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Kapitel 8Endlich unterwegs

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Samantha stand an der weiß gestrichenen Reling und genoss den Ausblick auf das Meer. Der wolkenlose Himmel schien das blaue Wasser widerzuspiegeln, doch wenn die junge Frau den Blick senkte, wandelte sich das tiefe Blau in ein dunkles Grün. Sie bemerkte eine Gruppe von Tümmlern, die das Schiff begleiteten und spielerisch über die Wellen sprangen. Möglicherweise wurden sie durch das laute Klatschen angelockt, dass von den beiden Schaufelrädern an den Seiten des Schiffes verursacht wurde. Über allem hing das leise Stampfen der Dampfmaschine, doch daran hatte sie sich in den vergangenen Tagen bereits gewöhnt.

Die Lüneburg war ein deutscher Raddampfer mit Vollbesegelung. Das bedeutete, dass dieses Schiff bei günstigem Wind oder Ausfall der Dampfmaschine unter vollen Segeln fuhr, ansonsten jedoch die beiden seitlichen Schaufelräder nutzte. Kapitän Hansen fuhr gerne unter Segeln, da er dadurch den Verbrauch der teuren Kohle und das Kohlebunkern in fernen Häfen reduzierte.

Im Augenblick war der Wind schwach und das Schiff lag hinter seinem Zeitplan zurück, daher hatte der Kapitän beschlossen, die volle Leistung der Maschine auszunutzen. Wenn Samantha sich ein wenig außenbords beugte, dann konnte sie sehen, wie der scharfe Bug das Wasser zerteilte und die Wellen dann vom Schaufelrad erfasst wurden. Hinter den Antriebsrädern und dem Heck des Schiffes sah es aus, als schäume das Meer. Immer wieder spritzte Wasser bis zu Samantha empor, die an der Reling stand.

Es gab kaum Schatten an Deck. Die Segel waren eingeholt und an den Rahen festgemacht. Sie hätten die Fahrt des Schiffes eher abgebremst, als sie zu beschleunigen.

Sam sah auf die kleine Brücke der Lüneburg, die sich zwischen dem vorderen und dem mittleren Mast erhob. Sie lag fast in der Mitte des Schiffes und war unerwartet klein. Im Grunde kaum mehr als ein breiter Laufgang, der die beiden Schaufelräder zu verbinden schien und ein Stück über sie hinaus ragte. In der Mitte dieses Laufgangs befand sich ein überdachter Aufbau, in dem sich die Steuereinrichtungen befanden. Dort standen die beiden Rudergänger und einer der Offiziere, um den Kurs des Frachters zu halten.

„Hier an Deck ist es gut auszuhalten. In unseren Kabinen steht die Luft, da helfen auch die offenen Bullaugen nichts.“ Zenora war neben ihre Herrin und Freundin getreten und folgte deren Blick. Die farbige Zofe trug, wie Samantha, ein schlichtes Reisekleid von dunkler Farbe. „Die Heizer im Maschinenraum müssen sicher schrecklich unter der Hitze leiden.“ Sie seufzte vor innerer Anteilnahme. „Und dann müssen sie die Öfen auch noch mit Kohle füllen. Wirklich, Sam, ich mag keine Kohle. Überall dieser Russ und Dreck, und dazu der Lärm der Maschine.“

Sam sah zu dem schlanken Schornstein, der hinter der Brücke aufragte. Dunkler Qualm quoll daraus hervor und trieb langsam zum Heck. Gelegentlich stiegen Funken auf. Obwohl sich Samantha für jede Art von Maschinen interessierte, konnte sie die Abneigung der Freundin verstehen. Dem Russ und dem Gestank des kohlebefeuerten Dampfantriebs konnte man nirgends entgehen. Stets waren Matrosen und Schiffsjungen damit beschäftigt, das hölzerne Deck zu schrubben und Metall und Messing zu polieren. Doch solange die Maschine lief war ihre Mühe rasch zunichte gemacht, wenigstens in jenen Bereichen, die in Windrichtung lagen.

An Deck waren nur wenige Besatzungsmitglieder zu sehen. Ein paar Männer nutzten die Gelegenheit, um an den Rahen zu arbeiten, das Tauwerk des Schiffes zu überprüfen und all jene Dinge zu erledigen, die zum Betrieb eines Schiffes gehörten. Maschinisten und Heizer waren derweil damit beschäftigt, Kohle in die ewig hungrige Dampfmaschine zu schaufeln und ihre Kolben und Gestänge mit Öl und Fett zu schmieren.

Es hatte keinen Zweifel gegeben, dass Zenora mitkommen würde. „Wenn du mich nicht mitnimmst, dann schwöre ich dir, dass ich mich irgendwie im Handgepäck verstecken werde“, hatte sie gedroht. Sam hatte jedoch gar nicht die Absicht gehabt, die Dunkelhäutige zurückzulassen. Sie waren zu gut befreundet. Außerdem gehörte es sich nun einmal nicht für eine junge Lady, ohne weibliche Begleitung mit einer Gruppe von Männern zu reisen.

Zenora strich über den Handlauf und zeigte ihren Handschuh, der mit Russ verschmiert war. „Der Dreck ist überall. Dabei ist die Mannschaft immer am Putzen und Reiben, um alles sauber zu halten.“

„Dafür haben wir eine schnelle Reise“, erwiderte Samantha. „Ich bin froh, dass wir so schnell ein Schiff fanden, welches Passagiere mitnimmt. Außerdem werden wir unter Segel fahren, wenn der Wind wieder zulegt.“

Die Lüneburg war in Hamburg vom Stapel gelaufen und als typisches Frachtschiff konzipiert worden. Den meisten Raum nahmen Fracht und Kohle ein, und die Reederei hatte sich erst spät entschlossen, auch die Mitnahme von Passagieren zu ermöglichen. Aus diesem Grund war das ursprünglich flache Heck umgebaut und mit einem Aufbau versehen worden, in dem sich die Kabinen der Reisenden befanden.

Für die Seeleute war es nicht immer einfach, sich daran zu gewöhnen, dass man auch Passagiere beförderte. Vor allem, wenn es sich dabei um weibliche handelte.

„Frauen an Bord bedeuten Unglück“, hatte ein Matrose gemurmelt, als Samantha´s Gruppe in Hamburg auf das Schiff kam. „Das weiß jeder Seemann. Ich sage euch, Kameraden, uns wird der Klabautermann in die Tiefe zerren, jetzt, wo wir Weibsbilder an Bord haben.“

Der Mann mochte manchem abergläubischen Kameraden aus der Seele gesprochen haben, was diese jedoch nicht daran hinderte, zumindest aus der Ferne manchen Blick auf die beiden Frauen zu werfen. Vor allem, da es sich doch um zwei so attraktive Exemplare des anderen Geschlechts handelte. So rau und herzlich der Ton untereinander auch gelegentlich war, so bemühte sich die Besatzung stets, Samantha und Zenora mit Höflichkeit zu begegnen.

Dies galt in besonderem Maße für die Offiziere der Lüneburg. Da sie die englische Sprache beherrschten, bemühten sie sich redlich, den Passagieren die Langeweile zu vertreiben, die auf einer langen Seereise automatisch entstand. Keiner der deutschen Gentlemen wurde müde, den Fahrgästen das Schiff zu erklären, etwas Seemannsgarn zu spinnen und sie, so gut es eben möglich war, in die Geheimnisse der Seefahrt einzuweihen. Während Zenora dies nur als Zeitvertreib sah, sog die junge Lady Fenshaw alles in sich auf, was sie an Wissen ergattern konnte. Seefahrt und Schiffe waren für sie eine neue Welt, die sie durchaus faszinierte, auch wenn sie dabei nie das Ziel der Reise aus den Gedanken verlor.

„Immer mehr Menschen verkehren zwischen Europa und Asien“, sinnierte Samantha. „Die meisten natürlich aus geschäftlichen Gründen, aber es gibt auch Abenteurer und Reisende, welche sich einfach die fremden Länder ansehen wollen. Als wir in Hamburg das Schiff wechselten, habe ich zufällig gehört, dass man inzwischen sogar überlegt, künftig eine Art Linienverkehr für Passagiere einzurichten, mit dem man Indien und China erreichen kann.“

„So wie eine Eisenbahn oder Überlandkutsche?“

„Ja, und die Reise soll künftig auch sehr viel kürzer werden. Angeblich hat man inzwischen den Suez-Kanal fertiggestellt, so dass man künftig nicht mehr um ganz Afrika herum fahren muss.“

„Ladies.“ Sie fuhren herum, als sie die angenehme Stimme von Vollmers hörten. Der zweite Offizier nickte ihnen grüßend zu. „Kapitän Hansen lässt ausrichten, dass wir bald Segel setzen. Die Damen werden dann eine ruhigere Fahrt genießen können.“

Er spielte auf das Schütteln und Rütteln an, dass die Fahrt unter Dampf begleitete. Die Vibrationen der Dampfmaschine waren dabei gar nicht so maßgeblich. Es lag vielmehr an den seitlichen Schaufelrädern, die bei Wellengang unterschiedlich tief ins Wasser eintauchten.

Samantha lächelte den Schiffsoffizier an. „Ich habe gar nicht bemerkt, dass der Wind auffrischt.“

Der Deutsche wirkte ein wenig verlegen. „Da haben Sie recht, meine Dame. Aber die Klauenkupplung der Maschine läuft heiß und wir müssen ihr ein wenig Ruhe gönnen. Glücklicherweise können wir uns mit den Segeln behelfen.“ Er grinste breit. „Man hört ja immer wieder, dass die Zukunft den Dampfschiffen gehören soll, aber wenn die Maschine ausfällt… Nein, auf den Wind ist immer Verlass.“

„Außer bei Flaute“, hielt Zenora dagegen.

Vollmer verzichtete auf eine Erwiderung. „Wenn die Damen gestatten… Ich werde mich nun zurückziehen um das Setzen der Segel vorzubereiten.“

„Einen Moment, Mister Vollmer.“ Sam deutete zum Bug. „Wann werden wir unser Ziel erreichen?“

„Wir werden in ungefähr drei Tagen in Freetown an der Westküste von Afrika ankern, um Frischwasser und Kohle aufzunehmen. Das wird einen Tag in Anspruch nehmen oder auch zwei. Die Ladies werden sicher Gelegenheit haben, sich die Füße zu vertreten. Danach geht es dann über den Äquator, ums Kap der guten Hoffnung herum. Dann werden wir bald in Port Elizabeth sein. Dort finden Sie sicherlich ein Schiff, welches weiter nach Hongkong fährt.

„Herr Vollmer?“ Kapitän Hansen trat auf den Laufgang der Brücke und blickte herüber. Sein volltönender Bass überwand die Entfernung mühelos. „Lassen Sie „alle Mann“ pfeifen. Wir setzen die Segel.“

„Aye, Kapitän.“ Der zweite Offizier tippte an den Schirm seiner Mütze und eilte davon.

Samantha und Zenora zogen sich in Richtung auf das Heck zurück, denn nun wurde es auf dem Deck sehr lebhaft. Aus den beiden Niedergängen strömten Matrosen, eilten an die Brassen, mit denen die großen Rahen verstellt werden konnten, um den Wind optimal einzufangen, und an die Leinen, mit denen die Segel gespannt wurden. Andere enterten die Wanten an den Masten hinauf, um die Rahen zu erreichen. Mit den Füßen auf Leinen balancierend, beugten sie sich weit über die Querausleger der Masten, um das Lösen der hochgebundenen Segel vorzubereiten.

Die beiden jungen Frauen hörten, wie das Stampfen der Maschine leiser wurde. Die Schaufelräder drehten langsamer, wurden von der Antriebswelle ausgekuppelt und dann nur noch von der Strömung bewegt.

Kapitän Hansen trat erneut aus dem Brückenaufbau. Diesmal hielt er sein Sprachrohr. „Klar zum Segelsetzen!“

Eine Reihe von Kommandos folgte. Wie von Zauberhand entfalteten sich die großen Segel, flappten leicht und begannen sich dann mit Wind zu füllen. Wenig später standen sie wie pralle Brustpanzer vor den Masten und zogen die Lüneburg durch den Ozean.

Aus dem Heckaufbau mit den Kabinen trat Tyrone Kellford ans Deck. Den Gehstock in die Achsel geklemmt, klatschte er vernehmlich in die Hände, bevor er sich, nun auf den Stock gestützt, den Frauen näherte. „Ich hoffe, es gibt bald Dinner“, meinte er nach einem kurzen Gruß. „Seeluft macht mich immer hungrig.“

Tyrone trug eine sandfarbene Hose und einen eng anliegenden roten Rock, welcher dem der britischen Armee sehr ähnelte. Dazu einen ebenfalls sandfarbenen Tropenhelm. Gürtel und Schaftstiefel waren aus braunem Leder. Obwohl im Ruhestand, gehörte er aufgrund seiner Verdienste zur Reserve und nahm den Titularrang eines Majors in Anspruch. Niemand, der ihn kannte, hätte ihn daher jemals anders als mit „Major“ angesprochen.

„Wie geht es Ihren, äh, Jungs?“, fragte Zenora vorsichtig. „Denen scheint die Seeluft nicht so gut zu bekommen.“

„Sie sind ein wenig grün im Gesicht“, gab Tyrone widerwillig zu. „Aber sie werden sich noch an die Schaukelei gewöhnen. Meine Jungs sind zähe Burschen.“

Für Kellford war es selbstverständlich gewesen, seine sechs Gurkhas mit auf die Reise zu nehmen. Die kleinen braunhäutigen Burschen aus den nepalesischen Bergen waren ähnlich gekleidet wie der Major, trugen aber anstelle des Helms dunkelblaue Kepis. Diese waren flach, kreisrund und besaßen keinen vor der Sonne schützenden Schirm. Man nannte diese Kopfbedeckungen aufgrund ihrer merkwürdigen Form auch spöttisch „Pillendosen“.

Zenora waren Tyrone´s „Jungs“ noch immer unheimlich. Sie waren stets freundlich am lächeln, benahmen sich jedoch, als seien sie noch immer Soldaten der Royal Gurkha Rifles. Sie führten auf Schritt und Tritt ihre unheimlichen Kukris mit sich, die deutlich sichtbar in den Gürteln steckten. Das Kukri war eine furchteinflößende Waffe. Es besaß die Größe und ungefähre Form eines Bumerangs, war allerdings nicht so stark gekrümmt, sondern ab der Mitte abgewinkelt. Es war eine Klinge, mit der man stoßen, schlagen oder stechen konnte und mit der man, wie einer der Gurkhas grinsend gezeigt hatte, auch einen zielsicheren Wurf ausführen konnte.

Die sechs Begleiter des Majors waren wohl jedem an Bord nicht ganz geheuer. Dabei zeigten die Nepalesen eine wahrhaft kindliche Begeisterung für alles Neue und kommentierten jede Beobachtung mit dem, was Zenora abfällig als „Geschnatter“ bezeichnete.

Samantha sah dem Ziel der Reise mit großer Erwartung entgegen. Der Brief von Wyatt Duncan hatte ihre Hoffnungen neu entfacht. Samantha war froh, dass der Major und „seine Jungs“ die Reise mitmachten. In ihrer Begleitung fühlte sich die junge Lady sicher und war davon überzeugt, dass die Privattruppe von Tyrone wohl mit jeder Gefahr fertig würde.

„Es sind einfache und herzensgute Burschen“, hatte der Major den beiden Frauen erklärt. „Erstklassige Soldaten und Kämpfer, und treu bis in den Tod. Dabei überaus genügsam. Geben sie meinen Gurkhas ein Schälchen Reis und etwas Dahl zu essen, und gelegentlich ein paar Feinde zum abschlachten, und sie sind glücklich wie ein Wurm im Apfel.“ Sein Gesicht war dann ernst geworden. „Ladies, solange ich und meine Jungs bei euch sind, wird es niemand wagen, euch auch nur ein Haar zu krümmen.“

Kellford war lange Jahre in Indien stationiert gewesen und hatte von seinen Offizierskameraden wertvolle Informationen über China und Hongkong erhalten. Während Samantha die Reise plante, hatte sich der Major mit seinen Gurkhas beraten, um ein angemessenes „Reisegepäck“ zusammenzustellen. Die Mitglieder der neunköpfigen Gruppe besaßen Taschen und Reisekoffer für ihr Handgepäck, doch Tyrone Kellford setzte eher auf das, was in jener gut verschlossenen Kiste enthalten war, die im Laderaum der Lüneburg ruhte.

Das Kanonenboot

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