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5. Überredung zum Tod.

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Der Anruf im Büro des Richters kam kurz vor der Kaffeepause. Nach einem langen Prozesstag, an dessen Ende der Richter einen Freispruch für einen wohlhabenden Aristokraten, der seine Frau misshandelt hatte, erwirkte, hatte Martin Werbusch gerade eine Akte beiseitegelegt und war im Begriff, seine Jacke anzuziehen. Zwar waren die Spuren der körperlichen Misshandlung der Frau von dem Notarzt bestätigt und von einem Fotografen auf Fotos festgehalten worden, allerdings konnte die Ehefrau keinen Beweis liefern, dass es ihr Mann gewesen war, von dem sie die Verletzungen hatte. Als dieser beiläufig erwähnte, dass er nicht wisse, wo sich seine Frau nächtelang herumtreibe und er aus diesem Grunde gezwungen sei, sich Erfüllung in einem Bordell zu holen, wo er auch zur fraglichen Zeit gewesen sei, war das Argument für einen Freispruch geliefert. Diesen konnte der Richter dann, ohne Gewissensbisse zu haben, aussprechen. Die Frau brach noch im Gerichtssaal mit einem Weinkrampf zusammen, was den Richter nicht im Geringsten beeinfl usste.

Werbusch schaute missmutig auf seine Rolex, als das Telefon klingelte. Er hatte sich mit einer jungen, sehr attraktiven Rechtsanwältin in einem nahegelegenen Cafe verabredet. Er hatte sie vor kurzem bei einem Gerichtstermin kennengelernt und sich mit ihr auf ein frivoles Zwiegespräch in der Verhandlungspause eingelassen. Diese Beziehung wollte er ausbauen. Sein Werturteil bezog sich in diesem Fall auf das, wie er es nannte, rassige Fahrgestell und das gut gefüllte Oberteil der Dame. Sein Verlangen auf ein näheres Kennenlernen mit intimem Ausgang wurde auch von ihr befürwortet. Sie hatte ihm Hoffnung gemacht. Seine Gedanken drehten sich schon um die Frage, ob er sich nicht sofort mit ihr in dem kleinen Hotel verabreden sollte, in dem er schon des Öfteren mit Frauen die späten Nachmittage verbrachte.

Nun aber befürchtete er, dass sie in letzter Minute telefonisch absagen könnte. Sollte er noch ans Telefon gehen? Eigentlich war er schon weg.

Seine Neugierde siegte. Er hob den Hörer ab.

»Werbusch?«

Es klang ärgerlich und neugierig.

Kowalski machte sich nicht die Mühe, seine Stimme zu verstellen.

»Hören Sie zu! Ich sag es nur einmal. Ich habe Ihre Tochter entführt. Kommen Sie sofort nach Hause! Keine Polizei! Wenn ich hier Polizei sehe, stirbt die Kleine! Wenn Sie nicht sofort kommen, stirbt die Kleine! Wenn Sie auf meine Forderungen eingehen, wird ihr nichts geschehen. Ich weiß, dass Sie Ihre Tochter über alles lieben. Sie werden kommen! Sofort! Beeilen Sie sich!«

Kowalski legte, ohne eine Antwort abzuwarten, auf.

Der Richter musste sich setzen. Seine Beine waren plötzlich wie Pudding.

Was war das? Eine Entführung? Der Entführer seiner Tochter wartete auf ihn in seiner eigenen Wohnung? Warum? Das war einmalig in einem Entführungsfall.

War das ein Scherz? Wenn nicht, was wollte er? Sicher Geld! Aber so dilettantisch? Ein Anfänger? Gefährlich? Anfänger können gefährlich sein. Er wollte Gewissheit. Er musste seine Frau anrufen. Aber wenn er nach Hause kommen sollte und dort anrief, bekam der Entführer, wenn es ihn wirklich gab, dies ja mit.

Egal – er musste es versuchen. Er wählte seine Telefonnummer.

Kowalski ließ es dreimal klingeln und hob dann den Hörer ab. Er spürte, dass am anderen Ende der Leitung ein Fisch an der Angel hing.

Ohne den Richter zu Wort kommen zu lassen, warnte er ihn.

»Es ist kein Scherz. Kommen Sie sofort. Allein!«

Der Richter war leichenblass im Gesicht.

»Was ist mit meiner Tochter? Geht es ihr gut?«

»Ja. Noch. Aber sie stirbt, wenn Sie sich nicht beeilen. Übrigens, wollen Sie nicht wissen, wie es Ihrer Frau geht?«

»Doch. Natürlich. Was ist mit ihr?«

»Sie schläft.«

Damit unterbrach er die Verbindung. Martin Werbusch versuchte, professionell an die Sache heranzugehen. Schließlich war er Richter.

»Also«, sagte er sich, »informiere ich die Polizei und es stellt sich als übler Scherz heraus, wäre ich schön blamiert. Informiere ich sie und es ist eine echte Entführung, wäre das sehr gefährlich für meine Tochter. Aber warum wartet der Entführer in meinem Haus? Er muss doch damit rechnen, dass ich die Polizei informiere. Nein, der weiß, dass ich für meine Kleine alles tun werde. Der kennt mich genau! Ich werde die Polizei nicht informieren. Das weiß der Kerl. Wer ist das? Ich muss schnell nach Hause.«

Er vergaß sein Treffen mit der Anwältin und machte sich auf den Weg. Die Stufen zum Erdgeschoss und die Strecke zu seinem Wagen nahm er in Rekordzeit.

Rekordverdächtig schnell fuhr er auch mit dem Auto, was zur Folge hatte, dass er stadtauswärts innerhalb des Ortes mit 85 Stundenkilometern von einem der neuen fest installierten Blitzgeräte geblitzt wurde. Das war ihm im Moment jedoch völlig egal. Das konnte er später erledigen. Da hatte er so seine Methoden und Beziehungen.

Seine Gedanken drehten sich um seine kleine Tochter. Als er an seinem Haus ankam, wurde er von Kowalski aus dem Fenster im 1. Stock beobachtet. Dieser sah mit Genugtuung, dass dem Richter niemand gefolgt war.

Kowalski lächelte. Na also. Es klappte doch.

Der Richter öffnete die Haustür und eilte ins Wohnzimmer. Dort sah er seine Frau auf der Couch liegen. Sofort ging er auf sie zu und schüttelte sie an der Schulter.

»Wach auf! Wie kannst du am hellen Mittag schlafen? Wo ist unsere Tochter? Kannst du nicht auf sie aufpassen?«

Kowalski kam die Treppe herunter und sah, wie der Richter seine Frau schüttelte.

»Lassen Sie sie in Ruhe. Sie schläft tief und fest. Ich habe ihr ein Schlafmittel gegeben.«

Der Richter ließ sie tatsächlich los, drehte sich um und sah Kowalski. Erst auf den zweiten Blick erkannte er ihn.

»Sie? Sie sind doch der Querulant mit dieser fixen Mobbingidee. Was fällt Ihnen ein?«

Er ging auf ihn zu und wollte seine Wut, die mittlerweile aufkam, an ihm auslassen. Er hob die Faust.

Kowalski blieb ruhig.

»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun. Es könnte das Ende Ihrer Tochter bedeuten. Setzen Sie sich!«

Das war ein deutlicher Befehl und er wurde von Kowalski auch sehr deutlich und laut ausgesprochen. Werbusch blickte ihn ungläubig an. Er sah die Entschlossenheit in seinen Augen. Er sah eine tödliche Entschlossenheit.

Der Richter sank in einen Sessel nieder. Hatte er sich einen Moment lang überlegen gefühlt, so stieg nun wieder eine panische Angst in ihm hoch. Angst um seine kleine Tochter.

Kowalski holte aus dem Schrank zwei Gläser und schenkte in beide etwas Brandy ein. Er schob ein Glas zu Werbusch hinüber.

»Trinken Sie, Richter! Werden Sie brauchen.«

Kowalski trank das Glas aus, während der Richter es nicht anrührte.

Die Szene hatte für den Richter etwas Abstraktes. Da war ein Mann, der seine Tochter entführt hatte, in seinem Haus und unterhielt sich mit ihm in aller Ruhe und trank einen Brandy.

»Was soll das? Was haben Sie vor? Wo ist meine Tochter? Was wollen Sie?«

»Ganz einfach, Richter. Ich will Ihren Tod.«

Der Richter wurde blass.

»Was? Warum? Wieso? Warum machen Sie solche Scherze? Ich glaube, es ist an der Zeit, die Polizei zu holen.«

»Wenn Sie Ihre Tochter umbringen wollen – nur zu! Ich will den Tod meiner Tochter rächen. Sie haben mir nicht geholfen. Sie haben den Schuldigen geholfen. Nun sollen Sie auch sterben. Sie sind auch schuldig.«

»Aber das ist doch wahnsinnig. Sie sind verrückt. Wollen Sie Geld? Ich habe eine schöne Summe angespart.«

»Ich will Ihr Geld nicht. Ich will Ihren Tod!«

Der Richter wurde jetzt böse. Er stürzte sich auf Kowalski und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Dieser wehrte sich nicht. Nach zwei, drei Schlägen ohne Gegenwehr hörte der Richter auf, zuzuschlagen. Er sank wieder in den Sessel und war verzweifelt. Er hielt sich die Hände vor das Gesicht. Tränen rannen nun seinen Wangen hinunter.

Kowalski wischte sich etwas Blut von der Unterlippe. Sein Auge würde wohl morgen blau unterlaufen. Doch er blieb weiterhin ruhig.

Er sprach auch ruhig auf den Richter ein.

»Ich will es Ihnen erklären, Richter. Ihre Tochter liegt in einem abgedichteten Sarg. Der Sauerstoff reicht nur noch für wenige Minuten.«

Dabei sah er theatralisch auf seine Armbanduhr. Er zog die Flasche mit der blauen Flüssigkeit aus seiner Tasche und stellte sie auf den Tisch.

»Ich biete Ihnen das Leben Ihrer Tochter für Ihr eigenes an. In der Flasche ist ein starkes Gift. Trinken Sie es, werde ich Ihre Tochter freilassen. Man wartet nur auf meinen Anruf. Trinken Sie es nicht, werde ich es trinken. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Mein Kind ist schon tot. Dann sterben ich und Ihre Tochter. Es tut mir leid um sie. Sie wird aber nicht leiden. Aber Sie selbst werden leiden. So wie ich gelitten habe. Sie werden dann meinen Schmerz verstehen.«

Er schraubte den Flaschenverschluss auf.

»Das ist doch Wahnsinn!«

Der Richter schrie es.

Kowalski blieb ruhig. Er schaute wieder auf die Uhr.

»Sie wollen mich also unbedingt töten? Oder wollen Sie mir nur einen gehörigen Schrecken einjagen? Das ist Ihnen gelungen!«

Kowalski lächelte.

Der Richter war plötzlich verunsichert. Wollte er ihn am Ende gar nicht umbringen?

Aber Kowalski machte wieder einen energischen Eindruck.

»Nein, Sie sollen sich selbst töten. Das ist nur gerecht so. Ich handele nur nach bestem Wissen und Gewis-sen, um es mit Ihren Worten zu sagen.«

Der Richter erkannte die Ausweglosigkeit, in der er sich befand. Er fiel in sich zusammen. Doch es keimte ein Funken Hoffnung in ihm. Vielleicht bluffte Kowalski doch. Wer würde schon in ruhigem Plauderton den Selbstmord eines Menschen einfordern? In der Flasche war wahrscheinlich nur gefärbtes Wasser.

Werbusch sah sich die Flasche genauer an. Sicher war es nur Wasser. Woher sollte auch ein solch konservativer Vater eine tödliche Giftfl üssigkeit haben? Außerdem töten nur Frauen mit Gift. In seiner ganzen Amtszeit als Richter hatte er nicht einen einzigen Fall, in dem ein Mann jemanden mit Gift getötet hatte.

Kowalski schaute wieder auf die Uhr.

»Die Zeit läuft ab. Es wird knapp mit der Luft im Sarg. In einer Minute entscheidet es sich, ob Sie oder Ihre Tochter und ich sterben. Wie auch immer, alles Gute im Jenseits.«

Der Richter war einer Ohnmacht nahe. Er war unter Zeitdruck. Er musste etwas unternehmen. Aber was sollte er tun? Er konnte Kowalski nicht angreifen. Er hätte ihm die Flasche auf den Kopf schlagen können. Dann wäre aber seine Tochter eventuell erstickt, wenn es doch stimmen sollte und sie in einem Sarg liegen würde. Er wusste nicht, was er tun sollte. In seinem Kopf leisteten seine Gedanken Schwerstarbeit. Er wollte nicht sterben. Aber dann starb womöglich seine Tochter, die er über alles liebte.

Es war sicher nur ein Bluff mit dem Gift. Nun nahm Kowalski die Flasche in die Hand.

Als er sie an seinen Mund ansetzen wollte, war dies ein Zeichen, dass er recht hatte und das Gift gar kein Gift war. Niemand würde freiwillig Gift trinken.

Da ergriff der Richter Kowalskis Arm und nahm ihm die Flasche aus der Hand.

Jetzt war er sich sicher. Das war nur ein großer Bluff.

»Bitte tun Sie meiner Tochter nichts.«

Er setzte die Flasche an den Mund und trank die blaue

Flüssigkeit. Sie war bitter und irgendwie kam ihm der Gedanke, einen fatalen Fehler gemacht zu haben.

War es am Ende doch Gift?

Kowalski sah es mit Genugtuung, jedoch ohne Freude.

»Sie lieben Ihre Tochter wirklich, Richter. Das muss man Ihnen lassen.«

»Bitte rufen Sie an. Lassen Sie mein Kind nicht ersticken!«

»Ihr Kind ist in Sicherheit. Sie schläft nur. Wenn sie aufwacht, wird sie zu ihrer Mutter gehen können. Sie aber werden das nicht mehr erleben.«

Nun hatte der Richter zum ersten Mal richtige Angst um sein Leben. War es doch kein Bluff?

Woher kam das plötzliche Stechen in seinem Bauch?

War es die Aufregung oder war es wirklich Gift? Langsam wurde ihm bewusst, dass Kowalski nicht geblufft hatte.

Das Gift begann schon zu wirken und verursachte wahnsinnige Magenschmerzen. Es kam ihm vor, als würde jemand von innen gegen seine Magenwände schlagen. Kolikartige Schmerzattacken breiteten sich aus. Er steckte sich den Finger in den Hals, konnte aber nicht erbrechen. Es kamen zwar starke Würgegeräusche aus seinem Mund, das Gift jedoch blieb im Magen.

»Bitte, helfen Sie mir. Rufen Sie einen Notarzt. Ich flehe Sie an! Ich will nicht sterben!«

»Das wollte meine Tochter auch nicht. Ihnen kann kein Arzt mehr helfen. Es wird nicht lange dauern. Bleiben Sie einfach sitzen.«

Der Rat war nicht notwendig, denn der Richter konnte sich nicht mehr erheben. Sein Magen wurde von innen verätzt, was ihm höllische Schmerzen bereitete. Er krampfte sich zusammen und hatte extreme Zuckungen. Nach und nach setzten alle Körperfunktionen aus. Während sein Gesicht zu einer angstverzerrten Fratze wurde, setzte sein Herz, das vorher wie wild sehr schnell schlug, plötzlich aus.

Ein Mediziner würde es dem Laien so erklären: »Vom Gehirn kam vor dem Tod die Information an das Herz, schnell und kräftig Blut durch den Körper zu senden, um die Lunge weiter bedienen zu können. Somit wurde die Atmung hektisch und intensiv. Dann aber sah das Gehirn, dass es ein aussichtsloser Kampf sein würde, wohl weil es nun auch schon nicht mehr richtig versorgt wurde, und gab dem Herz den Befehl aufzuhören zu schlagen, was das Herz befolgte.«

Martin Werbusch war tot. Gestorben durch eigene Kraft.

Nun musste Kowalski seine Leiche wegschaffen. Er wollte nicht, dass es wie Selbstmord aussah und seine

Frau sich später unberechtigte Vorwürfe machen würde. Außerdem sollte ihn seine Tochter, die bald aufwachen würde, nicht finden.

Er fuhr den Wagen rückwärts in die Einfahrt ganz nach hinten, trug den Leichnam über die Terrasse und legte ihn im Kofferraum ab. Dann fuhr er mit seiner Fracht aufs Land hinaus. Auf einem Waldweg hielt er den Wagen an und stellte den Motor ab.

Er dachte über das Geschehene nach. Es war alles nach Plan und zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Menschen, die Schuld an solchen Zuständen sind, wie sie zum Tod seiner Tochter geführt hatten, sollten ebenfalls keine Daseinsberechtigung haben. Der Richter hatte die Schuldigen freigesprochen, also war auch er schuldig.

Kowalski sagte sich, dass er richtig gehandelt hatte. Er hatte einen Teil seines Planes erledigt.

Ab jetzt musste er sich um die anderen Schuldigen kümmern. Zumindest ein Hauptschuldiger war ihm bekannt. Ihm sollte nun seine ganze Aufmerksamkeit gelten.

Zunächst musste Kowalski aber erst einmal die Leiche des Richters loswerden.

Er hätte sie einfach hier im Wald ablegen können, was er ursprünglich auch vorhatte. Aber alle Welt sollte wissen, warum sich der Richter das Leben genommen hatte. Er wollte, dass die Zeitungen darüber berichteten. Er musste den Richter an einen markanten, ungewöhnlichen Ort bringen. Er musste ihn dorthin bringen, wo er die schönsten Zeiten mit seiner Tochter verbracht hatte.

Mobbing Jäger

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