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Vorwort

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Freiheit wird gemeinhin als die Möglichkeit betrachtet, sich ohne Zwang entscheiden zu können. In der modernen Wissenschaft benennt der Begriff im Allgemeinen einen Zustand der Autonomie eines Traumsubjekts. Diesem Grundgedanken verweigere ich mich. Er scheint mir nicht mehr zeitgemäß zu sein, ebenso wie jene Philosophien, in denen man nur noch denkt, dass man die Welt und die Menschen im Blick hat.

In der Antike war Freiheit noch kein Gut für alle Menschen, sondern ein Privileg gebildeter Oberschichten. Die Stoa entwickelte dann aber schon ein weitergehendes Verständnis von Freiheit, in dem Sklaverei verurteilt wurde, zwar nicht politisch, aber bezogen auf die einzelnen Menschen, die frei von Zwängen in der Welt sind und sein sollen.

Mit der Entstehung der großen Religionen können und dürfen wir davon ausgehen, dass die Idee der Freiheit einen zentralen Stellenwert in der Menschheitsgeschichte bekam. Der Begriff der Freiheit im frühen Christentum ist fordernder und religiöser als der in der Antike. Der Christ ist frei von Sünde, Gesetz und Tod (Römerbrief, Kapitel 6-8).

Im europäischen Mittelalter entwickeln sich dann die verschiedenen Vorstellungen davon, welche und wessen Freiheiten wie weit gehen können (Magna Carta Libertatum).

An der Grenze zwischen dem ausgehenden Mittelalter und der Neuzeit weist Martin Luther dem Christenmenschen die Stellung zwischen Herrn und Knecht zu: In Christus sind alle Menschen frei. Diese Freiheit ist durch Liebe und Verantwortung für den Mitmenschen gebunden.

Das moderne Verständnis von Freiheit ist vor allem auch dem Zeitalter der Aufklärung verpflichtet. Die Befreiung von Dogmen und Vorurteilen und die Freiheit durch Einsicht und Vernunft stehen im Mittelpunkt. Leben, Freiheit und Eigentum werden zu unveräußerlichen Rechten von Bürgerinnen und Bürgern erklärt. Freiheit wird guter Wille.

Im 18., 19. und 20. Jahrhundert werden Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu revolutionären Idealen. Die Bürgerinnen und Bürger moderner demokratisch verfasster Staaten können heute diese politischen Ideale in Form von Grund-, Bürger- und Menschenrechten in Anspruch nehmen.

Das liberale Limit (John Stuart Mill, „On Liberty“) legt prinzipielle Handlungsfreiheiten fest, aber auch fragwürdige Einschränkungen wie zum Beispiel, dass man sich selbst gegen andere schützen darf. Für Adam Smith setzt das Ordnungsprinzip der Freiheit keinen Altruismus voraus, sondern es geht automatisch aus egoistischem Gewinnstreben selbst hervor. Niklas Luhmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in der freien Marktwirtschaft eine Verbindung zwischen Freiheit und Wahrnehmung existiert. Freiheit kann auch mangelnde Freiheit sein, deren Ursachen ich aber nicht unmittelbar erkenne. Die Freiheit des Marktgeschehens ist ein Zustand, welcher sich nicht ohne weiteres selbst erklärt und selbst erhält.

Die Freiheit ist schließlich das Programm politischer Parteien und Ideologien geworden: Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus und Kommunismus, Anarchismus, Nationalismus und Totalitarismus. Das sind politische Verkleidungen von Freiheit, verbunden mit der Entwicklung von Organisationen, Institutionen und Kontrolle.

Was kann man auf diesem dramatischen und weltgeschichtlichen Hintergrund noch Neues bieten, wenn man, wie ich, Essays über die Freiheit vorlegt? Es kann in jedem Fall nur ein weiterer Versuch über die Freiheit sein.

Über Jahre hinweg habe ich mir Notizen gemacht. Es waren Assoziationen oder sogar nur Nachrichtenschnipsel, die mit meinem Alltag und meiner persönlichen Wahrnehmung gesellschaftlicher Prinzipien zu tun haben. Erst im Nachhinein konnte ich feststellen, dass ich wohl unbeabsichtigt auf einer Spurensuche war, die sich im Kern mit den unterschiedlichen Formen und Aspekten der Freiheit befasste. Nun erst habe ich den Mut gefasst, diese Notizen zusammenzustellen, sie zu strukturieren und ein ideelles Band zwischen ihnen zu knüpfen.

Die nachfolgenden Essays sind keine wissenschaftlichen oder literarischen Essays im Sinne eines Genres. Vieles ist wissenschaftlich verantwortbar. Anderes wirkt literarisch. Einiges ist satirisch gemeint, manches sogar komisch. Das Meiste ist zweifellos alltäglich und allzu menschlich. Nur so, zusammen, scheint mein ganz persönliches Bild moderner Freiheit zu entstehen. Mein Alltag ist nie nur wissenschaftlich oder literarisch oder gar satirisch.

Der Alltag ist einfach nur da, wie die Emotionen. Vielleicht hat Ihr Alltag ja auch diese Eigenschaft.

Also fast unabsichtlich habe ich mich auf eine Spurensuche nach den Formen, Prinzipien und Verkleidungen des Freiheitsstrebens begeben, um Fragmente echter Freiheit zu entdecken, die sich vor allem hinter technischen Verfahren, Kulturindustrie und Massenapparaturen verstecken. Diese Aggregate der Freiheit nenne ich eine Erfindung und die Überschrift meiner überarbeiteten Notizen-sammlung „Die Aggregate der Freiheit und Der Traum vom Ich und Ich“.

Reinhard Ost

Berlin, im Mai 2015

Die Aggregate der Freiheit und Der Traum vom Ich und Ich

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