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6.

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»Feeken«, wiederholte Kramer. Langsam und deutlich. »Mareike Feeken.«

»Also nicht Ficken.« Die dralle Dame am Empfang guckte auf ihren Bildschirm. »Und wo soll die nochmal arbeiten?«

»In der Redaktion«, sagte Kramer geduldig. Zum dritten Mal schon. »Mareike Feeken, Lokalredaktion.«

»Ach so, Redaktion.« Dem Tonfall der drallen, rotgesichtigen Dame nach zu urteilen, musste die Redaktion so ziemlich das Unwichtigste an einer Lokalzeitung sein. Das mochte daran liegen, dass die Haupttätigkeit dieser Mitarbeiterin der Ostfriesen-Post im Eintippen von Kleinanzeigen bestand. Den Empfang machte sie nur nebenbei. Personelle Sparmaßnahmen; immerhin war Feiertag. Die Leser aber erwarteten am nächsten Morgen natürlich trotzdem ein angemessen gefülltes Blatt. Vor allem die, die immer lautstark gegen Feiertagsarbeit wetterten.

»Ach, hier.« Endlich hatte die Frau den Namen auf ihrer Liste gefunden. »Feeken heißt die, nicht Ficken. Mareike.« Sie bearbeitete das Tastenfeld ihres Tischtelefons. »In der Redaktion haben wir ja immer so viel Wechsel, kaum kennt man jemanden, ist er auch schon wieder weg. Welche Lokalredaktion sagten Sie noch? Leer?«

»Leer, genau. Mareike Feeken, Lokalredaktion Leer.« Oberkommissar Kramer blieb immer höflich. Jetzt gerade fiel das sogar ihm auf. Immerhin stand er hier im Zentralgebäude der Ostfriesen-Post, das sich in Logabirum befand, und Logabirum war ein Stadtteil von Leer.

»Jaaa, Beate, hier ist Tomke, Anzeigen. Moin! Alles gut bei dir? Nee? Ach, ist dein Rasen auch so gelb? Meiner auch! Hat ja zwei Wochen schon nicht geregnet, nee, bei mir auch nicht, jo, ist echt verloren!« Die grelle Stimme der drallen Dame schallte durch den weitläufigen und ansonsten menschenleeren Anzeigen- und Empfangsbereich. Kramer bezweifelte, dass sie zur hausinternen Kommunikation überhaupt ein Telefon benötigte. Und dass er noch lange seine Stoikerfassade aufrechterhalten konnte, das bezweifelte er auch.

»Was? Weswegen ich anrufe? Ach so, ja. Hier steht so ein Mann, der will zu Frau Ficken. Von der Redaktion. Ja, hat er gesagt.« Die dralle Dame schaute Kramer aus starren Augen an. »Was? Habt Ihr keine? Mareike, dachte ich.«

Oberkommissar Kramer ertrug den Blick, indem er tief und beherrscht atmete.

»Wie? Ach so. Ja, Moment.« Die dralle Dame mit dem roten Gesicht deckte mit der Hand die Sprechmuschel ab und rief in abermals erhöhter Lautstärke: »Sie heißt nicht Ficken! Sie wollen vermutlich zu Mareike Feeken, oder?«

»Mareike Feeken. Wie ich schon sagte.« Kramers Stimme klang eine Nuance schärfer als zuvor.

»Na, nun regen Sie sich mal nicht gleich auf! Sie wollen schließlich was von mir, oder?« Der knallrot geschminkte Mund der drallen Dame hatte sich vor Empörung gerundet. »Und was kann ich wohl dafür, wenn Sie sich keinen Namen merken können! Wie heißen Sie denn überhaupt?«

Oberkommissar Kramer, der sich natürlich vorgestellt hatte, zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn ihr unter die Nase. Die brauchte einen Moment, um die Aufschrift zu entziffern. »Polizei?«, stieß sie dann hervor. Und gleich noch einmal: »Polizei!«

Sie ließ den Telefonhörer sinken. Eine angsterfüllte Stimme war quäkend zu hören, offenbar Beate aus der Redaktion: »Oh Gott, Tomke, was ist los? Wirst du gerade überfallen? Soll ich die Polizei holen?«

Aus dem Hintergrund huschte eine Gestalt heran. Ehe Kramer reagieren konnte, nahm sie der drallen Dame den Hörer aus der Hand und hob ihn ans eigene Gesicht: »Hallo, Beate, Mareike hier. Alles ist gut! Tomke ist nur ein bisschen überfordert vom Multitasking.« Sie legte auf und lächelte Kramer an: »Ich bin Mareike Feeken. Sie wollten zu mir?«

»Kramer, Kripo Leer-Emden, Fachkommissariat eins«, stellte der Oberkommissar sich vor. Er hatte die Journalistin sofort erkannt; es war noch nicht lange her, dass sie als Neuzugang im eigenen Blatt mit Foto vorgestellt worden war. Ihr langes dunkelblondes Haar trug sie heute allerdings nicht offen, sondern zum Pferdeschwanz gebunden. Und sie war größer, als Kramer erwartet hatte. Annähernd so groß wie er.

Außerdem sah sie, anders als auf dem Foto, ziemlich gestresst aus.

»Die Redaktion ist total unterbesetzt«, sagte sie, nachdem sie mit ihrem Besucher die Eingangshalle verlassen und ihn in ein unbesetztes Büro geführt hatte. »Nicht nur an Feiertagen wie heute, das wäre noch normal, dafür wird auch so viel wie möglich vorproduziert. Unsere Personaldecke ist aber generell viel zu dünn. Und es wird immer weiter gekürzt.«

»Wie ich hörte, musste der letzte Chefredakteur gehen, weil er keine weiteren Kürzungen akzeptieren wollte«, warf Kramer ein.

Mareike Feeken lächelte verlegen. »Dazu kann ich gar nichts sagen. Nein, wirklich, davon weiß ich nichts, das war vor meiner Zeit. Ich habe ja quasi zeitgleich mit dem aktuellen Chefredakteur hier angefangen.«

Eine Meinung dazu hat sie bestimmt, dachte Kramer, aber sie traut sich nicht. Gute Vorgesetzte schätzten es, wenn Mitarbeiter ihre eigenen Ansichten entwickelten. Schlechte Chefs kannten nur die ihren. Arme Frau Feeken! In dieser Hinsicht durfte Kramer sich glücklich schätzen.

Aber deswegen war er nicht hier. »Es geht um den Mord an Carsten Fecht«, sagte er.

Die junge Redakteurin nickte. »Steht schon in unserer Online-Ausgabe. Jedenfalls die bisher bekannten Fakten. Können Sie mir denn schon weitere Details erzählen?«

Kramers Pokerface war wieder einsatzbereit. »Sie missverstehen den Grund meines Hierseins. Ich habe Fragen, keine Informationen.«

Mareike Feeken grinste schelmisch. »Weiß ich doch. Aber man kann es mal versuchen, nicht?«

Das konnte Kramer ihr nicht verübeln, trotzdem ging er nicht darauf ein. »Ein Zeuge berichtete uns, Sie hätten neue Chatprotokolle von Carsten Fecht vorliegen«, sagte er. »Sie sollen Informationen enthalten, die weitere Lokalpolitiker und andere Personen in Misskredit bringen könnten. Diese Dateien brauchen wir.«

Mareike Feeken lächelte das erwartungsvolle Lächeln, das Journalisten gerne aufsetzen, um ihre Gesprächspartner zum Weiterreden zu animieren. Lernte man das in der Ausbildung? Es dauerte einen Augenblick, bis ihr klar wurde, dass Kramer schon ausgeredet hatte. Dann verschwand das Lächeln wie weggewischt.

»Sie wollen Dokumente von mir, die ich von einem Informanten erhalten habe?«, vergewisserte sich die Redakteurin. »Aber Sie wissen schon, dass so etwas unter Quellenschutz fällt?«

»Ich ermittle in einem Mordfall«, sagte Kramer ungerührt. »Ein Verbrechen gegen das Leben ist das eindeutig höhere Rechtsgut. Außerdem hatten Sie ohnehin vor, das Material zu veröffentlichen. Darüber habe ich ebenfalls eine Zeugenaussage.«

Die junge Frau schien beeindruckt, aber noch lange nicht willens, klein beizugeben. »Dazu müsste ich zuerst die Einwilligung meines Chefredakteurs einholen«, bezog sie ihre nächste Verteidigungslinie. »Und der hat leider keinen Feiertagsdienst. Ich müsste also zunächst einmal herausfinden, wo ich ihn erreichen kann, und das wird sicher etwas dauern.«

»Bedaure«, erwiderte Kramer. »Verzögerungen würden eine Mordermittlung behindern. Das darf ich leider nicht zulassen.«

Mareike Feeken schüttelte energisch den Kopf. »Ohne eine solche Rückversicherung händige ich Ihnen das Material ganz bestimmt nicht aus«, beharrte sie. »Und schon gar nicht ohne eine richterliche Anordnung!« Ihre triumphierende Miene deutete an, dass ihr diese letzte Rückzugsposition gerade eben noch eingefallen war. Dies war ihr Burgfried, hier würde sie sich behaupten, bis Entsatz kam!

Kramers Lächeln war so dünn, dass nur Eingeweihte es wahrnehmen konnten. Sie kennt mich noch nicht, dachte er, also lasse ich sie auch nicht allzu lange zappeln. Beim nächsten Mal weiß sie dann Bescheid.

Der Oberkommissar zog die richterliche Verfügung aus der Innentasche seines Sakkos und entfaltete sie, sodass Unterschrift und Dienstsiegel gut zu erkennen waren. »Wenn ich dann bitten dürfte?«, fragte er mit untadeliger Höflichkeit.

Eine Sekunde lag saß Mareike Feeken wie erstarrt, das Gesicht ausdruckslos. Dann kehrte das Leben in ihre Miene zurück. Ein schalkhaftes Grinsen ließ winzige Fältchen in ihren Augenwinkel erscheinen. »Und wenn nicht?«, fragte sie. »Wartet für diesen Fall draußen schon das Rollkommando?«

Kramers Pokerface hielt auch diesem Frontalangriff stand. Als stünden draußen tatsächlich zwei vollbesetzte Mannschaftswagen bereit.

»Also gut.« Die Journalistin schlug ihre Handflächen auf die Oberschenkel und sprang auf. »Ich hab’s versucht. Folgen Sie mir bitte.«

Sie eilte voraus, steuerte einen weiß gestrichenen Gang an, von dem offene Türen rechts und links Einblicke in verlassene Redaktionsstuben gestatteten und in dem es intensiv nach staubigem Papier roch, aller Digitalisierung zum Trotz. Sie betrat das letzte Büro links und warf sich in den Drehstuhl vor dem PC. Ohne hinzuschauen, öffnete sie eine flache Schublade und entnahm ihr einen USB-Stick, den sie schwungvoll auf den nahezu leeren Schreibtisch warf. Es schlitterte über die Platte, und Kramer kam gerade noch zurecht, um das winzige Ding aufzufangen.

»Das ist alles?«, fragte er.

Sie starrte ihn herausfordernd an. »Ja, das ist alles. Sämtliches Material, das ich von und über Carsten Fecht bekommen habe, befindet sich auf diesem Stick. Glauben Sie mir.«

Tja, dachte Kramer, glaube ich ihr? Die Ostfriesen-Post hatte sich unter der neuen Leitung stark verändert, vom etwas behäbigen, aber seriösen Chronistenblatt hin zur Boulevardgazette. Statt das tatsächliche Geschehen in der Region abzubilden und zu begleiten, setzte die Redaktion jetzt auf kontroverse Themen, gezielte Provokationen und reißerische Aufmachung. Wohl ein letztes Aufbäumen angesichts sinkender Abonnentenzahlen. Änderten sich damit auch die Wertvorstellungen der Mitarbeiter? Log man jetzt ungehemmt für eine skandalträchtige Schlagzeile? Die Politik machte es allenthalben vor.

»Ich glaube Ihnen«, sagte Kramer. »Vielen Dank.« Er steckte den Stick ein, zusammen mit der richterlichen Verfügung. »Sehen Sie, jetzt haben wir die gar nicht gebraucht. Schönen Dienst wünsche ich noch.«

Mareike Feekens herausfordernder Blick geleitete ihn zur Tür hinaus.

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