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Eine Mathe-Arbeit, 1965

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Panik!

Ich war sicher, dass ich diese Mathematik-Prüfung verhauen würde, weil ich zuvor faul war wie eine Sau in ihrer Sommerkuhle.

Außerdem hatte ich zu dieser Zeit an Mathe sowieso etwa das Interesse wie der vorgenannte Schwarzkittel. So suhlte ich mich lieber in der Sonne oder trieb Sport, statt mich den Studien von Quadratwinkeln und ähn­lichem, unverständlichem Zeug zu widmen.

In der Pause vor der Arbeit schwitzte ich immer mehr, bis mir die Erleuchtung durch den Kopf schoss: Eine Ausrede musste her, aber schnell!

Hey, ich bin doch Turner, und ich hatte vorhin frei für die Übungen des bald kommenden Winterturnfestes! Da könnte ich mir doch die Hand verstaucht haben? Das ist es! Juchhu!

Glücklich über diesen Einfall raste ich die alten Treppen hinunter zum Geschoss, wo die Lehrerzimmer lagen, um Prof. Dr. Schaaf diese schlechte Nachricht zu überbringen: Ich kann keinesfalls mitschreiben, weil ich nicht schreiben kann!

Der geneigte Leser wird jetzt wohl einen Verdacht haben, den ich hiermit bestätige: es passierte etwas.

Beim Abwärtsrennen blieb ich in einer Kurve mit dem rechten Mittel­finger in einer Windung des uralten Treppengeländers hängen…

Es tat recht weh, und das mittlere Gelenk wurde recht schnell dick.

Heissa! Jetzt musste ich nicht mehr lügen!

Der Professor begutachte kurz das Missgeschick und befahl kurzerhand, dass ich mich sofort in das Krankenhaus 300 m weiter zu begeben habe, um den Finger röntgen zu lassen. Da das Schulgelände aber während der Unter­richtszeit nicht verlassen werden durfte, jedenfalls nicht ohne triftigen Grund und auch nicht alleine, meldete sich mein Kumpel Ossi, der faule Sack, ganz schnell freiwillig, um mich zu begleiten. Mit zerknirscht wirkendem Gesicht natürlich, um seine Freude nicht augenscheinlich wer­den zu lassen. Die Klassenkameraden kannten ihn allerdings, wie ich auch…

Im Krankenhaus schickten sie mich aber gleich wieder weg: So groß sei der Notfall nicht, ich müsse zuerst zu meinem Hausarzt und mich von dort in eine Röntgenpraxis überweisen lassen.

Also schlurften wir gemütlich zurück; ich wurde nach Hause entlassen, Ossi durfte doch noch seine Arbeit schreiben, mit zwei Aufgaben weniger wegen der verlorenen Zeit...

Mit meinem Rennrad suchte ich gleich meinen Unfallarzt auf, wo ich von den Helferinnen begrüßt wurde: „Du schon wieder? Was ist denn diesmal?“ Als ich die Geschichte erzählte, schüttelten sie nur lächelnd den Kopf, wie danach mein Doc auch.

Es ja nicht so tragisch, wenn man vielleicht 14 Mal im Jahr oder öfter bei seinem Unfallarzt wegen irgendwelchen Blessuren erscheint - in der Jugend, vor allem, wenn man viel zu viel Sport treibt und auch sonst ziemlich verrückt ist, kann halt schon mal was passieren: Blutergüsse, Risse und Schrammen, Quetschungen, Verstauchungen, Brüche und andere Dummheiten sind da schon recht normal. Jedenfalls in meiner ganz persönlichen Jugend.

Bei mir kam es aber noch auf das WIE an: Ich war offenbar nicht in der Lage, mir weh zu tun wie andere Jungs. Die Umstände, in denen mir etwas passierte, wichen zu 85% von der Norm ab. Wäre ich damals schon so philosophisch gewesen wie einige Jahre später, hätte ich mir eine Menge Gedanken gemacht… Und ich wäre doch zu keinem Schluss gekommen.

Jedenfalls war die sogenannte Wachstumslinie in dem Mittelgelenk gebrochen, und der Doc verpasste mir einen kleinen Gips; einmal wieder.

Als ich zu Hause klingelte und meine Mutter die Wohnungstür öffnete, hielt ich verschämt den Arm hinter dem Rücken. Aber Mutti deutete dieses Zeichen völlig anders: „Hast du mir etwa Blumen mitgebracht?“ staunte sie fröhlich.

Ich hielt wortlos die Hand hoch, und sie stöhnte nur: „Nein, nicht schon wieder! Wie ist es denn diesmal passiert?“

Wohlgemerkt: Sie fragte nicht was, sondern wie!

Übrigens war unser einarmiger Lateinlehrer zwei Tage später strenger als der Mathe-Prof., bei dem ich die Arbeit nach der Heilung nachholen durfte: Dr. Schott erlaubte mir gnädigst, die Lateinübersetzung mit der linken Hand zu schreiben; er würde eben die Zensur fünfteln, weil ich ja evtl. nur ein Fünftel des Textes schaffen würde, und er grinste dabei sardonisch… Für mich eigentlich kein Wunder, denn wir beide standen eh auf Kriegsfuß.

Titel der Prüfung: De bello gallico von Julius Cäsar.

Über den gallischen Krieg.

Allein für den ersten Satz, den ich im Leben nie vergessen werde, brauchte ich schon ein Fünftel der zur Verfügung stehenden Zeit; erstens, um ihn richtig zu übersetzen, zweitens um diesen Satz überhaupt zu schreiben:

Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam, qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur.

<Gallien in seiner Gesamtheit ist in drei Teile geteilt, von denen den einen die Belger bewohnen, einen anderen die Aquitanier und den dritten die, welche in ihrer eigenen Sprache Kelten, in unserer Gallier heißen.>

Bei den weiteren Sätzen hatte ich enorme Schwierigkeiten: Erstens, um sie richtig zu übersetzen – Lateiner hatten die üble Angewohnheit, Monumentalsätze über viele Zeilen hinweg zu formulieren, wobei man zuerst einmal den Hauptsatz finden muss – zweitens, um diese Sätze überhaupt auf das Papier zu bringen!

Ich erhielt eine glatte Fünf: Unser Lehrer konnte wohl mein Gekritzel nicht lesen, das ich beim halbwegs korrekten Übersetzen des nächsten halben Abschnittes mit der ungeübten linken Hand aufs Papier brachte.

Mehr über diesen Lateinlehrer in der nächsten Geschichte!

Übrigens: Ich habe noch dieses Lateinbüchlein, das mir so gar nicht ans Herz wachsen wollte, in meinem Bücherschrank. Hier ein Textteil mit meinen damaligen Anmerkungen:


Unfassbar, womit man zwölfjährige Kinder quälen kann!

Störfaktoren

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