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Elendes Volksvermögen Das Aggregat der Freiheit ist ein Volksvermögen.

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Wir kommen leider nicht darum herum, wenn wir über die Erfindung des modernen Aggregats der Freiheit reden, uns mit wirtschaftlichen Vorgängen zu befassen, nämlich mit der Geld- und Finanzwirtschaft, der Warenwirtschaft und auch der Ideenwirtschaft. Gerne hätte ich das vermieden. Aber es geht nicht.

Das Unglaubliche ist, dass man heutzutage jeden x-beliebigen Sachverhalt, jede Idee, jeden einzelnen Menschen und sogar den Anwalt des schrecklichsten Mörders als wirtschaftliche Angelegenheit betrachten kann. Wirtschaft ist Essen und Trinken. Wirtschaft ist Lieben und Lügen. Wirtschaft ist kalter Krieg und warme Friedensvereinbarung. Wirtschaft ist Armut und irrsinniger Reichtum. Wirtschaft ist Freiheit und Politik.

Die Politik erscheint oft als die freizügigste aller Wirtschaftsangelegenheiten, weil sie eine Finanz- und Steuerangelegenheit ist. Für den bayrischen Biertrinker, abends in seiner Lieblingskneipe, ist Wirtschaft die Freiheit im ursprünglichen Sinn. Sie ist Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, wenn er sein Glas am Henkel fasst und uns zuprostet. Wir Alltagsphilosophen allerdings sollten uns nicht besoffen machen lassen. Wir sollten keine Zuproster werden, weil wir das menschliche Vermögen und die menschlichen Bedürfnisse erkennen und nicht nur ausleben wollen.

Das Vermögen eines einzelnen Menschen ist recht klein, wenn man einmal davon absieht, dass wenige Reiche riesige Vermögen besitzen, die so groß wie diejenigen ganzer Volkswirtschaften oder Kontinente sind. Das scheint mir aber nur ein Geldverteilungsproblem zu sein. Mein pekuniärer Reichtum ist mir nicht so wichtig, weil ich ohnehin nicht viel Geld habe. In meinem Argumentationszusammenhang ist es nicht entscheidend, wie groß ein Vermögen ist, sondern dass es schlicht vorhanden ist. Wenn sich einzelne Vermögen, ob große oder kleine, miteinander verbinden und vernetzen, dann werden sie ein Volks- und Menschheitsvermögen. Was der einzelne tut oder lässt, was er hat oder verbraucht, summiert sich. Es multipliziert und potenziert sich um das Millionenfache. Das einzelne Automobil mag noch ein nützlich-technisches Fortbewegungsmittel sein. Als Massenphänomen entstehen verrostete Wracks auf Autohalden, entstehen Verkehrstote, abgestürzte Flugzeuge, versunkene Schiffe, zerbombte Moscheen. Der einzelne Autoverkäufer, der seine Kunden betrügt, ist ebenfalls nur eingeschränkt nützlich. Jeder würde gerne auf die Kollateralschäden die er verursacht, verzichten. Aber geht das überhaupt? Es geht nicht. Oder vielleicht doch?

Wenn ich an ein Vermögen denke, dann denke ich nicht zuallererst an die Wirtschaft. Ich denke zunächst an Mahatma Gandhi, den schmalen und gebildeten Asketen. Was hat er bewirkt? Was hat sein persönliches Vermögen zustande gebracht? Er hat das Volk der Inder vereint. Er hat die Nation im Kampf gegen die Engländer zusammengeführt. Er ist ein Symbol starker und erfolgreicher Friedfertigkeit geworden. Aber was, so frage ich, ist aus Kalkutta und Neu-Delhi inzwischen geworden? Es sind Großstädte wie andere auch. Es sind Menschenaufläufe in der Mikrowelle. Es ist der Kampf um nackte Existenzen und um eine vernünftige Müllentsorgung mit dem großen Mut, in die Zukunft zu blicken?

Was also können Politik, Friedfertigkeit, Philosophie und Wirtschaft als Vermögenssachverhalt sein?

Jeder weiß, dass große Paläste, prächtige Moscheen, schmale gotische Kirchen und auch der streng gesicherte Wohnkomplex von Superreichen in Shanghai vom Mund des Volksvermögens abgespart wurden. Umgekehrt erscheint uns nur der Superreiche, der über seine eigenen Verhältnisse leben kann, in der Lage zu sein, Weltarchitektur bauen zu können. Die Armen und Mittellosen errichten nur ihre eigenen kleinen Hütten, wenn sie dazu überhaupt genügend Kraft und Ressourcen haben oder sie hocken in den Slums der Großstädte. Wir Westeuropäer verfolgen das sehr kritisch in Fernsehberichten. Zum Glück haben wir in Deutschland Zentralheizung, einen Kühlschrank und ein vernünftiges Dach über dem Kopf, werden die meisten in diesem Zusammenhang denken. Jeder ist seines Glückes Schmied, sagen viele Unverdrossene, die nur teilnehmende Beobachter der Freiheit und des Vermögens anderer sind. Die Vermögen sind eine Geburtslotterie.

Das aggregierte Volksvermögen ist unterschiedlich groß und unterschiedlich verteilt. Zwar ist das individuelle Vermögen im Prinzip bei jedem Einzelnen ähnlich groß. Es ist aber gänzlich verschieden organisiert. Dadurch kommt es zu Missverständnissen. Vermögen können dadurch auch zu einem Mysterium werden.

Der junge deutsche Entwicklungshelfer im Ausland stellt häufig genug fest, wie wenig er eigentlich beizusteuern vermag, um die sozialen und wirtschaftlichen Aggregate nachhaltig zu beeinflussen. Er stellt mit Erstaunen fest, dass sich seine unmittelbare Arbeits- und Schöpferkraft eigentlich kaum von der Kraft der Einheimischen unterscheidet. Aber dann denkt er sogleich an das Geld seiner Spender, weil er durch deren Unterstützung arbeitet. Damit erlangt er eine fast übermenschliche Größe. Mit dieser Größe kann er dann doch ganz gut einiges mit einer gewissen Langzeitwirkung bewirken. Wenn er den alternativen Nobelpreis erhält, hat er vieles richtig gemacht.

Also nichts wie ran, könnte man meinen. Sammeln wir eine große Menge Geld von wohltätigen Menschen ein, und bringen wir diesen „Fortschritt“ endlich in die „Dritte Welt“. Es ist zwar meistens der Fortschritt nach eigenem Muster, aber wichtig erscheint er dann doch: der Fortschritt durch die Idee vom Geld. Einige erinnern sich vielleicht noch, dass unsere „Erste Welt“ und unsere modernen westlichen Volksvermögen durch Sklaverei und Ausbeutung von Afrikanern, durch gestohlenes Gold aus Südamerika, mit Blutdiamanten aus Afrika und Milliarden unbezahlter Arbeitsstunden von Baumwollpflückern und KZ-Insassen entstanden sind: England, Deutschland, Niederlande, Spanien, Portugal, Deutschland, USA und so weiter. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich staatenmäßig sogar noch zusätzlich im Inneren vereint und intelligent vernetzt. Ihre internationale Schlagkraft ist inzwischen so groß geworden, dass sie jedes Jahr aufs Neue die Exportweltmeisterschaft gewinnen. Jeden Krieg könnten sie gewinnen. Diesen Titel wollen die Chinesen und viele andere auch, denken die Amerikaner. Die Produktion und der Export von Waren und Waffen, von Sicherheit und Freiheit, von Wissenschaft und Technologie, von Kommunikation und Kultur: Dafür steht die „freie Welt“.

Wirtschaftliche Großreiche und ideologische Königreiche können allerdings zerfallen. Sogar der große sozialistische Weltenbund ist zerfallen. Um das zu erkennen, braucht man kein Historiker zu sein. Auch McDonalds, Burger-King, Coca Cola, Microsoft, Facebook, Google, Walt Disney oder die Filmmetropole Hollywood werden eines Tages untergehen, weil die Menschen es so wünschen, wenn sie etwas anderes wollen. Die Volksvermögen, Volksgruppen und Gemeinschaften unter einen Hut zu bringen, dauert sehr lange. Das Zerfallen aber geht ganz schnell.

Das Vermögen großer Industriegesellschaften, unter dem Dach der einzelnen Volks- und Finanzwirtschaft, im Allgemeininteresse zusammen zu halten, scheint kaum noch steuerbar zu sein. Der Finanzminister wird zum Gott.

Mir persönlich fällt bei der Frage nach der Steuerung von Freiheit und Vermögen immer der Vortrag eines jüngeren Wirtschaftsliberalen ein. Ich glaube es war in der Friedrich- Naumann-Stiftung der FDP. Ich war dort eingeladen. Ein Referent referierte über die liberalen Prinzipien. Denen stünde ich nahe, dachte ich. Oder war es doch die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD? Egal, jedenfalls sollte ich mir, so der Referent, einen Gaul vorstellen, dem man vorn das Futter ins Maul hineinstopft, damit er hinten genügend ausbringen kann. So funktioniere das moderne Wirtschafts- und Sozialwesen, hörte ich. Etwa um die Jahrtausendwende war es. Jeder einzelne sei an der Fütterung beteiligt, lernte ich. Jeder Mensch, jede einzelne Bank, jeder Investor, jeder einzelner Anleger, jeder arbeitende Mensch beteilige sich an der allgemeinen Wertschöpfung. Man müsse nur sein eigenes Politportfolio gut zusammenstellen. Wie peinlich, ich hatte schon damals gar keine Aktien. So sieht sie aber denn wohl aus, die Freiheit, wenn Einzelinteressen zu einem internationalen Weltwirtschaftsgesamtinteresse werden. Der Wettbewerb bringe Kooperation von selbst hervor, sagte der Referent noch. Wie eigenartig? So richtig hat mich das schon damals nicht überzeugt. Je älter ich werde, desto kritischer sehe ich mich um. Jedes Mal wenn ich kurz vor 20 Uhr den Fernsehapparat einschalte, um die Deutsche Tagesschau zu sehen, begegnen mir wieder diese galoppierenden Gäule des Wirtschaftsliberalismus, die man füttern muss, damit am Ende für alle etwas übrigbleibt. Ich bin kein Linker und kein Rechter. Also, was bin ich? Ich weiß nur, dass ich irritiert bin.

Die Dauersendung heißt „Bericht aus der Börse“ und kommt immer kurz vor acht Uhr, bevor die Nachrichten der Tagesschau losgehen. Und wieder höre ich schon im Bericht der Börsenjournalisten, dass ein neuer Krieg geführt wird. Ich erfahre, dass die ärmeren Euro-Staaten sich abgehängt fühlen. Die Löhne in Deutschland sollen schon wieder gekürzt werden und die Arbeitszeiten verlängert werden. Sozialabbau stünde ins Haus, und die Börsenkurse steigen und steigen. Gerhard Schröder wird für seine Agenda 2010 ein ums andere Mal gelobt. Die Kredite der EZB für Großinvestoren werden noch billiger. Das alles ließe die Börsenkurse auf einen neuen Höchststand steigen. Weit unter einem Prozent vegetiert dagegen der Zinssatz auf mein Sparguthaben bei der Sparkasse dahin. Die Börsenkurse werden immer noch weiter und höher steigen, erzählt man. Gibt es kein Ende? Jeden Tag, schon seit Wochen, wird der alte Höchststand aufs Neue getoppt. „Sollte ich mich am neuen Volksvermögen bereichern?“, frage ich mich. Ich lasse es, weil ich immer noch vermute, dass alles nur eine Blase ist. Wie dumm oder wie weitsichtig von mir.

Warum erscheint mir dieses Volksvermögen so elend? Kann Volksvermögen überhaupt ein Elend sein? Die traditionellen Linken haben die Frage schon längst mit gusseisernen Verelendungstheorien aus der Frühzeit der Industrialisierung beantwortet. Privater Reichtum und öffentliche Armut fallen eben auseinander, erläutert der Vorsitzende der Links-Partei. Als Konsequenz will er noch mehr Staat und noch mehr Steuern eintreiben. Wenigsten in den Behörden kann man damit noch mehr Arbeitsplätze schaffen, denke ich. Die Öffentlichkeit als Staat und Steuereinnehmer wird immer reicher, eben wegen der Fütterung des Gauls. Man weiß doch kaum noch wohin mit dem ganzen Geld. Man plane die umfassende Instandsetzung der Bundeswehr, formuliert die Verteidigungsministerin und fordert neue Kampfeinsätze gegen den Terror des „Islamischen Staats“. Die Berliner Schulen hingegen bleiben indes unterausgestattet. Das Vermögen scheint mir inzwischen wie eine Gabe zu sein, in politischen Ressorts erfolgreich mehr Geld zu fordern und auszugeben.

Ich gebe es auf, etwas von Wirtschaft, Börsen und Finanzpolitik verstehen zu wollen. Ich schaue mich lieber nach einer Bürgerinitiative um. Der könnte ich vielleicht beitreten. Aber siehe da, auch dort sitze ich wieder in einem dieser Aggregate, in einem etwas kleineren diesmal, mit einem kleineren Motor und weniger Höchstgeschwindigkeit. Übrig bleibt schließlich meine folgende Überlegung: Viele Menschen in der zivilisierten Welt vermuten, sie hätten gar kein Vermögen, obwohl sie doch ein ausgezeichnetes Auskommen haben. Das Aggregat ist immer nur zu klein, gemessen an den Wünschen und Bedürfnissen.

Das wirtschaftliche Volksvermögen hat inzwischen viele Namen erhalten. Zum Beispiel heißt es Bruttosozialprodukt (BSP) oder Bruttonationaleinkommen (BNE), als die Summe aller Güter und Dienstleistungen in der jeweiligen Landeswährung, die in einer Volkswirtschaft innerhalb eines Jahres bereitgestellt werden. Bei der Berechnung des BSP wird vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausgegangen. Von diesem zieht man die Erwerbs- und Vermögenseinkommen ab, die ins Ausland abgeflossen sind. Diejenigen Einkommen werden hinzugefügt, die von Inländern aus dem Ausland bezogen werden. Das BSP zielt also auf Einkommensgrößen und wird in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eben auch als BNE bezeichnet. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst demgegenüber die wirtschaftliche Leistung eines Landes von der Produktionsseite her und wird in der Wirtschaftsstatistik inzwischen bevorzugt verwendet. Haben Sie das verstanden? Niemand weiß, was in den Zahlen mitgerechnet wird. Oder doch? Das alles ist mathematisches Wirtschaftswissen von Fachexperten. Tausend Fragen schießen mir tagtäglich diesbezüglich durch den Kopf. „Beruhige dich“, sagt mein Freund Rudi. „Man braucht nicht alles zu verstehen, vor allem dann nicht, wenn es funktioniert.“ „In Deutschland scheint es tatsächlich ganz gut zu funktionieren. In Griechenland, Spanien, Bulgarien und Portugal und anderswo funktioniert es anscheinend weniger gut“, möchte ich noch hinzufügen.

Die „Entwicklungsländer“ Europas haben Probleme, weil sie etwas falsch machen, weil sie falsch rechnen und keine vernünftige Steuerverwaltung haben, höre ich vom Kabarettisten Dieter Nuhr. Danach wendet er sich wieder seinem Lieblingsthema, dem Papst in Rom und der katholischen Kirche zu. Mich irritiert, dass, je entwicklungsbedürftiger ein Land ist, desto höher die Zinsen seien, die sie für einen Kredit zahlen müssen. Warum auch immer das so ist, wahrscheinlich ist es dem Geldmarkt geschuldet, denke ich. Großzügig bietet man den ärmeren Ländern Staatshilfen aus dem europäischen Säckel an, oder verweigert diese. Denn alles wird inzwischen finanzialisiert, mit etwas höheren Zinsen und längeren Laufzeiten für die Schwächeren. Die ärmeren Länder dürfen dann mehr Zeit aufwenden, um alles zurückzuzahlen. Man droht damit, dass sie gar nicht mehr erhalten dürften.

Bekommen die Ärmeren in der EU nun wirklich umverteiltes Geld von den Reicheren oder müssen sie das Geld am Ende doppelt und dreifach zurückzahlen?

Natürlich müssen sie alles zurückzahlen oder eben in Konkurs gehen. An den Kreditzinsen verdienen diejenigen, die das Geld vorgeschossen haben. Vorher wirft man die Notenpresse an. Das ist der alles entscheidende Ursprung aller Zirkulationsakte. Man wirft sie an und setzt auf politisches Vertrauen und den Gehorsam.

Wer verantwortet das?

Die Vermögen der Völker sind die Hoffnung auf die Aggregation der Freiheit, die sich über den Preis steuert, bei der man nur gelegentlich leider vergisst, einen vernünftigen Motor einzubauen. Das modernste Aggregat ist ein Leasingmodell. Man achtet sehr darauf, dass es immer sehr gut gewartet und instand gehalten wird. Allerdings: Die Leasing-Aggregate gehören dem Besitzer gar nicht. Am Ende ist die große Rest-Rate fällig. Deshalb wird man sich immer wieder neu ein Aggregat leasen müssen.

Volksvermögen (VM), so sagt die Deutsche Bundesbank (DB), ist die Summe aller Privatvermögen. Italiener und Spanier seien viel reicher als Deutsche, steht dazu in der Zeitung. Reicher Süden, armer Norden? Sieht Europa so aus? Spanier oder Italiener besäßen mehr Geld als Deutsche. Sie hätten angeblich deutlich größere Privatvermögen. Das mittlere Vermögen deutscher Haushalte belaufe sich auf rund 51.400 Euro netto, teilte die Bundesbank in Frankfurt am Main mit, in Italien betrage das durchschnittliche Haushaltsvermögen rund 163.900 Euro, in Spanien rund 178.300 Euro. Sogar in Frankreich ist das Vermögen der Haushalte im Mittel noch bei 113.500 Euro. In Österreich läge der gemittelte Wert mit 76.400 Euro näher am deutschen Niveau. In Deutschland selbst falle das mittlere Vermögen je Haushalt im Osten mit 21.400 Euro zudem deutlich geringer als im Westen mit 78.900 Euro aus. Ich bin abermals verwirrt.

Wenigstens eines scheint mir klar zu sein: Die deutsche Bundesbank hat einen bestimmten Median gewählt. Dadurch wird der Mittelwert weniger stark durch Ausreißer-Werte nach oben und unten verzerrt, heißt es. Besonders reiche oder besonders arme Haushalte fallen also nicht so stark ins Gewicht. Aha! Vielleicht sind die reichsten 10 Prozent der Deutschen, die rund 90 Prozent der Vermögen besitzen, gar nicht mitgezählt worden. Vielleicht ist die Zahl der Deutschen aber auch insgesamt zu groß. Dann wäre es verständlich. Der deutsche Gaul hat doch genug Futter in der Kiepe, so dass am Ende für alles etwas übrig bleibt, denke ich und frage mich: Sind die Aggregate innerhalb der europäischen Gemeinschaft wirklich so unterschiedlich?

Die Kaufkraft (KK) pro Einwohner ist wieder etwas anderes. In Spanien liegt sie im Vergleichsjahr bei 12.943 Euro. Das entspricht etwa dem europäischen Durchschnittswert. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Kaufkraft je Einwohner bei 20.014 Euro, in Italien bei 16.179 und im krisengeschüttelten Griechenland bei 11.357 Euro. Die Kaufkraft, so lerne ich, ist also die Summe, die die Bürger nach dem Abzug von Steuern und Abgaben für Konsumausgaben und zum Sparen zur Verfügung haben. Dann wird es noch komplizierter, wenn man nämlich regional differenziert. In Spanien ist die Kaufkraft sehr unterschiedlich verteilt. Der Wohlstand konzentriert sich auf die Grenzregion zu Frankreich im Norden der Halbinsel und auf die zentral gelegene Hauptstadtregion Madrid. Die Provinzen mit der höchsten Kaufkraft pro Einwohner befinden sich im Baskenland an der Grenze zu Frankreich. Spitzenreiter ist Gipuzkoa (16.707 Euro), dicht gefolgt von Alava (16.461 Euro) und Navarra (16.284 Euro). Kein Wunder, dass man dort politisch unabhängig werden will, vermute ich. Die Region Madrid liegt mit einer Pro-Kopf-Kaufkraft von 16.238 Euro nur an vierter Stelle. Für Spanien gilt das als reich. Beim Euro-Partner Italien entspricht dieser Wert dem landesweiten Durchschnitt. Das Schlusslicht Cádiz an der Südspitze Spaniens bringt es gerade einmal auf 8729 Euro Kaufkraft je Einwohner. Das entspricht in etwa der durchschnittlichen Pro-Kopf-Kaufkraft Maltas oder der Slowakei. Also Vermögen und Kaufkraft sind jedenfalls sehr unterschiedlich, lerne ich, weil sie regional unterschiedlich verteilt sind.

Für das im Vergleich mit anderen Ländern des Euroraums geringere mittlere Vermögen der Haushalte in Deutschland gibt es nach Angaben der Bundesbank eine ganze Reihe von Gründen. So seien etwa nicht alle Vermögensansprüche der Haushalte erfasst, wie etwa die gegenüber der gesetzlichen Sozialversicherung. Damit aber würden für viele Haushalte in Deutschland „die meisten der Lebensrisiken und Grundbedürfnisse zumindest prinzipiell" abgedeckt werden. Beispiele hierfür seien die gesetzliche Vorsorge für das Alter, für Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Aber auch die staatlich finanzierte Bildung an Schulen und Hochschulen falle darunter.

Das mittlere Vermögen in Deutschland wird noch zusätzlich durch die Wiedervereinigung gedrückt, teilte die Bundesbank weiterhin mit. Daneben sei die Neigung der Deutschen, Immobilien zu kaufen, vergleichsweise eben sehr gering.

Auch bei der Berechnung des Nettovermögens (NV) der Haushalte liegen die Deutschen hinter anderen Euro-Staaten zurück, wie aus der Untersuchung der Bundesbank hervorgeht. Bei spanischen Haushalten liege das durchschnittliche Vermögen bei 285.800 Euro netto, in Österreich bei 265.000 Euro und in Frankreich bei 229.300 Euro. In Deutschland belaufe sich der Wert auf 195.200 Euro. Im Westen Deutschlands liegt es mit 230.240 Euro in etwa auf dem Niveau von Frankreich. Die Bundesbank befragte für ihre repräsentative Untersuchung knapp 3600 Haushalte in Deutschland, zwischen September 2010 und Juli 2011. In den anderen Euro-Ländern erfolgten ähnliche Befragungen, mit deren Ergebnissen angeblich die Notenbanken ihre Entscheidungsgrundlagen verbessern. Hoffentlich geht das gut!

Also? Worüber diskutieren wir, wenn wir von den armen Ländern Südeuropas reden, denen man währungs-, finanz- und wirtschaftsphilosophisch unter die Arme greifen muss und sogar Auflagen erteilt? Funktioniert das wirtschaftliche Aggregat der Freiheit in diesen Ländern vielleicht sogar besser als bei uns?

Mir kommen inzwischen Zweifel an all diesen Berechnungen. Ist es vielleicht sogar so, dass man im Ausland autonomer, aber weniger mobil ist, wegen der Immobilien und der Banken vielleicht. An dieser Stelle beginne ich mich zu ärgern. Meine Miete frisst inzwischen die Hälfte meines Monatseinkommens. „Selber schuld!“, sagt mein Freund Rudi, der für sein kleines Häuschen allerdings noch bis an das Ende seines Lebens zahlen muss. „Sollen die Griechen doch ihre Immobilien an reiche deutsche Investoren verkaufen. Dann können sie sie zurückmieten?“ „Ich weiß nicht“, antworte ich. Ich weiß nichts mehr, denke ich. Niemand scheint in Europa etwas genau zu wissen. Mir ist nur klar geworden, dass man alles plausibel errechnen kann: die armen Deutschen und die reichen Spanier, umgekehrt proportional zur eigenen Region in der man lebt, und so weiter. Je nachdem, für welchen Zweck man eine Berechnung braucht, wird sie gemacht. Das Elend mit dem Berechnen der Aggregate scheint größer geworden zu sein. Es sieht so aus, als könne man den Verbrauch, die Produktionskosten, den Wert, die Verwertbarkeit und die zukünftigen Wiederverkaufschancen gar nicht korrekt bestimmen.

Jetzt fallen mir plötzlich die Inseln in der Karibik ein. Ein Ärgernis ist es dort, wie unterschiedlich die Stromspannungen auf den verschiedenen Inseln sind. Auf einigen Inseln gibt es, nach amerikanischem Muster, 110 Volt Wechselstrom bei 60 Hertz, auf Grenada, Montserrat, Dominica und den Grenadinen die europäischen 220 Volt und 50 Hertz. Antigua und Barbuda haben 220 Volt mit 60 Hertz, Bonaire 127 Volt mit 50 Hertz und Curacao 110 Volt mit 60 Hertz.

Ich bin endgültig am Ende meines Rechenvermögens angekommen, obwohl es nur um die Grundrechenarten geht. Mir ist schlecht. Mir ist inzwischen völlig unverständlich, wieso ein japanisches Mittelklasse-Auto so enorm preiswert auf dem deutschen Markt zu kaufen ist. Ist das eine Folge des Freihandels? Gibt es keine Zölle auf japanische Einfuhren und keine nennenswerten Wegekosten mehr? Und wieder ist mein erster sinnstiftender Gedanke, dass wir Deutsche zum Glück zu den Exportweltmeistern gehören.

Die Erfindung des Aggregats der Freiheit ist ein komplexes Wirtschafts- und Finanzsystem. Was denn auch sonst? Als Wert, als Kosten der Produktion und als benötigte Arbeitsstunden pro Produkt, wird das Fahrzeug weiterfahren. Es wäre ganz gut, wenn wir uns das Fahrzeug wenigstens ein einziges Mal in Ruhe umschauen könnten, vielleicht dann, wenn es in der Garage steht. Dann scheint es allerdings auch wesentlich weniger nützlich zu sein. Es muss fahren, damit man seinen Wert erkennen kann. Nein, eigentlich muss es auch nicht fahren, sondern man muss es unentwegt kaufen, dann geht es viele Male in das Volksvermögen (VV) ein. Ich gucke mir meinen kleinen Smart daraufhin genauer an. Er ist inzwischen schon 8 Jahre alt. Er war schon gebraucht, als ich ihn erwarb. Wenn ich ihn neu gekauft hätte, hätte ich wahrscheinlich mehr zum Bruttosozialprodukt beigesteuert. Oder nicht?

Das Geld- und Finanzsystem ist ein automatisierter Mechanismus. Vielleicht ist es sogar schon ein Perpetuum mobile. Schließlich treiben Computerprogramme inzwischen ganz eigenständig Handel an den Börsen. Gekauft und verkauft wird alles, was nur möglich ist. So ist das programmiert. Stets soll der höchste Zirkulationsgewinn in jedem Augenblick erzielt werden. Das Aggregat des Volksvermögens ist ein Programm, das sich fast selbsttätig steuert. Wer nicht ein Teil des Programms sein will, hat fast schon vorab verloren. Die Aggregation ist in ihrer Ursprungsform nur ein Rad im Getriebe der Wirtschaft. Keine Uhr würde ohne die Rädchen funktionieren.

Wenn wir das Aggregat der Freiheit mit AFH abkürzen und auch die anderen volks- und finanzwirtschaftlichen Kürzel verwenden, dann ergibt sich folgende Gleichung: AFH = BSP + BNE + BIP + VV + DB + KK + NV. Für die Unfreiheit (UVH) braucht man nur die Freiheit (AFH) durch alle Einträge auf der rechten Seite der Gleichung zu teilen. Dann schließlich können wir alles mit der Welt (W) multiplizieren.

Morgen schaue ich mir nicht die Nachrichten in der Tagesschau an, wegen der Freiheit und dieses irritierenden Wirtschaftsgeschehens.

Die Aggregate der Freiheit und Der Traum vom Ich und Ich

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