Читать книгу Bob Dylan - No Direction Home - Robert Shelton - Страница 19

Оглавление

»… wer nicht grad geboren wird, ist grad beim Sterben …«[33]

Dylan, 1965

Vom Kino nach Hause, das ist ein langer Weg. Der Eingang des Lybba-Theaters war dunkel, als der pummelige, rotblonde Junge in die eisige Kälte trat. Nach der Hitze der texanischen Ebenen, die er drinnen auf der Leinwand gespürt hatte, war es auf der 1st Avenue noch kälter als ohnehin. Nicht einmal James Byron Dean hätte auf der 1st Avenue ein Held sein können. Er wäre in seinen eigenen Fußstapfen festgefroren. Texas war schroff, aber Minnesota geradezu unmöglich.

Auf der anderen Straßenseite leuchtete The Hibbing Tribune auf - noble altenglische Lettern in flammendem roten Neon. Weiter die 1st Avenue hinab waren weniger intensive Neonschilder zu sehen, im modernen amerikanischen Stil, die Bergleuten schnellen Kredit und schnelle Drinks anboten. Der Junge warf einen Blick auf die Billardhalle, schwankte, entschied sich dann aber gegen den Smalltalk, der mit einem Spiel einhergegangen wäre. Der Film Giganten rumorte immer noch im Kopf herum, dazu der Schock, dass James Dean wirklich tot war, schon länger als ein Jahr. Der Junge bog in die Howard Street. Er stand an einem Ende von Hibbing auf der Hauptstraße und konnte deutlich über die Stadtgrenzen am anderen Ende hinaussehen«[34]. An den Rändern der Stadt lagen die roten Eisenerzhalden. »Das reichste Dorf der Welt« war nicht mehr so reich. Man hatte die Bäume gefällt und das gute Erz aus der Erde gegraben. Er ging vorbei an Läden, gut bestückt und vertrauensvoll, und an jenen, die sich geleert hatten, als Zuversicht und Geld zu Ende gingen. Mit den Erzbaggern hatte Hibbing sich das eigene Grab geschaufelt und war jetzt nur noch gut im Bergarbeiter-Begraben. »Desolation Row«, Take One.

Sinclair Lewis (sozialkritischer US-Autor, 1885 - 1951) hätte sich Notizen gemacht und James Dean sich weitere Denkmäler gebaut. Beide kannten die Howard Street und hätten sich hier so schnell wie möglich wieder davongemacht. Jetzt waren beide tot, so tot wie diese Stadt.

Die Läden von Hibbing anno 1926 und die von Gopher Prairie anno 1926 mussten sämtlich vom Montageband derselben Fabrik gekommen sein. Montgomery Ward, J. C. Penney und Woolworth lieferten das Grundmuster des Kleinstadt-Amerika. Ob es die gleichen Geschäftsauslagen unten in Macon, Georgia, gab, wo Little Richard geboren worden war? Wenigstens gab es in Georgia keine Temperaturen von 30 Grad unter Null. Der Junge trat in den Eingang von Chet Crippas Musikgeschäft. Er überflog die ausgestellten Platten. Kein Little Richard, kein Hank Williams, kein Buddy Holly. Bing Crosby träumte immer noch von einer weißen Weihnacht. Little Richard auch.

Vor der New Haven Lounge konnte er die stotternde kleine Kapelle sich durch »Moja Decla« keuchen hören, die slowenische Nationalhymne. Oder war das eine muntere Polka von Whoopee John oder die »CIO-Polka« für die Gewerkschafter?[35] Der Wind vom Oberen See und den kanadischen Ebenen kannte mehr Lieder, aber wer lauschte denn schon, wie es der Junge tat, »als ich das erste Mal den Erzzug singen hörte«[36].

Keine Lieder in dieser Nacht, als er sich der Ecke 5th und Howard näherte, wo die backsteinerne Gediegenheit des Androy-Hotels Dauerhaftigkeit und Wohlstand ausstrahlte für Handelsreisende und örtliche Rotarier. Ein paar hundert Yards entfernt lag Zimmermans Firma für Möbel und Geräte in Chrom und Plastik. (»A kitchen range for the Iron Range«[37], »Absolut keine Bestellung ohne Anzahlung«). Ich wäre lieber Bergmann als Vertreter für Küchengeräte, aber meine Güte, wer will denn schon Bergmann oder Vertreter für Küchengeräte sein? Wo die Howard Street sich ins Buschland hin verlief, bog der Junge nach rechts in die 7th Avenue. Die Dunkelheit der Nebenstraße schuf ein Vakuum, das er mit Breitwand-Technicolor erfüllte.

Im Oktober 1956 schrieb das Time-Magazine:

»James Dean, der zwei Wochen nach Abdrehen seiner letzten Szene bei einem Unfall in seinem Sportwagen starb, zeigt deutlich … einen Hauch Genie. Er hat den Akzent von Texas bis zu nasaler Perfektion erfasst und das hüftsteife Staksen des Zureiters auf hohen Absätzen gemeistert, ebenso die kleinen schiefen Drehungen und Grimassen, Ticks und Zuckungen, Knurr- und Kicherlaute, die den größten Teil der Sprache dessen ausmachen, der viel mehr mit sich selbst als mit sonst jemandem redet.«

Der 15-jährige Kinogänger, der viel mehr mit sich selbst als mit sonst jemandem redete, füllte die 7th Avenue mit seinem privaten Schauspielstudio aus. Er spitzte die Lippen, probierte einen Dialogfetzen, hielt die Hüften steif, schaukelte wie ein Zureiter, verzerrte das Gesicht, um den North-Country-Klang aus seiner Stimme zu tilgen, verlangsamte die Wörter, bis sie schleppend versickerten. Als der junge Bob Dylan an der Hibbing High School vorbeikam, unterbrach er seine monologische Pantomime. Das weitläufige, vierstöckige, pseudo-norditalienische Türmchenschloss brachte einen seiner Schüler jäh aus Texas zurück. Die letzten paar Blocks, zur East 7th Avenue Nr. 2425, waren so vertraut, dass Bobs Füße ihn im Dunkeln heil über die Lücken im Bürgersteig brachten. Das Eckhaus war taghell erleuchtet. Zurück ins Familienleben in einer sterbenden Stadt.

Auf Zehenspitzen schlich er sich durch den Hintereingang hin zur Küche. »Bobby, bist du es?« Die Stimme seiner Mutter war angespannt. Er musste nun ins Wohnzimmer. »Ich habe es dir doch mindestens hundertmal gesagt«, begann seine Mutter mit der Litanei. »Wie willst du denn wachsen und stark und gesund werden, wenn du nicht genug schläfst? Was sollen denn die Leute hier in der Nachbarschaft von einem meiner Jungen denken, der sich immer nachts auf der Straße herumtreibt?« Warum war sie denn immer so besorgt? Warum redete sie so schnell, dass gar keine Zeit für Antworten blieb?

»Deine Mutter hat vollkommen recht, Robert«, warf sein Vater ein; unter der glatten Oberfläche war seine leise und beherrschte Stimme bedrohlich. Das Wohnzimmer war übermäßig sauber und ordentlich. Alles an seinem Platz. Vielleicht war es das, was sie von ihm erwarteten, dass er wie ein weiteres Haushaltsgerät funktionierte, das man an- und abstellen kann. Bob versuchte zu erklären, da sei ein besonderer James-Dean-Film gewesen, der nur als Spätvorstellung lief. Vor Wut begann seine Stimme laut zu werden. »Robert, hör auf zu brüllen«, sagte sein Vater, »du weißt, dass wir in diesem Haus kein Gebrüll dulden.« Bobs Argument wurde aus dem Raum gespült.

Es war nicht nur sein langes Ausbleiben, sagte mir sein Vater 1968. Es war Bobs »Einstellung«. An einem Abend kam er sehr spät, am nächsten vernachlässigte er seine Schularbeiten. Er erschien nicht im Geschäft, wenn man dort auf ihn wartete. Und bald sollten es zertrümmerte Autos sein, Motorräder, »dieses Mädchen« und diese »Freunde« von ihm. »Robert, du kommst sofort zurück«, sagte der Vater. Aber er war fort, durch die Küche, die Treppe zum Keller hinunter. Der Vater folgte ihm, überhäufte ihn mit Vorwürfen. »Wir haben dir ein gutes Zuhause gegeben. Wir kaufen dir von allem das Beste. Was willst du denn noch mehr? Ich hab's nie so leicht gehabt, als ich in deinem Alter war …«

In seiner Kellerbude versuchte Bob zu erklären, er sei ausgeblieben, um einen Teil des Films noch mal zu sehen. Er redete über James Dean und zeigte auf die Wände, die mit aufgeklebten Fotos des toten Schauspielers bedeckt waren. »James Dean, James Dean«, wiederholte sein Vater. Er riss ein Zeitschriftenfoto des Schauspielers von der Wand. »Mach das nicht!«, schrie Bob. Der Vater riss das Bild in Stücke und warf die Fetzen auf den Boden. »Werd hier bloß nicht laut«, sagte er entschieden und stampfte treppauf. Bob suchte die Stücke des Fotos zusammen und hoffte, er würde sie wieder zusammenkleben können. Nein, er würde hier nicht laut werden.

Hibbing's a good ol' town

I ran away from it when I was 10, 12, 13, 15, 15½, 17 an' 18

I been caught an' brought back all but once …[38]

(Hibbing is ne nette alte Stadt / Ich bin da weggerannt, da war ich io, 12, 13, 15½, 17 un' 18 / Sie ham mich geschnappt und zurückgebracht, bis auf ein Mal …)

Bob Dylan - No Direction Home

Подняться наверх