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5: LIV

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Meine Atemmaske war um drei Bauteile erweitert worden. So ausgerüstet filterte das Gerät Sauerstoff aus dem Wasser. Ich tauchte in den Südteil des unter Wasser stehenden Innenlebens dieser, wie Jiminy sie genannt hatte, Kirche. Dort, in einem quer abzweigenden Gang des, nach neuen Maßstäben, Reservoirs gelegen, befand sich der RIKTER-CODE in der Wand eingelassen. Von oben schien das Licht der Leuchtstoffröhren herab, nicht hell genug zwar, zur Orientierung genügte es allemal.

Zeilenweise tat ich meine Arbeit, oben beginnend, dann ließ ich mich absinken. Jedes Quadrat hatte eine Seitenlänge von 9,4 Zentimetern. Eine Stirnlampe riss die Farben aus der Dunkelheit. Sorgsam erfasste der Scanner die kantenklar voneinander separierten Flächen. Mir wurde der meditative Charakter meiner Tätigkeit bewusst. Es genügte nicht viel und ich hatte die Zeit vergessen. Zunehmende Tiefe brachte stärkere Trübnis. Schwebeteilchen und winzige Luftblasen wiesen mich auf feinste Strömungen hin. Je länger ich unter Wasser war, dem Grund näher kam, desto öfter entdeckte ich minimalste Abflusslöcher im Gestein. Ich war darauf vorbereitet. In meinem Rucksack führte ich einen Spezialzement und Werkzeug mit. Band die Mischung in den Löchern ab, würde sie vorher in jede Ritze quillen. Aber es gab ein Problem. Die Zisterne war riesig. Befand sich das übrige Mauerwerk in einem ähnlichen Zustand, steckten Jiminy und ich noch eine Ewigkeit bei den Drachenzähnen fest. Ich konnte ihn im Geiste argumentieren hören, dass eine undichte Zisterne nicht unser Problem war. Ich sah das anders. Man war uns freundlich und vertrauensvoll begegnet. Prinzipiell galt es, solches Verhalten zu honorieren. Jiminy war eher pragmatisch und egoistisch eingestellt. In seinen eintausend Jahren Existenz im Dienste diverser Herren, aufreibend, verzichtsreich oft, selbst für einen Roboter, bestritt ich die Wirkung dieser Einstellung nicht. Ich hatte mir ein anderes Verhalten angewöhnt. Gewünscht. Hilfe hinterließ Freunde. Meistens. Jiminy würde es noch lernen. Da war ich sicher.

Ein Sicherheitszeitmesser gab mir das Zeichen zum Auftauchen. Langsam glitt ich in die Höhe. Der Scanvorgang war beendet, das erste Leck gestopft. Mitten im Reservoir durchbrach ich die Wasseroberfläche. Kaskaden tanzender Lichter empfingen mich. Ein befreiendes Gefühl. Ein leises Plätschern. Brückenähnliche Gitter verbanden die die Langseiten des Reservoirs. Eines hing direkt über meinem Kopf. Zusätzlich waren Stahlseile über die Wasserfläche gespannt worden. Vereinzelt hingen Eimer und Wasserschläuche von dort herab. Längs des Bassins waren außerdem Laufstege und Treppen installiert. Trippelnde Schritte hallten zu mir herüber. Kinder. Sie lachten diesmal nicht. Sie waren beschäftigt, trugen schwer an Gepäck, auf dem Rücken, vor sich auf den Armen. Kein Schwatzen, nur Keuchen, Schniefen vor Anstrengung. Es hallte durch das schwarze Gestein der Zisterne. Ich zählte neun Kinder. Alle in einem ähnlichen Alter, nahm ich ihre Größe als Maßstab. Hinterdrein, in einigen Schritten Abstand, marschierte ein Wächter, einen Stock aus Metall in der Hand. Unregelmäßig tickte der Mann damit drohend gegen das Geländer.

Eines von den Kindern vertrat sich auf den feucht glänzenden Gitterrosten des Stegs. Ihr Bündel fiel herab. Die übrigen acht Kinder gingen einfach weiter. Der Wachmann stellte sich hinter dem Kind auf. Als ihr Gesicht sich drehte, wurde es von einer Leuchtstoffröhre angestrahlt. Das war – das Mädchen. Die Situation sah nicht nach dem aus, was ich mir für sie erhofft hatte. Gar nicht! Ich schwamm auf sie zu, ignorierte den Mann anfangs, trat Wasser, machte Lärm, gewann beider Aufmerksamkeit. Der Metallstock tippte ihr auf die Schulter, bedeutete ihr unmissverständlich, das Stückgut vor sich aufzuheben. Dabei sah mich der Mann an.

»Machdirkennekopp! Alleshalvsuwild!«

Ohne Translator war das lediglich Wortsalat. Ich schlug eine Armlänge vor dem Mädchen an den Laufsteg an und zog mich aus dem Wasser. Jetzt konnten sie nicht an mir vorbei. Über den Kopf des Kindes hinweg reichte ich dem Mann ein Übersetzungsgerät aus einer wasserdichten Tasche an meinem Gürtel und machte ihm den Gebrauch vor.

»Was ist hier los?«

Unsicher hielt sich der Wächter das Gerät vor den Mund und erwiderte: »Sie arbeitet. Was soll los sein?«

»Sie arbeitet?«

»Ja«, erwiderte der Wachmann eindeutig verwundert über meine Begriffsstutzigkeit.

»Geben Sie mir das Gerät zurück«, forderte ich. Mein zorniger Bass übertönte beinahe die Worte aus dem Mikrolautsprecher. Ich hielt den Translator dem Mädchen hin. »Ich weiß, dass du ihre Sprache sprichst. Also, antworte mir. Was tust du da?«

»Arbeiten«, entgegnete das Kind. Ihre Stimme war ein singendes Flüstern unter der elektrisch generierten Übersetzung.

»Warum arbeitest du? Du bist ein Kind!« Wasser tropfte an mir herab. Es plitschte auf meine Füße.

»Ich arbeite«, antwortete sie stockend, »für Wasser.«

»Wasser?« Einfältig von mir gefragt.

»Für Wasser. Ich arbeite hier. Dafür bekommen meine Leute Wasser. Solange ich hier arbeite, haben meine Leute Wasser«, erklärte sie dem violetten Idioten von außerhalb.

»Du bist eine Sklavin?« Ich wollte es genau wissen.

»Das ist so Brauch.« Eine gruselige Begründung für den Besitz von Menschen, ausgespuckt aus der Box in ihrer schwieligen Kinderhand.

»Wie ist dein Name?«, fragte ich nach einer Pause.

Sie legte interessiert den Kopf schräg. »Liv«, sagte sie. »Mein Name ist Liv.«

BÄR: CHIMÄRA

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