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4: RIKTER-CODE

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Den Rest des hellen Tages verbrachte ich in den Drachenzähnen, weitestgehend allein, nur von einem Mann bewacht, der mir ziemlich dezent hinterherging. Ich sah mich im Reservoir um und erklärte es als Vorbereitungen auf den Tauchgang am kommenden Tag. Ein tragbarer Scanner lieferte erste brauchbare Ergebnisse über den Zustand und die Tiefe der Zisterne. Einhundertfünfzehn Meter und mehr weitete sich das Bassin nach unten aus. Einige Stellen reichten weiter runter als andere. In den unheimlichen Seiten, neben säulenähnlich aufgebauten Wänden, waren große Glaspartien eingefasst. An die musste ich heran. Außerhalb waren sie abgeschirmt von einer Zementmasse. Einige dieser Schutzwände waren brüchig und nicht sehr dick. Dahinter drückte der allgegenwärtige Sand gegen das Gemäuer.

Abends, zurück auf der SCHILDKRÖTE III, überflog ich die gesammelten Daten im Cockpit und wurde durch die geöffneten Sichtluken Zeuge eines Disputs zwischen Babbellies und dem Anführer der Karawane. Lautstark, einer brüllte den anderen an, seltsamerweise setzte sich die Frau durch, wortgewandt. Bis der Mann einen Säbel zog, geschickt in der Luft herumwirbelte und damit ihr Gefolge auf Abstand hielt. Dann geschah irgendeine Art der Einigung. Abschließend kreuzten sie ihre Unterarme und verbeugten sich.

»Man kennt sich«, kommentierte Jiminy.

»Ja, komisch«, meinte ich nachdenklich. »Sie schien mir nicht so angetan von diesem Nomadenstamm.« Nach einem Schulterzucken: »Na, sie kommen nicht auf den Gedanken, das Kind an sie zurückzugeben.«

Die Karawanenleute luden frisch gefüllte Wasserbehälter auf, brachen vor einem brennenden Sonnenuntergang ihr Lager ab und stapften, geschaukelt vom seemännischen Schwanken ihrer Kamelartigen, davon.

»Du hast den RIKTER-CODE lokalisiert?«, fragte mich der Roboter.

»Er ist hier«, antwortete ich und deutete auf einen Punkt in der holografischen Nachbildung der Zisterne. »Das Glas zu entfernen, wird mir nicht möglich sein. Nicht unter Wasser. Scannen, so genau es geht, mehr ist nicht drin. Zeile für Zeile.«

»Die Farben sollen genau erfasst werden«, betonte Jiminy. »Und selbst dann – der Code wurde nie geknackt.«

»Unser Auftraggeber bekommt, wofür er bezahlt, den Code, nicht das Fenster«, erwiderte ich. Der Anblick, allein in der miniaturisierten und nur angedeuteten Darstellung der elftausendzweihundertunddreiundsechzig Farbquadrate, verwirrte mich. Sie sollten sich aus zweiundsiebzig Farben zusammensetzen. Jemand auf Luna glaubte, ein für die Marsianer lebenswichtiger Code verstecke sich dahinter. Das behauptete eine zweifelhafte Überlieferung. Genaue Bilddaten des Codes waren über die Jahrhunderte verloren gegangen. »Das war ein – ein was war das?«, wollte ich von Jiminy wissen.

»Ein Kirchenfenster.«

Eine nüchterne Feststellung der Roboter-KI, die mir nicht weiterhalf. »Kirche?«

»Ich habe alte Verkehrswege eruiert. In deren Zentrum stand ein Dom, eine sehr große Kirche. Ein Tempel für eine einzige Gottheit.« Eine diagnostisch vorgetragene Erklärung angesichts des heiklen Wesens dieses Bauwerks.

»Ein Tempel für eine einzige Gottheit«, wiederholte ich. »Wie barbarisch.« Unter Jiminys gestrengem Blick wanderten meine Schuhsohlen auf das Kontrollpult. Lang ausgestreckt betrachtete ich die hereinbrechende Nacht. Einen ähnlichen Lichtwechsel hatten wir seit Wochen nicht mehr gesehen. »Ich sollte schlafen«, sagte ich, obwohl ich mich an diesem einfachen Naturereignis kaum sattsehen konnte.

»Geh schlafen«, empfahl der Roboter, zwei optische Einheiten über kreuz gelegt, »ich poliere inzwischen die Kommandotafel wieder auf Hochglanz.«

Aus dem Maschinendeck stieg nur ein vages Summen empor. Die Energieversorgung des Schiffes war bis auf das benötigte Minimum für die Standardverbraucher heruntergefahren worden. Halb schlafwandelnd wankte ich zu meiner Kajüte und fiel in meine ungemachte Koje. Jiminy hielt sich, ungern, wie er stets betonte, von ihr fern, weil Unordnung den Drang in ihm weckte, diese zu beseitigen. Aber mein Verbot, mein persönliches Chaos unangetastet zu lassen, wurde von ihm respektiert.

Am nächsten Morgen plagte mich die Schwerkraft. Auf dem Mars ist sie um gut zwei Drittel geringer als auf der Erde.

Wir Marsianer trainieren von Kindesbeinen an, um mit den Erfordernissen unseres langen Lebens umgehen zu können, in Gravitationskammern. Anders wären unsere Minenzentren auf Uranus, Neptun und Venus nicht denkbar. Während des Flugs verabreiche ich mir auch mal eine Portion dreifache marsianische Schwerkraft. Die Umstellung ist schleichend, kräftezehrend. Eine Eingewöhnung benötigt mehrere Tage.

Ich wusste jetzt schon, dass ich es genießen würde, eine Zeitlang unter Wasser meiner Arbeit nachzugehen.

Es wird der Tag kommen, an dem ich mich nicht mehr ohne Exoskelett bewegen kann, weil die Knochennekrose unaufhaltbar geworden ist. Das ist die Rechnung, die von vielen Marsianern im letzten Viertel ihres Lebens bezahlt wird, wenn die bei der Geburt eingeschossenen Nanobots in unserem Blut solche Schäden nicht mehr richten können.

Ich hatte es mit einem Dauerlauf zum Reservoir versucht. Es war mühselig gewesen und tötete jeglichen Enthusiasmus ab. Ein paar Kinder sowie der obligatorische Wächter liefen mir, dem schwerfälligen Marsianer, zur Zisterne hinterher. Die Kleinen tuschelten und wurden vom Wachmann zurechtgewiesen und fortgescheucht. Eines der Kinder war das Mädchen. Sie verständigte sich mit den anderen, lachte, rannte mit ihnen davon. Jiminy, dachte ich, hatte die falschen Sprachansätze im Translator benutzt. Wenn die Karawane öfters bei den Drachenzähnen Halt machte, hatten die Nomaden genug von der örtlichen Sprache zur Verständigung gelernt. Wie es zwangsläufig jeder Händler irgendwann unternimmt. – Ich war ein wenig verwundert über Jiminys mangelnde Experimentierfreude. Dass er die Sprache der Kolonne 50 nicht ausprobiert hatte. - Das hätte diesem Hüter der Variablen eigentlich einfallen sollen ...

BÄR: CHIMÄRA

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