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Die Feuerprobe

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Am frühen Nachmittag herrschte vorwiegend Ruhe beim Juwelier Krull in der Gotthardstraße. Darum sah der braungebrannte Enddreißiger, mit den stahlblauen Augen, stumm auf, nachdem der Tür-Gong ertönte. Ein betont vornehm gekleideter Besucher im Trenchcoat, betrat den Laden.

»Ich möchte das blaue Diadem aus dem Schaufenster.«

»Selbstverständlich«, antwortete der Juwelier. Er beeilte sich, dem Wunsch nachzukommen.

Eine Minute später lag das Diadem auf dem Tresen. »Äußerst edel«, schwärmte der Mann im Trenchcoat. Mit einer flinken Handbewegung zog er eine großkalibrige Pistole aus der Manteltasche. »Rufen Sie Ihre Angestellte aus dem Hinterzimmer«, befahl er knapp.

Wenige Augenblicke später stand die Verkäuferin Anneliese Mahler neben ihrem Chef.

Gleich darauf hielt er den beiden die Pistole unter die Nase. »Wer sich in Reichweite der Ladenkasse begibt, um Alarm auszulösen, bekommt Ärger. Besorgen Sie eine Tasche.«

Anneliese Mahler holte aus dem Hinterzimmer einen schmalen schwarzen Koffer.

»Aufmachen«, dirigierte er knapp. – »So, und jetzt alles hinein, was gut und teuer ist.« Um seine Mundwinkel legte sich ein erfolgssicheres Lächeln.

Zähneknirschend kramten der Juwelier sowie die Angestellte alle hochwertigen Schmucksachen heraus. Bald darauf passte nichts mehr in den Koffer.

»Das reicht!«, befahl er barsch. Der unliebsame Besucher im Trenchcoat griff in die Manteltasche. Gleich darauf zog er eine Flasche Cognac heraus. »Dann wollen wir zum gemütlichen Teil übergehen«, schmunzelte der Täter. Hurtig öffnete er die Glasflasche mit dem französischen Weinbrand. »Holen Sie mal zwei von den goldverzierten Gläsern dort hinten.«

Anneliese Mahler beeilte sich.

Dann füllte er die Cognac-Schwenker randvoll mit dem hochprozentigen Getränk. »Ex!«, befahl er knapp.

»Ich … ich vertrage keinen Alkohol«, jammerte der Juwelier.

»Ex!«

Würgend tranken beide ihr Glas aus.

»So ist es brav.« Dabei drückte er dem Juwelier ein Stück Papier in die Hand. »Jetzt rufen Sie Ihre Frau zu Hause an und lesen ihr das vor, was hier auf dem Zettel steht. Gleich danach legen Sie auf. Klar?!«

»Was wollen Sie denn noch?«, jammerte Herr Krull.

Ohne zu antworten winkte der andere ihn mit der Pistole zum Telefon.

Mit zitternden Fingern tippte der Juwelier die Nummer in den Apparat. Am anderen Ende meldete sich seine Ehefrau. »Hallo, Schatz«, las er vom Zettel vor, »in der Innung gibt es Ärger. Es wird heute bestimmt spät. Du brauchst nicht auf mich zu warten. Ich habe es eilig. Also, Tschüss.« Danach legte er den Hörer auf.

»Und jetzt darüber und umdrehen«, ordnete er an.

Kaum das sie sich umgedreht hatten, zerzauste er ihnen mit der linken Hand das Haar.

»Was wollen Sie, Mann?!«, schrie Herr Krull.

»Ruhe! Ziehen Sie Ihre Hose aus. Und Sie Ihren Rock.«

»Niemals!« Erregt drehte der Juwelier den Oberkörper zur Seite. Da bemerkte er die kühle Rundung einer Pistolenöffnung in seinem Nacken.

»Danach tauschen Sie die Sachen und ziehen sie an …«

»Sind Sie noch normal?!«

»Ein bisschen Flotter, wenn ich bitten darf.« Gleich darauf schnappte er sich den Koffer. Mit wenigen Schritten eilte er zur Eingangstür. Durch einen winzigen Spalt im Vorhang beobachtete er den Parkplatz vor dem Haus.

Minutenlang geschah nichts. Schließlich lächelte er den beiden zu. Bevor er verschwand, sprach er knapp: »Jetzt dürfen Sie die Alarmanlage betätigen.«

Die Tür rastete noch nicht ein, da schnellte der Juwelier bereits zur Kasse, um Alarm auszulösen. Anneliese Mahler stellte sich ihm in den Weg. »Lass uns erst die Sachen tauschen!«

»Also gut, beeil dich, mein Schatz. Schnell, schnell!«

Gleich, nachdem sie die Kleidungsstücke wieder getauscht hatten, ertönte erneut der Gong. Die Gattin des Juweliers stand mit finsterem Gesichtsausdruck in der Türöffnung. »Was ist denn hier los?«, fragte sie mit entschiedener Miene.

»Was machst du hier?« Ohne eine Antwort abzuwarten, sprach er weiter. »Wir sind überfallen worden. Die besten Stücke sind futsch. Das Diadem ebenfalls.« Bei diesen Worten betätigte er den Alarmruf im Fußbereich.

»Ausgeraubt?« Erika Krull sah sich ungläubig um. »Aber wieso gibst du keinen Alarm?«

»Habe ich doch! Gerade eben.«

»Ja, aber erst als du mich gesehen hast. Und übrigens«, sah sie ihn fragend an, »wie siehst du überhaupt aus? Das Haar zerzaust, das Hemd hängt aus der Hose … und Sie Fräulein Mahler«, sprach sie zu der Angestellten, »machen den gleichen aufgewühlten Eindruck.« Mit einem Mal verschärfte sich ihre Stimme. »Ich bin wohl zu früh gekommen?«, fragte sie mit scharfem Unterton.

»Aber, Erika!«, entrüstete sich Herr Krull. »Ich sagte dir doch, wir sind überfallen worden.«

»Deine Stimme am Telefon kam mir gleich so komisch vor. So verwirrt und nervös. Ich habe schon geahnt, dass da irgendetwas nicht stimmt. Deshalb bin ich auch sofort vorbeigekommen. Jetzt weiß ich, woran ich bin.«

»Aber, Erika, schau dich doch um, wie es hier aussieht.«

Dann bemerkten ihre Augen die beiden Gläser. »Und während jemand den Laden ausräumte, habt ihr nebenbei gefeiert?«

»Das ist unerhört!«, protestierte Anneliese Mahler. »Ihr Mann hat Recht.«

»Ihr habt beide eine fürchterliche Alkoholfahne. Ach, sieh mal einer an, was ist denn das hier?« Erika Krull griff ein Stück Papier vom Tresen, das die anderen bisher noch nicht bemerkt hatten. Sie faltete das Dokument auf und las: »Buchungsbestätigung für zwei Flugtickets nach Rio de Janeiro. Und was meint Ihr wohl, auf welche Namen, die ausgestellt sind?!«

Im Raum herrschte Totenstille.

Sie sah ihn mit starren Augen an. Hierbei schüttelte sie verständnislos den Kopf. »Du hast es nie verdaut, dass der Laden mir gehört. Absetzen, unkompliziert und schnell verschwinden wolltest du. Also los, wo hast du den Schmuck versteckt?«

»Wenn ich dir doch sage …«

»Halt den Mund! Rede endlich«, fauchte sie ihn an.

Mit einem Mal schlug die Tür auf. Drei bewaffnete Polizisten stürmten in den Laden. Der eine Polizeibeamte kannte Erika Krull. Er sah sie fragend an.

»Stell die Alarmanlage ab«, herrschte sie ihren Gatten an. Danach wendete sie sich den Polizisten zu. »Einen Augenblick, meine Herren, ich bin sofort zurück.« Mit eiligen Schritten verließ sie das Geschäft.

Es dauerte nicht lange und Erika Krull betrat mit einem schmalen schwarzen Koffer wieder den Laden.

Der Juwelier sah seine Gattin fragend an.

»Ich habe den Inhalt überprüft.« Mit bitterem Gesichtsausdruck sah sie zu ihrem Ehemann hinüber. »Jedenfalls so gut es ging«, ergänzte sie. »Leider handelt es sich um einen Fehlalarm«, sprach sie zu dem einen Polizeibeamten.

»Glücklicherweise«, korrigierte sie dieser. Gleich darauf gab er das Zeichen zum Rückzug.

»Woher hast du den Koffer?«, fragte ihr Gatte erstaunt.

»Als ob du das nicht wüsstest. Aus dem Kofferraum von deinem Wagen natürlich. Dass du ein Techtelmechtel hast, habe ich schon lange vermutet. Aber ausgerechnet mit der Angestellten …« Ehe die anderen die Möglichkeit hatten sich hierzu zu äußern, fuhr sie fort. »Wenn du nach Südamerika möchtest, bitte. Ich lege dir keinen Stein in den Weg. Im Gegenteil, ich werde dich sogar großzügig abfinden.«

»Verflixt noch mal, lass doch diesen Blödsinn. Ich will von dir gar nicht weg, Erika. Ich liebe dich …«

»Gut! Aber dann verlange ich ab jetzt eiserne Treue und dass du diese Situation hier bereinigst. Und zwar für alle Zeiten.«

Der Juwelier rang nach Luft. Ihm waren die Zusammenhänge immer noch nicht klar. Eines stand für ihn jedoch fest. Er musste sich in diesem Augenblick entscheiden: hier und jetzt. Für seine Ehefrau oder die Geliebte. Anneliese Mahler vermied er direkt in die Augen zu sehen. Er äußerte sich ein wenig hüstelnd: »Anni, du bist mit sofortiger Wirkung entlassen. Selbstverständlich zahlen wir dir dein Gehalt, bis du eine neue Stelle gefunden hast.«

Die Angestellte schluckte mehrmals kräftig, brachte jedoch kein Wort hervor. Ihre Augen sahen reglos durch den Juwelier hindurch. Ein wässriger Film legte sich auf ihre Pupillen. Zögernd drehte sie sich um. Gleich darauf holte sie ihre Sachen aus dem Nebenraum. Grußlos verließ sie sofort das Geschäft.

Draußen eilte sie zielstrebig durch einige Seitenstraßen. Auf einmal hielt ein Auto neben ihr. Der vornehm gekleidete Fahrer im Trenchcoat öffnete ihr die Tür. Sie setzte sich zu ihm in den Wagen. Gleich darauf fing sie fürchterlich an zu weinen. Stammelnd, mit schwerer Zunge, drangen die Worte aus ihr heraus. »Du hattest recht, Bruderherz. Im Zweifelsfall würde er sich für seine Ehefrau entscheiden.«

Grüße von Charon

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