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1 Die Doppelbedeutung von Organisation(en) in der Sozialen Arbeit


Für Studierende und Fachkräfte der Sozialen Arbeit gibt es in mehrfacher Hinsicht die Notwendigkeit, sich mit Organisation(en) in der Sozialen Arbeit auseinanderzusetzen. Um in der heterogenen Organisationslandschaft der Sozialen Arbeit, mit beispielsweise Jugendamt, freien Trägern und Lobbyorganisationen, den Überblick zu behalten, benötigen Fachkräfte ein allgemeines Wissen über die grundlegende Systematik der Organisationsstrukturen und die zentralen Organisationen in der Sozialen Arbeit, über die sozialpolitisch den Organisationen jeweils zugewiesenen Aufgaben und die damit verbundenen Erwartungen sowie über ihre Finanzierung. Zudem handeln die Fachkräfte in diesen Organisationen. Um das eigene Handeln in Organisationen reflektieren, organisationsbedingte Phänomene und den Zusammenhang von Organisation und Professionalität in der Sozialen Arbeit verstehen zu können, ist daher auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Organisation als solche erforderlich. Darüber hinaus stehen die Organisationen der Sozialen Arbeit vor der Frage, wie sie ihre Abläufe und (Teil-)Aufgaben organisieren, damit die jeweiligen Organisationsziele möglichst effizient erreicht werden können und für die Mitarbeitenden eine gewisse Handlungssicherheit gegeben ist. Für diese Aufgabe der Organisationsgestaltung sind organisationstheoretische Kenntnisse hilfreich. Dabei ist es erforderlich, die Besonderheiten der Sozialen Arbeit, wie beispielsweise das doppelte Mandat, zu reflektieren, damit die jeweiligen Strukturen und Abläufe sich ermöglichend und nicht be- oder gar verhindernd auf das professionelle Handeln der Fachkräfte auswirken. Fachkräfte der Sozialen Arbeit benötigen also auch ein organisationsbezogenes Wissen. Zusammengenommen sind damit ein allgemeines Wissen über die Organisationen in der Sozialen Arbeit und ein spezifisches Wissen über Organisation in der Sozialen Arbeit zentrale Bestandteile von Professionalität.


Stellen Sie sich vor: In der Einführungswoche Ihres Bachelorstudiums der Sozialen Arbeit werden Ihnen an einem Vormittag der allgemeine Studienverlauf und die Modulübersicht vorgestellt. Von den vielen Theorien, Konzepten, Handlungsfeldern und Methoden, mit denen Sie sich in den nächsten Semestern auseinandersetzen sollen, und den umfangreichen Kompetenzen, die Sie in den Vorlesungen, Seminaren und Praxisphasen erwerben sollen, raucht Ihnen schon bald der Kopf. Gleichzeitig freuen Sie sich insbesondere auf die Veranstaltungen zum Auftrag der Sozialen Arbeit und zu ihren Zielgruppen. Auch auf die Auseinandersetzungen mit den Theorien und Handlungsmethoden der Sozialen Arbeit sind Sie gespannt und hoffen, in diesen Seminaren das Handwerkszeug für Ihre spätere Arbeit in der Praxis zu lernen. Die Relevanz eines Moduls und seiner Inhalte erklärt sich Ihnen jedoch nicht unmittelbar: In diesem Modul geht es um die organisationsbezogenen, strukturellen und ökonomischen Grundlagen der Sozialen Arbeit. Zwar können Sie nachvollziehen, dass es wichtig ist, die Organisations- und Finanzierungsstrukturen der Sozialen Arbeit allgemein zu kennen. Aber mehr als Rahmenbedingungen für Ihr Handeln in der Sozialen Arbeit sind diese Strukturen doch nicht, oder? Was haben die Organisationsstrukturen darüber hinaus mit Ihren fachlichen Handlungsmöglichkeiten in der Praxis zu tun? Gibt es hier Zusammenhänge oder Wechselwirkungen und wenn ja, welche?

Überlegen und diskutieren Sie:

Welche Assoziationen und / oder ggf. Erinnerungen an Ihre Einführungswoche weckt das beschriebene Szenario in Ihnen?

Welchen Platz auf der Beliebtheitsskala nehmen organisationsbezogene Vorlesungen und Seminare bislang bei Ihnen ein und warum?

Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, dass Sie sich mit Organisation(en) in der Sozialen Arbeit befassen?

1.1 Organisationen sind allgegenwärtig

Organisation(en) sind in der Praxis der Sozialen Arbeit allgegenwärtig. Nicht zuletzt deswegen muss die Frage, warum sich (angehende) SozialarbeiterInnen mit Organisation(en) in der Sozialen Arbeit auseinandersetzen sollen, aus verschiedenen Perspektiven beantwortet werden. Zunächst eine naheliegende, quasi offenkundige Antwort: SozialarbeiterInnen sollten sich mit den Organisationen der Sozialen Arbeit befassen, weil die Institutionalisierung und damit eng verknüpft die Organisationstatsache seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Rahmenbedingung der Sozialen Arbeit ist. Institutionalisierung, ein aus der Soziologie stammender Begriff, umfasst in der Sozialen Arbeit die Prozesse zur sozial- und gesellschaftspolitischen, rechtlichen und mit beidem verbundenen organisatorischen Absicherung ihrer vielfältigen Angebote und Leistungen. Der Begriff der Institution wird generell und auch in der Sozialen Arbeit oft synonym mit dem der Organisation gebraucht. Institution und Organisation sind jedoch nicht ganz deckungsgleich. Der Begriff der Institution kann sich zwar auf Organisationen beziehen und konkrete, materielle, zweckgerichtete Einrichtungen (z. B. Parlament, öffentliche Verwaltung, Schulen) meinen. Darüber hinaus werden aus einer funktionalistischen Perspektive aber auch strukturerhaltende Elemente einer Gesellschaft wie beispielsweise die Ehe als Institutionen bezeichnet (Schubert / Klein 2011; Süß 2009).

Die um 1900 im deutschsprachigen Raum zunehmende Institutionalisierung der bis dato insbesondere im Bereich der Armenfürsorge ehrenamtlich und unsystematisch geleisteten Sozialen Arbeit ist zum einen auf die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls beginnende Verberuflichung von Sozialer Arbeit zurückzuführen (Hammerschmidt et al. 2017). Seitdem findet Soziale Arbeit in sich immer weiter ausdifferenzierenden, institutionellen und damit auch organisationsbezogenen Kontexten statt und die Organisationstatsache ist zu einem zentralen Merkmal professionalisierter Sozialer Arbeit geworden.


Die Organisationstatsache bezieht sich auf die Beobachtung, dass professionalisierte Soziale Arbeit immer in einer Organisation geschieht.

Diese Organisationstatsache ist nicht nur auf die Prozesse der zunehmenden Verberuflichung von Sozialer Arbeit zurückzuführen. Sie ist zum anderen auch darin begründet, dass es beginnend in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Aufbau der Sozialversicherung und damit einhergehend zu einer ebenfalls zunehmenden Institutionalisierung und staatlichen Verantwortungsübernahme für die Leistungen der Sozialen Arbeit gekommen ist.


Die Sozialversicherung ist der wichtigste Teil der sozialen Sicherung in Deutschland. Sie besteht aus folgenden fünf Zweigen: gesetzliche Krankenversicherung, gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung, gesetzliche Arbeitslosenversicherung, gesetzliche Pflegeversicherung.

Auf diese Entwicklungen geht das in Deutschland grundgesetzlich verankerte Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 bzw. Art. 28 GG) zurück.


Das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 GG) verpflichtet den Gesetzgeber, die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit zu beachten und soziale Gegensätze auszugleichen.

Die mit dem Sozialstaatsprinzip verbundenen zentralen übergreifenden sozialpolitischen Zielsetzungen soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit (§ 1 SGB I) und die sich daraus im Sinne des Sicherstellungsauftrages (§ 17 SGB I) für die unterschiedlichen Sozialleistungsbereiche ableitenden konkreten Verpflichtungen und Aufgaben werden auch durch die vielfältigen Leistungen und Angebote der Sozialen Arbeit und ihrer Organisationen flankiert und realisiert. Diese Ziele sind damit in den Organisationen institutionalisiert. Aus dieser Perspektive ist Soziale Arbeit ein Teil der „sozialstaatlichen Daseinsvorsorge“ (Maas 1996, 18), woraus sich für die unterschiedlichen Sozialleistungsbereiche konkrete Aufgabenstellungen ableiten lassen. Die Erwartbarkeit von Hilfe tritt dabei generell an die Stelle individualisierter Hilfsbereitschaft (Luhmann 1973).


Dies soll an der Kinder- und Jugendhilfe verdeutlicht werden: Gemäß § 1 Abs. 1 SGB VIII hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Von dieser Leitnorm ausgehend werden in § 1 Abs. 3 SGB VIII die Aufträge der Kinder- und Jugendhilfe konkretisiert: Kinder- und Jugendhilfe soll junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und ihren Beitrag dazu leisten, dass Benachteiligungen vermieden oder abgebaut werden. Kinder- und Jugendhilfe soll Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten, unterstützen und dazu beitragen, dass positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien geschaffen werden. Sie soll Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen. So weit, so gut. Damit jedoch diese Leitziele der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur auf programmatischer Ebene bestehen, sondern in der Praxis Wirkungen für junge Menschen und ihre Familien entfalten können, müssen sie vor Ort in konkrete Angebote und Leistungen übersetzt und von der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe angeboten werden. Erst durch diese Transformation der noch sehr allgemeinen Aufträge des § 1 SGB VIII in konkrete Angebote und die damit verbundene Institutionalisierung in Organisationen wird die Kinder- und Jugendhilfe in die Lage versetzt, den an sie gerichteten sozialpolitischen Auftrag einzulösen.

Dies hat auch zur Folge, dass die Aufgaben und damit auch die unterschiedlichen Angebote der Sozialen Arbeit immer auch gesellschaftlichen Definitions- und Aushandlungsprozessen unterliegen.

Innerhalb des breiten Spektrums der Theorien der Sozialen Arbeit wird dieser spannungsreiche Zusammenhang von Sozialer Arbeit und wohlfahrtsstaatlicher Leistungsverwaltung von der Theorie der organisierten Hilfe aufgegriffen und diskutiert. Auf die in dieser theoretischen Perspektive bestehende Gefahr, Soziale Arbeit als eine „systematisch nachgeschaltete Praxis“ und „organisatorisch begrenzte Praxis“ (Sandermann / Neumann 2018, 142) zu begreifen, kann an dieser Stelle nur verwiesen werden, eine ausführliche Diskussion ist nicht möglich.

Dass (angehende) Fachkräfte der Sozialen Arbeit einen Überblick über die Vielfalt der Organisationen in der Sozialen Arbeit, ihre sozialpolitischen Aufträge und ihre unterschiedlichen Rechtsund Finanzierungsformen haben, ist also einerseits für die eigene Orientierung in und zwischen den unterschiedlichen Feldern der Sozialen Arbeit wichtig. Darüber hinaus ist dieses Wissen auch im Sinne einer stellvertretenden Orientierung und damit auch für die Interessensvertretung der AdressatInnen von Bedeutung, da diesen vielfach die Organisationsstrukturen in der Sozialen Arbeit und ihre Zusammenhänge weitgehend unbekannt sind.

Die Vermittlung eines grundsätzlichen Wissens über die Systematik der Organisationen in der Sozialen Arbeit sowie über Rechts- und Finanzierungsformen ist daher ein zentrales Ziel dieses Lehrbuchs.

Damit wären jedoch die im Einstiegsszenario aufgeworfenen Fragen nur teilweise beantwortet, wie zu Recht angemerkt werden könnte und wie es auch im Titel des Lehrbuches bereits angedeutet ist. In der Tat gibt es noch eine weitere Antwort auf die Frage, warum sich SozialarbeiterInnen mit Organisation(en) in der Sozialen Arbeit befassen sollten. So ist mit der Organisationstatsache auch verbunden, dass Fachkräfte der Sozialen Arbeit in diesen Organisationen tätig werden. Rund 94% der SozialarbeiterInnen sind in einem Angestelltenverhältnis in Organisationen tätig (Wöhrle 2016). Damit geht das Handeln der Fachkräfte in der Praxis von diesen Organisationen aus. Mit Eintritt in eine der differenten Organisationen der Sozialen Arbeit, egal in welchem Handlungsfeld, werden die Fachkräfte zu einem Teil dieser Organisation. Ihr sozialarbeiterisches Handeln wird damit auch in mehrerlei Hinsicht durch die Organisation an sich und die damit verbundenen Fragestellungen beeinflusst. Was damit gemeint ist, soll im Folgenden skizziert werden.

Die Organisationen der Sozialen Arbeit sehen sich mit der Frage konfrontiert, wie sie organisiert sein sollten, damit sie ihre Ziele und Aufgaben möglichst gut und gleichzeitig auf eine für alle Beteiligten transparente und berechenbare Weise erreichen können. Dabei können der Aufbau und die Strukturen in den jeweiligen Organisationen durchaus sehr unterschiedlich sein, da die jeweiligen externen und internen Bedingungen der Organisation, ihre Größe und ihre Entstehungsgeschichte berücksichtigt werden müssen.


Vor Aufnahme ihres Studiums der Sozialen Arbeit hat die Studentin Laura ein zwölfwöchiges Praktikum im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe absolviert. Als Teil eines multidisziplinären Teams hat sie in ihrem Heimatort in einer stationären Wohngruppe mit jungen Menschen gearbeitet, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr in ihrer Herkunftsfamilie verbleiben konnten, da ihre Erziehung und Entwicklung dort auch mit stützenden ambulanten Hilfen nicht mehr sichergestellt werden konnten. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus diesem Praktikum haben Laura in ihrem Wunsch, Soziale Arbeit zu studieren, bestärkt. Im Verlauf des ersten Semesters werden in einem Seminar die bisherigen Praxiserfahrungen der Studierenden thematisiert. Wie Laura waren viele der KommilitonInnen während des Vorpraktikums in der stationären Kinder- und Jugendhilfe tätig. Anhand der Berichte bemerkt Laura, dass es trotz ähnlicher Zielgruppen und Aufgaben Unterschiede bei der Gestaltung von zentralen Prozessen (=Schlüsselprozessen) wie Aufnahmeverfahren, Hilfeplanung und Elternarbeit gibt. So werden beispielsweise in der Praxisstelle von Laura, einer kleinen Organisation der Kinder- und Jugendhilfe, die neben einem großen ambulanten Bereich nur über zehn Plätze im stationären Bereich verfügt, die Anfragen zur Unterbringung eines jungen Menschen von den Fachkräften des Jugendamtes direkt an das Team der Wohngruppe gestellt. Die dort tätigen Fachkräfte koordinieren dann eigenverantwortlich den Termin mit der Familie zur Vorstellung der Wohngruppe, tauschen sich mit der Fachkraft des Jugendamtes aus und entscheiden schließlich über die mögliche Aufnahme. Bei ihrem Kommilitonen Frank, der sein Praktikum in einer großen Organisation der Kinder- und Jugendhilfe mit insgesamt 60 stationären Plätzen absolviert hat, stellen die Fachkräfte des Jugendamtes die Aufnahmeanfrage an die Leitung des stationären Bereichs. Diese übernimmt alle Absprachen mit der Familie, führt die Gespräche mit den Fachkräften des Jugendamtes und ist neben der Teamleitung und der zuständigen Psychologin maßgeblich an der Entscheidung über die mögliche Aufnahme in einer Gruppen der Organisation beteiligt.

Der Aufbau und die Strukturen müssen zu den tatsächlichen Gegebenheiten passen. Im Idealfall sind der organisatorische Aufbau und die Ablaufstrukturen, beides Teilaspekte von Organisationsgestaltung, so aufgebaut, dass sie das methodisch-professionelle Handeln der Fachkräfte in der Praxis unterstützen und nicht behindern oder gar im Widerspruch dazu stehen.


Organisationsgestaltung umfasst alle Prozesse und Maßnahmen zur systematischen Gestaltung der Strukturen, Abläufe und Prozesse in Organisationen.

Es gilt jedoch nicht nur den Einfluss zu beachten, den die Organisation durch ihren Aufbau und ihre Struktur auf das Handeln der Fachkräfte haben kann. Es müssen auch der Zusammenhang von sozialpolitischen Aufträgen und konkretem Handeln in der Sozialen Arbeit und die daraus möglicherweise resultierenden Spannungsfelder reflektiert werden. Damit ist gemeint, dass sich sozialarbeiterisches Handeln nicht nur an den Bedürfnissen und Wünschen der jeweiligen Zielgruppe orientieren kann, sondern immer auch durch die sozialpolitisch an die Organisation gerichteten Aufträge sowie die daraus abgeleiteten organisationsbezogenen Aufträge und Ziele beeinflusst wird:

„Soziale Arbeit kann nicht nur als individuell autonome professionelle Tätigkeit verstanden werden. Sie ist immer auf organisatorische, infrastrukturelle und sozialstaatliche wie auch ordnungspolitische Vorgaben angewiesen“ (Müller 2011, 144).

Hilfeerbringung in der Sozialen Arbeit steht damit in einer bipolaren Spannung, dies wird auch als das doppelte Mandat der Sozialen Arbeit bezeichnet:

„Der professionell Helfende arbeitet in der Regel in einer durch öffentliche Mittel finanzierten Institution. Diese erwartet von ihrem Mitarbeiter die Verwirklichung ihrer Zielvorstellungen, die teils ihrem Selbstverständnis, teils der öffentlichen, sozialpolitisch determinierten Beauftragung entsprechen. Gleichzeitig stehen professionell Helfende mit unverwechselbaren Menschen in Kontakt. Je nach Tätigkeitsfeld informieren, beraten, intervenieren, interagieren und erziehen sie. Der Nutzer erwartet, dass der Sozialarbeiter ihm hilft und ihn unterstützt, sein Leben zu führen. Die bipolare Spannung zwischen sozialstaatlicher Beauftragung und hilfebedürftigem Individuum lässt sich zunächst als doppeltes Mandat beschreiben. Der Helfende steht zwischen öffentlichem Auftrag und Klient“ (Maaser 2015, 97 f.).

Mit dem doppelten Mandat sind auf vielen Ebenen Auswirkungen für das Handeln der Fachkräfte der Sozialen Arbeit verbunden. Diese Auswirkungen zeigen sich u. a. in den Organisationen der Sozialen Arbeit und spiegeln sich auch in der Organisation der jeweiligen Aufgaben wider.


In der Kinder- und Jugendhilfe können sich die Auswirkungen des doppelten Mandates auf die Organisation der Aufgaben ganz besonders deutlich zeigen, wie die weiteren Praxiserfahrungen von Laura verdeutlichen: Nach drei Semestern Studium arbeitet Laura in ihrem studienintegrierten Praxissemester nun im Allgemeinen Sozialen Dienst, einer Fachabteilung eines Großstadtjugendamtes. Auch hier ist sie von der Vielfalt der Aufgaben und der damit für sie verbundenen Erfahrungen und Lernmöglichkeiten begeistert. Gleichzeitig jedoch bemerkt sie auch Unterschiede zu ihrem Vorpraktikum. In der Wohngruppe hat sich die Arbeit mit den untergebrachten Kindern und ihren Familien sehr konkret an den im Hilfeplan festgelegten Zielen orientiert. In der Arbeit des Jugendamtes nehmen im Rahmen der Hilfeplanung die Erfassung der Situation der Familie und ihres Anliegens, die Beratung über mögliche Unterstützungsleistungen und die Entscheidung darüber ebenfalls einen großen Raum ein. Auch spielt im Jugendamt die Prüfung von Kindeswohlgefährdungen insgesamt eine viel größere Rolle. Dabei kommt es zwischen den Familien und den Fachkräften des Jugendamtes immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen. Darüber hinaus ist Soziale Arbeit in diesem Praxisfeld – gerade wenn es um die Hilfen zur Erziehung und den Kinderschutz geht – viel formalisierter und geregelter.

Nach Böhnisch / Lösch (1973) wird das doppelte Mandat als zentrales Strukturmerkmal der Dienstleistungsfunktion der Fachkräfte der Sozialen Arbeit angesehen. Danach stehen die Fachkräfte der Sozialen Arbeit vor der Herausforderung,

„ein stets gefährdetes Gleichgewicht zwischen den Rechtsansprüchen, Bedürfnissen und Interessen der Klienten einerseits und den jeweiligen sozialen Kontrollinteressen seitens öffentlicher Steuerungsagenturen andererseits aufrechtzuerhalten“ (Böhnisch / Lösch 1973, 28).

Eine mögliche Auflösung dieser Bipolarität des doppelten Mandates besteht in der Bezugnahme und Orientierung auf ein drittes, professionsbezogenes Mandat, mit der Konsequenz, dass sich Soziale Arbeit dann durch ein Tripelmandat auszeichnet (Staub-Bernasconi 2018).


Das Tripelmandat der Sozialen Arbeit ergänzt die beiden, oftmals gegensätzlichen Aufträge (= Mandate), die die Soziale Arbeit einerseits von ihren Zielgruppen und andererseits durch die sozialpolitischen Aufträge bekommt, durch ein weiteres Mandat. Das dritte Mandat ergänzt die Bipolarität des doppelten Mandates um eine professionsbezogene Perspektive, die den Fachkräften der Sozialen Arbeit gerade in den widerstreitenden Situationen des doppelten Mandates eine normative Handlungsorientierung ermöglicht. Dabei bezieht sich dieses dritte Mandat, je nach theoretischer Perspektive, insbesondere auf die Menschenrechte, auf die globale Definition der Sozialen Arbeit und auf ethische Perspektiven.

Das Tripelmandat der Sozialen Arbeit und die damit verbundenen theoretischen Grundlagen und Fragestellungen werden in diesem Lehrbuch nicht weiter vertieft. Es gilt jedoch festzuhalten, dass das Handeln der Fachkräfte und damit die Hilfeerbringung generell – auch aus der Perspektive des Tripelmandats – immer auch unter dem Einfluss der jeweiligen sozialpolitischen Aufträge der Organisation stehen. Diese sozialpolitischen Aufträge führen wiederum zu Auswirkungen auf die Organisation der Arbeit. So haben insbesondere SozialarbeiterInnen, die in Behörden der Leistungsverwaltung tätig sind, die Aufgabe, die jeweiligen Lebenssituationen, Bedürfnisse und Ziele ihrer Zielgruppen zu verstehen, diese hinsichtlich möglicher Unterstützungsangebote zu beraten und im Sinne der bereits genannten Daseinsfürsorge auch darüber zu entscheiden, ob aus diesen Bedürfnissen ein normativer Bedarf und damit ein gesetzlicher Anspruch auf Leistungen der Sozialen Arbeit, wie beispielsweise Hilfen zur Erziehung, abzuleiten und zu gewähren ist.


Gemäß Verwaltungsverfahrensrecht ist eine Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (vgl. § 1 Abs. 1 VwVfG) und für die ordnungsgemäße Erfüllung der jeweiligen Aufgaben Sorge trägt, wie beispielsweise das Jugendamt oder das Sozialamt.


So sind als Anspruchsvoraussetzungen für Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27 ff. SGB VIII sowohl der erzieherische Bedarf zu bestimmen, als auch die Frage zu klären, ob die Hilfe zur Erziehung geeignet und notwendig ist.

Oftmals kommt zudem auch ein organisationsbedingter Kontrollauftrag hinzu. Die im Feld der Kinder- und Jugendhilfe tätigen Fachkräfte beispielsweise haben gem. § 1 Abs. 3 SGB VIII auch den Auftrag, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen.


Die von Laura in ihrer Arbeit mit den Familien beobachteten Unterschiede in der Organisation der Arbeit können also auf die unterschiedlichen Aufträge von Jugendamt und Wohngruppe zurückgeführt werden: Während die Fachkräfte der Wohngruppe insbesondere den Auftrag haben, die stationäre Hilfe entsprechend der im Hilfeplan vereinbarten Ziele zu erbringen, haben die Fachkräfte des Jugendamtes vor allem den Auftrag, Anspruchsrechte zu prüfen, Hilfen zu gewähren und mögliche Kindeswohlgefährdungen zu erkennen.

An diesen unterschiedlichen Aufträgen lässt sich gleichzeitig eine Herausforderung für die Organisationsgestaltung in der Sozialen Arbeit verdeutlichen: die Balance zwischen administrativ-zweckrationalen Strukturen auf der einen und Hilfebeziehungen ermöglichenden Strukturen auf der anderen Seite. Dabei müssen insbesondere die Strukturen und Abläufe der öffentlich-rechtlichen Organisationen der Sozialen Arbeit, die als Teil der Leistungsverwaltung eher bürokratisch verfasst sind, eine Verfahrenssicherheit in Bezug auf die Prüfung bestehender Ansprüche sowohl für die Zielgruppen als auch für die handelnden Fachkräfte gewährleisten. Daneben muss mit Hilfe von Struktur- und Ablaufvorgaben generell sichergestellt werden, dass die Fachkräfte in komplexen Hilfe- und Unterstützungsbedarfen den Überblick nicht verlieren und damit auch ihrem Kontrollauftrag gerecht werden können.


Die von Laura im Jugendamt wahrgenommene Formalisierung und die Regelungsdichte der Abläufe können somit einerseits als genereller Ausdruck des Willens zur Organisationsgestaltung gedeutet werden. Sie können jedoch andererseits auch darauf zurückgeführt werden, dass die Organisation Jugendamt ihre Aufgaben generell – und insbesondere ihre Leistungsentscheidungen und Kontrollaufträge – mit Regeln und Vorgaben zum Verfahren und zur Dokumentation absichert.

Dabei dürfen die Strukturen und Abläufe jedoch nicht starr und überorganisiert sein. Stattdessen müssen sie sich durch ein angemessenes Verhältnis von Vorgaben einerseits und Flexibilität andererseits auszeichnen. Erst dann kann es gelingen, dass die Fachkräfte der Sozialen Arbeit die spezifische Situation und die jeweiligen Bedürfnisse berücksichtigen und damit der Einmaligkeit des Einzelfalls auch tatsächlich gerecht werden können.


Ein eindrückliches Beispiel, welche Folgen die Überbetonung von möglicherweise bürokratischen Strukturen im Zusammenhang mit der Deutung und Erfassung individueller Lebenssituationen haben kann, liefert der 2016 unter der Regie von Ken Loach entstandene Film „Ich, Daniel Blake“. Der Protagonist des in England spielenden Films, Daniel Blake, beantragt aufgrund eines Herzinfarktes Sozialhilfe. Sein Antrag wird jedoch trotz ärztlichen Arbeitsverbots abgelehnt, sodass er sich gezwungen sieht, einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe zu stellen. Arbeitslosenhilfe wird jedoch nur bei dem Nachweis täglicher Bemühungen um Arbeit bewilligt. Insgesamt sind die Antragstellung und die Strukturen des Unterstützungssystems so kompliziert und verwirrend, dass Daniel Blake fast an ihnen verzweifelt. Vor einer endgültigen Entscheidung über seine Anträge auf Unterstützung verstirbt Daniel Blake an einem erneuten Herzinfarkt.

Organisation wird aus dieser Perspektive zu mehr als nur einem Ort oder einer Rahmenbedingung institutionalisierter Sozialer Arbeit. Vielmehr leistet Organisation, im Sinne eines strukturellen Garanten (Busse et al. 2016), einen wichtigen Beitrag für eine professionelle Soziale Arbeit. Organisation hat den Auftrag, professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit zu unterstützen. Um diesen Anspruch jedoch einlösen zu können, sind die Fachkräfte der Sozialen Arbeit gefordert, organisationstheoretisches Wissen für die Gestaltung der Strukturen und Abläufe in ihrer Praxis fruchtbar zu machen. Auf der Seite der (angehenden) Fachkräfte der Sozialen Arbeit bedarf es also nicht nur eines allgemeinen strukturellen Organisationswissens, sondern auch einer differenzierten Sicht auf den Gegenstand Organisation (Grunwald 2018), einer Auseinandersetzung mit den „Eigengesetzlichkeiten dieses Typus sozialer Systeme“ (Bommes / Scherr 2012, 189) und damit eines spezifischen Organisationswissens. Daher sollten sich die Fachkräfte auch mit Organisation in der Sozialen Arbeit auseinandersetzen. Erst dann können Organisationen verstanden und in der Praxis der Sozialen Arbeit Strukturen und Abläufe und damit Organisationen etabliert und entwickelt werden, die die fachlichen Erfordernisse der Sozialen Arbeit reflektieren, möglichst im Einklang mit diesen stehen und sich somit ermöglichend und nicht be- oder gar verhindernd auf das professionelle Handeln der Fachkräfte auswirken. Zusammengenommen werden allgemeines und spezifisches organisationsbezogenes Wissen zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer „reflexiven Professionalität“ (Dewe / Otto 2012, 197), die stets gefordert ist, differentes Wissen unterschiedlicher Herkunft in ihre Überlegungen einzubeziehen (Abb. 1).


Mit reflexiver Professionalität wird die Fähigkeit von SozialarbeiterInnen bezeichnet, in Abhängigkeit zur konkreten Situation und zum konkreten Kontext sowohl auf unterschiedliches Wissen zurückgreifen, als auch diese unterschiedlichen Wissensinhalte wechselseitig aufeinander beziehen zu können und davon ausgehend mit den AdressatInnen in einen Verständigungsprozess über Problemdefinition und Lösungsmöglichkeiten zu kommen (Dewe / Otto 2012).

Abb. 1: Organisation(en) in der Sozialen Arbeit, Wissensbestandteile einer reflexiven Professionalität

Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass dieses Lehrbuch neben der Vermittlung von allgemeinem und spezifischem Organisationswissen auch zum Ziel hat, die Neugierde und Begeisterung für das Abstraktum „Organisation“ und die damit verbundenen theoretischen Perspektiven und praktischen Herausforderungen für die Soziale Arbeit zu wecken.


Überlegen Sie, welche organisatorischen Strukturen und Abläufe Sie bislang in der Praxis der Sozialen Arbeit kennengelernt haben. Haben diese Ihr Handeln eher unterstützt oder behindert? Welchen Zusammenhang zwischen sozialpolitischen Aufträgen an die Organisation und ihren organisatorischen Regelungen haben Sie beobachtet?

Welchen Formalisierungsgrad und welche Regelungsdichte haben Sie in der Praxis kennengelernt? Inwiefern erschienen Ihnen diese sinnvoll, wann hatten Sie Zweifel an der Angemessenheit?

Erkunden Sie in Ihrem fachlichen Umfeld die Einstellungen zu Organisation in der Sozialen Arbeit. Welche Bedeutung wird Organisation in der Sozialen Arbeit von (langjährigen) PraktikerInnen beigemessen?

Für die filmbegeisterten unter Ihnen: Sehen Sie sich den Film „Ich, Daniel Blake“ von Ken Loach (2016) an. Diskutieren Sie die Erlebnisse von Daniel Blake. Welches (Miss-)Verhältnis zwischen administrativ-bürokratischen Strukturen auf der einen und Hilfebeziehung ermöglichenden Strukturen auf der anderen Seite können Sie beobachten?


Busse, S., Ehlert, G., Becker-Lenz, R., Müller-Hermann, S. (2016): Einleitung: Professionelles Handeln in Organisationen. In: Busse, S., Ehlert, G., Becker-Lenz, R., Müller-Hermann, S. (Hrsg.): Professionalität und Organisation. Springer, Wiesbaden, 1–11

Loach, K. (2016): Ich, Daniel Blake

Staub-Bernasconi, S. (2018): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Soziale Arbeit auf dem Weg zur kritischen Professionalität. 2. Aufl. Barbara Budrich, Opladen

1.2 Zum Aufbau und zur Didaktik des Lehrbuches

Bevor Sie sich nun, nach diesen grundlegenden Ausführungen zur Frage nach der Relevanz von Organisation(en) in der Sozialen Arbeit und den mit diesem Lehrbuch verbundenen Zielen, auf die Auseinandersetzung mit Organisation(en) in der Sozialen Arbeit einlassen, vorab noch einige Hinweise zum Aufbau und zur Didaktik des Lehrbuches.

Dieses Lehrbuch legt den Fokus auf organisationstheoretische und -strukturelle Grundlagen. Dabei ist grundsätzlich die Grenze zu Fragen des Managements von Organisationen schnell erreicht, sodass oftmals auch Managementthemen angesprochen werden. Die damit verbundenen Herausforderungen sind jedoch nicht das Hauptthema dieses Lehrbuches. Vielmehr geht es um das Verstehen von Organisation und Organisationen in der Sozialen Arbeit als Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit dem Management von Organisationen der Sozialen Arbeit.

Daher beginnt dieses Lehrbuch mit einer Einführung in die Perspektive, die unterschiedlichen Leistungen und Angebote der Sozialen Arbeit als eine personenbezogene soziale Dienstleistung zu verstehen (Kap. 2). Dadurch soll die Aufmerksamkeit auf die mit der Organisation der Leistungen und Angebote der Sozialen Arbeit verbundenen Herausforderungen gelenkt werden. Im sich anschließenden Kapitel 3 werden die organisationsbezogenen Grundlagen vorgestellt und Merkmale für das Verstehen und die Analyse von Organisationen entwickelt. Die Kapitel 4 und 5 richten den Blick auf die Praxis der Organisationen der Sozialen Arbeit und die Grundlagen der Finanzierung. Abschließend widmet sich Kapitel 6 dem Theorie-Praxis Transfer und es werden exemplarisch die Konsequenzen für das Handeln in der Praxis dargestellt und Anregungen für die weitere Vertiefung ausgewählter Themen gegeben.

Am Anfang eines jeden Kapitels steht eine kurze Zusammenfassung zu den wichtigsten beschriebenen Themen. Auch werden dort bzw. innerhalb der einzelnen Kapitel ausgewählte Aspekte mit Hilfe von Beispielen und Frageimpulsen illustriert. Die meist am Ende einzelner (Unter-)Kapitel zu findenden Fragestellungen zur Analyse, Reflexion und Vertiefung einzelner Themen können sowohl in Einzel- als auch in Kleingruppenarbeit bearbeitet werden. Sie dienen dem Transfer der theoretischen Auseinandersetzung auf die Bedingungen in der Praxis der Organisationen der Sozialen Arbeit.

Grundkurs Organisation(en) in der Sozialen Arbeit

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