Читать книгу Mit Herz und Recht - Natalie Weckwarth - Страница 9

§ 5

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„Was erwartet er denn von mir? Dass ich winselnd den Schwanz einziehe, wenn er solche Reden schwingt? Oder sollte das eine versteckte Drohung sein, dass sein Onkel mich rauswirft, wenn ich nicht kusche? Weißt du, erst redet er andauernd von Kollegialität, und dann lässt er den großen Chef heraushängen. Das ist doch total inkonsequent!“ Aufgebracht fuchtele ich mit meinem Messer in der Luft herum.

Ben und ich sitzen in unserem Lieblingsrestaurant, wo man donnerstags alle Pizzen für einen Spottpreis bekommt. Mindestens einmal pro Monat nutzen wir dieses unwiderstehliche Angebot aus, und heute kommt es mir besonders gelegen. Frust lässt sich ja bekanntlich am besten mit Essen kompensieren. Bis jetzt hat mein bester Freund meinen Litaneien über Felix Süßkind geduldig gelauscht. Nun wirkt er leicht genervt.

„Kennst du eigentlich auch noch ein anderes Gesprächsthema?“

„Was?“

Seufzend legt er sein Besteck nieder. Natürlich ist er mit seiner Riesenpizza längst fertig, wogegen ich von meiner kleinen nicht einmal die Hälfte geschafft habe. Könnte daran liegen, dass ich vor lauter Reden kaum zum Essen gekommen bin.

„Seit er bei euch angefangen hat, redest du ständig von ihm. Stehst du auf den, oder was?“

Fast rutscht mir das Stück Artischocke, das ich mir gerade in den Mund geschoben habe, in den falschen Hals. Hastig kaue ich und schlucke es herunter. „Bist du bescheuert?“, fauche ich. „Hast du mir überhaupt zugehört??“

„Schon. Aber so leidenschaftlich, wie du dich über ihn aufregst, könnte man meinen, du wärst scharf auf ihn.“

„Ja. Scharf darauf, ihm den Hals umzudrehen. Abgesehen davon bin ich mit Männern durch. Weißt du doch.“

Ben schüttelt resigniert den Kopf. „Das werde ich nie verstehen. Wir sind nicht alle fiese, von niederen Trieben gesteuerte, betrügerische Herzensbrecher, weißt du?“

„Ach, nicht?“, frage ich nur halb im Scherz. Meiner Erfahrung nach sind Männer nämlich genau das. Nicht nur in der Kanzlei begegne ich beinahe täglich verlassenen, betrogenen und hintergangen Ehefrauen. Meine eigene Vergangenheit hat mich auch nicht gerade eines Besseren belehrt. Zugegeben, ich war in meinem Leben nicht mit vielen Männern zusammen. Aber die wenigen, mit denen ich es versucht habe, haben mir den endgültigen Beweis erbracht, dass es nichts außer Verderben bringt, sich auf das andere Geschlecht einzulassen.

„Mich magst du doch auch“, wendet er ein. „Oder ist das nur vorgetäuscht, damit du dich regelmäßig von mir bekochen lassen kannst?“

„Verdammt, du hast mich durchschaut“, spaße ich. „Nein, Quatsch. Bei dir ist es was anderes. Du bist wie ein Bruder für mich.“

Er zieht eine Grimasse. „Autsch.“

„Komm schon“, lache ich. „Du willst doch nichts von mir.“

„Stimmt. Außer das Eine“, grinst er.

„Da hast du's. Ihr seid alle gleich!“

„In der Hinsicht könntest du recht haben.“

Ich rolle mit den Augen.

„Im Ernst, ich begreife nicht, wie du das aushältst“, meint er. „Fehlt dir der Sex denn nicht?“

„Nicht wirklich. Außerdem braucht man nicht unbedingt einen Partner dazu“, sage ich. Dummerweise laufe ich dabei rosa an, was mich wohl eher wie ein pubertierendes Mädchen als eine selbstbewusste, erwachsene Frau wirken lässt.

Ben grinst breit. „Du bist gar nicht so prüde, wie man denken könnte, mein Herz.“

„Ich bin kein bisschen prüde“, stelle ich klar. „Können wir jetzt das Thema wechseln?“

„Gern. Interessiert es dich zur Abwechslung mal, was es in meinem Leben so Neues gibt?“

Reumütig verziehe ich das Gesicht. Mich beschleicht das dumme Gefühl, mich in letzter Zeit tatsächlich ein wenig zu oft in den Mittelpunkt gedrängt zu haben. Luna hat meine dauernden Nörgeleien über den Ärger in der Kanzlei schließlich auch schon moniert. Zum ersten Mal frage ich mich, ob ich mich vielleicht wirklich in etwas verrannt habe.

„Ich bin eine schreckliche Freundin, oder?“, frage ich zerknirscht.

„Schrecklich ist untertrieben“, zieht er mich auf.

„Tut mir leid! Los, erzähl! Hast du die Frau fürs Leben gefunden?“

„Nee, schön wär's“, lacht er. „Aber ich hab was anderes gefunden. Das ist mindestens genauso gut.“

„Jaaa?“, dränge ich, als er absichtlich eine bedeutungschwangere Pause einlegt. Dann kann er sich nicht länger zurückhalten und beginnt zu strahlen.

„Ich habe ein passendes Ladenlokal aufgetrieben! Für das Restaurant. Wenn alles gutgeht, kann ich nächste Woche den Mietvertrag unterschreiben.“

„Ist das dein Ernst?“, kreische ich begeistert. Das Pärchen an unserem Nebentisch dreht neugierig die Köpfe zu uns. Schnell halte ich mir die Hand vor den Mund, um mein hysterisches Kichern zu dämpfen. „Wieso hast du das nicht früher erzählt?“

„Du hast mich ja nicht zu Wort kommen lassen.“

„Ben, ich freue mich so für dich! Du hast es wirklich geschafft.“

„Noch ist nichts in trockenen Tüchern“, drosselt er meine Euphorie. Dabei kann er selbst nur schwer seine freudige Erregung verbergen. „Auch wenn es klappt, kommt ein Haufen Arbeit auf mich zu. Ich muss renovieren, Mitarbeiter finden, mich um die Ausschankgenehmigung und den Gewerbeschein kümmern und all das …“ Ein wenig verlegen zuckt er mit der Schulter. „Ehrlich gesagt, habe ich ganz schön Schiss.“

„Das ist doch ganz normal. Wer hätte das nicht bei so einem großen Schritt? Du schaffst das schon, da bin ich mir ganz sicher. Und wenn du juristische Hilfe brauchst, ich habe zufällig ganz gute Kontakte in die Branche“, zwinkere ich.

„Danke. Darauf werde ich vielleicht zurückkommen.“

„Kein Problem. Hast du denn schon gekündigt?“

„Nein, das wäre zu früh. Aber glaub mir, ich werde langsam verrückt in dem Laden. Soll ich dir erzählen, wie wir das Gulasch gestern zubereitet haben?“

„Lieber nicht.“

„Du willst es auch gar nicht wissen“, sagt er grimmig. „Was die da machen, ist kein Kochen. Das ist Vergewaltigung von Lebensmitteln!“

„Bald hast du es hinter dir“, tröste ich.

„Hoffentlich.“

„Ich glaube an dich“, lächele ich ihn an, und wie er mich so ansieht, mit seinen warmen, braunen Augen, habe ich einen Augenblick lang das irrwitzige Bedürfnis, meine Hand auf seine Wange zu legen und die kleinen Sorgenfalten auf seiner Stirn mit dem Daumen glattzustreichen. Erschrocken von meinen Gedanken zucke ich leicht zusammen und merke, wie meine Wangen heiß werden.

„Was ist?“, fragt Ben, dem meine merkwürdige Reaktion nicht entgangen ist.

„Nichts“, sage ich schnell „Wollen wir was zum Anstoßen bestellen?“

„Ich weiß nicht. Bringt das nicht Unglück? Lass uns lieber damit warten, bis alles sicher ist.“

„Du hast ja recht. Dann trinken wir einfach so“, schlage ich vor. „Auf die Freundschaft.“

„Gut“, lacht er. „Warum nicht?“

Zufrieden nicke ich, winke die Kellnerin herbei und bestelle uns einen Rotwein.

Eine gute Stunde und zwei Gläser Wein für jeden von uns später schlendern wir aus dem Lokal auf die Straße. Zum Glück ist es bis zu mir nicht weit, sodass ich bequem zu Fuß gehen kann. Mit dem Auto zu fahren wäre ohnehin nicht mehr möglich gewesen, denn der Wein ist mir ganz schön zu Kopf gestiegen. Alkohol bin ich einfach nicht gewohnt. Ben besteht darauf, mich nach Hause zu bringen, weil er mich bei Dunkelheit ungern allein durch die Straßen ziehen lässt. Ich nehme sein Angebot an und freue mich, ein wenig mehr Zeit mit ihm verbringen zu können.

„Das war ein richtig schöner Abend mit dir“, sage ich mit einem wohligen Seufzen.

„Oh, das letzte Glas ist dir aber gar nicht bekommen, was?“, neckt er mich. „Du bist doch sonst nicht so rührselig.“

„Wieso rührselig? Darf man seinem besten Freund nicht sagen, dass man die Zeit mit ihm genossen hat?“

Vergnügt blinzelt er mich an. „Manchmal kannst du echt süß sein.“

„Was heißt hier 'kannst sein'? Ich bin immer süß“, kichere ich. Ein eindeutiges Indiz dafür, dass mehr Alkohol in meinem Blut zirkuliert, als gut für mich ist. In nüchternem Zustand würde ich mich mit allen möglichen Attributen bezeichnen, aber ganz sicher nicht mit süß. Und kichern würde ich schon gar nicht.

„Natürlich. Wenn du nicht gerade deinen Kollegen zur Weißglut treibst.“

„Musst du mir die Laune verderben?“, schmolle ich und füge jammernd hinzu: „Was soll ich denn jetzt machen wegen dieses Idioten?“

„Es locker nehmen“, sagt er und legt den Arm um meine Schulter, womit er vollkommen unerwartet eine Hitzewelle durch meinen Körper jagt. Was ist denn heute los mit mir? Das zweite Glas war wohl wirklich keine so gute Idee. „Lass dich nicht mehr von ihm provozieren. Dann verliert er irgendwann die Lust daran.“

„Du meinst, ich soll ihn einfach ignorieren?“, frage ich skeptisch, wobei ich versuche, mich nicht zu sehr auf das Gefühl seiner Hand auf meinem Oberarm zu konzentrieren. Sie hat schon unzählige Male dort gelegen. Das ist nun echt nichts Besonderes.

„Na ja, so gut es eben geht. Lass dich nicht aus der Reserve locken. Das will er doch gerade. Konzentriere dich lieber darauf, deine Arbeit gut zu machen. Dann hat niemand etwas gegen dich in der Hand.“

„Hm. Vielleicht hast du recht“, murmele ich.

„Hatte ich jemals unrecht?“

„Nie“, entgegne ich ironisch.

„Will ich doch meinen.“ Schmunzelnd löst er sich von mir. Schade eigentlich. Es war schön warm neben ihm. Kurz darauf erreichen wir meine Wohnung, wo wir uns ohnehin verabschieden müssen.

„Danke fürs Nachhausebringen“, sage ich.

„Immer wieder gerne. Sehen wir uns nächste Woche?“

„Sicher.“

„Wollen wir mal wieder ins Kino?“

„Klar.“

„Kriege ich einen Gutenachtkuss?“

„Äh … nein!“

„Mist“, grinst er. „Ich dachte, ich versuch's mal mit der Kreuzverhörmethode.“

„Du bist ein Spinner, Ben!“ Kopfschüttelnd stecke ich den Schlüssel ins Türschloss.

„Und du bist sehr sexy, wenn du mich beschimpfst.“

„Gute Nacht!“, sage ich mit Bestimmtheit.

Er lacht. „Schlaf gut.“

„Du auch“, nuschele ich. Dann verschwinde ich rasch im Hausflur, ehe er bemerkt, dass mir bei der Vorstellung, ihn zu küssen, zum ersten Mal das Herz bis zum Hals schlägt.

*

In den kommenden Tagen gebe ich mir größte Mühe, Bens Ratschlag zu beherzigen: Ich gehe Süßkind konsequent aus dem Weg und spreche nur mit ihm, wenn es absolut unvermeidlich ist. Obwohl es mir schwerfällt, spare ich mir Kommentare zu seinem Geflirte mit Yildiz, Tina und selbst Beate und ignoriere die Tatsache, dass ich jedes Mal, wenn ich nach ihm auf die Toilette gehe, den Sitz hochgeklappt vorfinde. Ich halte sogar den Mund, als ich ihn mehrfach dabei beobachte, wie er die Bohnen im Kaffeeautomaten aufbraucht, ohne neue nachzufüllen. Und siehe da: Es gelingt mir erstaunlich gut. Zwar ärgere ich mich über seine Unarten und bin nach wie vor genervt von seinem Everybody's-Darling-Getue, aber es scheint sich mit ihm so ähnlich zu verhalten wie mit einem wilden Tier. Solange man ihn nicht reizt, tut er einem nichts. Zumindest darf ich mir in dieser Woche keinerlei gehässige Bemerkungen anhören und bleibe von seinem höhnischen Lächeln verschont. Tatsächlich beginne ich nicht ohne gewisse Beschämung zu glauben, dass ich mich in dieser ganzen Angelegenheit ziemlich kindisch aufgeführt habe. Kein Wunder, dass Richter mich nicht zur Partnerin haben wollte. Mein Verhalten seit Anfang des Jahres dürfte ihn jedenfalls hinreichend darin bestätigt haben, dass ich für eine derart verantwortungsvolle Aufgabe viel zu unreif bin. Damit muss nun endlich Schluss sein. Das soll nicht heißen, ich würde Felix Süßkind auf einmal mögen. Ich sehe in ihm immer noch den stinkreichen, verwöhnten Anwaltsneffen, der er nun einmal ist. Dafür ziehe ich zumindest erstmals in Erwägung, dass er die Wahrheit gesagt und nie geplant hat, mir den Job abspenstig zu machen. Erst an einem sonnigen Nachmittag Anfang März, als ich fast soweit bin, ihm ein Friedensangebot zu machen, zeigt sich, dass mich mein Gefühl wohl doch nicht getäuscht hat und ich mit meiner Vermutung über seine Absichten goldrichtig lag.

Es ist Freitag, und der Feierabend steht vor der Tür. Soeben habe ich mein letztes Mandantengespräch für heute hinter mich gebracht und freue mich darauf, in das wohlverdiente Wochenende aufbrechen zu können. Für den Abend hat Ben Luna, Matthias und mich zu sich eingeladen, worauf ich mich besonders freue. Nicht nur, weil uns somit ein vorzügliches Essen garantiert ist, auch weil wir uns seit Silvester nicht mehr zu viert getroffen haben. Früher haben wir recht viel Zeit zusammen verbracht. Seit Finn auf der Welt ist, sind gemeinsamen Unternehmungen eher spärlich gesät.

Gutgelaunt räume ich meinen Schreibtisch auf und fahre den Computer herunter. Vorsorglich schlage ich dann schon einmal das Kalenderblatt um, damit ich bei meiner Rückkehr am Montag gleich alle Termine der kommenden Woche vor Augen habe. In diesem Moment klopft es an der Tür. Es ist Herr Richter, der lächelnd um Einlass bittet. Seitdem er mir statt der Partnerschaft nur die wenig herausfordernde Ausbildung unserer Referendarin anvertraut hat, war ich ihm gegenüber eher reserviert. Auch jetzt habe ich wenig Lust auf eine Unterhaltung mit ihm. Aus Höflichkeit lächele ich dennoch zurück und bedeute ihm hereinzukommen.

„Störe ich?“, fragt er.

„Nein, nein. Ich bin fertig für heute. Ich wollte mich gerade verabschieden.“

„Das trifft sich gut. Dann haben Sie sicher noch Zeit für ein kleines Gespräch in meinem Büro, oder?“

Ich stutze. In seinem Büro? Als er mich das letzte Mal dorthin beordert hat, habe ich es in dem Glauben verlassen, nach den Feiertagen meinen Traumjob antreten zu können. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Welche Hiobsbotschaft droht mir diesmal? Haben meine Bemühungen, ihn von der Qualität meiner Arbeit zu überzeugen, nicht ausgereicht?

„Eigentlich bin ich in Eile“, schwindele ich. „Um was geht es denn?“

„Es wird nicht lange dauern. Wir würden nur gerne etwas mit Ihnen besprechen.“

Wir? Das heißt wohl, er und sein Partner. Ich spüre zu meinem Ärger, wie meine Hände feucht werden. Was können die beiden mir zu sagen haben? Hat Süßkind mich wegen meines angeblich respektlosen Verhaltens bei seinem Onkel verpfiffen, der mir nun vor den Augen des Leidtragenden eine Lektion zum Thema „angemessener Umgangston unter Kollegen“ erteilen will? Na schön, wenn dem so sein sollte, werde ich nicht länger hinter dem Berg halten und Richter im Gegenzug von den Aktivitäten seines geschätzten Neffen bei einem gewissen Online-Netzwerk erzählen. Bin gespannt, ob ihm das so herzlich egal ist, wie Süßkind behauptet. Innerlich gewappnet drücke ich meinen Rücken durch und ziehe meinen Blazer straff.

„Okay, ich komme.“

Er nickt zufrieden, wartet, bis ich bei ihm bin und lässt mir dann den Vortritt. Angespannt durchkreuze ich den verwaisten Empfangsbereich. Warum bin ich eigentlich immer eine der letzten, die Feierabend macht? Kaum betrete ich das Chefbüro, sehe ich Richters Verstärkung hinter dem Schreibtisch sitzen.

„Hallo“, sagt er mit einem überfreundlichen Lächeln.

„Hallo“, entgegne ich grimmig.

„Oh, was soll denn der böse Blick? Habe ich etwas verbrochen?“, scherzt er.

Etwas? Ich komme schon nicht mehr mit dem Zählen nach!

„So gucke ich immer“, antworte ich kurz angebunden.

„Ja, das ist mir auch schon aufgefallen“, amüsiert er sich, während ich Platz nehme. Richter lässt sich mir gegenüber nieder.

„So“, beginnt er.

„Wie gesagt, ich habe nicht viel Zeit“, erinnere ich ihn noch einmal. Vielleicht ermuntert es ihn, die Standpauke auf die wesentlichen Punkte zu reduzieren.

„Immer in Eile, was?“ frotzelt sein Sitznachbar.

„Ich habe eben viel zu tun“, gebe ich schnippisch zurück

„Genau darüber wollen wir mit Ihnen sprechen“, ergreift mein Chef das Wort. „Wie kommen Sie denn mit Frau Weidemann zurecht?“

„Gut. Sehr gut!“, erwidere ich. Auch das ist die Wahrheit. Mentorin zu sein ist gar nicht mal so übel, wie ich anfangs befürchtet hatte. Die Frage macht mich jedoch stutzig. „Warum? Hat sie Beschwerde eingelegt?“

„Nein, nein, ganz und gar nicht! Im Gegenteil. Sie sagte, sie sei sehr zufrieden mit Ihnen.“

Erleichtert atme ich aus. Der Anlass für dieses Gespräch hat sich mir dafür immer noch nicht erschlossen.

„Es geht um Folgendes“, fährt er ob meines fragenden Blickes fort. „Sie bearbeiten zurzeit recht viele Fälle, wenn ich mich nicht irre.“

„Ja, das stimmt, ich habe gut zu tun.“

„Dazu kommen Ihre Aufgaben als Mentorin. Insgesamt sind Sie damit ausreichend ausgelastet.“ Zögerlich nicke ich. „Deswegen haben wir uns überlegt, dass es am sinnvollsten wäre, wenn Sie vorerst keine weiteren Mandate annehmen.“

Wie schlechte Nachrichten es so an sich haben, braucht auch diese ein paar Sekunden länger als eine gewöhnliche Informationen, bis sie zu meinem Verstand vorgedrungen ist und ich ihren Sinn begriffen habe.

„Wie bitte?“, frage ich dennoch. Irgendwie hofft man ja doch jedes Mal, sich verhört zu haben, auch wenn das nie der Fall ist.

„Ich möchten Sie bitten, potentielle Mandanten, die Sie um eine Erstberatung bitten, gleich an Felix zu verweisen. So erreichen wir eine ausgeglichene Verteilung der Fälle zwischen Ihnen beiden.“

„Ich … ich soll meine Mandate an Sie abgeben?“, keuche ich an Süßkind gewandt, der gelassen in seinen Stuhl sitzt. Aber Mumm genug, mir ins Gesicht zu sagen, dass mir praktisch eine Arbeitssperre auferlegt wird, hat er nicht. Da lässt er lieber seinen Onkel für sich sprechen, der Feigling!

„Niemand hat von abgeben geredet“, sagt er, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. „Sie sollen lediglich keine neuen Fälle annehmen. Nur solange, bis Ihre aktuellen abgehandelt sind, versteht sich.“

Versteht sich?? Ich verstehe überhaupt nichts.

„Warum?!“

„Sehen Sie, natürlich hat Felix seine Mandate, die er vor seiner Arbeit hier angenommen hat, mitgebracht und wird die Mandanten auch weiterhin betreuen. Aber irgendwann ist jeder Fall abgeschlossen. Uns ist einfach aufgefallen, dass Sie wesentlich mehr davon betrauen als Felix, und dieses Ungleichgewicht wollen wir aufheben“, erklärt Richter mir in vertrauensvollem Tonfall, als wolle er ein kleines Kind davon überzeugen, dass der Hustensaft gaaanz lecker schmeckt. Tut mir leid, mein Guter. Für diese Masche bin ich leider ein bisschen zu alt.

„Und ich soll jetzt dafür büßen, dass Herr Süßkind nicht in der Lage ist, neue Mandanten an Land zu ziehen?“, rufe ich aus.

„Frau Herz, ich muss doch sehr bitten!“

Sein Neffe winkt ab. „Mach dir nichts draus. Sie wird öfter mal ausfallend, wenn es um mich geht.“

Okay, ich bin nicht die Einzige, der kurzzeitig ihr gutes Benehmen abhandengekommen ist. Wobei man bei ihm schon eher von einem längerfristigen Verlust sprechen kann. Mich derart vor meinem Chef bloßzustellen ist jedenfalls der Gipfel der Unkollegialität.

„Ich …“, schnappe ich nach Luft.

„Dazu besteht keinerlei Anlass“, fährt Richter mir über den Mund. „Sie beide arbeiten nicht gegeneinander, sondern zusammen, worauf Sie mein Neffe, glaube ich, schon wiederholt hingewiesen hat.“ Besagter nickt selbstgerecht. „Gerade deshalb wäre es wünschenswert, wenn Sie sich kooperativ zeigen würden und die Arbeit unter sich besser aufteilen würden.“

Gelähmt von den Ungeheuerlichkeiten, die sie mir gerade offenbart haben, wandert mein Blick zwischen den beiden hin und her. So sehen sie also aus: der Teufel und seine Brut. Ich hätte es besser wissen müssen. Die beinahe freundliche Art von Süßkind in den letzten Tagen, das Ausbleiben jedweder Provokation – das alles nur, um mir in einem Moment, in dem ich vollkommen unvorbereitet bin, das Messer umso tiefer in die Brust zu rammen. Zu meinem Entsetzen merke ich, wie mir Tränen ohnmächtiger Wut in die Augen schießen. Mit aller Kraft halte ich sie zurück.

„Habe ich denn eine andere Wahl?“, bringe ich schwer atmend hervor. Satan Junior gibt seine lässige Sitzpose auf und beugt sich über den Tisch zu mir vor, um mir ebenfalls mit vorgetäuschter Vertrauensseligkeit in die Augen zu sehen.

„Frau Herz, wir wollen Ihnen doch nichts Böses“, lügt er. „Ich will Sie nur entlasten. Das kommt uns beiden zugute.“

Entlasten? Ein sehr schöner Euphemismus. Ausbluten lassen will er mich. Damit er anschließend unversehens meinen Platz einnehmen kann, wie er es von Anfang an vorhatte. Für den Bruchteil einer Sekunde bin ich versucht, das Handtuch zu werfen, zu gehen und nie wiederzukommen. Da draußen gibt es unzählige Kanzleien, die mich mit Handkuss nehmen würden. Weshalb sollte ich mir diesen täglichen Kampf hier länger antun? Gleich darauf komme ich zur Besinnung. Trotz aller Widrigkeiten, denen ich mich in den letzten Wochen stellen musste, bin ich jeden Morgen gerne hier erschienen. Ich mag diese Kanzlei, ich arbeite aus gutem Grund für sie, und ich bin niemand, der aufhört zu laufen, sobald der Weg nach oben plötzlich etwas uneben wird. Jetzt erst recht!, denke ich. Ich war vor unserem neuen Partner da, und um mich von hier zu vertreiben, muss er sich schon etwas Besseres einfallen lassen, als mir ein bisschen Arbeit abzunehmen.

„Gut. Sie können meine zukünftigen Mandate haben. Vielleicht haben Sie dann auch nicht mehr so viel Zeit, sich in Online-Communitys herumzutreiben“, merke ich an, und zum ersten Mal bin ich diejenige, die sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen kann.

„Wie bitte?“ Irritiert blickt Richter zu seinem Neffen.

„Vergiss es“, sagt er. Ein wenig hastig, wenn ich mich nicht täusche.

„War das alles? Dann würde ich jetzt gerne gehen.“

„Ja, sicher“, stimmt Richter zu. „Ein schönes Wochenende, Frau Herz.“

Ausnahmsweise lasse ich mich zu einem „Gleichfalls“ hinreißen. Von wegen die Klügere gibt nach und so. Zurück in meinem Büro schnappe ich mir schnell meine Tasche und verlasse die Kanzlei dann beinahe fluchtartig, um niemandem mehr die Gelegenheit zu geben, meinen wohlverdienten Feierabend zu torpedieren. Auf dem Weg zum Auto verraucht mein Zorn allmählich. Natürlich bin ich weiterhin fassungslos über den neuesten Schachzug der werten Partner. Sie halten sich wahrscheinlich für sehr clever und mich für ein naives, unerfahrenes Frauchen, das ihnen ihr Wir-wollen-Ihnen-nur-Arbeit-abnehmen-Gerede gutgläubig abnimmt. Nun, am Ende werden sie schon zu der Einsicht gelangen, dass sie mich unterschätzt haben. Mit dem tröstenden Gedanken an meinen ungebrochenen Kampfeswillen und mit dem Entschluss, mich auf einen netten Abend mit meinen Freunden zu freuen, steige ich in mein Auto und mache mich auf den Heimweg. Kaum bin ich ein paar hundert Meter gefahren, höre ich aus meiner Tasche den Signalton meines Handys, das den Eingang einer E-Mail ankündigt. Sobald ich an der nächsten Ampel anhalten muss, nutze ich die Gelegenheit, es herauszukramen und nachzusehen, wer mir geschrieben hat. Es ist eine Benachrichtigung von Friendsbook. Stirnrunzelnd öffne ich die Mail.

Hallo Stella!

Jemand hat dir einen Freundschaftsantrag gemacht. Klicke jetzt hier und sieh nach, wer dein Freund sein möchte.

Herzliche Grüße,

dein Friendsbook-Team

Die Ampel vor mir ist noch nicht auf grün umgesprungen, so folge ich mit einer dunklen Vorahnung dem angegebenen Link. Schon öffnet sich die entsprechende Internetseite auf meinem Handydisplay. Meine vagen Befürchtungen bestätigen sich. Gleich zwei Mitteilungen erwarten mich.

Felix S. hat dir einen Freundschaftsantrag gemacht!

und

Felix S. hat dir eine Nachricht geschickt!

Hinter mir ertönt ein wütendes Hupen. Mist, es ist grün. Schnell werfe ich das Handy zurück in die Tasche und fahre an, allerdings nur, bis ich die Kreuzung überquert habe. Bei der erstbesten Möglichkeit fahre ich rechts heran und ziehe mein Telefon mit rasendem Herzen wieder hervor. Ich muss wissen, was mein aktueller Bürofeind Nummer eins mir geschrieben hat. Jetzt sofort. Ich rufe die zweite Mitteilung auf und lese:

Vielleicht haben Sie in Zukunft Zeit, sich ein bisschen öfter in Online-Communitys herumzutreiben. ;-)

Ein ungläubiges Keuchen entschlüpft mir. Hat der sie noch alle? Eine dermaßen plumpe Anspielung hätte ich nicht einmal ihm zugetraut. Was soll das darstellen? Hat ihn sein Onkel wegen meines spitzen Kommentars vorhin in die Mangel genommen und dies ist seine Rache, indem er mich daran erinnert, wie viel Freizeit ich dank ihm in nächster Zeit haben werde? Und dann dieser neckische Zwinkersmiley. Als wären wir ganz dicke miteinander. Sorry, Felix S., solche Freunde brauche ich nicht! Umgehend öffne ich die zweite Mitteilung.

Felix S. hat dir einen Freundschaftsantrag gemacht. Möchtest du ihn annehmen?

Ich zögere nicht einmal eine Sekunde, bevor ich auf den leuchtend roten Auswahlbutton klicke.

Danke, ich verzichte!

Mit Herz und Recht

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