Читать книгу Das Kanonenboot - Michael Schenk - Страница 9

Kapitel 7Die Vereinigung der patriotischen Fäuste

Оглавление

Offiziell trug die große Dschunke den Namen Lúyú, doch unter ihrer Besatzung nannte man den „Meerdrachen“ das „Schiff ohne Hafen“. Die Dschunke war als Handelsschiff im Kaiserreich von China registriert, vermied die großen Handelshäfen aber aus gutem Grund und legte nur an wenigen abgelegenen Inseln an. Kleine unauffällige Dschunken oder andere Schiffe erledigten den Transport von Nachschubgütern oder Menschen. Der Meerdrache wollte keine Aufmerksamkeit erregen und dies aus zwei Gründen: Er unterschied sich bei näherem Hinsehen zu sehr von anderen chinesischen Wasserfahrzeugen und seine Mission war es, China und der Qing-Dynastie endlich Geltung auf den Weltmeeren zu verschaffen. Doch noch war es nicht so weit und so mied der Meerdrache die Nähe der Schifffahrtslinien und hielt sich im Verborgenen.

Mit ihren fast neunzig Metern Länge und fünfundzwanzig Metern Breite war die Dschunke ungewöhnlich groß, wenn auch bei Weitem nicht die Größte, die jemals erbaut worden war. Dabei war ihr Boden flach gebaut, wies keinen Kiel auf und sorgte für einen überraschend geringen Tiefgang, so dass der Meerdrache auch in flachen Gewässern operieren konnte.

Neben den drei typischen Masten und Segeln verfügte die Dschunke über einen Dampfantrieb und ein hochmodernen Propellerantrieb unter dem ausladenden Heck. Es war geplant, ihren Rumpf noch nachträglich zu panzern. In ihrem Kanonendeck standen altmodische Vorderladerkanonen, aber in dem Deckaufbau mittschiffs verbargen sich moderne europäische Hinterladergeschütze.

Wong-Li war der Großkapitän und ebenso stolz auf sein Schiff, wie der Rest der Besatzung. Der schlanke und ungewöhnlich hochgewachsene Chinese trug ein schlichtes blaues Gewand. Niemand sah ihm an, dass er ein Admiral des Kaisers war und in dessen geheimem Auftrag handelte. Nein, hier, an Bord seines Schiffes, war Wong-Li der Großkapitän der „Vereinigung der patriotischen Fäuste zur Befreiung des Jademeeres“. Ihm unterstand nicht nur der Meerdrache, sondern auch eine Gruppe kleinerer Dschunken und anderer Schiffe. Die meisten Besatzungen gehörten nicht zu den Patrioten, sondern bestanden aus gewöhnlichen Piraten, die mit ihren Schiffen das chinesische Meer als unsicher machten oder in den Häfen spionierten.

Wong-Li schätzte die gewöhnlichen Piraten nicht. Aber er war kaiserlicher Offizier und musste tun, was die Mission von ihm verlangte. Immerhin waren die Seeräuber recht nützlich, da sie ihm wertvolle Informationen beschafften und sich deren Schiffe, als harmlose Händler getarnt, unerkannt und frei bewegen konnten. Wong-Li hatte den ihm unterstellten Kapitänen bei Todesstrafe klar gemacht, dass sie nur dort zuschlagen durften, wo keine Zeugen zurückblieben.

Chang-Chi, der Waffenmeister der Meerdrache, kam gerade vom Bug zurück und machte eine knappe Ehrenbezeugung vor seinem Kapitän. „Kleine Dschunke über dem Backbordbug voraus. Sie hat das Erkennungszeichen gesetzt.“

„Gut. Dann werden wir bald erfahren, wie es in Hongkong läuft“, meinte Wong-Li zufrieden.

Er trat näher an den Handlauf und sah nachdenklich über das Meer.

Es war eine Sternenklare Nacht. Vollmond und keine Wolke am Himmel. Man konnte weit über die ruhige See blicken. Am Horizont waren die Konturen einer der zahlreichen Inseln zu sehen. Unter dem Kapitän spritzte Wasser. Mehrere große Fische folgten dem Schiff und sprangen über die Wellen. Wong-Li lächelte sanft. Er liebte das Meer und seine Weite.

Viel zu lange hatte sich der Kaiser nicht um die Flotte gekümmert. Das hatte sich gerächt, denn in den Opiumkriegen war die chinesische Kriegsflotte vernichtend geschlagen worden. China hatte seine Häfen für den Handel öffnen müssen. Großbritannien, Frankreich, Russland und die U.S.A. erzwangen eine Politik der offenen Tür. Der Schaden für China war verheerend. Es gab Massenarmut und große Teile der Volkswirtschaft waren zusammengebrochen. Die fremden Teufel waren nicht einmal davor zurückgeschreckt, den Sommerpalast des Kaisers zu verwüsten und kostbare Kulturgüter zu rauben. Zusätzlich verlangten die Fremden, dass China ihnen auch noch Entschädigung für den Krieg leistete, denn sie selbst verschuldet hatten.

Ja, es gab gute Gründe, warum man die Fremden in China hasste und sie als fremde Teufel bezeichnete. Doch es war ein Hass, der im Verborgenen blühte, denn die Ausländer waren mächtig. Zu mächtig. Ihre Panzerschiffe beherrschten die Meere und China musste erst erstarken, wenn es die Fremden wieder vertreiben wollte. Wong-Li war stolz darauf, ein Teil der Zukunft des Kaiserreiches zu sein.

„Vorsicht! Bringt die Bambusbündel aus!“, ertönte die Stimme von Wu-Baihu. Der Erste Offizier beugte sich über den Handlauf und beaufsichtigte jene Männer, welche Bündel aus zusammengebundenem Bambus an der Seite des Schiffes herabließen. Sie sollten verhindern, dass die Rümpfe der Schiffe zu hart aneinander stießen. Zwar hätte die Kriegsdschunke keinen Schaden genommen, doch das galt nicht für die kleinere, deren Seite ungeschützt war.

„Ehrenwache?“, fragte der Waffenmeister.

Wong-Li überlegte kurz. „Unser Gast operiert zwar im Geheimen, ist aber ein kaiserlicher Beamter. Ja, lass die Ehrenwache aufziehen.“

Die herbeieilenden Männer trugen keine kaiserlichen Uniformen, aber einheitliche Kleidung. Man sah ihnen die Soldaten an, als sie sich bereitmachten, den Gast mit den gebührenden Ehren zu empfangen.

„Er hat einen guten Kapitän“, meinte Wu-Baihu, als es nicht einmal einen Stoß gab, als die kleine Dschunke anlegte.

Leinen flogen über den Handlauf und wurden festgemacht. Eine Strickleiter sank hinab und im Handlauf wurde jenes Stück zur Seite geklappt, durch das der Gast an Bord kommen würde. Ein Kommando ertönte, die Soldaten präsentierten ihre modernen Gewehre, dann stieg der Ankömmling an Bord.

Wong-Li begrüßte ihn mit Herzlichkeit. „Yang-Tian, es ist eine Freude, dich an Bord zu wissen. Wir haben eine kleine Erfrischung vorbereitet und sind neugierig, was du aus Hongkong zu berichten hast.“

Der Händler nickte lächelnd. „Eine Erfrischung käme mir recht, ehrenwerter Wong-Li. Ich war jetzt eine gute Woche auf See, um dein Schiff zu erreichen. Keine Sorge, mein Verschwinden wird keine Aufmerksamkeit erregen. Ich bin ja immer wieder zu den Inseln unterwegs, um neue Handelsbeziehungen zu knüpfen.“

„Sind dir unterwegs Schiffe der Fremden begegnet?“

„Eine ihrer Segelfregatten, doch das war vor vier Tagen. Das ist ein wenig beunruhigend. In diesen Gewässern lassen sich die Teufel sonst kaum blicken.“

Der Großkapitän lachte. „Stillschweigen und Schatten sind derzeit der beste Schutz für uns.“ Er machte eine einladende Geste. „Wenn du mir nun die Ehre erweist, mir zu folgen?“

Waffenmeister und Erster Offizier schlossen sich den beiden an, welche den großen Heckaufbau betraten und die Kajüte des Großkapitäns aufsuchten. Der niedrige Tisch war gedeckt und zeigte, dass man an Bord des Meerdrachens keinen Mangel litt.

Wong-Li wartete ab, bis die Schälchen mit Branntwein gefüllt waren.

Yang-Tian runzelte anerkennend die Stirn. „Maotai?“

Wong-Li verneigte sich lächelnd. „Ja. Zwar werden im Jahr nur rund 170 Tonnen davon hergestellt, aber der kaiserliche Hof war so freundlich, mir ein paar Krüge zu übersenden.“

„Das zeugt von hoher Wertschätzung.“ Der Händler hob seine Schale. „Auf den Kaiser.“

„Auf den Kaiser und die Befreiung des Jademeeres.“

Sie leerten ihre Schalen und ein Bediensteter füllte rasch nach.

Obwohl Wong-Li seine Neugierde kaum zügeln konnte, plauderten sie erst eine Weile über Belanglosigkeiten und sprachen der Mahlzeit zu. Doch schließlich legte der Großkapitän seine Stäbchen zur Seite. „Verzeih meine Ungeduld, ehrenwerter Yang-Tian, doch was ist der Grund deines Besuches? Gibt es Probleme in Hongkong?“

„Keine Sorge, verehrter Wong-Li, ich kann deine Wissbegierde sehr wohl verstehen. Es ist nicht leicht, Wochen auf hoher See zu verbringen, ohne Nachricht, was sich ereignet.“ Der Händler nahm einen Schluck aus seiner Schale. „Nun, ich hatte einen verschlüsselten Bericht an unseren Verbindungsmann geschickt und nun endlich eine Antwort erhalten. Dabei geht es um den englischen Lord.“

„Aber die Ausländer glauben dir doch, dass er ertrunken ist, nicht wahr?“

„Diesbezüglich sei ohne Sorge. Dieser Lord Fenshaw gilt als tot.“

„Wahrscheinlich ist er es auch“, meinte der Großkapitän. „Er ist nun immerhin seit vielen Monaten auf der Insel.“

„Man ist der Meinung, dieser englische Adlige könnte für uns von Nutzen sein.“ Yang-Tian lächelte sanft. „Als Mann von Bedeutung könnte er als Druckmittel geeignet sein.“

„Das ist wahr.“ Wong-Li seufzte. „Ich hätte das bedenken müssen.“

„Gibt es Neuigkeiten vom eisernen Fisch?“

Der Großkapitän schüttelte bedauernd den Kopf. „Seine Spur verlor sich in der Nähe der Hörnerinsel. Alle Suche war bislang vergebens. Ich fürchte fast, er ist verloren und wird nie wieder auftauchen.“

„Er wäre ein mächtiger Verbündeter“, meinte Yang-Tian. „Ich bin mir sicher, dass er sich nur versteckt. Du weißt, er ist ein schlechter Schwimmer. Er muss irgendwo in der Nähe der Insel sein. Willst du die Suche wirklich aufgeben?“

„Natürlich nicht“, knurrte Wong-Li. „Sein Fang wäre viel zu wertvoll für uns.“

„Dann sende nochmals ein Schiff zur Hörnerinsel. Es soll nach dem eisernen Fisch und nach diesem englischen Teufel suchen.“

Wu-Baihu räusperte sich. „Ich denke an die Segelfregatte der Fremden, die der verehrte Yang-Tian vor vier Tagen beobachtete. So weit entfernt von den üblichen Handelsrouten streifen sie normalerweise nicht über das Meer.“

„Du meinst, sie suchen nach dem Lord? Nein, nein, den halten sie für tot“, wehrte der Händler ab.

„Ich kenne die Überzeugungskraft deiner Worte, verehrter Yang-Tian, und bin mir sicher, dass die Fremden ihnen glauben und den Lord für tot halten“, versicherte der Erste Offizier und verneigte sich leicht vor dem Händler. „Nein, ich vermute eher, dass die Fremden misstrauisch geworden sind, weil unsere Schiffe so eifrig nach dem eisernen Fisch suchen. Man wird sie auf vielen Inseln gesichtet haben und hat den fremden Teufeln vielleicht von ihnen erzählt.“

„Fischer sind geschwätzige Leute“, knurrte Wong-Li verdrießlich.

„Keine Patrioten“, stimmte Yang-Tian zu.

„Sie wollen und müssen überleben“, wandte Wu-Baihu ein.

Wong-Li sah ihn verständnisvoll an. „Ja, ich weiß. Dein Schwager ist Fischer.“

Yang-Tian ließ seine Schale nachfüllen. „Ich besitze unter anderem auch einen kleinen französischen Schoner, die Eclipse, mit dem ich Handel zwischen den Inseln treibe. Man könnte ihn benutzen, um die Suche fortzusetzen.“

„Auch ein Schiff in der Bauweise der Geisterhäutigen würde auffallen.“

„Ja, das ist wohl wahr“, räumte der Händler lächelnd ein. „Aber die Wenigsten würden vermuten, dass sich Chinesen an Bord eines solchen Schiffes befinden. Man würde glauben, dass es ein Händler der Fremden ist oder einer ihrer Wissbegierigen, die sich überall herumtreiben.“

„Oder sogar einer ihrer schrecklichen Missionare.“

Sie lachten und erhoben ihre Schalen.

„Gut, verehrter Yang-Tian, es wäre hilfreich, wenn du mir den Schoner schicken würdest. Ich entsende ihn dann zur Hörnerinsel.“

Der Händler beugte sich vor und sah den Großkapitän eindringlich an. „Wir brauchen den eisernen Fisch, verehrter Wong-Li. Dieser Lord wäre nicht mehr, als eine nette Zugabe.“

„Ich werde beides finden“, versicherte der Angesprochene.

Das Kanonenboot

Подняться наверх