des Krieges, als ich erwartet hatte. Nur einige zersprengte Brücken erinnerten an vorangegangene Kämpfe. Die Brücken sind aber von der Eisenbahn-Baukompanie alle tadellos wieder hergestellt, oder es sind neue daneben erbaut worden.

Vom Bahnhof erbat ich telefonisch ein Auto, um nach dem etwa drei Kilometer entfernten Flugpark zu gelangen. Wir fuhren durch das arg zerschossene R. Die Mitte der Stadt ist ein großer Trümmerhaufen.

Vor der Stadt steigt die Straße etwas an. Auf der Höhe liegt linkerhand der Flugplatz, rechterhand ein kleines weißes Schlösschen mit Park, Es dient den Offizieren als Quartier und Kasino. Folgt man der aus N. kommenden Straße weiter, so führt sie zunächst etwas bergab, dann wieder bergauf. In der Senkung liegt ein kleines, zerstörtes, fast verlassenes Dorf. Nur zehn alte Einwohner sind zurückgeblieben. Auf der folgenden Anhöhe liegt ein Gut, das in der Hauptsache den Mannschaften als Unterkunft dient. Ich habe im „Herrenhause“ Unterkunst gefunden. Vom Schloss aus betrachtet, sieht das Gut schön und malerisch aus. Die ganze Gegend, von der Aisne durchzogen, ist sanft hügelig. Soweit das Auge reicht, sind nur Wiesen und Felder, keine Wälder zu sehen.

In der Nähe macht das Gut keinen sehr günstigen Eindruck. Der Gutsherr bin ich. Ich habe auf dem Gute etwa 30 bis 40 Mann unter mir, meistens Kraftwagenführer und Monteure. Zu unserer Abteilung gehören nämlich eine Anzahl Kraftwagen, die ich mitsamt der Bedienung zur Überwachung bekommen habe. Also etwas, was ich recht gut versorgen kann. „Mein“ Gut umfasst: ein Wohnhaus, darin mein Zimmer, Mannschaftsräume, Küche. Weiterhin vier große Schuppen, teils für Flugzeuge, teils Autos, teils Ersatzteile. Weiterhin eine Schnapsfabrik (jetzt außer Betrieb), Ställe mit zwölf Pferden, Kühen, Schweinen, Schafen und Hühnern. Schöner kann ich es mir überhaupt nicht denken, als ich es hier habe. Das Wetter ist mild, leider recht dunstig. Meine Tätigkeit ist Fliegen und Autofahren. Das erstere recht häufig, denn ich werde hier die mir nach fehlende dritte Prüfung nachholen. Das ganze Leben hier ist recht friedlich. Nur schade, dass die Häuser böse verwüstet sind. Dieser Umstand, und dass man fortwährend Militär, viel Militär hier sieht, ist das Einzige, was an den Krieg erinnert. Gestern und heute Nacht hat vor Reims wieder eine tüchtige Kanonade stattgefunden. Es hörte sich wie ein fernes Gewitter an —. Meine materielle Seite kommt hier ganz und gar zu ihren Rechten. Ich sitze sozusagen mitten in den Motoren drin. Entweder ich fahre Motorrad, wovon wir drei haben, oder Auto. Oder ich fliege. Wir haben hier L. V. G.-Maschinen, Albatros-Flugzeuge und Gotha-Tauben. Ich fliege eine L. V. G. Leider war das Wetter, wenngleich sehr ruhig, so doch nicht sichtig genug, um hoch zu kommen. Heute war ich bereits in 300 Meter Höhe derartig in den Wolken, dass ich die Erde nicht mehr sah. Bin natürlich schleunigst tiefer gegangen, denn das ist ein äußerst unangenehmes Gefühl. Da ich Führer der Kraftwagenkolonne bin, muss ich jeden Monat eine Fahrt von mindestens 40 Kilometer machen. Wohin ich mit der Kolonne fahre, steht ganz in meinem Belieben. Ich komme nochmal darauf zurück. Ich fahre immer dienstlich Auto und Motorrad. Und wenn es eine Vergnügungsfahrt wäre, so würde immer ein Dienstauftrag damit verbunden sein. Nur wenn ich vom Schloß aufs Gut fahre (ein ganzes Kilometer), so ist das reine Privatsache. Ich will versuchen, irgendwoher ein Bild meines Gutes zu bekomme. Ich glaube, dass Du aus dem, was ich bis jetzt geschrieben habe, ein ungefähres Bild meiner Tätigkeit besitzest. Wie sehr mir diese Beschäftigung zusagt, brauche ich wohl kaum erst zu sagen. In Bezug auf Verpflegung sind wir ganz und gar aufs Kasino angewiesen, da man sich in der Stadt nichts kaufen kann. Auf unserm Tisch gibt‘s leider wenig Gemüse. Eine Bereicherung der Tafel durch freundliche Sendungen wäre deshalb jederzeit hochwillkommen (z. B. Büchsengemüse: Spargel, Bohnen, Pilze, Spinat). Als Beilage empfehle ich bittre Schokolade, Keks, Freiburger Brezeln und schließlich ein paar Zigaretten. Ich selbst rauche zwar nicht, aber mein Bursche, der Tyras rund und dick füttert. Jetzt hat er böse Pfoten (der Hund, nicht der Bursche), Hühnern tut er nichts (nämlich der Hund). Er fühlt sich alles in allem als Gutshund sehr wohl. Der Bursche ist ein großartiger Kerl. Ich fürchte, er verwöhnt mich. Gestern hat er mir die ersten selbstgepflückten Veilchen ins Zimmer gestellt. Den hiesigen Mannschaften Wollsachen zu schicken, ist durchaus nicht nötig, denn erstens ist der Winter vorbei, und zweitens sind alle gut mit Decken und allem Nötigen versorgt, überhaupt in jeder Beziehung guteingerichtet, denn die Abteilung liegt ja schon ein halbes Jahr hier. Nur Ess- und Rauchbares nimmt jeder gern an. Während ich diesen Brief schreibe, erhalte ich Deine neueste Karte. Also neun Milliarden Kriegsanleihe! Das ist ja herrlich! Da scheint es diesmal auch ohne mein Geld gegangen zu sein. Aber das nächste Mal zeichne ich auch! Heute war kein Flugwetter; der Tag verlief sehr langweilig. Es hat sich nichts weiter ereignet, als dass Tyras rückwärts vom Sopha gefallen ist. Er war sehr erstaunt und unwillig ob dieses Sturzes.

Abends wurde eins von unsern Schweinen geschlachtet.

Das arme Schwein!

Nun sind es nur noch drei.

Frankreich, 25. März 1915.

Nach einer Reihe schlechter Tage war am 21. März herrliches Flugwetter, so bin ich denn wieder munter geflogen, habe die Abteilung . . . und . . . besucht und ihnen Post und Ersatzteile hingeflogen Das Wetter war prächtig. Bin etwa 100 Kilometer geflogen.

Montag, den 22. März, war das Wetter wieder ebenso schön. Das musste ausgenutzt werden. Um 10 Uhr bin ich aufgestiegen, um meinen Beobachter, der zur Abteilung . . . versetzt ist, dorthin zu fliegen. Wir machten absichtlich einen Umweg, um etwas länger zu fliegen. Aus der Höhe begrüßten wir die Abteilung. . und steuerten dann zu . . . Als wir im Begriff waren, bei der Abteilung zu landen, kamen wir in das deutsche B. A. Artilleriefeuer, das einem französischen Apparat galt. Erst nach langem, langem Suchen fand ich, etwa 600 Meter über uns einen französischen Doppeldecker. Wir waren 1400, er etwa 2000 Meter hoch. Es war das erste Mal, dass ich eine Fliegerbeschießung sah. Die Schrapnellwölkchen sahen reizend aus. Der Franzose ist dann noch bis N. geflogen, wir landeten in P. F. und erfuhren, dass der Franzose zwei Bomben mit dem üblichen Misserfolg auf den Bahnhof P. F. abgeworfen hatte. Ich setzte meinen Beobachter ab und kam um ½ 1 Uhr allein wieder im heimatlichen Hafen an.

Nachmittags stieg ich dann ins Auto, einen französischen kleinen 6/16 PS. Wagen und trat mit meiner Kolonne eine der bereits erwähnten Übungsfahrten an. Die Strecke konnte ich mir selbst aussuchen, sie betrug ungefähr 60 Kilometer. Mit den Lastwagen ging das natürlich sehr langsam. Ich bin immer wie ein Schäferhund an der Kolonne hin und her gesaust. Ohne Stockung und Störung trafen wir ½ 7 Uhr in R. wieder ein. Ein Unteroffizier (meine rechte Hand), der auch die vorherigen Fahrten mitgemacht hat, sagte, dass so glatt noch keine Fahrt vonstattengegangen sei. Da waren des Öfteren Stockungen vorgekommen. Und ich kann wohl sagen, es war höchst erfreulich, zu sehen, wie ordentlich jeder fuhr, nicht zuletzt deswegen, weil sie alle merkten, wie redlich ich mich um ein gutes Gelingen der Fahrt bemühte. Völlig durchstaubt und rechtschaffen ermüdet kam ich an.

Am 23. März regnete es bis gegen 10 Uhr. Gegen ½11 kam ein Hauptmann — den Namen weiß ich nicht mehr — um seinen Neffen, der bei uns Dienst als Kraftfahrer tut, zu besuchen.

Ich führte den Gast herum und zeigte ihm Gut, Schloss und Flugplatz. Dann fuhr ich ihn mit seinem Neffen, der Urlaub erhalten hatte, im 50 PS Itala-Wagen (einem großen, geschlossenen italienischen Wagen) erst zum Schloss und dann nach N.

Mein Anerbieten, ihn ein Stück zu fliegen, schlug er aus: er sei Vater von vier Kindern. Nach Tisch holte ich beide wieder ab, diesmal in einem kleinen, offenen Bergmann-Wagen. Auf dem Flugplatz angelangt, meinte er: „Ich kriege es sicher nicht wieder in meinem Leben angeboten zu fliegen.“ Ob ich ihn nicht doch noch fliegen lassen wollte, trotz Frau und Kindern.

Nachdem ich jede Verantwortung abgelehnt hatte, erklärte ich mich gern bereit. Eine Stunde lang habe ich dann diesen Herrn in der Luft geschaukelt! Es war bis jetzt mein schönster Flug. In etwa 2000 Metern waren wir über den Wolken. Strahlend hell schien die Sonne auf die weißen, dicht geballten Wolkenmassen. Nur ab und zu sah man durch ein Wolkenloch die Erde. Es war ein herrliches Bewusstsein, im Luftmeer dahinzusegeln: ohne die Erde zu sehen, ohne von der Erde gesehen zu werden. Da plötzlich, zu unserer Rechten, stößt ein zweites Flugzeug durch die Wolken. Es ist auch ein L. V. G., wahrscheinlich stammt er von der Abteilung . . ., denn nach meiner Schätzung müssen wir über den Flugplatz von . . . sein. In der Tat sah ich kurz darauf durch ein Wolkenloch den Aisne-Fluss schimmern an dem der Ort B. liegt. Ich mache deshalb kehrt, denn von B. ist die französische Stellung nicht mehr weit. Auf dem Rückflug bemühte sich der Herr Hauptmann, mir durch Zeichen zu verstehen zu geben, wie wunderbar großartig er den Flug finde. Nach 20 Minuten stoße ich abwärts durch die Wolken, und etwa 1000 Meter unter uns liegt unsere Halle. Beim Gleitflug hielt sich der Herr die Ohren zu, das Brausen war ihm zu stark. Unten angekommen, ist er noch ganz überwältigt von den Eindrücken des Fluges. Es sei ihm neben seinem Verlobungstage der schönste Tag seines Lebens gewesen, und er sagte: „Dieses herrliche Schauspiel hätte ich mir beinahe entgehen lassen.“ Dann fügte er hinzu: „Ja, wissen Sie, als wir im Auto saßen, staunte ich schon, mit welcher Ruhe und Sicherheit Sie fuhren, und da dachte ich mir, dem kannst du dich auch in der Luft anvertrauen.“

Voll des Dankes schied er. Dann stieg ich nochmals auf, diesmal mit unserem neu angekommenen Beobachtungsoffizier. Wir wollten auf 1000 Meter steigen. In 800 Meter kamen wir in Regen, weshalb wir wieder hinuntergingen.

Gestern haben wir in hübscher Weise das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden. Ein Herr musste in dienstlicher Angelegenheit nach Charleville. Die leeren Plätze des Itala-Wagens wurden von einigen Reiselustigen, darunter auch ich, eingenommen. Wir fuhren um 12 Uhr weg und kamen ½ 3 Uhr dort an. Während der Herr seine dienstlichen Angelegenheiten erledigte, sahen wir uns Charleville an. Darauf fuhren wir über Sedan nach Bazeilles, um die Katakomben zu sehen. Das sind große Grüfte, in denen zahlreiche Gefallene von 1870 ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Sie sind nicht begraben, sondern ihre Gebeine sind aufgeschichtet, die Schädel in Reihen aufgestellt. Dass man den Gefallenen ein so würdiges Grab geschaffen hat, ist ja sehr lobenswert; weshalb aber diese Katakomben gegen ein „pourboir“ besichtigt werden dürfen, sehe ich nicht ein.

Auf der Rückfahrt nach R, kamen wir auch an dem Hause von Donchery vorüber, in dem Bismarck und der Franzosenkaiser verhandelt hatten. Es ist ein bescheidenes, kleines Häuschen, das auch von diesem Kriege Spuren an sich trägt. Eine Mauer ist mehrfach durchschossen, eine Kugel hat eine auf dem Kamin stehende Vase durchschlagen. Das historische Zimmer bringt der Frau, glaube ich, ein ganz hübsches Sümmchen ein. Schließlich waren wir um 7 Uhr abends wieder zu Haus.

Flugwetter war den ganzen gestrigen Tag nicht gewesen, auch heute regnet und stürmt es ununterbrochen. Ein vorzüglicher Tag zum Briefe schreiben.

* * *

Frankreich, 31. März 1915.

Leider bin ich einige Tage nicht zum Schreiben gekommen. Im Allgemeinen hat sich nichts ereignet, abgesehen davon, dass ich meine dritte Prüfung hinter mir habe. Im Folgenden will ich Dir den Verlauf dieses Fluges kurz erzählen:

Am Sonnabend, den 27. März, um 9 Uhr stieg ich auf, um nach Brüssel zu fliegen. Mein Beobachter, mit Karte ausgerüstet, schlug genaue Nordrichtung ein. Etwa um 10 Uhr hatte ich eine Höhe von 2560 Meter erreicht; auf dieser Höhe flog ich weiter. Nach einstündigem Fluge wurden die Wolken, die in etwa 1000—1200 Meter Höhe lagen, so dicht, dass wir nur ganz selten die Erde sahen. Zum Überfluss ließ auch noch der Motor nach. Der Zeit nach mussten wir bald in Brüssel sein. Ich stieß deshalb durch die Wolken hinunter auf 1200 Meter. Unter uns lag eine große Stadt. Das konnte Hal sein, eine Stadt südlich Brüssel.

Nach einiger Zeit, nach der wir hätten Brüssel sehen müssen, ging mein Benzin zu Ende, auch der Motor ließ mehr und mehr nach.

Ich entschloss mich deshalb zu einer Notlandung. Aus 1000 Meter Höhe fand ich ein Feld, das mir geeignet erschien: ich drosselte den Motor, ging im Gleitflug nieder und umkreiste in 100 Meter Höhe nochmals das Feld, um es genau anzusehen.

Mit List und Tücke setzte ich den Apparat dann an die gewählte Stelle. Die Landung war glatt vonstattengegangen. Alles war in Ordnung. Die erste Frage: Wo werden wir wohl sein? Rechts hinter uns war ein Dorf mit Eisenbahn. Das hatte ich schon von oben gesehen.

Einige Bauern kamen, bald darauf Kinder, junge Burschen und Mädchen. Binnen wenigen Minuten war die Wiese voller Menschen. Von weitem hörten wir den Freudenschrei‘. „Il est tombé!“ (Er ist abgestürzt). Er war aber nicht „tombé“. — In meinem besten Französisch fragte ich einen Bauern: Le nom de ce village?“ (Wie heißt der Ort?) „Lihrsnohr“ (so klang es. — Combien de kilometrés jusqu‘á Bruxelles?“ (Wieviel Kilometer bis Brüssel?) — C‘est trés loin encore.“ (Das ist noch sehr weit.) — Quelle grande ville est située dans cette direction? (Welche große Stadt liegt in dieser Richtung?) [über die ich hinweggeflogen war.] „C’est Courtrai.“ (Das ist Courtrai.) — Wir suchten Courtrai auf unserer Karte. — Ich: Y a-t-il de l'essence ici?“ (Gibt es hier Benzin?) — „Il n‘y-a-pas, mais á Courtrai“ (Hier nicht, aber in Courtrai!) — „Combien de kilometrés jusqu‘á Courtrai?“ (Wieviel Kilometer sind es bis Courtrai?) — „Quatorze.“ (Vierzehn) — „Y a-t-il une automobile, une bicyclette, une voiture?“ (Gibt es hier ein Automobil, ein Rad oder ein Fuhrwerk?) — „Rien du tout!“ (Gar nichts!) — „Quelle ville est la plus prochaine d'ici?“ (Welche Stadt liegt hier am nächsten?) — „Roubaix, dix kilometrés!“ (Roubaix, zehn Kilometer!)

Na, schließlich hatten wir so viel herausgekriegt, dass wir uns ganz gründlich verflogen hatten. Mein Beobachter hatte die Orientierung über den Wolken völlig verloren.

Wir waren viel zu weit nach Westen gekommen und nur noch 20 Kilometer von Lille entfernt. Unsere Überraschung war nicht gering.

Bald kamen deutsche Landstürmer und deutsche Eisenbahnbeamte an, die uns von weitem hatten landen sehen. Wir waren bei Estaimpuis gelandet, die nächste Bahnstation war Leers-Nord. Die Leute sagten, halb flämisch, halb französisch „Liersnohr“.

Ich ging zur Bahn, telefonierte nach R., um den Abteilungsführer zu unterrichten und nach Courtrai, um Benzin zu erhalten. Inzwischen waren beim Flugzeug etwa 2—300 Menschen anwesend.

Wir stellten mehrere Landstürmer als Wachen auf und nahmen dann die Einladung des Ortskommandanten von Estaimpuis, eines Oberleutnants, bei ihm zu essen, dankend an. Um 4 Uhr waren hundert Liter Benzin da.

Schließlich waren wir um 5 Uhr fertig zum Aufstieg. Wir flogen zum Flugplatz Lille. Nach einigem Suchen fanden wir den Platz. Ich landete.

Schon rollte die Maschine auf dem Boden, als sie von einer Bodenwelle wieder hochgehoben wurde. Ein Windstoß fasste sie seitlich und — knack, waren beim Aufsetzen beide Räder und eine Strebe des Fahrgestells gebrochen. Lahm lag der große Vogel auf der Wiese. Wir waren bei Abteilung . . . gelandet. Leider hatten diese keine L. V. G.-Teile. Wir mussten zu einer anderen Abteilung fahren, um die nötigen Ersatzteile zu holen. Am nächsten Tage war der Vogel schon wieder fertig. Wegen sehr starken Gegenwindes verzichteten wir jedoch auf den Rückflug und traten ihn erst am Montag an.

Lille selbst ist eine ganz hübsche Stadt, zum Teil arg zerschossen. Leider habe ich nur wenig von Lille gesehen, da ich mich mehr um die Maschine gekümmert habe. Am Montag ½9 Uhr traten wir den Heimweg an. Ich bin noch nie so geschaukelt worden wie an diesem Tage. Mit großer Mühe kam ich aus 2000 Meter Höhe über die Wolken, wo es ruhiger war. Nach zweieinhalbstündigem Flug trafen wir in R. ein. Es war sehr kalt gewesen. Die ganze Strecke betrug in der Luftlinie 350 Kilometer. Jedoch sind wir sicher 400 Kilometer geflogen. Froh des zum Ende noch gut gelungenen Fluges, sehe ich mich im Geist schon mit dem Führerabzeichen geschmückt, dass bestimmungsgemäß nach dieser sogenannten Flugmeisterprüfung verliehen werden darf.

Heute, am 31., sollte in R. um 5 Uhr nachmittags anlässlich des 100. Geburtstages Bismarcks ein Standbild enthüllt werden, und diese Feier wollte ich mir von oben ansehen. Ich bin auch darüber geflogen, und mein Beobachter hat die Feier von oben aus 400 Meter Höhe geknipst.

* * *

Frankreich, 16, April 15.

Seit meinem letzten Briefe bin ich nicht mehr geflogen. Das ist doch eigentlich unglaublich. Aber das Aprilwetter ist zu abscheulich: es regnet, schneit, hagelt, windet und sonnenscheint abwechselnd.

Am dritten Osterfeiertag hatten wir ein famoses Erlebnis. Ich war eben mit unserem Itala-Wagen, vollgepfropft mit Herren einer Abteilung aus „Bongt Fawärcher“, wie unsere Sachsen sagen, angekommen, und wir saßen zusammen im Kasino bei einem Schälchen Doppel-Mokka, als der Ruf ertönte: „Ein feindlicher Flieger!“ Wir hörten wohl eine Maschine brummen, aber an eine feindliche wollten wir des schlechten Wetters wegen nicht glauben. Der Feldwebel hatte sich schon einige Leute gegriffen und befahl: „An die Gewehre!“

Als wir auf die Straße kamen, sahen wir in der Tat einen französischen Doppeldecker in ganz geringer Höhe, etwa 230 Meter hoch über unser Schloss weg in Richtung aufs Gut zu fliegen. Zum Schießen war er bereits zu weit entfernt. Überm Gut drehte er um, nahm Richtung auf unseren Flugplatz und setzte zum Gleitflug an. Als wir das sahen, schossen wir natürlich nicht. Alles legte sich auf den Bauch, um nicht getroffen zu werden, falls der Feind schießen würde. Ich war plötzlich der Einzige, der noch stand, denn erstens erwartete ich, dass der Mann nicht schösse, und zweitens war mir der Boden zu dreckig. Der Franzose machte uns eine tadellose Landung vor, und als der Apparat stand, gingen wir auf ihn zu. Drinnen saßen zwei Männer, beide die Hände zum Himmel erhoben, zum Zeichen, dass sie keinen Widerstand leisten wollten. Sie wurden denn gefangengenommen und im Triumph ins Kasino geführt, wo sie zum Kaffee eingeladen wurden.


Immer guter Laune


Immelmann in seinem Doppeldecker vor dem Aufstieg

Die Sache hatte folgenden Vorgang: In Le Bourget bei Paris, glaube ich, besteht eine Flugzeugfabrik. Daraus sollte einen der fertigen Apparate unser Gefangener nach Châlons a. M. fliegen, wurde aber vom Wind stark abgetrieben, und da seine Karte nur bis Reims reichte, verlor er die Orientierung. Als er unseren Flugplatz sah, glaubte er Châlons a. M. unter sich zu haben; er hatte die Aisne mit der Marne verwechselt, und so landete er in der Meinung, auf französischer Seite zu sein, er war nicht wenig entsetzt, als er plötzlich deutsche Soldaten vor sich hatte.

Widerstand zu leisten, erkannte er glücklicherweise als zwecklos, so dass er sich sofort in sein Schicksal ergab: aber seinen Schreck kann man sich leicht vorstellen!

Nachdem er uns viel Interessantes erzählt hatte, wurde er nach dem Generalkommando befördert. So waren wir in den Besitz einer funkelnagelneuen Maschine, eines kleinen Caudron - D. D. gekommen — c‘est la guerre!

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