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WAGNERIANER-FORSCHUNG

Sie reisen nicht, sie pilgern

Das Festspielhaus, die Weihestätte. Wagner, der Meister. Solche Stereotype tauchen häufig auf, wenn es um die Anhänger von Wagners Werken – die sogenannten Wagnerianer – geht. Aber was ist eigentlich ein Wagnerianer? Eine Studie geht dieser Frage jetzt nach – und klärt dabei, warum die meisten Wagnerianer sich selbst nie so nennen würden

Von Elfi Vomberg

Manchmal hat Michael Ashton Sorge, dass er zu fanatisch wird. „Ich bin eigentlich schon mehr als ein Wagnerianer – ich würde mich eher als Wagner-Besessener bezeichnen“, erklärt er mit verschmitztem Lächeln. Und schon ist der Neuseeländer wieder in Gedanken versunken – weit weg, 18 300 Kilometer entfernt in seinem geliebten Deutschland. Im Hintergrund hört man die Rheintöchter säuseln. „Nach diesen 132 Takten am Anfang vom „Rheingold“ war es um mich geschehen“, erinnert sich Ashton an seinen ersten Opernabend in Deutschland vor einigen Jahren.

Der 54-Jährige sitzt am Küchentisch in seinem kleinen Häuschen in Wellington und tut das, was er oft nach der Arbeit macht: Wagner hören, Wagner-Literatur studieren, über Wagner nachdenken. „Ich erkenne sehr viel von Richard Wagner in mir selber – abgesehen vom Antisemitismus natürlich. Aber ich kann mich mit seiner Person identifizieren. Dieses Hochsensible und Empfindliche an ihm fasziniert mich. Sein Werk bietet eine große psychologische Tiefe, die einen großen Reiz für mich hat“, erklärt der Germanist. Nachdem seine deutsche Frau vor 15 Jahren starb, war das die Welt, in die er sich flüchtete.

Eine Art Parallelwelt, in der er Ablenkung und Trost fand. Er lebte damals noch in München, zog jedoch nach Neuseeland zurück, um den Schmerz zu vergessen. Seitdem hat er Sehnsucht – nach Bayern, nach Heimatgefühl, nach Wagner. „Es ist eine Welt mit Licht und Schatten. Wagner spricht mich sehr direkt an. Es gibt für mich keine Musik, die emotionaler ist und die mich so in ihren Bann zieht“, sagt er, hebt den Zeigefinger und lauscht. Eine seiner Lieblingsstellen röhrt aus den Lautsprechern, leise raunt er dem Besucher zu: „Walhall-Motiv“ – und blättert dabei in der Partitur, um die richtige Stelle zu finden.

Der Begriff Wagnerianer scheint bei den Opernbesuchern stark negativ besetzt und mit zahlreichen Klischees verbunden

Michael Ashton scheint ein Wagnerianer zu sein, wie er im Buche steht. Aber was ist überhaupt ein Wagnerianer? Eine genaue Definition für diese Spezies gibt es nicht. Winfried Gebhardt, Professor für Soziologie an der Universität Koblenz, wagt einen Versuch: „Es sind Leute, die ihr Herz entweder an die Person oder an das Werk hängen. Insofern sind sie auch Fans. Das Besondere an den Wagnerianern ist, dass sie mit Wagners Werk einen oft weltanschaulich-fundierten Sinn verbinden.“

Immer wieder tauchen ähnliche Stereotype und Bilder über die Spezies der Wagnerianer auf: Sie sehen Bayreuth als Weihestätte und reisen nicht dorthin, sondern pilgern. Im Publikum erkennt man sie angeblich daran, dass sie mit Partitur und Bleistift bewaffnet dem Musikgenuss folgen und dabei akribisch die Leitmotive verfolgen. Soweit das Klischee. Die Studie „Wagnerianer heute“ zeigt, dass sich die Spezies der Wagnerianer tatsächlich in besonderem Maße mit Wagners theoretischen Schriften, seiner Person und den Hintergründen seiner Kompositionen beschäftigt. Die Umfrage wurde unter den Besuchern der Kölner Oper durchgeführt und geht dem Phänomen des „Wagnerianers“ nach. CD-Sammlungen, Bücher und Partituren – die Wagner-Fans memorieren regelrecht das Erbe des Komponisten in ihren Regalen. Andererseits geht aus der Studie hervor, dass es in Kreisen des Wagner-Publikums einen Vorbehalt gibt, sich als „Wagnerianer“ zu bezeichnen.

Der Begriff scheint bei den Opernbesuchern stark negativ besetzt und mit zahlreichen Klischees verbunden. „Die Wahnsinnigen“, „Nerdentum“, „antiquiert“, „kulturaggressiv“, „versnobte Elite“ – Phrasen, die immer wieder von den Befragten im Zusammenhang mit den Wagner-Fans genannt werden. Nur 36 Prozent der Befragten bezeichnen sich als „Wagnerianer“, alle anderen schrecken oftmals vor dieser Etikettierung zurück. Wie zum Beispiel Befragter Nummer 96, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er hat schon 80-mal den „Ring“ live auf einer Opernbühne gesehen, so ziemlich jedes theoretische Werk Richard Wagners gelesen und kann schon nicht mehr zählen, wie viele verschiedene CD-Aufnahmen er im Schrank hat. Auf die Frage, ob er sich denn als „Wagnerianer“ bezeichnen würde, beteuert er mit großen Augen und abwehrender Gestik: „Um Gottes willen – nein, auf keinen Fall. Da kommen mir zu viele negative Begriffe wie Antisemitismus und Nationalsozialismus in den Sinn.“ Ein Problem, das oft in einem Atemzug mit der Szene genannt wird. Dennoch gibt es genügend Wagner-Fans, die die negativen Klischees außer Acht lassen – und sich manchmal durchaus auch stolz als „Wagnerianer“ vorstellen.

Das besondere an den Wagnerianern ist, dass sie mit Wagners Werk einen oft weltanschaulich-fundierten Sinn verbinden

So wie Michael Ashton aus Neuseeland. Die erste Begegnung mit Wagner hatte er schon als siebenjähriges Kind beim Spielen zu Hause. „Mit Wagner habe ich deutsche Umlaute gelernt“, erklärt der Neuseeländer lachend. Mit einem dicken Buntstift machte er sich damals an die Korrekturen in einem englischen Opernführer, in dem immer die Rede von Wagners „Gotterdammerung“ war. In stundenlanger Lektoratsarbeit versah der kleine Michael das Werk der Eltern mit deutschen Umlauten. Da war der Schritt zur akribischen Leitmotivsuche nicht weit. Doch langsam merkt der 54-Jährige, dass seine Wagner-Phasen, wie er die Zeiten nennt, in denen er stundenlang vor der Stereoanlage sitzt und die Welt um sich herum vergisst, sich häufen. „Ich bekomme langsam etwas Angst vor einem Wagner-Koller. Wagner ist gefährlich. Sein Werk ist so intensiv, dass es einen dermaßen packt, dass es zur Droge wird. Es ist manchmal mehr als es für einen gut ist. Ich muss aufpassen, dass ich mit beiden Beinen auf der Erde bleibe. Manchmal saugt mich seine Musik so rein, dass ich immer mehr haben will und darüber jegliches Zeitgefühl vergesse – das ist schon gefährlich.“

Einer, der den Wagner-Kult aus einer anderen Perspektive erlebt, ist Juraj Cižmarovic. Er ist bekennender Wagnerianer. Seit 17 Jahren treibt es ihn nach Bayreuth, auf den Grünen Hügel, in das Festspielhaus – unter die Bühne, in eine Muschel. Wie Wagner es nannte: in den mystischen Abgrund. Im Festspielorchester ist er einer von fünf Konzertmeistern. „Es ist nicht einfach, die zwei Sommermonate ohne Schmerzen zu überleben. Es tut im Rücken und Nacken weh – und der Kopf ist oft leer. Sie sind während der Festspiele so verseucht mit diesem Klang. Wagner geht in die Poren rein“, erklärt er. Doch Juraj Cižmarovic ist nicht schmerzempfindlich, er ist hart im Nehmen. Besonders wenn es um Wagner geht. Denn das Konzerterlebnis entschädigt: „Wenn man dann im Festspielhaus sitzt. Wenn das Licht aus ist und der erste Ton gespielt ist – dann sind Sie in einer Zauberwelt. Dann beginnt die Magie. Sie werden über mehrere Stunden verführt und Sie werden dabei von nichts Weltlichem gestört“, schwärmt Cižmarovic.

Auch Befrager Nummer 96, der eigentlich vehement abstreitet, ein Wagnerianer zu sein, versucht Jahr für Jahr die begehrten Karten für die Festspiele zu ergattern – „für dieses Gefühl von vollkommenem Klang und einmaliger Atmosphäre“, wie er das Erlebnis beschreibt. Sogar der nächsten Generation legt der 68-jährige Opern-Fan den Wagner-Kult in die Wiege: Denn für seinen sechs Wochen alten Enkel gab es zur Taufe die Anmeldung für die Warteliste in Bayreuth. Vielleicht kann er so schon im Grundschulalter auf sein erstes Bayreuth-Erlebnis hoffen. Aber Wagnerianer? „Auf keinen Fall. Die sind fanatischer.“

Die Autorin:

Elfi Vomberg hat an der Universität zu Köln Musikwissenschaft, Germanistik und Soziologie studiert und anschließend bei der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf volontiert. Sie arbeitet als freie Redakteurin, Moderatorin und Kulturjournalistin für den Westdeutschen Rundfunk und promoviert am Forschungsinstitut für Musiktheater in Bayreuth.

Festspiel Kurier #14

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