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Jeffrey

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Wo ein Wille ist …

Langsam aber sicher frisst es mich auf. Ich muss mit jemandem reden, und ich weiß auch ganz genau, dass Tim mich heute Abend wieder danach fragen wird. Das tut er immer, wenn er mich sieht, seit ich mit Rachel zusammen bin. Mir ist klar, dass er recht hat, aber er muss auch verstehen, dass ich nicht einfach so darüber sprechen kann, vor allem nicht mit Rachel. Die Gedanken an damals wühlen mich ohnehin schon auf, was werden sie erst mit Rachel anstellen? Nein, das lasse ich nicht zu. Es ist Teil meiner Vergangenheit, es ist vorbei. Ich muss nun nach vorne blicken und ich bin dankbar dafür, Rachel dabei an meiner Seite haben zu dürfen. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mir eine gemeinsame Zukunft mit ihr ausmale. Dann fällt mir plötzlich auf, dass ich tatsächlich zuversichtlich in die Zukunft blicken kann und habe augenblicklich ein schlechtes Gewissen, denn schließlich hätte ich längst ein glückliches Leben führen sollen. Aber das, was damals passiert ist, hat alles verändert. Ich musste lange kämpfen, um mich wieder einem normalen Alltag fügen zu können, und manche Momente sind für mich noch immer ein Kampf. Ich kann nur hoffen, dass mir das Gespräch mit Timothy ein wenig helfen wird, auch wenn ich kaum daran glaube, weil ich weiß, dass Timothy mich wie immer dazu drängen wird, das Richtige zu tun. Das Schlimme daran ist, dass er recht hat und ich das weiß.

„Hey, ihr beiden! Na, wie war euer Urlaub?“ Timothy hat mich das zwar vorhin am Telefon schon gefragt, aber ich nehme an, etwas Besseres ist ihm zur Begrüßung nicht eingefallen. Dabei ist er sonst so wortgewandt. Vielleicht will er sich auch einfach nur nicht anmerken lassen, wie ernst dieser Abend noch werden könnte und setzt auf gute Laune.

„Gut, danke. Wie waren eure Feiertage? Du sagtest, es war einiges los bei euch?“

„Ja, das erzählen wir euch gleich in Ruhe. Hallo Rachel. Schön, dich zu sehen.“ Die beiden umarmen sich, während ich Liz ebenso herzlich begrüße. Beinahe habe ich ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, schließlich ist Rachel ihre beste Freundin und ich Trottel bin dabei, sie zu verletzen, weil ich ein Stück meines Lebens vor ihr verberge.

„Kommt, setzen wir uns.“ In einer Nische nehmen wir Platz und versammeln uns im Halbkreis um den großen, runden Tisch. Tim und ich bestellen Bier, die Mädels gönnen sich ein Gläschen Wein. Man sieht ihnen die Wiedersehensfreude an. Selbst Rachel wirkt so losgelöst, so glücklich. Dabei weiß ich, dass sie sich oft fragt, ob mit mir etwas nicht stimmt, weil ich immer öfter in Gedanken versunken bin, wenn sie in meiner Nähe ist. Wenn ich doch einfach nur darüber reden und dann endgültig loslassen könnte …

„Jetzt erzählt schon, wie war euer Weihnachtsfest?“ Liz übernimmt das Wort und erzählt uns von ihrer Großmutter Evelyn, die trotz beginnender Demenz den Kontakt zu ihr gesucht hat. Auch erzählt sie uns von ihrem verrückten Plan, ihre Mutter zu suchen und zur Rechenschaft ziehen zu wollen und davon, wie es letzten Endes dazu kam, dass sie Weihnachten mit ihrer Großmutter feierte und plötzlich auch ihre Mutter vor der Tür stand. Immerhin hat alles ein gutes Ende genommen. Ich freue mich für sie und ihre Großmutter, die sehr an ihrer Vergesslichkeit zu knabbern hat, die immer weiter zunimmt.

„Wow, das ist ja ein starkes Stück. Dein ganz persönlich Weihnachtswunder sozusagen.“ Rachels Augen leuchten, und ich fürchte mich davor, das Leuchten im Keim zu ersticken. Einerseits muss ich es tun, andererseits halte ich es für besser, das Ganze für mich zu behalten.

„Ich hol mir noch eins. Jeff, kommst du mit?“ Ich leere die halbe Flasche in einem Zug und folge ihm zur Bar. Ich weiß genau, was mich jetzt erwartet.

„Wann redest du endlich mit ihr?“ Timothy sieht mich bei dieser Frage nicht an, scheinbar will er sich mein Augenrollen ersparen, das er mittlerweile schon in- und auswendig kennt.

„Vielleicht bald, vielleicht gar nicht. Ich weiß, du bist der Meinung, ich sollte ihr alles erzählen. Aber ganz ehrlich, macht das einen Unterschied?“ Nun richtet er den Blick doch auf mich.

„Würde es einen Unterschied machen, wenn sie endlich sorgenfrei wäre, du ein reines Gewissen hättest und sie dich nicht mehr ständig fragen muss, ob alles in Ordnung ist mit dir?“ Das sitzt. Ich wende den Blick ab und seufze. Gerade er gibt sehr viel auf die Wahrheit. Kein Wunder bei allem, was er und Liz durchgemacht haben.

„Schon. Aber was, wenn auch sie mir die Schuld an allem gibt und mich verlässt? Das könnte ich mir nie verzeihen. Sie ist wirklich etwas Besonderes und bedeutet mir viel. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie mir die Schuld am …“

„Das wird sie nicht tun“, unterbricht mich Tim rechtzeitig. „Sie liebt dich doch, oder? Ich bin mir sicher, dass auch sie dich nicht verlieren will, aber genau das ist es, was sie derzeit befürchtet und deine Aufgabe ist es, ihr diese Angst zu nehmen.“ Verstohlen sehe ich zu unserem Tisch. Liz und Rachel sind näher zusammengerückt und führen ein scheinbar ernstes Gespräch. Liz hat sich mit Wort und Blick an Rachel gewandt, die ihre Augen fest mit ihrem noch fast vollen Weinglas verankert hat. Sie so zu sehen bricht mir das Herz. Habe ich sie je so traurig gesehen? Ich schaue wieder zu Timothy und nehme einen Schluck von meinem frischen Bier.

„Also schön. Ich werde mit ihr reden. Aber ich brauche noch ein wenig Zeit, ich möchte nichts falsch machen und im Vorfeld alles gut durchdenken. Außerdem brauche ich Plan B.“

„Plan B?“ War mir klar, dass er das nicht kapiert.

„Ja, falls sie mich doch verlassen sollte, wenn ich ihr alles erzähle.“ Timothy lacht und klopft mir aufmunternd auf die Schulter.

„Keine Sorge, das wird sie nicht. Liz wird sie sicher davon abhalten.“

Mit etwas besserer Laune schnappen wir unsere Gläser und steuern die Nische an, in der unsere Frauen zwischenzeitlich in fröhliches Gelächter ausgebrochen sind.


Hass mich nicht

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