Читать книгу Das große Buch der Berg-Krimis Dezember 2019 - Peter Haberl - Страница 27

6. Kapitel

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„Irgendetwas stimmt mit dem nicht“, knurrte Oberkommissar Kutzer, nachdem Jakob Trummer das Büro verlassen hatte. „Wenn ich nur wüsste, was es ist.“

„Normal ist es jedenfalls nicht, dass sich ein Zweiundsechzigjähriger an eine Fünfundsiebzigjährige hinhängt, sodass sogar der Eindruck entsteht, er habe ein Verhältnis mit ihr.“ Degenhart zuckte mit den Schultern. „Aber es ist wohl so, dass es nichts gibt, was es nicht gibt.“

„Was jetzt?“, erkundigte sich Oberkommissar Kutzer.

„Wir sollten noch mit dem Sohn des Ehepaares Ringer sprechen“, antwortete Degenhart. „Ich will aber erst mal bei ihm zu Hause anrufen, ob er überhaupt erreichbar ist. Hast du die Nummer der Ringers notiert?“

„Ja.“ Kutzer holte sein Notizbuch aus der Innentasche seiner Jacke, schlug es auf und sagte: „Nimm den Hörer, ich diktiere dir die Nummer.“

Eine halbe Minute später hatte der Hauptkommissar Carmen Ringer am Telefon. Als er seinen Namen nannte, glaubte er ein unterdrücktes Ächzen zu vernehmen, das ihr wohl unwillkürlich entschlüpfte. „Hab ich Sie erschreckt, Frau Ringer?“

„Nein, gar nicht. Hatten Sie nicht für heute Morgen den Jakob zu sich bestellt? Sind Sie denn mit seiner Vernehmung schon fertig? Was hat er Ihnen denn erzählt?“

Heute klang ihre Stimme klar, woraus Hauptkommissar Degenhart schloss, dass sie noch nicht getrunken hatte. „Nichts, was wir nicht schon gewusst hätten“, antwortete Degenhart auf ihre letzte Frage. „Ich rufe Sie an, Frau Ringer, weil wir gerne noch mit Ihrem Sohn Sebastian gesprochen hätten. Ist er zu Hause? Wenn nicht, wo können wir ihn gegebenenfalls erreichen?“

„Sebastian ist als Kraftfahrzeugmechaniker beschäftigt und befindet sich in der Arbeit. Was wollen Sie denn von meinem Sohn? Verdächtigen Sie ihn etwa auch, dass er der Täter sein könnte? Er hat seine Oma abgöttisch geliebt.“

„Nennen Sie mir bitte den Betrieb, in dem Ihr Sohn arbeitet“, forderte der Hauptkommissar mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.

Carmen Ringer kam seiner Aufforderung nach, Degenhart bedankte sich, legte auf und sagte zu seinem Kollegen: „Er arbeitet bei dem Renault-Händler am Forst. Verlieren wir keine Zeit.“

Um von der Regensburger Straße, wo sich die Polizeiinspektion befindet, zum Forst zu gelangen, mussten die Beamten die ganze Stadt durchqueren. Sie hätten zwar auch die Autobahn benutzen können, aber Kutzer zog es vor, den Dienstwagen durch den Stadtverkehr zu steuern.

Bei dem Autohaus angelangt stellte sich Degenhart einer jungen Dame an der Rezeption vor und bat sie, Sebastian Ringer kommen zu lassen. Sie mussten fast fünf Minuten warten, dann erschien ein junger Mann von höchstens eins sechzig, der mit einem Blaumann bekleidet war und dessen Hände ölverschmiert waren.

„Wir werden Ihre Zeit nicht unnötig lange in Anspruch nehmen, Herr Ringer“, gab Degenhart zu verstehen. „Setzen wir uns dorthin“, fügte er hinzu und deutete mit der linken Hand auf eine lederne Sitzgarnitur, die in der Verkaufshalle um einen niedrigen Tisch, auf dem einige Zeitschriften lagen, gruppiert war.

„Sie kommen wegen meiner Oma, nicht wahr?“, fragte Sebastian Ringer mit belegter Stimme.

„Sehr richtig“, übernahm es Karl Kutzer, zu antworten. Sie hatten die Sitzgruppe erreicht und ließen sich nieder. Der junge Mann war die personifizierte Unruhe. Seine Mundwinkel zuckten, nervös massierte er seine Hände, sein rastloser Blick sprang zwischen den beiden Beamten hin und her. „Erzählen Sie, Herr Ringer, wie war Ihr Verhältnis zu Ihrer Großmutter?“

„Sehr gut.“ Der junge Mann schien sich einen Ruck zu geben, und stieß hervor: „Ich denke, dass der Matheis meine Oma ermordet hat. Er hat sie vor einiger Zeit angerufen und ihr gedroht. Es war kein anderer als er.“

Sebastian Ringer hatte es im Brustton der Überzeugung gesprochen.

„Wenn er es war, dann finden wir das auch heraus“, versicherte Hauptkommissar Degenhart. „Aber noch sind wir nicht so weit. Haben Sie vorigen Montag gearbeitet?“

„Natürlich! Ich war um 7:00 Uhr in der Werkstatt, und das kann fast jeder hier bezeugen.“

„Davon bin ich überzeugt“, erklärte der Hauptkommissar. „Kann es sein, dass Sie auf dem Weg zu Ihrer Betriebsstätte bei Ihrer Großmutter vorbeigefahren sind, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren?“

„Nein. Ich wollte am Montagmittag aufhören, um am Nachmittag mit meiner Oma und dem Rest der Familie ein wenig Geburtstag zu feiern. Gegen 10:00 Uhr erfuhr ich allerdings, dass sie gestorben sei.“ Die Augen des jungen Mannes füllten sich mit Tränen, seine Stimme hatte zuletzt brüchig geklungen, und es war deutlich, dass er mit aller Gewalt gegen seine Gefühle ankämpfte. „Ich habe mir sofort freigeben lassen und bin zur Wohnung meiner Oma gefahren, aber da hat es schon von Polizisten gewimmelt und ich durfte die Wohnung nicht betreten.“

„Wir wissen, dass Ihr Vater Ihrer Oma nicht gerade wohlgesinnt war. Sie sind sein Sohn, und mir stellt sich die Frage, ob er mit Ihnen über sein schlechtes Verhältnis zu seiner Schwiegermutter gesprochen hat.“

„Mein Vater – der Oma schlecht gesinnt – das soll wohl ein Witz sein!“ Sebastian Ringer wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, blinzelte einige Male und fuhr fort: „Die beiden haben sich doch glänzend verstanden, für meinen Vater war die Oma fast so etwas wie eine Mutter.“ Sebastian Ringer kniff die Augen etwas zusammen und schob das Kinn vor: „Wer behauptet, dass mein Vater auf meine Oma schlecht zu sprechen gewesen wäre?“

Dieser letzte Satz hatte fast drohend geklungen.

„Ihr Vater hat es selbst zugegeben.“

„Das kann ich nicht glauben.“ Der junge Mann spuckte die Worte geradezu hinaus.

„Es ist so.“

„Aber Sie denken doch nicht, dass mein Vater die Oma ...“ Die Stimme des jungen Mannes versagte, es war, als sträubte sich alles in ihm, das Ungeheuerliche auszusprechen. Lediglich sein würgendes Schlucken verriet, wie schwer er an diesem Gedanken zu tragen hatte.

„Es gibt überhaupt noch keinen Verdacht, wer der Täter sein könnte“, erklärte Degenhart. „Auch im Hinblick auf Herrn Doktor Matheis deutet nichts darauf hin, dass er Ihre Oma ermordet hat. Eines aber hat sich ganz klar herauskristallisiert, und zwar, dass in Ihrer Familie nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen war. Ihre Oma konnte nicht mit ihrer Schwiegertochter Waltraud, ihr Sohn Bruno stand wahrscheinlich mehr auf Seiten seiner Frau, Ihr Vater war alles andere als gut auf Ihre Oma zu sprechen und ...“

„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Herr Kommissar“, fiel Sebastian Ringer dem Polizisten ins Wort. „Mir ist jetzt, als Sie den Namen meines Onkels erwähnten, etwas eingefallen. Als ich am Freitagnachmittag nach der Arbeit meine Oma besuchte, verließ in dem Moment, in dem ich aus dem Auto stieg, Bruno ihre Wohnung. Er schmiss die Haustür hinter sich zu, dass ich schon befürchtete, sie fällt aus dem Rahmen. Ich rief ihm zu, was los sei, aber er winkte nur wütend ab, lief zu seinem Auto, warf sich hinein und legte einen Kavaliersstart hin, dass die Reifen qualmten.“

„Sie haben Ihre Oma doch sicherlich gefragt, weshalb Ihr Onkel wutentbrannt das Haus verlassen hat.“

„Sicher, aber die Oma hat mir nur eine ausweichende Antwort gegeben. Ich denke aber, dass Onkel Bruno sie um Geld anpumpen wollte.“

„Gibt es einen Grund für diese Annahme?“, brachte sich Oberkommissar Kutzer in das Gespräch ein.

„Er hat sie schon öfter mal angepumpt.“

„Und – hat sie ihm Geld geliehen?“

„Einmal hat sie mir erzählt, dass sie ihm tausend Euro geliehen hat, sagte aber mit demselben Atemzug, dass sie hinter diesem Geld wohl herbeten könne. Sie meinte damit, dass es ihr Bruno wohl nie zurückzahlen werde.“

„Seit wann haben Sie denn ausgelernt?“, wechselte Hauptkommissar Degenhart das Thema.

Fragend schaute ihn der junge Mann an. „Was hat das damit zu tun?“, platzte es dann aus ihm heraus.

„Nun ja, Sie fahren ein Auto, und ich glaube nicht, dass Sie schon so viel Geld verdient haben, um sich einen Wagen leisten zu können. Ihre Eltern haben sicherlich auch nicht das nötige Kleingeld, um Ihnen einen fahrbaren Untersatz zu finanzieren.“

„Ich hab vor einem Jahr im August ausgelernt. Ich verdiene also seit fast anderthalb Jahren gutes Geld.“

„Was ist das für ein Auto, das Sie fahren?“

„Ein Renault Megan. Ich habe ihn übertragen gekauft, er hat 10.000 Euro gekostet.“

„Hatten Sie so viel Geld?“

Sebastian Ringer begann an seiner Unterlippe zu nagen.

Oberkommissar Kutzer verlor schließlich die Geduld und stieß hervor: „Antworten Sie, hatten Sie das Geld oder nicht?“

„Die Oma hat mir fünftausend geliehen“, gab Sebastian Ringer mit schwankender Stimme zu. Er duckte sich etwas und es war deutlich, dass ihm dieses Frage- und Antwortspiel geradezu körperliches Unbehagen bereitete.

Bei Hauptkommissar Degenhart spielten mehrere Dinge zusammen, die ihn zu diesen Fragen veranlassten. Die meisten Mordmotive waren in der Habgier zu suchen, und die größte Rolle in diesem Zusammenhang spielte das Geld. Es waren zum einen ein untrüglicher Instinkt, zum anderen die Menschenkenntnis, zum dritten ein erprobter Spürsinn sowie die jahrelange Erfahrung, die ihn auf diese Schiene geführt hatten. Er ergriff noch einmal das Wort, indem er sagte:

„Sie hatten also fünftausend Euro Schulden bei Ihrer Großmutter. Wie viel davon haben Sie schon getilgt?“

Sebastian Ringer druckste herum, offensichtlich war ihm die Frage unbequem und es fiel ihm schwer, darauf zu antworten, schließlich aber murmelte er: „Noch gar nichts.“ Er atmete tief durch und fuhr fort: „Mir reicht das Geld, das ich verdiene, hinten und vorne nicht. Da ich noch zu Hause wohne muss ich zur Miete beitragen und Kostgeld zahlen, das Auto kostet eine Menge an Unterhalt, ich brauch hin und wieder was zum Anziehen und – ich habe eine Freundin, vor der ich auch nicht dastehen möchte wie ein Hungerleider. Ihr Vater ist Lehrer und ihre Eltern erwarten sicherlich vom Freund ihrer Tochter, dass er nicht gerade ein Habenichts ist.“

„Sie spielen Ihrer Freundin und deren Eltern also einen gehobenen Status vor“, knurrte Oberkommissar Kutzer. „Wissen die drei, dass Sie hier als Kfz-Mechaniker schaffen und dass Sie sich - davon gehe ich mal aus -, mit dem Anfangsgehalt eines jungen Mechanikers begnügen müssen.“

„Ich habe es Karin nicht verschwiegen. Ihre Eltern legen keinen Wert auf einen besonderen Status. Ihnen reicht es, wenn der Freund ihrer Tochter anständig ist und arbeitet und nicht gerade von der Fürsorge lebt.“

„Na, dann gibt es ja keine Probleme“, mischte sich wieder der Hauptkommissar ein. „Und Sie müssen vor Ihrer Freundin und deren Eltern nicht den Krösus spielen.“

„Das muss in der Familie liegen“, brummte Oberkommissar Kutzer vor sich hin. Seine Stimme hob sich: „Na schön, sei es wie es mag, Fakt ist, dass Sie bei Ihrer Oma fünftausend Euro Schulden hatten, von denen Sie noch keinen Cent getilgt haben und – die Sie möglicherweise auch gar nicht tilgen wollten. Haben Sie mit Ihrer Großmutter darüber gesprochen, dass Sie keine Möglichkeit sehen, ihr das Geld zurückzuzahlen?“

„Sie hat mich des Öfteren deswegen angesprochen, doch ich habe sie immer vertröstet. Vor ungefähr vierzehn Tagen ist sie damit herausgerückt, dass das Geld gar nicht von ihr stammt sondern dass sie es sich von Jakob Trummer geliehen hat. Und der hat natürlich auf Rückzahlung gedrängt. Aber meine Oma hat ja auch keine allzu hohe Rente, sodass sie an mich herangetreten ist und mich aufgefordert hat, alsbald mit der Schuldenrückzahlung zu beginnen.“

„Gibt es einen Darlehensvertrag zwischen Ihnen und Ihrer Oma?“, fragte Degenhardt.

„Nein.“

„Na schön“, stieß Degenhart hervor. „Wann haben Sie Ihre Oma vor ihrem Tod zum letzten Mal gesehen?“

„Am Freitagnachmittag. Das war, als ich beobachtete, wie Bruno wütend das Haus verließ, in dem meine Oma wohnte.“

„Haben Sie auch am Freitagnachmittag mit ihr über das Geld gesprochen, das Sie ihr schulden?“

„Natürlich! Sie hat mich sogar als Betrüger bezeichnet. Weil sie so aggressiv war, bin ich gegangen. Sie hat mir noch gedroht, dass etwas los sei, wenn ich innerhalb einer Woche nicht mindestens fünfhundert Euro auf den Tisch blättere.“

„Was – denken Sie – wäre die Konsequenz gewesen, wenn Sie diese Forderung nicht erfüllen hätten können?“

„Ich habe keine Ahnung“, murmelte Sebastian Ringer. „Ich hab mir nur gedacht, dass sie sich schon wieder einkriegen wird, und bin gegangen. Sie hat mir mit ihrem Geschrei das ganze Wochenende versaut.“

„Aber sie hat Sie auch verunsichert“, warf Oberkommissar Kutzer dazwischen. „Und Sie haben wahrscheinlich das ganze Wochenende herumgesessen und gegrübelt, was Sie erwarten könnte, wenn Sie nicht zahlen. Es hat Ihnen keine Ruhe gelassen und Sie sind am Montag früh vor der Arbeit zu Ihrer Großmutter gefahren, um noch einmal mit ihr zu sprechen und sie zu besänftigen. Aber sie wollte nur Geld von Ihnen sehen, weil sie ja mit dem Darlehen bei Herrn Trummer in der Schuld stand. Ich vermute, dass Sie sich stritten, dass der Streit eskalierte und dass Sie dann nach der Blumenvase gegriffen haben. Und weil Sie außer sich waren vor lauter Wut und nur noch rot sahen, stürzten Sie sich auf Ihre Großmutter und drückten ihr so lang den Hals zu, bis sie tot war.“

Sebastian Ringers Gesicht entfärbte sich und wurde bleich wie ein Leichentuch. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, seine Lippen bewegten sich auch, aber seine Stimmbänder versagten ihm den Dienst. Die einzige Reaktion, die er zustande brachte, war, dass er beide Hände hob und wiederholt den Kopf schüttelte, schließlich stieg ein unartikuliertes Krächzen aus seiner Kehle und dann keuchte er: „Nein, nein und nochmals nein! Ich war Montag früh nicht bei meiner Oma. Aber ...“

Sebastian Ringer brach ab, nahm das Gesicht in beide Hände und krümmte den Oberkörper nach vorn. Ein trockenes Schluchzen entrang sich ihm.

„Was?“, kam es von Kutzer und das Wörtchen fiel wie ein Peitschenschlag, der den jungen Mann zusammenzucken ließ.

„Ich – ich habe am Samstag mit meiner Mutter darüber gesprochen und sie gebeten, mit der Oma zu reden.“

„Und, hat sie?“

„Ich weiß es nicht. Allerdings hat sie mir versprochen, mit dem Jakob zu sprechen, schließlich hilft sie ihm ja seit mehreren Jahren, seinen Haushalt zu führen.“

„Interessant“, platzte es aus Degenharts Mund. „Ihre Mutter ist also bei Herrn Trummer als Haushaltshilfe beschäftigt“, stellte er dann fest.

„Sozusagen“, bestätigte Sebastian Ringer.

Das große Buch der Berg-Krimis Dezember 2019

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