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2: DRACHENZÄHNE

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Völlig unerwartet hatten wir in der Nähe der Drachenzähne eine uralte Plattform gefunden. Vom Zahn der Zeit abgeschliffene Mauerabgrenzungen deuteten auf einen ehemaligen Siedlungsgrund hin. Zwar von unzähligen Rissen weitestgehend unbrauchbar gemacht, leicht schräg am langen Ende im Sand versunken, war es Jiminy gelungen, eine halbwegs stabile Ecke für unseren Leichten Frachter zu finden. Andere Segmente der betonierten Ebene wurde als eine Art Markt genutzt, sehr gering besucht allerdings. Die SCHILDKRÖTE III machte enormen Eindruck auf die Einheimischen. Sie gafften, zeigten auf die Front des Schiffes und wedelten sich die Rauchschwaden der Landungsdüsen aus dem Gesicht. Die abgerissenen Gestalten, derangierter noch als die Leute aus der Karawane, konnten mit den Teilen des Leichten Frachters bestimmt einiges anfangen. Damit erst gar nicht irgendwelche Begehrlichkeiten aufkamen, schwenkte ich das Buggeschütz zwei-, dreimal im Kreis, ebenso die Torpedowerfer an der Ober- und Unterseite des Schiffes. Diese waren völlig unnütz in der Atmosphäre. Die Hinterwäldler konnten es nicht wissen. Das düsterblaue Glosen in den Abschussrohren verhieß ihnen nichts Gutes. Das genügte. Mehrere stolperten zurück. Einer setzte sich gar ehrfürchtig auf seinen Hintern und starrte mit offenem Mund zur Pilotenkanzel empor.

Der Anflug war meine Aufgabe gewesen. Jiminy hatte sich derweil um unseren Gast gekümmert. Der hatte sich als zänkisch und undankbar herausgestellt.

Kleines Mädchen, vielleicht elf oder zwölf Jahre alt. Wenn Jiminys Schätzung stimmte, denn sie hatte ihn nicht für eine Blutprobe an sich herangelassen und sich mit Händen und Füßen gegen das gewehrt, von dem ich ihr – in meiner Sprache, noch ein Fehler – erklärt hatte, es handele sich um einen intelligenten Roboter mit einer in über eintausend Jahren entwickelten Persönlichkeit. Ohne Frage hatte sie kein Wort verstanden. Sie war zweifelsohne schockiert von der mechanischen Konstruktion, die einem irdischen Clown-Fangschreckenkrebs nachempfunden war. Wäre er nicht schon seit mehreren hundert Jahren ausgestorben, wäre ihr in dieser Wüste ohnehin nie ein echter über den Weg gelaufen.

Irgendwie, sehr geduldig, war es Jiminy gelungen, ihr wenigstens die Kapuze vom Kopf zu streifen. Haare und Haut besaßen die Farbe von Sand, so enthüllt sicherlich eine perfekte Tarnfarbe. Das Gesicht war annähernd oval, dicht beeinander stehende Augen betüpfelten eine kräftige breite Nase. Schmal, dünnlippig überflog der winzige Mund eine spitze Kinnpartie.

Und laut war sie! In all den Jahren unseres Zusammenseins hatte ich gelernt, die Körpersprache des Roboters zu lesen – fast eine kleine Wissenschaft, von der er behauptet hatte, sie sei unmöglich von mir zu erlernen. Aber ich hätte geschworen, mein Vandalenkrawall wäre ihm jederzeit lieber gewesen, als das Kind in einer Ecke unserer Ladebucht, dem es gelang, mit seinem Gekreisch noch den hintersten Winkel unseres Leichten Frachters zu erreichen. Trotz der Schutzmaske, die Jiminy dem Mädchen überfallartig – wegen ihrer propellerhaft kreisenden Arme – übergestreift hatte. Klemmverschlüsse hielten das Filterutensil an ihrem Hinterkopf fest.

Der Plan war einfach. Die Kleine sollte bei freien Menschen untergebracht werden, schlicht in Sicherheit.

Jiminy hatte wirklich versucht, sich mit dem Mädchen zu verständigen. Zu seiner Verwunderung war es ihm nicht geglückt. Ein Wirrwarr von Worten, vielleicht auch Unsinn, war auf den Roboter eingeprasselt und, wie er mir versichert hatte, hatte er sich die größte Mühe gegeben, die eingehenden Daten zu verarbeiten und so etwas wie eine Syntax daraus abzuleiten, von Wortbedeutungen ganz zu schweigen. Die unverschlüsselte Kommunikation aus den Drachenzähnen, seit Jahren von Überwachungsstationen auf Luna mitgeschnitten und in ihre Bestandteile zerlegt, half ihm kein Quäntchen weiter.

Bei mir arbeiteten die Übersetzungsprogramme zu meiner vollen Zufriedenheit. Kurz nach dem Aufsetzen, da eine Beruhigung der Gemüter rings um uns eingekehrt war, marschierte eine Abordnung von drei Frauen und zwei Männern vor der SCHILDKRÖTE III auf. Offenbar verwirrt, wohin sie sprechen sollten, rief die zuvorderst stehende Frau ein leuchtendes Positionslicht neben unserer Abfallentsorgungsluke an.

Mode war uns im Sonnensystem nicht fremd. In erster Linie war sie funktional und mitunter sogar farbenfroh, erst recht bei uns auf dem Mars, die wir von Gottheiten und Feiertagen nicht genug bekommen konnten und jede Gelegenheit nutzten, uns auszustaffieren.

Hier auf der Erde, zugegeben, es war erst das zweite Beispiel nach den Leuten von der Karawane, gab man sich eher trist. Die Abordnung der Drachenzähne trug grüne, meist dunkelgrüne Stoffe. Anders als bei dem Anführer der Karawanenreiter gab es bei diesen Abgesandten kein Zeichen eines Vorsprechers, ersten Bürgers oder was auch immer.

Wir hatten nach Metallen an ihren Körpern gescannt, auf der Suche nach versteckten Waffen und nichts gefunden. Was nicht hieß, dass sie zugeschnitzte Knochen oder Hiebwerkzeuge aus Kunststoffen bei sich trugen. Doch um das zu entdecken, besaßen wir nicht die Mittel. Plastik und Skelette erwartete niemand auf Asteroiden zu finden. Aus diesem Grund hatte keiner ein technisches Gerät dafür gebaut. Es hätte keinen Verdienst eingebracht. Ganz im Gegensatz zu den beiden baugleichen Apparaturen, die ich mit mir nach draußen nahm.

Ich öffnete die Ausstiegsrampe und übergab das Schiff in die Obhut von Jiminy.

Der Roboter klinkte sich von der Ladebucht aus in die Systeme der SCHILDKRÖTE III ein und behielt von dort die Übersicht über den Frachter – und das Mädchen, dem er es zutraute, in seiner Abwesenheit sein schönes Frachtdeck zu ruinieren.

Langsam, feierlichen Schrittes, in einer leidlich gesäuberten Arbeitsmontur, die rechte Hand mit den kleinen Geräten vorgestreckt, die Schutzmaske proper über dem Gesicht platziert, inklusive der Augen, ging ich den Gesandten der Drachenzähne entgegen. Hinter meinem Rücken glitt die Ausstiegsrampe in die Höhe. Jiminy machte die Schotten dicht.

Vor ihnen zu stehen, muss ein nettes Bild abgegeben haben. Ich nahm an, Jiminy zeichnete alles auf. Zwei Köpfe größer als meine Gegenüber, violetter Kopf, blaugraue Schutzmontur, häuptlings eine stachelige Bürste mit einem schwarzbläulichen Glanz machten den Marsianer aus. Grün gekleidete Menschen mit rasierten Köpfen, der gleichen sandfarbenen Haut wie unser junger Gast, dafür jedoch mit weiß geschminkten Gesichtern, was ihnen eine alterslose Erscheinung gab. Mönchsgleich im Wind wallende Gewänder kaschierten ihre wahren Konturen.

Ich reichte der vorne wartenden Frau einen der beiden rechteckigen Apparate und demonstrierte ihr die Verwendung, indem ich es vor den Mund hielt.

»Leckmichdesöckwatisdatdannfünnejedöns?«, schallte es, bevor das Übersetzungsprogramm die verbale Eingabe erfasste.

»Sie müssen es mehr vor den Mund halten, dann übersetzt es Ihre Sprache in meine und umgekehrt«, sagte ich freundlich, wohl wissend, dass emotional leichte Schwingungen der Stimme in der Übertragung so gut wie nicht auftauchten.

»... enne Marsmänsch?!«, tönte es kurz, sogleich, für mich verständlicher: »Sie sind ein Marsianer?!« Die Fassungslosigkeit im Ton der Frage klang aus dem Mikrolautsprecher fast überzeugend remoduliert.

»Ja«, antwortete ich, steuerte der Minimalbekundung noch ein Nicken bei. Sollte mein Geruch sie gestört haben, äußerte sich das in keiner wie auch immer gearteten Regung des Missfallens.

»Wir haben noch nie einen Marsianer gesehen.« Sie zögerte. »Wir wussten natürlich, dass es sie gibt«, fügte die Frau hastig hinzu. Hinter der Übersetzung hörte es sich schüchtern an. »Manchmal sahen wir ein Raumschiff. In großer Höhe. Es überflog die Gegend und landete nie.«

»Immerwidersonndachs«, warf ein Mann aus der zweiten Reihe ein. Der Translator erfasste das Wort von hinten nicht.

»An Sonntagen«, sagte die Frau stattdessen. »Ich bin unhöflich. Mein Name ist Babbellies. Ich bin die erste Vorsteherin der Gemeinde. Willkommen in der Kolonne 50.« Ein neuerliches Innehalten. »Alle in der Kolonne, die von Ihrer Landung erfahren haben, sind sehr neugierig auf Sie. Aber die Menschen aus der Kolonne fürchten sich auch. Darf ich erfahren, welchem Umstand wir Ihren Besuch verdanken?«

»Wasser«, erwiderte ich und genoss die Verwirrung der Einheimischen.

Sie achteten auf jede Regung von mir, beäugten misstrauisch den Irokesenschnitt und schauten heimlich zu meinen Ohren, zum Nacken. Dort endete bei Ihnen die Schminke. Wahrscheinlich kam ihnen meine Hautfarbe nicht ganz echt vor. Möglicherweise glaubten sie, dass bei mir das Violett ebenfalls in die bei ihnen übliche Sandfarbe übergehen musste. Verblüfft tat einer der Männer einen Schritt rückwärts.

»Mein Schiff braucht außerdem ein paar Reparaturen. Falls ich Ersatzteile bei Ihnen finde – ich würde das alles gerne einhandeln. Tauschen. Über örtliche Bezahlmittel verfüge ich leider nicht. Geld.«

Die Frau überfiel ein nervöses Augenzucken. »Geld? Geld ist ein archaisches Konzept ...« Sie legte fragend den Kopf schräg.

Ich wachte aus meiner herablassenden Haltung auf. »Bär. Mein Name ist Bär.« Warum sollte ich diese Menschen mit meinem richtigen Namen überfordern?

»Bär«, wiederholte Babbellies ohne Übersetzung. Ein Name ist eben ein Name. Ihre unverfälschte Stimmlage geriet sehr einschmeichelnd, ohne einstudiert zu wirken. »Bär, Sie sind uns willkommen.«

»Und Sie sind an Bord meines Schiffes willkommen.« Von Jiminy, der mithörte, erscholl ein dreifaches Klicken der Entrüstung. Wären ihm Atemorgane eingebaut worden, wenigstens Imitationen von solchen, hätte er bestimmt die Luft scharf eingesogen. »Sie können auf den Boden spucken und der Leguankatze auf den Schwanz treten.«

Jetzt sprang die versammelte Mannschaft wie auf ein Kommando zurück. Sie sahen mich an, als hätte ich sie beleidigt. Was in Mars' Namen hatte der Apparat ihnen übersetzt?

»Wir spucken nicht auf den Boden.« Nüchtern aus der Box kommentiert, umso – ja, angepisster im Hintergrund in ihrer echten Sprache.

Sand knirschte unter meinen Stiefeln. Sand, so weit das Auge reichte. Klar, kein passender Spruch. Wer hier lebte, bewertete Flüssigkeiten höher als anderswo. »Verzeihung! Ich bitte um Verzeihung. Es ist nur eine Floskel. Das heißt, Sie sollen sich an Bord meines Schiffes wie zuhause fühlen. Das heißt es.« Pockels würde einem dieser Wüstenbewohner den Kopf abreißen, wagte es jemand, ihr auf den Schwanz zu treten.

Meine Entschuldigung fand nicht die erwünschte Resonanz. Babbellies winkte mir wortlos, ihnen zu folgen. Die übrigen vier Gestalten liefen uns voraus, scheuchten ein paar Gaffer aus dem Weg, der zu den gut fünfundzwanzig Meter aufragenden Drachenzähnen führte. Die drei Knarren – im Rücken-, Schulterhalfter und am rechten Unterschenkel festgebunden – sowie das Messer, nach einem alten Rebellenrezept aus durchsichtigen Polymeren gefertigt, gaben mir ein beruhigendes Gefühl. Bis wir den Zugang erreichten.

Zwei Wachen behielten eine Bodenklappe aus Holz und Eisen im Auge. Ersteres Material war in dieser Umgebung eine Sonderbarkeit, auf zweiterem lag eine Rostschicht, ein roter Klecks als nostalgische Farbdosis an diesem Tag. Beides war unerklärlich. Das Duo beidseitig des Eingangs zu den Drachenzähnen gab sich martialisch. Schwarze Brust- und Schulterpanzer sahen moderner als der Rest der grünblauen Kutten aus. Offenbar geschmiedet. Großkalibrige Schusswaffen, gar nicht mal besonders antik, wurden professionell vorgehalten.

Breite Streuung, dachte ich. Schrot. Damit jagten wir Schweinewolfhyänen in den Tarpejischen Gärten am Sockel des Olympus Mons. Der Bumms würde selbst mich von den Füßen holen.

»Bär«, sagte Babbellies zu mir, »sollten Sie Waffen besitzen, bitte ich Sie, diese bei den Wächtern abzugeben. Das ist vorgeschrieben. Sie erhalten sie bei Verlassen unserer Gemeinde zurück.«

BÄR: CHIMÄRA

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