Читать книгу Rosalies Schlüssel - Paula Hering - Страница 4

Оглавление

Angesichts der Tatsache, dass ihr ganzes Leben in die Hände eines Trödlers zu fallen drohte, verlor ich meine Zurückhaltung und nahm, was mir gefiel. Den Ring fand ich nicht. Und vielleicht, um den Verlust zu kompensieren, steckte ich die Kleiderbürste ein, die Bonbonniere, das Schälchen mit den Insekten und schließlich das Apothekerfläschchen mit den Muscheln. Katharina quittierte meinen prall gefüllten Rucksack mit einem schiefen Lächeln.

„Schön, dass wenigstens einer aus deiner Familie sich noch interessiert.“

„Deine Familie“, das klang so, als gehöre sie ganz bestimmt nicht dazu.

Ich nahm den Rucksack von der Schulter, um ihr zu zeigen, was ich mitnehmen wollte.

Doch sie winkte ab:

„Lass sein, ich freue mich, dass dir noch was gefällt. Niemand kauft mehr solchen Plunder. Wir können froh sein, wenn sich jemand findet, der die Sachen abholt.“

Ich nahm allen Mut zusammen, um die Rede noch einmal auf den Ring zu bringen, aber sie schien nicht zu wissen, wovon ich sprach.

„Der Ring, den sie immer getragen hat, Silber mit einem Mondstein.“

„Jetzt weiß ich, welchen du meinst“, sagte sie gedehnt, „ein absolut wertloses Ding!“, und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ich will ihn nicht verkaufen. Ich möchte ihn tragen“, erklärte ich und konnte zusehen, wie ihr Unbehagen wuchs.

„Hör zu“, sagte sie genervt, „falls ich ihn finde, werde ich ihn für dich aufheben, bis wir uns das nächste Mal sehen.“

Aber wir wussten beide, dass wir einander sobald nicht wiedersehen würden.

Nachdem sie gegangen war, ging ich wieder die Treppe hinauf, stellte den Rucksack ab und legte mich aufs Bett. Meine letzte Übernachtung an Großmutters Seite lag lange zurück. Aber so wenig ich es vermisst hatte, so schmerzlich war mir jetzt der Gedanke, es nie wieder tun zu können. Ich rollte mich auf den Bauch und steckte die Hände unter das Kopfkissen. Die Bettwäsche roch vertraut.

Ich hörte ihre Schritte in der Küche. Ich wartete gebannt, halb schlafend, halb wachend, auf das Knarren der Schranktür, doch stattdessen hörte ich eine Stimme von unten.

„Ist da jemand?“

Abrupt fuhr ich hoch. Ich musste eingeschlafen sein.

Meine Hände fuhren unter dem Kissen zusammen und ertasteten etwas, das nicht hätte da sein dürfen und doch genau dort lag, wo es hingehörte.

Großmutter hatte mir häufig kleine Geschenke unter mein Kopfkissen gelegt, wenn ich bei ihr übernachtet hatte, und wo früher einmal eine Feder und ein anderes Mal ein Stein gelegen hatte, lag jetzt der Ring. Ich nahm ihn und steckte ihn an meinen Finger. Dann hörte ich wieder die Stimme von unten.

„Hallo, ist da jemand?“

Mein Herz klopfte aufgeregt, als ich die Treppe hinunterschlich. Der Flur war dunkel bis auf einen schmalen Lichtstreifen, der unter der Küchentür hindurchfiel. In der Küche hörte ich Schritte, eine Schranktür wurde geöffnet, ein Stuhl verrückt. Es war tatsächlich jemand im Haus.

Ich öffnete die Tür und zunächst konnte ich niemanden entdecken, doch dann erhob sich eine Gestalt hinter dem Küchentisch. Da sie mir den Rücken zukehrte, räusperte ich mich, um sie nicht zu erschrecken.

„Entschuldigung“, sagte sie ohne Verlegenheit. „Ich konnte sie nicht mehr halten. Sie muss gespürt haben, dass etwas passiert ist.“

Es war die alte Nachbarin, die in dem verfallenen Haus hinter dem Rhododendron wohnte und weil ich sie verständnislos ansah, bückte sie sich unter den Tisch und tauchte mit einer Katze auf dem Arm wieder auf.

Ihr Fell war grauschwarz getigert, an den Pfoten und im Gesicht ging die Farbe in ein helles Braun über und um den Mund herum war sie rötlich, als hätte sie Spaghetti gegessen. Sie sah mich aus wissenden Augen an. Ihre Pupillen waren kreisrund, Halbmonde spiegelten sich darin. Sie blieb vollkommen ruhig auf dem Arm der Alten und beobachtete mich eindringlich, während wir uns unterhielten.

„Wo haben Sie den Ring gefunden?“, fragte sie forsch.

Und als schäme sie sich sogleich für ihre unverhohlene Neugier, drehte sie sich um, setzte die Katze ab und begann, Kaffee zu kochen.

Sie stellte zwei Tassen auf den Tisch und setzte sich mir gegenüber. Die Katze hatte das Schälchen ausgeleckt, das die Alte ihr auf die Erde gestellt hatte und rollte sich auf einem freien Stuhl zusammen.

„Es tut mir leid“, sagte sie.

Ich nickte nur.

„Als sie die Katze zu mir brachte, wusste ich, dass es mit ihr zu Ende ging. Sie hat mich gebeten, auf sie aufzupassen, weil sie es kaum noch schaffte, für sich selbst zu sorgen.“

„Was ist das für eine Katze?“

„Das war ihre und sie hat gesagt, Sie würden sie nehmen, wenn was passiert.“

Die Alte musste den Verstand verloren haben. Meine Großmutter hatte nie eine Katze gehabt.

„Sie hatte den Ring nicht um, als sie mir die Katze brachte“, sagte sie nach einer Pause. „Sie wissen doch, dass sie ihn nie abgenommen hat.“

Ich nickte wieder.

„Ich habe sie nach dem Ring gefragt und sie hat behauptet, sie hätte ihn verloren.“

„Was dachten Sie, was passiert wäre?“

„Sie hat ihn abgenommen und mir die Katze gebracht und dann ging sie zurück ins Haus, um zu sterben“, sagte sie und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, um dieser Ungeheuerlichkeit Nachdruck zu verleihen.

„Und Sie kümmern sich um die Katze!“

Das klang wie ein Befehl, nicht wie eine Frage.

Ich nickte müde.

Nachdem sie gegangen war, ging ich zurück nach oben und legte mich aufs Bett und am späten Nachmittag verließ ich mit der Katze unter dem Arm das Haus.

Rosalies Schlüssel

Подняться наверх