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11 Der juwelenbesetzte Dolch

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Die offenstehende einfache Brettertür führte direkt ins Hinterzimmer, eine Küche mit rostlöchrigem Holzofen, einem hölzernen Schemel und einem braungestrichenen Stuhl. Unter einem unverhängten Fenster mit vier gesprungenen Scheiben befand sich die Spüle. Daneben, auf einem wackligen Abtropfbrett, lag eine eiserne Handpumpe. Sidney Grice klopfte mit seinem Stock den Boden und die Wände ab, dann lehnte er sich zurück, um die Decke zu begutachten.

Die Hintertür führte hinaus auf einen kleinen gepflasterten Hof mit einem Abort zur Rechten. Er warf einen Blick hinein, marschierte dann aber zu einem hohen robusten Holztor hinten links. Der Boden war übersät mit geborstenen Dachziegeln und alten Nägeln.

»Das hier war schon lange nicht mehr verschlossen. Der Riegel ist völlig verrostet.« Er beäugte seine Finger. »Und voller Blut.« Dann zog er das Tor auf. »Und auf dem äußeren Griff auch welches. Schöne Bescherung. Da muss wohl irgendwo eine Leitung geborsten sein.« Er rieb sich die Finger am Handtuch aus seinem Ranzen und ließ es dann heraushängen.

Die Gasse, auf die wir blickten, war eine einzige Kloake, überspült von einem sich träge dahinwälzenden Strom zähflüssigen Abwassers, gespickt mit Unrat. Rasch hielt ich mir ein Taschentuch über Mund und Nase und sah, wie mein Vormund dasselbe tat, während er sich, mit einer Hand am Torpfosten, hinauslehnte. Dann hangelte er sich wieder zurück. »Und was sagt uns das alles? Angenommen, der Mörder wäre durch das Tor herein und durch den Hof ins Haus gelangt. Sehen Sie diese Flecken hier? Etwas schemenhaft, aber offenbar matschige Fußspuren und deutlich genug, um die Spitze von der Ferse zu unterscheiden.« Wir folgten den Spuren zur Hintertür. »Jedoch keine Abdrücke, die wieder zurück oder ins Haus führen. Die Küche ist der einzige Raum mit sauberem Fußboden. Wie lässt sich das erklären?«

»Der Mörder könnte seine Stiefel ausgezogen haben, um William Ashby nicht aufzuwecken«, mutmaßte ich.

»Aber wo hat er sie abgestellt?«, fragte Sidney Grice. »Ich habe keinen Matsch im Haus gesehen, und es ist schließlich mein Beruf, alles zu sehen.«

»Vielleicht hat er sie auf ein Blatt Papier gestellt und es dann ins Feuer geworfen.«

»Vielleicht hat er das.« Sidney Grice blickte skeptisch. »Was bedeuten würde, dass William Ashby friedlich auf einem dieser beiden Stühle schläft, während der Mörder einen Meter entfernt bei weit geöffneter Tür auf der Schwelle steht und seine Stiefel aufschnürt. Außerdem war es am Montagabend recht stürmisch, wenn ich mich recht entsinne. Dann geht er in die Wohnstube, wo er der unglückseligen Mrs Ashby begegnet, stellt seine Stiefel auf ein Blatt Papier und sticht vierzig Mal auf sie ein.« Wir gingen zurück in die Stube. Das Blut schimmerte matt im durch die Hintertür einfallenden Licht. »Niemand würde erwarten, eine Frau niedermetzeln zu können, ohne dass sie auch nur einen Laut von sich gibt. Also muss er zuerst die Tür geschlossen haben … Wenn Sie das nun bitte tun würden, March?«

Die Angeln quietschten durchdringend, als ich am gusseisernen Griff zerrte, und der Rahmen war derart verzogen, dass sie sich nicht vollständig schließen ließ. Als sie oben gegen den Türsturz stieß, stand sie noch immer rund fünfzehn Zentimeter weit offen.

»Der Fall wird jede Minute kurioser.« Auch Sidney Grice zog und zerrte, aber die Tür wollte nicht zugehen. »Dann entfacht er ein Feuer, wirft den Ehering hinein, pulverisiert die Asche und verlässt die Wohnung durch den Laden – und jetzt, erst jetzt, erwacht William und geht dem Geräusch nach.«

Wir traten wieder in den Laden, und Sidney Grice öffnete die Glasvitrine hinter dem Tresen. Sorgfältig auf Messingschrauben gehängt, befanden sich dort Schneidewerkzeuge aller Art, von elfenbeinbesetzten Taschenmessern bis hin zu furchteinflößenden Macheten.

»Schau einer an.« Er wischte sich eine Fliege aus dem Gesicht. »Mit diesem Beil könnte man einen Ochsen erlegen. Aber das hier erscheint mir interessanter.«

Mein Vormund wies auf einen orientalisch anmutenden Dolch mit geschwungenem Knauf und besetzt mit Edelsteinimitaten aus rotem und grünem Glas. Die Klinge war kaum länger als fünfzehn Zentimeter, verjüngte sich aber zu einer tödlich feinen Spitze. Die Schneide war wellenförmig.

»Das kann doch unmöglich die Tatwaffe sein.«

»Wo ließe sich ein Grashalm besser verstecken als in einem Heuhaufen?« Er holte sein Taschentuch hervor, nahm das Messer damit heraus und begutachtete es. »Falls es sich tatsächlich um die Mordwaffe handelt, ist sie gut gereinigt worden, aber wir sollten uns das später genauer ansehen.« Er wickelte das Messer in das Taschentuch und ließ es in seinem Ranzen verschwinden.

»Wie Sie bereits eindrücklich bewiesen haben, ist Ihr Gehör nicht das beste. Wenn Sie so gütig wären, sich drüben in die Küche zu setzen und auf Ihrem Weg beide Wohnungstüren so weit es geht zu schließen, könnten wir ein kleines Experiment durchführen. Rühren Sie sich nicht von der Stelle, aber machen Sie sich bemerkbar, wenn Sie auch nur das leiseste Geräusch vernehmen – ganz gleich, wie nebensächlich es Ihnen scheinen mag. Glauben Sie, Sie schaffen das?«

»Ich kann’s versuchen.«

Ich ging durch die Stube zurück, den Blick wie gebannt auf den blutgetränkten Teppich gerichtet, wo Sarah Ashby ihr Leben ausgehaucht haben musste. Wieder in der Küche, setzte ich mich auf den Stuhl neben den Herd und versuchte nicht daran zu denken, wie die Klinge in ihre Brust und bis zu ihrem berstenden Herzen gedrungen und dann wieder und wieder in ihren Körper gerammt worden war, wie sie ihren weißen Hals und ihre zarte Wange aufgeschlitzt hatte.

»Ich höre den Verkehr«, rief ich, »Kutschräder und die Pferdehufe auf der Hauptstraße, würde ich meinen, und ein Hund bellt, ein kleiner Kläffer … eine Kirchenuhr … die zur Viertelstunde schlägt … jemand brüllt etwas, zwei Leute, Frauen, aber ich kann nicht verstehen, was sie sagen. Die Ladenglocke … eine Taube gurrt. Immer noch Verkehr, jetzt aber etwas gedämpfter … knarrende Dielen … Rascheln.«

Jaulend schwang die Tür zum Wohnzimmer auf, und Sidney Grice kam auf Zehenspitzen hereingeschlichen.

»Ich konnte völlig geräuschlos aus der Vordertür gelangen«, erklärte er und ließ seine Fersen wieder zu Boden sinken, »indem ich meine Hand an die Glocke gelegt habe. Warum hat es der Mörder nicht ebenso gemacht? Hineinzugehen, ohne dass sie schellt, scheint indes so gut wie unmöglich. War das gut zu vernehmen?«

»Ja, sehr gut sogar.«

»Und obgleich ich durchs Wohnzimmer geschlichen bin, haben Sie etwas gehört.«

»Ja, aber hätte ich geschlafen …«

»Denken Sie an all die Dinge, die sich dort abgespielt haben müssen.« Er klopfte an die Wand hinter dem Bett.

»Wieso klopfen Sie hier andauernd alles ab?«

»Dieser Laden ist offenkundig Teil eines größeren Gebäudes. Solche Bauten werden nicht selten durch provisorische Wände oder Zwischendecken unterteilt, aber die hier sind massiv, und es existieren auch keinerlei Falltüren oder Geheimgänge. Folglich gibt es nur zwei Wege, um hier herein oder hinaus zu gelangen. Und beide kennen wir schon.« Sidney Grice blies die Wangen auf. »Kommen Sie, March. Gehen wir auf die Straße.«

Mord in der Mangle Street

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