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Prolog

Meine Eltern haben mit mir nie darüber gesprochen – über den Krieg. Ich meine den 2. Weltkrieg und alles was damit zusammen hängt. Warum eigentlich nicht? Dieser Krieg war zweifellos ein wesentlicher Bestandteil ihrer Jugend und prägend für ihr ganzes Leben. Hatten sie nicht das Bedürfnis darüber zu reden, sich mitzuteilen? Noch dazu, wo unsere Heimatstadt Nürnberg so eng mit dem ganzen Geschehen verknüpft ist: die Reichsparteitage, die Zerstörung der Stadt, die Nürnberger Prozesse.

Ich hatte Glück. Ich bin ein Nachkriegskind, geboren 1949, aufgewachsen in der Zeit des Wirtschaftswunders. Als Kind habe ich mir natürlich keine Gedanken darüber gemacht, dass bei uns zuhause kein Wort über den Krieg verloren wurde. Es war einfach so. Auf dem Gymnasium endete der Unterricht im Fach Geschichte spätestens im Mittelalter. Die „Neuzeit“ wurde komplett ausgeblendet. Offensichtlich sprachen auch die Lehrer nicht gerne über die beiden Weltkriege. Oder war es erst gar nicht im Lehrplan vorgesehen? Wir – die Schüler – haben es nicht hinterfragt.

Endlich erwachsen, war ich mit mir selbst so sehr beschäftigt, dass für andere Dinge kaum noch Zeit blieb. Schon gar nicht für Vergangenheitsbewältigung und Gedenken aller Art. Wofür auch? Es war doch nicht „meine“ Vergangenheit. Die Zukunft ist doch viel wichtiger und das Leben im Hier und Jetzt. So dachte ich damals.

Und daran hat sich auch nicht viel geändert, als ich älter wurde. Mein Vater war inzwischen gestorben und meine Mutter lebte im Wohnstift am Tiergarten in Nürnberg. Dort habe ich sie immer wieder besucht und wir haben über vieles gesprochen – nur nicht über den Krieg. Sie schnitt das Thema nicht an und ich habe nicht danach gefragt. Warum eigentlich nicht? Vielleicht spürte ich, dass ihr das Thema unangenehm war. Hatte sie etwas verdrängt, was vielleicht sogar mit ihrer zunehmenden Depression in Zusammenhang stand? Hätte ich ihr helfen können, wenn ich mit ihr darüber gesprochen hätte? Meine Mutter ist immerhin 89 Jahre alt geworden. Lange genug Zeit hätte ich gehabt. Hätte, hätte, hätte … Ich weiß nur, dass ich es nicht getan habe und dafür könnte ich mich ohrfeigen. Aber das hilft jetzt auch nichts mehr.

2010 ist meine Mutter gestorben und sie hinterließ mir nicht nur ihr Erspartes, sondern auch noch ein kleines Päckchen. Also ich es öffnete, fand ich darin, liebevoll mit einem rosa Bändchen verschnürt, die Briefe und Karten, die sie von ihrem Stiefbruder Ottmar aus dem Felde erhielt. Feldpost nennt man es. Dabei lagen auch noch etliche Fotos, die auf der Rückseite fein säuberlich mit Namen und Datum versehen waren. Ich hielt diesen „Nachlass“ in Händen und wollte mich sofort damit beschäftigen. Doch ich bekam Angst. Würde mich das Lesen dieser Briefe, so kurz nach dem Tod meiner Mutter, nicht zu sehr aufwühlen? Ich habe das Päckchen zur Seite gelegt und danach vergessen – zumindest vorläufig.

Es hat sieben Jahre gedauert, bis ich mich wieder daran erinnert habe – oder besser gesagt, daran erinnern wollte.

Als ich die Briefe gelesen hatte, war ich tief berührt. Sie waren einerseits so herzlich und menschlich und andererseits gespickt mit Äußerungen, die bei mir eine Reihe von drängenden Fragen hervorriefen. Von den Beteiligten ist niemand mehr da, der sie beantworten könnte. Ich werde sie trotzdem stellen, einfach in den Raum. Denn ich bin sicher, dass jede Frage schon ein Stück Antwort ist, ein Stück Bewusstwerdung über das, was hier geschehen ist.

Ottmar und Anneliese, die sich während des Krieges unermüdlich schreiben, waren Kinder ihrer Zeit, einer Zeit, die mir bisher fremd und in vielerlei Hinsicht unvorstellbar war.

Ottmars Feldpostbriefe an seine Schwester Anneliese, die überlieferten Fotografien, eingebettet in das historische Geschehen und begleitet von den Fragen, die sich daraus ergeben, lassen uns eintauchen in „ihr“ Leben in „ihrer“ Zeit.

Kommen Sie mit, lieber Leser, auf diese Entdeckungsreise des Verstehens. Vielleicht finden wir dabei gemeinsam noch die ein oder andere Erkenntnis für uns – in unserer Zeit.

Wir werden sehen …

Danksagung

Bei den vielen Fragen, die sich bei der Erstellung dieses Buches ergaben, war mir meine Frau, Gerde-Marie Ziskoven, ein wertvoller, hilfreicher und geduldiger Gesprächspartner. Dafür danke ich ihr.

OTTMAR zum Nach-Denken

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