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Die Ausgangslage: Fernhandel im „Dunklen Zeitalter“

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Als der Piräus boomte, hatten Güteraustausch und Seehandel für die Athener – und bei Weitem nicht nur für sie – eine Bedeutung erlangt, die bis dato keine historische Parallele kannte. Eine ganze Stadt hing davon ab, übers Meer mit Getreide versorgt zu werden, das in weit entfernten Regionen angebaut wurde. Das Mittelmeer war zwar noch weit davon entfernt, ein integrierter Wirtschaftsraum zu sein, aber Vernetzung und Fernhandel hatten die diversen Teile erstaunlich dicht zusammenrücken lassen – eine Art erste Globalisierungswelle war über die mediterrane Welt geschwappt.

700 Jahre zuvor, zu Beginn des sogenannten „Dunklen Zeitalters“, um 1200 v. Chr., hatte diese Welt ganz anders ausgesehen. Gerade erst waren ganze Zivilisationen zusammengebrochen: die Reiche der Spätbronzezeit. Die Palastzentren, von denen aus diese Reiche regiert worden waren und die zwischen Mykene und Mesopotamien die politische und ökonomische Landschaft beherrscht hatten – verschwunden; das mächtige Hethiterreich – kollabiert, seine Erbmasse unter einer Reihe von Nachfolgestaaten aufgeteilt; Ägypten – so geschwächt und mit sich selbst beschäftigt, dass es in Übersee kein Gewicht mehr besaß; der transmediterrane Fernhandel – praktisch zum Erliegen gekommen. Der Mittelmeerraum um und nach 1200 v. Chr. war unübersichtlich geworden: In Griechenland, Kleinasien und weiten Teilen der Levante hielten Stammesgruppen das Heft in der Hand, einst blühende Städte lagen in Trümmern und fruchtbares Ackerland war zum Weidegrund für die Herden der Nomaden geworden. Die in der bornzezeitlichen Ägäis verbreitete Schrift Linear-B war in Vergessenheit geraten, technologisches Wissens verschwunden. Händler hatten es in der neuen Welt der Eisenzeit nicht leicht.

Doch wo Schatten ist, ist auch Licht. Entlang der levantinischen Küste, in Phönizien und im dem Mittelmeer zugewandten Teil Palästinas, im Bereich der „Pentapolis“ der Philister, blieben die Städte unzerstört oder wurden rasch wieder aufgebaut, oft größer und prächtiger als zuvor. Während im von den Stämmen Israels in Besitz genommenen Hinterland Palästinas und dem von aramäischsprachigen Stämmen besiedelten Innersyrien die Städte großflächig einer Welt der Dörfer und Hirtennomaden gewichen waren, war die Küste, allen Umbrüchen zum Trotz, nach wie vor urban geprägt. Auf niederem Niveau zirkulierten auch weiter Güter im Raum zwischen Ägäis und Levante. Menschen aus Griechenland siedelten um 1100 v. Chr. an der Küste Kleinasiens und hielten den Kontakt zum griechischen Mutterland. Griechische Keramik aus dem 10. Jahrhundert v. Chr. fand sich im phönizischen Tyros und vor allem in den frühesten Schichten der Siedlung Al Mina an der Orontes-Mündung im nördlichen Syrien.

Die Tonwaren stammten überwiegend aus Euboia, einer dem griechischen Festland östlich vorgelagerten großen Insel, deren Bewohner früh die Initiative im Seehandel ergriffen. Keramik ist für Archäologen eine Quelle von einzigartiger Aussagekraft, weil sie verbreitet und langlebig ist. Vor allem lassen sich Entstehungszeit und -ort relativ genau bestimmen. Scherben haben das Potenzial, Kontakte zwischen weit entfernten Orten zu dokumentieren, sie lassen obendrein in begrenztem Umfang Aussagen über Intensität und Regelhaftigkeit des Austauschs zu, aber über dessen genaue Modalitäten bleiben sie stumm: Welche Routen die Gefäße nahmen, wer sie transportierte, ob sie direkt oder über vielleicht mehrere Zwischenstationen aus Euboia in die Levante gelangten – all das bleibt im Dunkeln bzw. der spekulativen Imaginationsgabe von Archäologen und Historikern überlassen.

Viel spricht in diesem Fall dafür, dass Zwischenhändler am Warenverkehr beteiligt waren. Die Keramik aus Euboia war gemischt mit Waren anderer Herkunft: Gefäßen aus Attika, Samos, Rhodos bzw. der Nordägäis – allesamt mögliche Zwischenstationen auf dem Weg nach Osten. Zu Anbruch des „Dunklen Zeitalters“ war vor allem Kreta nach Übersee hin orientiert und exportierte seine Keramik auf die benachbarten Inseln der Dodekanes und bis nach Zypern. Später klinkte sich vor allem Zypern in den Handel mit der Levante einer-, den Kykladen, Dodekanes, Kreta und dem griechischen Festland andererseits ein.

Der ostmediterrane Fernhandel kam daher nach der umfassenden Krise um 1200 v. Chr. nicht zum Erliegen, sondern suchte sich lediglich neue Bahnen. Statt auf direktem Weg zwischen großen Palastzentren zirkulierten Güter nun über lokale und regionale Netzwerke, die miteinander verzahnt waren. So konnten Gegenstände – über Zwischenstationen – durchaus auch weite Wege zurücklegen. Das Volumen des Handels und die Qualität der gehandelten Güter waren wohl anfangs rückläufig, stabilisierten sich aber seit dem 10. Jahrhundert v. Chr. Auch Italien blieb locker mit der ostmediterranen Welt verbunden: Auf dem apulischen Vorgebirge Scoglio del Tonno bei Tarent lagerten Importwaren aus der Ägäis, deren Chronologie bruchlos vom 18. bis zum 11. Jahrhundert v. Chr. reicht. Vermutlich diente der Ort in der Bronze- und noch in der frühen Eisenzeit als Relaisstation zwischen Griechenland und Süd- bzw. Mittelitalien.


Mit der mykenischen Welt hatten vor 1200 v. Chr. auch andere Teile Italiens in Verbindung gestanden, namentlich Sizilien, die Äolischen Inseln und der Golf von Neapel. Vielleicht waren die bronzezeitlichen Kontakte Initialzündung für soziale Umwälzungen auf der Apenninen-Halbinsel, die in die Entstehung größerer ethnischer Verbände mündeten. In ihnen wiederum schälten sich allmählich Eliten heraus, die Importgüter nachzufragen begannen. So gab es auch in Italien lokale und regionale Handelsnetze, die vermutlich Verbindungen reaktivierten, die bereits in der Bronzezeit bestanden. Funde aus Nordetrurien weisen etwa nach Sardinien. In Populonia, unweit des heutigen Livorno, wurde seit dem 9. Jahrhundert Eisenerz von der nahen Insel Elba verhüttet. Roheisen und Eisenprodukte nahmen von hier ihren Weg in andere Teile Italiens.

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