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Monat August, am XIV. Tag vor den Kalenden des Septembers, Vinalia rustica

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Am Tag nach der Entbindung suchten Pertha und Alpina die Hirtenhütte erneut auf, um die Wöchnerin und das Baby zu untersuchen. Phrima war in guter Verfassung. Der Wochenfluss war gut, die Selbstreinigung der Gebärmutter schien Fortschritte zu machen. Einzig die Dammnaht machte der Hebamme ein wenig Sorgen. Sie war noch stark gerötet und ein wenig schmierig. Um den Heilprozess zu unterstützen, riet Pertha zu einem Sitzbad in Eichenrindensud. Sie bereitete der jungen Frau das Sitzbad in dem Eimer, den sie zum Baden des Kindes verwendet hatte. Pertha bat Phrima, noch eine Woche lang jeden Tag ein Sitzbad zu machen.

Nachdem Alpina der jungen Frau geholfen hatte, sich abzutrocknen und das Wasser entsorgt war, durfte sie unter Anleitung der Hebamme den Bauch der liegenden Wöchnerin abtasten. Pertha erklärte ihr, wie man die Größe der Gebärmutter tastete und führte ihre Hand, damit sie sich ein Bild vom Zustand des Uterus machen konnte.

Als sie fertig waren, setzte sich Pertha zu Phrima ans Bett und sprach die Vorzeichen an, die die Geburt des Mädchens begleitet hatten. Dazu waren der Stand der Planeten, die Mondphase und das Wetter aussagekräftig. Hinzu kamen noch die Zeichen des so genannten Angangs, der Begegnungen in den ersten Minuten oder Stunden des ersten Lebenstages. Pertha fasste die Zeichen für sie zusammen.

„Das Wetter weist auf eine ungewisse Zukunft hin. Es war gestern wolkenverhangen und regnete dann gegen Abend. Das bedeutet, dass sie es nicht immer leicht haben wird im Leben. Aber die Amseln, die wir auf dem Heimweg gesehen haben, pickten eifrig. Also wird sie immer genug zu essen haben. Und der Gesang der Vögel hat uns fröhlich gestimmt. Es steht zu vermuten, dass auch deine Tochter eine schöne Gesangsstimme haben wird und damit die Menschen erfreuen kann.“

Phrima hatte aufmerksam zugehört und dabei ihr kleines Mädchen gedankenvoll betrachtet. „Ich danke dir“, sagte sie nachdenklich.

***

Die Tage vergingen wie im Flug, und Alpina versuchte den Gedanken an das Ende des Sommers weit von sich zu schieben. Ende August würde ihr Vater kommen und sie zurück nach Augusta Vindelicum bringen. In seiner Funktion als Beneficiarius Legati musste er regelmäßige Inspektionsreisen unternehmen, die an zentralen Punkten stationierten Beneficiarii besuchen und nach dem Rechten sehen. Er musste zollrechtliche und polizeiliche Überprüfungen vornehmen, Protokolle und Listen ansehen, den Straßen- und Brückenzustand überwachen und bei kleineren Verbrechen die Strafen festlegen. Außerdem hatte er nach jedem halben Jahr die Ablösung und Versetzung der Beneficiarii zu organisieren und zu begleiten. In der Regel reiste er mit einem weiteren Beneficiarius, einem Adiutor und zwei Reiter zu Pferd. Nur wenn er Dinge transportieren musste, nahm er den Reisewagen. Alpinas Mutter würde wahrscheinlich mitkommen. Sie nutzte jede Gelegenheit, ihre Eltern zu sehen. Augusta Vindelicum, die Provinzhauptstadt Raetiens, war etwa zwei Tagesreisen von Bratananium entfernt. Ein Reiter konnte die Strecke auch an einem Tag zurücklegen, doch im Reisewagen setzte man sich nur ungern einer solchen Strapaze aus. Etwa auf halbem Weg gab es eine Mutatio mit einem Rasthaus, einer Werkstatt und einer Schmiede. Alpinas Mutter Elvas blieben meist nur wenige Stunden, um sich mit ihren Eltern auszutauschen. Deshalb genoss sie diese Zeit. Sie suchte den Kontakt zu ihrem Heimatort und dem Stamm ihrer Vorfahren. Besonders zu den großen Stammesfesten versuchte Elvas nach Bratananium zu kommen. Sie liebte die einfache bäuerliche Festlichkeit der Raeter, die so anders war, als der oft steife, rituelle Festablauf bei den römischen Festen. Die Feste der Raeter orientierten sich an den Jahreszeiten, den Aussaat- und Erntezeiten sowie den Zeichen der Sonne. Als nächstes stand das Fest zur herbstlichen Tag-und-Nachtgleiche an, was zudem das letzte Erntefest des Jahres war.Bei den Römern gab es unglaublich viele Feste, die an einen strikten Festkalender gebunden waren. Viele der römischen Göttinnen und Götter waren der einheimischen Bevölkerung Raetiens gänzlich unbekannt. Eine professionelle oder ehrenamtliche Priesterschaft überwachte den ordnungsgemäßen Ablauf der Zeicheninterpretation und der Opferhandlungen. Zwar erlaubten die Römer, dass die Raeter und Vindeliker ihre Götter weiterhin verehrten und die eigenen Stammesfeste feierten, doch war die Priesterschaft der Druiden offiziell verboten worden. Am liebsten sahen es die Römer, wenn man die einheimischen Götter unter dem Namen einer römischen Gottheit verehrte. Elvas Vater war raetischer Druide gewesen. Er entstammte einer angesehenen Familie, war wohlhabend und verfügte in seinem Stamm über großen Einfluss. Seit der Übernahme Raetiens durch die Söhne des Augustus war den Druiden offiziell die Ausübung ihrer Religion verboten worden. Natürlich hatte sich zunächst keiner daran gehalten, doch die Kaiser Tiberius und Claudius hatten schließlich damit begonnen, die Einhaltung des Verbots zu überwachen und zu drastischen Maßnahmen gegriffen, um die starke Position der Druiden in dem freiheitsliebenden Volk zu brechen. Lasthe Susinu war schließlich unter Kaiser Vespasianus, als Dank für seine hervorragenden Dienste als Übersetzer und Ratgeber der römischen Statthalter, zum Sacerdos des römischen Gottes Merkur ernannt worden. So konnte er weiterhin dem Kult seines Stammesgottes Bratananius, nun unter dem Namen Merkur, vorstehen, den neu gebauten Tempel versorgen und seinem Stamm als Ratgeber und religiöses Stammesoberhaupt dienen. Besonders hilfreich war ihm dafür Elvas Ehe mit dem römischen Soldaten Caius Iulius Achilleus. Diesen hatte Lasthe bei seiner Tätigkeit als Dolmetscher in Diensten der römischen Armee kennen gelernt. Caius hatte sich in Elvas verliebt, als er die Straßen- und Brückenstation von Bratananium versorgte. Elvas und er hatten schließlich nach raetischem Brauch geheiratet, da Caius offiziell keine Frau haben durfte, solange er Soldat in der römischen Armee war. Im Anschluss an seine Dienstzeit würden Elvas und die gemeinsamen Kinder als römische Bürger anerkannt werden. Damit würde die Ehe dann endlich legitimiert. Caius machte schnell Karriere. Er war ein gewissenhafter Beneficiarius gewesen, hatte jahrelang den Dienst an den Straßenknotenpunkten der Provinz versehen oder im Officium des Procurators gearbeitet. Inzwischen war er als Beneficiarius Legati, als direkter Untergebener des Statthalters, für die Beneficiarii in der ganzen Provinz Raetia zuständig. Er durfte sich sogar Hoffnungen machen, bald zum Centurio befördert zu werden.

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