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Monat August, am V. Tag vor den Kalenden des Septembers, Festtag der Göttin Victoria

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Am kommenden Morgen wurde Caius Iulius Achilleus nur mühsam wach. Er war erst spät zum Haus seiner Schwiegereltern zurückgekehrt. In der kleinen öffentlichen Therme von Brantananium hatte sich der Beneficiarius nicht wirklich entspannen können. Wieder und wieder war er die Formulierungen für seinen Bericht an den Procurator durchgegangen.

Erst als Alpina ihm das Essen vorbeigebracht hatte, und er zu den frischen Produkten von Lasthe und Pertha auch noch einen Becher gemischten Wein genießen durfte, hatte er sich besser gefühlt.

Caius hatte nur eine kurze Nachricht auf einer klappbaren Wachstafel verfasst und diese anschließend mit einem Siegel verschlossen. Sie händigte er dem Boten aus und ließ ihn sofort losreiten. Iustinius bestieg sein Pferd und trabte davon in Richtung Augusta Vindelicum.

Nach einem leichten Frühstück, das aus dem typischen Getreidebrei und einem Becher Schafsmilch bestand, trieb Caius seine Familie an, ihre Sachen auf dem Reisewagen zu verstauen. Lasthe half die Pferde einzuspannen.

Pünktlich wie verabredet, erschienen die Begleiter des Beneficiarius Legati, Sacrus und Fuscinus mit dem gefesselten Attius. Der Mann sah bemitleidenswert aus. Er trug dieselbe schmutzige Tunika wie am Vortag, nur dass zusätzlich zu den Weinflecken nun auch noch Blutflecken die Rückenpartie überzogen. Cnaeus Turbonius Fuscinus führte sein Pferd am Zügel. Am Sattel des Pferdes war der Strick befestigt, mit dem Attius‘ Hände gefesselt waren. Der Strick war lang genug, dass der Gefangene hinter dem Pferd hergehen konnte.

Der Beneficiarius Legati gab Lasthe einen Denar als Opfergabe für den Gott Merkur. Lasthe sollte dafür Räucher- und Trankopfer darbringen. Caius hoffte auf den Beistand des Gottes und auf eine gute Reise.

Schließlich verabschiedeten sie sich herzlich voneinander, und Pertha machte der überraschten Alpina noch ein wunderbares Abschiedsgeschenk. Sie überreichte ihr das Schaffell, das sie beide zum Dank für ihre Geburtshilfe bekommen hatten.

Der Reisewagen holperte über den groben Kiesbelag der Fernstraße in Richtung Augusta Vindelicum. Vormittags saß der Adiutor Sacrus auf dem Kutschbock und steuerte die zwei Pferde mit langen Leinen. Fuscinus ritt die meiste Zeit, doch immer wieder stieg er ab, um sein Pferd zu entlasten und sich die Beine zu vertreten. Dann führte er das kleine, ausdauernde raetische Pferd. Auch Elvas und Alpina gingen am Vormittag zumeist neben dem Reisewagen. Der holprige Straßenbelag machte das Fahren ungemütlich. Durch den Gefangenentransport kam der Reisewagen ohnehin nicht sehr schnell voran. Attius stolperte hinter dem Pferd des Wachsoldaten her und bildete den Abschluss des Trosses.

Nach der Mittagspause tauschte Caius mit Lucius Nunadus Sacrus und übernahm die Leinen. Die Frauen hatten sich in den Wagen zurückgezogen. Elvas lag im Wageninneren ausgestreckt und versuchte ein wenig zu dösen.

Es waren noch etwa zwei Meilen bis zu der Mutatio, in der sie die Nacht verbringen wollten, als ein lautes Krachen die müden Reisenden aus ihren Tagträumen riss. Der Wagenaufbau war auf der linken Seite abgerutscht. Die gesamte Ladung im Inneren des Wagens polterte durcheinander. Es knackte noch einmal vernehmlich, dann blockierten die Räder des Wagens. Die Pferde wurden nervös. Sie waren jäh zum Stehen gebracht worden und das blockierte Fahrwerk hinderte sie an der Vorwärtsbewegung. Mit Tänzeln und Kopf schlagen quittierten sie ihren Unmut. Caius hielt die Leinen fest in den Händen und sprach beruhigend auf die Tiere ein. Sacrus war sofort vom Kutschbock gesprungen und nach vorne zu den Pferden geeilt.

„Elvas, Alpina!“, schrie Caius, während er alle Hände voll zu tun hatte, die Pferde ruhig zu halten. „Ist alles in Ordnung? Seid ihr verletzt?“

Alpina antwortete prompt. „Ich bin in Ordnung, Vater! Ein paar Kratzer, sonst nichts! Aber Mutter – sie blutet stark am Kopf und ist nicht bei Bewusstsein! Die schwere Kiste mit den Metallbeschlägen, in der du das Geld und die Wertsachen aufbewahrst, hat sie am Kopf getroffen!“

Caius hielt entsetzt die Luft an. Dann suchte er Fuscinus, der sein Pferd mit dem gefesselten Attius hinter dem Reisewagen gehen ließ. Er rief: „Fuscinus, komm her! Ich brauche dich, schnell!“

Der Bote lenkte sein Pferd am Reisewagen vorbei nach vorne.

„Sacrus, du übernimmst die Leinen hier! Ich muss nach meiner Frau sehen. Sie liegt im Wagen und hat sich verletzt! Fuscinus, hilf du mir, sie herauszuheben!“

Attius, der müde hinter dem Pferd hergetrottet war, erkannte erstaunlich schnell den Ernst der Lage. Er übernahm von Fuscinus die Zügel des Pferdes, an dessen Sattel er gebunden war, damit der Wachsoldat helfen konnte. Caius sprang vom Bock und kletterte ins Innere des Wagens. Der Wagenaufbau knirschte und schwankte gefährlich. Der Wagen war um etwa 20 Grad nach links gekippt, das gesamte Interieur war verrutscht. Alpina hing über dem leblos wirkenden Körper ihrer Mutter, der eingeklemmt zwischen Kisten und Körben verkeilt war. Sie blickte hilfesuchend ihrem Vater entgegen.

„Vater, wir müssen sie nach draußen bringen! Schnell! Sie atmet – aber schwach! Wir müssen dringend die Blutung stillen!“

Caius hob die Kisten und Körbe so weit zur Seite, dass er die Arme unter den Oberkörper seiner Frau schieben konnte. Dann lehnte er ihren Kopf an seine linke Schulter und zog mit Alpinas Hilfe Elvas ins Freie. Fuscinus packte mit an, um die Frau seines Vorgesetzten neben den Wagen legen zu können. Alpina kletterte hinterher. Beherzt riss sie die blaue Palla der Mutter in Streifen, um die Kopfwunde verbinden zu können. An Elvas linker Schläfe klaffte ein tiefer Riss, Blut quoll hervor und hatte bereits das Gesicht, die Haare und die Kleidung durchtränkt. Alpina entfernte vorsichtig die beinerne Nadel, mit der Elvas ihren Haarknoten im Nacken gehalten hatte. Dann schlug sie eine Stoffbahn zu einem festen Paket ein und presste dieses auf die Wunde. Das Ende eines weiteren Streifens legte sie so über das Päckchen, dass sie die Wundränder bestmöglich zusammenpressen konnte.

„Du musst ihren Kopf anheben und halten, Vater! – Vorsichtig! Damit ich die Wunde verbinden kann!“

Caius hob mit der einen Hand den Kopf seiner Frau und stützte mit der anderen ihren Nacken. Seine Hände fassten in die blutverschmierten Haare an ihrem Nacken. Sein Puls raste. Er bewunderte die besonnene und konzentrierte Herangehensweise seiner Tochter. Dabei hatte er schon öfter, in Kampfsituationen oder bei Unfällen in der Armee geholfen, andere Männer zu verbinden. Aber jetzt, wo seine eigene Frau betroffen war, konnte Caius keinen klaren Gedanken fassen. Fügsam verrichtete er die Handgriffe zu denen Alpina ihn anwies.

Sie waren so beschäftigt, die bewusstlose Frau zu versorgen, dass keiner bemerkte, wie Attius die Gelegenheit ausnützte. Der Gefangene schwang sich, trotz seiner gefesselten Hände auf das Pferd, an dessen Sattel sein Strick befestigt war. Erstaunlich, bei seiner Körperfülle, war die Geschwindigkeit, mit der er dieses Manöver durchführte.

Es dauerte einen Augenblick bis Caius und Fuscinus die Situation begriffen hatten. Fuscinus schrie auf, als er sah, wie Attius dem Pferd einen kräftigen Klaps auf das Hinterteil gab und es mit den Schenkeln zum Galopp antrieb, dann sprang er auf, um dem Flüchtenden zu folgen. Doch zu Fuß hatte er keine Chance dem Beneficiarius hinterherzukommen, der querfeldein unterwegs war.

Caius fluchte, wandte sich dann aber sofort wieder seiner verletzten Frau zu. Elvas langes grau-meliertes Haar war rot von frischem und geronnenem Blut. Der Verband bedeckte das linke Auge fast vollständig. Alpina hatte einen Wasserschlauch geholt und befeuchtete einen weiteren Stoffstreifen, um das Gesicht der Mutter notdürftig zu reinigen. Sie hoffte zudem, dass die feuchte Kühle wieder Leben in Elvas bringen würde. Caius faltete die Reste ihres Mantels und bettete Elvas Kopf darauf.

„Kann ich dir noch irgendwie helfen, Alpina?“, fragte er mit fürsorglichem Blick auf seine Frau. „Ich würde sonst den Adiutor mit einem der Zugpferde zur Mutatio reiten lassen, damit man von dort einen Wagen schicken kann, um Elvas transportieren zu können. Unsere Raeda wird so schnell nicht zu reparieren sein.

Alpina nickte. „Ja, es wäre gut, wenn wir sie bald in die Mutatio schaffen könnten!“ Sie blickte besorgt, während sie die schwachen Atemzüge der Mutter beobachtete.

Caius ärgerte sich, dass er kein Pferd mit Sattel hatte. Die Zugpferde hatten zwar einen Zaum und einige Gurte und Riemen, waren aber ungesattelt. Mit Sacrus gemeinsam befreite er das linke Pferd aus der Deichsel.

„Sie müssen unbedingt einen Wagen schicken und zwar schnell!“, befahl Caius. „Und der Wagenbauer soll auch gleich mitkommen! Vielleicht kann er den Wagen gleich hier reparieren.“

Caius Blick verriet jedoch die Zweifel, die er hatte. Der Wagen sah nicht gut aus. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass er damit seine Frau fortschaffen konnte.

„Beeil dich, Mann!“, schrie er und half dem unsicheren Sacrus auf das ausgeschirrte Zugpferd. Der Adiutor versuchte die langen Leinen kürzer zu fassen, damit das Pferd nicht darüber stolperte. Dann klopfte er mit den Schenkeln an die Flanken des Tieres und trabte davon.

Caius begann erneut zu grübeln. Er ärgerte sich sehr, dass er in diese vertrackte Situation gekommen war. Alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben: erst der säumige, versoffene Beneficiarius, den er als Gefangenen in die Provinzhauptstadt bringen musste, dann die Wagenpanne, die Flucht des Delinquenten und nun auch noch die schwere Verletzung seiner Frau. Wie sollte er jetzt dem flüchtigen Beneficiarius nachjagen, wenn er noch nicht einmal ein gesatteltes Pferd zur Verfügung hatte? Fuscinus machte ein betretenes Gesicht, er fühlte sich schuldig an der Flucht des Attius, auch wenn der Beneficiarius Legati ihm bislang keine Vorhaltungen gemacht hatte. Er spähte in die Richtung, in die der Flüchtende geritten war, als hoffte er, dass dieser reumütig zurückkäme.

Alpina hatte inzwischen einige warme Decken aus dem Wagen geholt. Sie legte eine davon auf dem Boden aus. Dann hoben Caius und Fuscinus die verletzte Elvas vorsichtig darauf. Mit der zweiten Decke hielt das Mädchen die Mutter so gut es ging warm. Zum Glück war das Wetter trocken und verhältnismäßig warm, doch es war schon spät am Nachmittag und das bedeutete, dass es bald empfindlich kühl werden würde. Die Tochter streichelte sanft die kühle Hand der Mutter und hoffte inständig, dass sie sich von diesem Unfall erholen würde. Schließlich bat sie ihren Vater, bei der Mutter zu bleiben, weil sie, nicht weit entfernt ein Vorkommen von Minzepflanzen beobachtet hatte. Die wollte sie gerne für die Mutter pflücken. Sie holte eine großzügige Hand voll Minzeblätter und fand am Rückweg auch noch einige Wegerichpflanzen, von denen sie sich die Blätter mitnahm. Der Wegerich würde einen guten Wundumschlag ergeben und die Minze Elvas Kopfschmerzen lindern.

Als Alpina zum Wagen zurückgekehrt war, verkündete Fuscinus die Ankunft des Adiutors. Der kam auf einem Reitpferd, das man ihm offensichtlich in der Mutatio gegeben hatte. Sacrus brachte das Tier vor dem Wagen zum Stehen und meldete: „Tiberius Satto, der Stationarius, und der Wagenbauer Essibnus, sind auf dem Weg hierher. Sie stellen uns einen einfachen Wagen zur Verfügung, der natürlich nicht gefedert ist, aber er ist das einzige Gefährt, das sie zur Verfügung haben. Wahrscheinlich werden sie bald damit hier sein.“

Caius atmete erleichtert durch. Nachdem der Adiutor abgestiegen war, befahl er Fuscinus mit dem Pferd die Spur des flüchtigen Attius zu verfolgen.

„Versuche herauszubekommen, in welche Richtung er sich abgesetzt hat. Wir müssen die Flucht rekonstruieren, damit wir eine Chance haben, ihn zu schnappen, sobald ich eine Truppe zusammengestellt habe, die der Aufgabe gewachsen ist. Bevor es dunkel wird, kommst du in die Mutatio und erstattest Bericht!“

Alpina verstaute unterdessen die gesammelten Kräuter in einem Stoffbeutel. Ein paar Minzeblätter behielt sie in der Hand und nahm sie mit zu ihrer Mutter. Sie zerrieb sie in der Handfläche. Der würzige, frische Duft stieg Alpina in die Nase. Sie hielt die Hände nahe an Elvas Gesicht. Zunächst zeigte sich in deren blassen Gesicht keine Reaktion. Nach einiger Zeit jedoch konnte Alpina sehen, dass sich Elvas Pupillen hinter den Augenlidern bewegten. Ihre Lider begannen zu zucken und sie stöhnte leise. Alpina hielt ihre Hand und beobachtete weiterhin aufgeregt ihr Gesicht.

Caius war zu ihnen gekommen. Er kniete sich hin und nahm die andere Hand seiner Frau. Auch Sacrus war hinzu getreten. Gemeinsam waren sie Zeugen, wie wieder Leben in Elvas kam. Sie stöhnte und begann ihre Hand aus der ihres Mannes zu lösen. Dann griff sie sich an den verbundenen Kopf. Das Stöhnen wurde lauter und Elvas schlug die Augen auf. Sie blickte verwirrt in die erwartungsvollen Gesichter.

„Was ist los?“, fragte sie mit brüchiger Stimme.

Alpina antwortete beruhigend. „Jetzt wird alles gut, Mutter! Du hattest einen Unfall!“

Elvas versuchte sich aufzusetzen, doch Caius hielt sie zurück.

„Nein Elvas, bleib liegen! Du hast eine Platzwunde an der linken Schläfe und wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung.“

Wie zur Bestätigung, drehte sich Elvas zur Seite und erbrach sich. Sie stöhnte erneut, als sie sich wieder zurücksinken ließ.

„Wir sind nicht mehr weit von der Mutatio entfernt und der Stationarius kommt bald, um dich mit dem Wagen zu holen. Er muss gleich da sein. Unsere Raeda ist leider nicht mehr fahrtauglich. Ich hoffe der Wagenbauer wird in der Lage sein, sie schnell wieder zu reparieren. Bleib ruhig liegen, Liebes!“

„Beneficiarius! Der Wagen kommt!“, stieß Sacrus erleichtert hervor.

Caius ging dem Plaustrum entgegen. Es war ein einfacher, ländlicher Wagen zum Transport von Heu, Getreide oder Waren, die auf den Märkten der umliegenden Dörfer gehandelt wurden.

Auf dem Kutschbock saß Tiberius Satto, der Stationarius der Mutatio. Hinter ihm, auf der Ladefläche, konnten sie einen weiteren Mann erkennen. Er war breitschultrig und sein wilder Haarschopf und Bart ließen ihn Furcht einflößend wirken.

„Ave, Caius Iulius Achilleus!”

Der Stationarius kannte Achilleus von früheren Reiseunternehmungen. Er war seit ein paar Jahren in dieser Mutatio tätig. Satto sprang Bock des Wagens und lief auf Caius zu.

„Ave, Tiberius Satto“, begrüßte der Beneficiarius ihn. „Danke, dass ihr so schnell gekommen seid!“

Der Beneficiarius war sichtlich erleichtert und wandte sich auch gleich dem zweiten Mann zu, der etwas ungelenk vom Wagen geklettert kam.

Ave!“ begrüßte er ihn. „Bist du der Wagenbauer?“

Der Mann mit dem wilden Aussehen nickte und trat näher. „Salve, Marcus Essibnus ist mein Name.“ Seine angenehme sonore Stimme schien nicht zu seinem Äußeren zu passen.

„Ich danke dir, dass du gleich mitgekommen bist. Obwohl ich nicht glaube, dass wir meine Raeda so schnell wieder flott kriegen werden.“ Caius seufzte und warf einen verzweifelten Blick auf den Reisewagen mit der deutlichen Schräglage. Der Wagenbauer warf einen kritischen Blick auf die Raeda und meinte dann nur: „Mal sehen!“

Der Adiutor und Tiberius Satto hatten inzwischen begonnen, Elvas aus Decken und Heuballen ein halbwegs bequemes Lager auf der Ladefläche des Plaustrum zu bereiten. Dann trat Satto näher an die verletzte Frau heran.

„Wir werden Euch jetzt so vorsichtig wie möglich auf den Wagen heben. Habt keine Angst, Domina!“

Elvas stöhnte kurz auf, als die Männer sie anhoben. Caius blickte besorgt in ihr Gesicht. Doch sie hatte die Augen wieder geschlossen. Ein Zucken in den Mundwinkeln verriet, dass sie Schmerzen hatte.

Essibnus, der Wagenbauer, hatte bereits begonnen, den Reisewagen fachmännisch zu untersuchen. Als Caius hinzutrat, sagte er: „Die Aufhängung der Kabine ist vorne links gerissen. Durch das Gewicht des hölzernen Aufbaus, der mit Wucht auf dem Querträger, der die Aufhängung trägt, aufschlug, ist dieser zerbrochen. Damit war das Fahrgestell blockiert. Ich werde jetzt den Querträger notdürftig reparieren, damit wir die Raeda bis zu meiner Werkstatt schaffen können. Dort werde ich morgen den Wagen reparieren können.“

Caius hatte Mühe, den Mann zu verstehen. Er sprach einen starken gallischen Dialekt. Doch der Beneficiarius nickte dankbar. Tiberius Satto reichte Sacrus die Zügel des Zugpferdes und kletterte auf den Kutschbock des einfachen Wagens. Er nahm die Leinen auf und trieb das Tier mit einem Zungenschnalzen an.

Der Plaustrum war nicht gefedert, wie die bequeme Raeda. Er holperte unsanft über die Straße. Zum Glück war es nicht mehr weit bis zur Mutatio. Elvas war erneut bewusstlos geworden. Ihr Kopf rollte auf der weichen Unterlage des zerrissenen Mantels hin und her. Sie war sehr blass. Alpina machte sich große Sorgen und auch Caius blickte ängstlich auf seine Frau.

Bald trat der Wald zurück und die Mutatio kam in Sicht. Ein Bachlauf mäanderte durch die hügelige Landschaft. Sie überquerten ihn bei einer schmalen Holzbrücke und fuhren dann in den Hof der Mutatio ein.

Die Ehefrau des Stationarius kam aus dem Haus. Sie trug ein kleines Kind auf dem Arm und an ihrem Rocksaum hing ein weiteres, etwa drei Jahre altes Kind. Die Frau war stämmig, ihre Haut rosig-glänzend und die rotblonden Locken quollen unter einer einfachen Stoffhaube hervor. Sie rief etwas Unverständliches über die Schulter ins Haus und kurze Zeit später erschien eine Magd in der Tür.

„Lydia, du zeigst den Männern den Weg zu dem Zimmer, das wir vorbereitet haben!“

Alpina lief dem mageren, jungen Mädchen nach, die eine schmutzige, dunkle Tunika aus grobem Stoff trug. Sie hatte kräftiges, dunkles und gelocktes Haar, das von einem einfachen Lederband im Nacken zusammengehalten wurde. Ganz offensichtlich war sie eine Arbeitssklavin.

„Normalerweise die Gästekammern sind im ersten Stock“, sagte sie in schlechtem Latein mit einem starken nordafrikanischen Akzent. „Doch für Eure Mutter ich habe meine Kammer im Erdgeschoss hergerichtet.“

Alpina folgte ihr zu der kleinen Kammer, die sich nahe der Küche befand. Das Bett war schmal und niedrig, aber mit sauberen Tüchern bezogen. Neben dem Bett standen ein Krug mit Wasser, ein Becher und eine hölzerne Waschschüssel. Als die Männer mit Elvas kamen, gingen Alpina und die Magd wieder aus der Kammer, damit genug Platz für die Träger war. Diese brachten die verletzte Frau in den engen Raum und legten sie auf das Bett. Anschließend verließen alle außer Caius die Kammer und Alpina konnte zu ihren Eltern hinein. Ihr Vater kniete neben seiner Frau. Er strich ihr besorgt über die Wange, doch Elvas reagierte nicht.

Alpina trat hinzu, sie versuchte noch einmal mit Hilfe der Minze Elvas zu Bewusstsein zu bringen. Doch leider reagierte sie diesmal nicht auf den Duft der ätherischen Kräuteröle. Der Puls war schnell, aber kraftlos, die Atmung unregelmäßig. Still verfluchte das Mädchen, dass sie nicht in Augusta Vindelicum waren. Dort gab es einen Medicus, der die Garde des Statthalters und die Angehörigen der Stadtverwaltung medizinisch versorgte. Man hätte ihn rufen können.

Caius sah seine Tochter ratlos an. „Brauchst du etwas Bestimmtes? Kann ich dir etwas bringen lassen?“

„Ich könnte auf jeden Fall mehr Licht gebrauchen!“, sagte Alpina. Es dämmerte schon und in die kleine Kammer fiel ohnehin nur wenig Licht. Caius nickte und verschwand.

Bald war er wieder da und brachte eine Öllampe mit zwei Dochten. Alpina bedankte sich und fragte ihren Vater, ob es möglich wäre, ihr ein oder zwei Decken zu bringen. Sie wollte die Nacht über bei ihrer Mutter bleiben.

Alpina war nicht lange allein. Bald räusperte sich die Magd vor der Tür und fragte, ob sie eintreten dürfe. „Ich die Decken bringe!“

„Wie heißt du? Damit ich dich rufen kann, wenn ich etwas benötige“, fragte Alpina.

Ganz kurz blickte die Sklavin in die Augen der anderen, nur einen Wimpernschlag lang. Sie hatte ganz dunkle Augen, die sich sofort wieder hinter dichten Wimpern versteckten. Alpina schätzte sie auf höchstens achtzehn Jahre. „Lydia, “ nennt man mich, Domina!“ Dann verließ sie die Kammer.

***

Caius trat durch die Tür der Mutatio ins Freie. Drei Gebäudeteile umstanden hufeisenförmig den Hof, der sich zur Straße hin öffnete. Rechts des Hauptgebäudes war ein geräumiger Stall für Pferde, Ochsen und Maultiere, daneben die Werkstatt des Wagenbauers. Es war nur eine kleine Mutatio, die neben dem Pferdewechsel nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten für Kuriere und Reisende bot. Etwa alle dreißig Meilen traf man auf eine größere Mansio, ein Rasthaus mit ausreichend Platz für Kuriere und Reisende. Dort gab es dann in der Regel auch eine Therme und manchmal sogar mehrere Cauponae mit der Möglichkeit zur Verpflegung und Übernachtung, so wie in Bratananium. Die nächste, größere Mansio war in Ambrae. Jetzt gab es bis Augusta Vindelicum auf ihrem Weg keine mehr.

Es war schon dämmrig und der Himmel im Westen verlor langsam die sanfte Röte des Sonnengottes Sol, der seinen Wagen an Nox, die Göttin der Nacht, übergab.

In der Ferne konnte Caius die Männer mit seiner Raeda kommen sehen. Sie gingen rechts und links des Reisewagens, der noch immer deutlich Schlagseite hatte.

Als sie in den Hof einbogen, half Caius den beiden, die Pferde auszuspannen. Gemeinsam schoben die Männer die Raeda in die Fabrica des Wagenbauers.

***

Nach einiger Zeit – es war schon dunkel geworden – kam wieder etwas Leben in Elvas. Sie stöhnte auf, dann würgte sie. Alpina schaffte es gerade noch, die Holzschüssel nah genug an sie heran zu bringen, als ihre Mutter sich zur Seite neigte und sich erbrach. Erschöpft legte sie sich zurück, blieb jedoch erst einmal wach.

„Liebes!“, flüsterte sie schwach, „wo sind wir?“

„Wir sind in der Mutatio, auf dem Rückweg nach Augusta Vindelicum. Hier kannst du dich ausruhen!“ Alpina versuchte Elvas Unruhe zu besänftigen, in dem sie sehr leise und langsam sprach. Sie erklärte ihr, was nun geschehen würde. „Der Wagenbauer wird die Raeda reparieren und Vater versucht, die Verfolgung des flüchtigen Attius zu organisieren.“

Elvas fragte verdutzt nach. „Wieso flüchtiger Attius? Er war doch mit uns unterwegs gewesen!“

Alpina biss sich auf die Lippen. Mist, sie hatte schon zu viel gesagt. „Mach dir keine Sorgen! Sie werden ihn schon wieder einfangen. Er hat den Unfall ausgenutzt und ist auf dem Pferd des Wachsoldaten abgehauen. Du hättest sehen sollen, wie behände der Fettsack auf dem Pferd war. Das hätte ihm keiner zugetraut.“

Elvas versuchte zu lächeln, ließ aber, mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck, gleich wieder davon ab. Stattdessen gab sie Alpina ein Zeichen, würgte und erbrach sich erneut in die Holzschüssel, die ihre Tochter ihr unterschob. Ihr Magen war bereits leer und sie erbrach fast nur noch Galle und Speichel. Alpina stand auf und trug die Schüssel hinaus. Als sie zurückkehrte war Elvas eingeschlafen. Sie atmete nun gleichmäßiger und auch der Pulsschlag war ruhiger geworden, wie Alpina bei der Kontrolle feststellte. Also schlang sie sich eine Decke um und lehnte sich erschöpft an die Wand der Kammer.

***

Caius hatte es sich mit Sacrus in der kleinen Taberna der Mutatio gemütlich gemacht. Sie tranken Wein mit Wasser gemischt und der Wirt hatte ihnen einen deftigen Eintopf aus Bohnen und Lammfleisch versprochen. Da ging die Tür auf und Fuscinus kam herein.

„Ave, Beneficiarius Legati!“, begrüßte er den Vorgesetzten noch ein wenig atemlos. „Anfangs konnte ich die Spuren gut erkennen. Er hat einen großen Bogen nach Südosten gemacht, ohne jedoch die Villae rusticae in Straßennähe direkt anzusteuern. Ich habe überall gefragt. Einer der Bauern hat ihn beobachtet, wie er mit seinem Pferd einen Pfad nach Osten ritt. Er ist wohl in Richtung Ambrae oder weiter nach Bratananium geritten. Die Spuren verlieren sich vor Ambrae und ich musste umkehren, weil es zu dunkel wurde. Ich nehme an, er sucht einen Unterschlupf in der Region um Bratananium. Dort kennt er sich aus. Bestimmt hat er bereits ein Versteck im Kopf.“

Caius nickte. „Ich selbst werde morgen nach Augusta Vindelicum reiten und dem Procurator Meldung machen. Ich werde ihn bitten, mir einige fähige Leute aus seinem Stab mitzugeben, damit wir in der Lage sind, diesen verflixten Attius zu schnappen und seiner gerechten Strafe zuzuführen. Außerdem werde ich den Stationarius bitten, dir noch einmal ein Pferd zu leihen, damit du weiter forschen kannst. Nimm Quartier in Ambrae, dann kommst du ihm nahe genug, ohne gleich aufzufallen. Versuch herauszufinden, wo er sich aufhält! Unterrichte uns sofort, wenn du etwas ausgekundschaftet hast.“

Fuscinus nickte eifrig und griff dann mit Heißhunger zu, als die Magd die Teller mit dem Eintopf brachte.

Nachdem sich die Männer gestärkt hatten, fuhr Caius fort zu planen.

„Quintus, du bleibst zunächst hier. Ich werde aus Augusta Vindelicum Unterstützung holen und vielleicht kann ich sogar den Medicus überreden, mitzukommen. Ich fürchte, dass Elvas so schnell nicht reisen kann. Sollte sie wider Erwarten reisefähig sein, kommst du mit ihr nach, sobald die Raeda fertig ist.“

Es war spät geworden, als Caius noch einmal die kleine Kammer betrat, um nachzusehen wie es Elvas und Alpina ging. Elvas lag im Bett, sie atmete gleichmäßig, so weit er das bei der sparsamen Beleuchtung erkennen konnte. Alpina saß an die Wand gelehnt und schlief in sich zusammengesunken. Caius breitete die zweite Decke auf dem Boden aus und legte seine Tochter neben dem Bett der Mutter ab. Sie erwachte kurz, blickte zunächst verwirrt, dann lächelte sie ihren Vater an. „Alles in Ordnung!“, flüsterte sie, um die Mutter nicht zu wecken. Caius streichelte zärtlich ihre Wange und verließ dann mit einem Gute-Nacht-Kuss seine zwei Frauen.

Raetia

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