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Das gelebte Leben

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Die Ebene des gelebten Lebens ist die Ebene der dritten Person, d. h. sie beschreibt das, was eine dritte Person beobachten könnte, wenn sie sähe, was in unserem Leben passiert, wie wir die 24 Stunden füllen, die wir jeden Tag vor uns haben. Aber aus dieser Perspektive wird der Mensch nur ungenügend beschrieben. Es reicht nicht, dass man sagt, er schläft, steht auf, kocht sich einen Kaffee, fährt zur Arbeit, macht Feierabend, fährt wieder nach Hause, schaltet den Fernseher an, trinkt ein Glas Wein, geht zu Bett um wieder aufzustehen, usw. Der Mensch wird ungenügend beschrieben, wenn wir nur verstehen, was faktisch mit ihm auf der Ebene des gelebten Lebens passiert.

Viel wichtiger für uns Menschen ist, dass wir uns zu dem, was mit uns passiert, was in unserem Leben geschieht, verhalten. Wir haben eine innere Einstellung gegenüber den Dingen, die uns passieren. Und diese Einstellung kann von zweifacher Art sein: Wir haben zum einem eine kognitive, zum anderen eine emotionale Einstellung zu unserem gelebten Leben. Wir werden zwar später, wenn wir uns mit Emotionen beschäftigen, noch sehen, dass man diese beiden Einstellungen nicht so klar voneinander unterscheiden kann, aber um des Modells und der Einfachheit willen, wollen wir an dieser Stelle annehmen, dass es diese beiden Einstellungen tatsächlich gibt.

Zunächst sind diese beiden Einstellungen ganz deutlich voneinander zu unterscheiden. Bestimmte Dinge, die uns in unserem Leben passieren, gefallen uns oder sie gefallen uns nicht, wir sind froh oder traurig darüber, dass sie passieren und das ist unsere innere Haltung oder Einstellung, die wir diesen äußeren Ereignissen gegenüber haben. Und zum anderen denken wir über das, was in unserem Leben passiert, nach. Wir machen uns unsere Gedanken und bewerten es. Wir finden es gut oder schlecht.

Man kann diese Unterscheidung zwischen der affektiven bzw. emotionalen und der kognitiven Einstellung unserem Leben gegenüber sogar noch ein bisschen weitertreiben. Man könnte zum Beispiel darauf hinweisen, dass wir auch so etwas wie eine kognitive Einstellung unserer affektiven Einstellung gegenüber haben. Sie könnten sich z. B. vorstellen, dass jemand, nennen wir ihn Max, eigentlich ein ganz ausgeglichener Mensch ist, der jedoch bei einer Sache innerlich sofort an die Decke geht: Und zwar, wenn er jemanden sieht, der sich die Nase geschnäuzt hat und nun das Taschentuch öffnet, um zu schauen, was er produziert hat. Max kann gar nicht anders, es ekelt ihn einfach an. Die Vorstellung, mit einem solchen Menschen, wenn er erkältet ist, Zeit zu verbringen, findet er grauenvoll. Andererseits denkt sich Max jedoch auch: Was bin ich nur für ein komischer Vogel, dass mich das so aufregt. Und diese Wertung, diese Nachdenklichkeit gegenüber der emotionalen Reaktion, diese Art Einstellung zweiter Ordnung gibt es eben bei uns Menschen auch.

Wir können aber auch noch einmal affektiv zu unserer affektiven Einstellung Stellung nehmen. Wir können z. B. so etwas wie Angst vor der Angst haben. Wir haben Angst davor, durch eine Prüfung zu fallen, aber das eigentliche Problem ist die Angst davor, dass die Angst, durch die Prüfung zu fallen, wieder kommt, usw.

Es kommt mir in dieser Vorlesungsreihe nicht darauf an, die verschiedenen inneren Einstellungen des Menschen zu dem, was das gelebte Leben betrifft, genau zu differenzieren, sondern nur darauf, darauf aufmerksam zu machen, dass es so etwas wie eine nicht vertretbare Perspektive der ersten Person auf unser gelebtes Leben gibt. Es sind unsere inneren Einstellung zu unserem gelebten Leben, die uns ganz wesentlich charakterisieren und ausmachen.

Und es ist, lassen Sie mich das zum Ende dieser ersten Vorlesung noch sagen, auch die Einsamkeit, die den Menschen konstituiert. Kein Mensch kann, selbst wenn wir ihm noch so viel von uns erzählen, jemals die Perspektive einnehmen, die wir selbst unserem Leben gegenüber haben. Diese Einsamkeit, als ein existenzielles Problem des Menschen, wird uns in dieser Vorlesungsreihe noch verschiedentlich beschäftigen, z. B. dann, wenn wir über Freundschaft und Liebe nachdenken und uns fragen, ob wir andere Menschen brauchen, um diese Einsamkeit auszuhalten; oder dann, wenn wir auch in unserem äußeren Leben einsam sind, wenn es um das Sterben, um den Tod geht, etwas, was uns kein anderer Mensch abnehmen kann.

Philosophische Anthropologie

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