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10. Tränen

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Ich bin gar nicht Glesum, mein Name ist Blindė. Ich wurde in einen anderen Stamm hineingeboren, der auch zu den Ästiern gehört, aber das weiß hier niemand und das ist gut so. Ich schweige, sage zu keinem ein Wort, damit niemand merkt, wie ähnlich einander unsere Sprachen sind. Wir wohnen noch weiter weg vom Meer, das weiß ich, denn auch unsere Männer fahren zuweilen an die Küste für Bernstein, aber nicht so oft wie Gondas – wir wohnen weiter weg, es ist nicht einfach für uns, die Küste zu erreichen und den anderen Händlern zuvorzukommen. Wir leben nicht schlecht, auch ohne Bernstein, bauen Weizen an und haben Vieh, dazu Bienen, die uns Honig und Wachs gaben, die tauschen wir gegen römisches Geld und andere Reichtümer ein, die die Bernsteinhändler von dort mitbringen, wir haben von allem genug, sogar mehr als genug.

So hätte ich denn dieses wunderbare Leben gern weitergeführt, aber ich war hässlich, sah anders aus als die anderen, braunes Haar, braune Augen, niemand wollte ein solches Mädchen, alle schubsten mich herum, aber Essen bekam ich, über zu viel Arbeit konnte ich auch nicht klagen, ich musste nur Eicheln einsammeln für die Schweine, in härteren Wintern auch für die Menschen, das war’s schon. Aber mein Name war scheußlich, man sagte, da sei eine Frau gewesen, sehr fruchtbar, sie habe aus jedem beliebigen Körperteil gebären können, sogar aus den Beinen und Armen, und so habe sie die Göttermutter aus Wut in eine Salweide verwandelt, in unserer Sprache Blindė, grün, aber unfruchtbar. Man sagte, wer so hässlich wie ich sei, brauche keine Kinder, die Abscheulichkeit müsse mit mir enden, aber was wusste ich Kind denn schon?

Ich hätte immer so weitergelebt, vielleicht nicht ganz so wunderbar, doch als ich im Wald umherstreifte und nach Eicheln oder wer weiß was Ausschau hielt, ich weiß selbst nicht mehr, wonach, vergaß ich mich völlig, es regnete Bindfäden, da spürte ich plötzlich, dass mich jemand an den Haaren packte, ich schrie laut: »Na und, schrei doch, so viel du willst, wer wird schon auf so eine Vogelscheuche hören, da rein, in den Wagen und fertig.«

Es waren mehrere Wagen, eine ganze Kolonne, ich fuhr zum ersten Mal irgendwohin, wer sollte mich auch herumkutschieren, der Wagen war aus Holz, er holperte so, dass ich mich übergab, bis man mich so mit Fäusten und Füßen bearbeitete, dass ich mich beruhigte. Die anderen Wagen waren vollbeladen mit Sachen und blickfest zugedeckt, nur in einige ganz hinten – wie kleine Häuschen mit Gittern – hatte man ebenso unglückselige Schmutzfinken wie mich gepfercht, nur hübschere. Die meisten davon Frauen und Kinder, die konnten sie leichter einfangen, unterwegs kamen Männer hinzu, die die Wagen anzugreifen versuchten, die wurden eingefangen, gefesselt und landeten bei uns.

Wir fuhren lange durch die Gegend, die Sonne ging auf, die Sonne ging unter, Tag für Tag, die Sprache der Menschen wechselte immer wieder, man gab uns ein wenig zu essen und zu trinken, wir durften abwechselnd auf dem Wagenboden schlafen, der Wagen ratterte und holperte, bis wir vergaßen, wer wir waren und wo wir herkamen.

Als die Straßen langsam besser wurden, fest und aus Stein, erreichten wir das Land der Krieger und Händler, man hieß uns aussteigen, wir stanken, waren voller Schmutz, man musterte uns von oben bis unten, befahl uns zu schweigen und uns um Kreis zu drehen; dann tauschte ein dickbäuchiger Mann mit einem glänzenden Ring am Finger mich gegen Geld ein, mich und noch ein paar hübschere Frauen, ich weiß gar nicht, warum er mich, so hässlich und klein, zusammen mit ihnen nahm.

Die Fahrt ging weiter, diesmal dauerte sie nicht ganz so lange, wir gelangten in eine riesige Stadt (später sagte man mir, sie heiße Aquileia, doch damals war mir das egal, Hölle ist Hölle, wie immer du sie auch nennen magst), eine, wie ich sie mir nicht einmal im Traum vorgestellt hätte. Man ließ mich an einer Mauer frei, vor einem Tor – weißes zweistöckiges Haus, rotes Dach, das Wasser schoss in Strahlen empor und fiel in große Becken hernieder, nicht nur auf dem Hof, sondern auch in den Gemächern, auf den Innenhöfen spazierten Vögel, große mit farbigen Schwanzfedern herum; dazu kamen die allerschönsten Bäume, Sträucher und Blumenbeete, hübsch zu allen möglichen Figuren zurechtgeschnitten, die Wände im Inneren mit Bildern von Mensch und Natur bemalt; dazu andere Bildnisse aus Stein, wie echt, ein Großteil des Daches fehlte, da war ein Loch, durch das so viel Sonnenlicht hereinstrahlte, dass alles im Inneren funkelte, während der Himmel sich überall im Wasser spiegelte. Ein buntes Farbenspiel wie im wundersamsten Traum – Mosaike an den Wänden und am Boden, farbenfrohe Stoffe – und auch die Stühle ganz weich, die Betten mit unzähligen weichen Stützen.

Ich war hin und weg, konnte keinen Schritt mehr gehen, man musste mich mit Gewalt von dort wegzerren. Ich erlangte meine Fassung wieder, gewöhnte mich an alles, wenn niemand es sah, weinte ich noch, ganz leise, um nicht aufzufallen, ich hatte doch ein paradiesisches Leben. Meine Arbeit bestand darin, der Dame des Hauses die Kleider bereitzulegen und ihr beim Anziehen zu helfen. Das war es auch schon. Meine Herrin besaß von allem im Überfluss, ganze Zimmer waren vollgestellt und -gehängt, der Schmuck fast ausnahmslos aus Gold, in separaten Kästchen verstaut. Sie pflegte sich schön zu machen und für den ganzen restlichen Tag zu verschwinden, vergnügte sich mit Frauen und Männern, war frei, so sehr es ihr Herz begehrte, hatte vom Vater ein Vermögen geerbt und gab es nach eigenem Gutdünken aus, ihr Mann konnte nur zusehen und schweigen.

Ich half ihr beim Anziehen der Tunika, immer aus Seide, leuchtende Farben und bestickt, mit zwei Gürteln, die ich ihr umband, einen um die Taille, den anderen unter der Brust hindurch, um ihre Figur stärker zu betonen. Zuvor band ich ihr noch ein Stoffband eng um die Brust, das ihre Brüste in Form brachte und anhob. Dazu Schuhe, Goldschmuck, das Haar wickelte ich mit einer glühend heißen Zange zu Locken, dann ging meine Herrin. Bei ihrer Rückkehr war sie fröhlich und nicht selten beschwipst vom Wein, dann zog ich sie aus, das war’s, tagsüber hatte ich frei.

Ich dachte mir allen möglichen Schabernack aus – probierte die Kleider der Herrin an, versuchte die Pfauen einzufangen, plantschte insgeheim in den Schwimmbecken; die Bilder, Skulpturen und Wandbehänge habe ich bis heute vor Augen, so oft und so lange bestaunte ich sie. Wenn ich von allem genug hatte, ging ich zur Tür meines Herrn und horchte, der alte Kaufmann hatte stets Gäste, die Getreide und Flachs aus Ägypten, Saphire aus Taprobane, Seide aus China oder ästischen Bernstein zum Verkauf hierherbrachten. Diese Länder klangen in meinen Ohren wie Zaubersprüche, aber ich wusste damals schon, dass es auf der Welt eine Vielzahl davon gibt, und ich gab mir Mühe, sie mir zu merken, für den Fall, dass ich einmal dorthin gelangte.

Besonders mochte ich in die Thermen, auch dort half ich meiner Herrin beim Aus- und Ankleiden. Ich warf den Kopf in den Nacken und schaute lange zur Decke, die allerschönsten Zeichnungen, nur so hoch oben, dass man sie kaum sehen konnte, Säulen und ein Marmorboden, seht nur, da rutscht ein Tollpatsch aus und fällt hin, denn rundum ist nichts anderes als Dampf. Meine Herrin trug dort nur einen Lendenschurz und die Brüste stützende Stoffbänder, während ich die Tunika anbehielt – mich hat noch niemand nackt gesehen, so hässlich, wie ich bin. Obwohl, hier in Aquileia sah ich gar nicht so hässlich aus, hier lebten alle möglichen Menschen, schwarze und noch schwärzere, sogar ihre Haut war schwarz, und schneeweiße wie zu Hause, sogar solche wie ich. Aber wem oft genug gesagt wird, er sei hässlich, der ist es auch, der wird nicht schön, nur weil er am anderen Ende der Welt gelandet ist.

Kleines Bernstein

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