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Zöllner und Schmuggler im Pinzgau

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Recht merkwürdig ist, was Adolf Hitler in einem seiner Monologe im Führerhauptquartier im Jahr 1941 daherredete: »Im alten Österreich gab es zwei Berufsgruppen, für die man mit Vorliebe Vorbestrafte wählte: die Zöllner und die Förster. Zu den Zöllnern nahm man Schmuggler, meist solche, die vor der Wahl standen, Zuchthaus zu bekommen oder in den Staatsdienst zu gehen; zu Förstern machte man Wilderer. Beide, Schmuggler und Wilderer, treibt die Leidenschaft, es liegt ihnen im Blut. Wenn einer so einen romantischen Komplex hat, dann muss man ihm Gelegenheit geben, ihn abzureagieren …«59

Ob diese Geschichte überhaupt Sinn ergab oder auf einem Missverständnis beruht, ob ihm solches sein Vater erzählt hatte oder ob gar der Vater damit gemeint war? Auf jeden Fall war Alois Hitler ein zäher Bursche, der für den harten Zolldienst passte. Ein Grundsatz im alten Österreich war, dass Zollaufseher oder »Finanzer« nicht in ihrer Heimat zum Einsatz kamen und oft versetzt wurden, um verwandtschaftliche Netzwerke und regionale Seilschaften möglichst schon im Ansatz zu unterbinden. Alois Hitlers erste Station war Salzburg, das erst seit 1816 dauernd zu Österreich gehörte und wo die Unzufriedenheit mit dem neuen Staat immer noch groß war und viele der früheren fürstbischöflichen Unabhängigkeit und den Beziehungen nach Bayern und ins »Reich« nachtrauerten. Entsprechend hoch war unter der Bevölkerung die Bereitschaft zu Widersetzlichkeiten. Viele alte Bindungen über die neuen Grenzen hinweg waren noch intakt. Das sogenannte »kleine deutsche Eck«, wo der Warenverkehr zwischen Salzburg und Tirol zwangsläufig über bayerisches bzw. deutsches Gebiet führte, war ein Eldorado für Schmuggler. Hoch oben, wo die Pfade unwegsam und die Verhältnisse unüberblickbar wurden, kannten sich die Holzknechte, Senner und Wildschützen viel besser aus als die Zöllner.


Eine Respektsperson mit Wohlstandsbäuchlein und blinkenden Knöpfen: k.k. Zollamtsoberoffizial Alois Hitler in seiner Ausgehuniform. In seiner Bartmode folgte er dem 45 Kaiser.

Alle haben sich beteiligt, auch die Zollbeamten. Arm waren sie ja alle und alle brauchten sie Geld. Notwendig waren Zähigkeit und Mut. Geschmuggelt wurde alles, was es hüben oder drüben nicht gab oder was billiger zu haben war: Pfeifentabak und Zigarren, Zucker und Kaffee, Speck und Butter, Alkohol und Salz, Textilien und Eisenwaren, lebende Hühner und Gänse, aber auch ausgewachsene Rinder und Pferde. Gesucht wurde natürlich auch nach staatsgefährdenden oder pornografischen Schriften und nach gefährlichen Revolutionären und flüchtigen Kleinkriminellen. Gearbeitet wurde mit allen erdenklichen Tricks, um über die Grenze zu kommen, am besten in mondlosen Nächten, bei Nebel und Regen, einzeln oder in ganzen Banden, auf damals wie heute gefährlichen Steigen und Schleichwegen. Vor allem das Salz war der Stein des Anstoßes: »Bayern, welches einen sehr großen Theil des Salzes, das wir an den Grenzen zu speisen bekommen, durch den Schmuggel zu uns herüberschafft, verkauft sein Salz zu 4 und 5 fl per Zentner, bei uns beträgt der Preis des Salzes 8, 10, auch 11 fl.«, klagte der Abgeordnete Ignaz Mayer 1868 im Wiener Reichsrat.60

Die Schmuggler waren zu allen Zeiten erfinderisch: Junge Ferkel wurden mit Schnaps betäubt und in Heuwagen versteckt, Rindern und Pferden zur Schalldämmung die Hufe mit Stofffetzen eingebunden. Man arbeitete mit schlauen Tricks und mit roher Gewalt. Einmal soll Alois einen großen Diamanten, eingewickelt in eine Zigarre, beschlagnahmt haben, erzählte Adolf seinem Wiener Kumpanen Reinhard Hanisch.61 Meist aber ging es um Zuckerhüte, Salzküfel, Solinger Messer oder den neuen chemischen Süßstoff Saccharin.62 Beschreibungen von Situationen, in denen man den Verfolgern von der Zollwache nur knapp und mit kühnen Taten entkam, sind zentrale Bestandteile klassischer Schmugglergeschichten, auch wie man den »Wiener« Zöllnern auf geschickte Weise ein Schnippchen schlagen oder sie »lächerlich« machen konnte. Neben »Schläue« wurde den Schmugglern immer auch körperliche Kraft attestiert. Die mussten auch die Zöllner haben. Zahlreiche Erzählungen beschreiben die großen Anstrengungen, die ihnen bei diesem Katz-und-Maus-Spiel mit den Schmugglern abverlangt wurden.63 »Der Körper der Zöllner muss gegen Schweiß und Witterung geschützt werden. Um ihn abzuhärten, ist das Waschen im kalten Brunnenwasser allmorgendlich sehr zu empfehlen«, hieß es in den Handbüchern. Auch der mäßige Genuss von Branntwein sei der Abhärtung zuträglich: »Durch die imponierende Uniform, durch seine Haltung, seinen Gang, seinen freien und durchdringenden Blick sowie durch sein determiniertes Auftreten kann der Zöllner den Leuten Furcht vor ungesetzlichen Handlungen einflößen und in entscheidenden Augenblicken einem Widerstand vorbeugen«, empfahlen die Dienstvorschriften. Dieses Respekt gebietende Gehabe musste auch außerhalb der Dienstzeit zur Schau gestellt werden.64

Die »Schwärzer«, so benannt nach der schwarzen Farbe, die sie sich ins Gesicht schmierten, um sich unkenntlich zu machen, suchten die Dunkelheit der Wälder und fanden in abgelegenen Häusern und Almhütten Unterschlupf. Solch verwegene Burschen trafen auf ebenso raue Grenzwächter. Man brauchte Männer, die Strapazen gewohnt waren. Denn Verfolgungsjagden zwischen den organisierten Schmugglerbanden und den kontrollierenden Grenzorganen konnten zu regelrechten Feuergefechten ausarten. Immer wieder gab es Tote. Schmuggler und Zöllner, Wildschützen und Jäger, Räuber und Gendarmen waren die Helden der ländlichen Widerstands- und Rebellengeschichten. Manche Schmuggler hatten es zu regionaler Berühmtheit gebracht. Aber auch die Zöllner hatten ihre Helden und Erfolge. Alois zeigte noch viel später voll Stolz manche Trophäen, die er erjagt hatte. Die Moritaten der Bänkelsänger erzählen von wilden Verfolgungsjagden, hochnotpeinlichen Razzien, tödlichen Schüssen und hinterhältigen Messerstichen:

Doch plötzlich kracht Musketen Knall Dem Schmugglervolk entgegen. »Ergebet Euch!« so ruft es her – doch nein – man greift zur Gegenwehr …« 65

Die romantische Rede von den Sozialrebellen ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn das Alltagsgeschäft an der Grenze bestand in penibler und bürokratischer Kontrolle. Kontrolliert wurden nicht nur die Kaufleute, die wenigen Touristen und der tägliche kleine Grenzverkehr, sondern vor allem viel fahrendes Volk: »Zigeuner«, Wanderhändler und Hausierer, unter denen sich auch Juden befanden oder zumindest vermutet wurden. Man fahndete nach Kriminellen und Revolutionären, nach Betrügern und Staatsfeinden und nach aufrührerischen, kirchenkritischen Büchern und Pornografie. Das erklärt auch, warum sich im Zoll eine spezifische Subkultur herausbildete, in der die Abneigung gegen Randgruppen, Minderheiten und Juden besonders groß wurde. Antisemitismus hatte im Zoll eine besondere Tradition. Das war auf der Führungsebene beim Leiter der Wiener Zollbehörde Franz Holzer, der sich von ganz unten hinaufgedient hatte, nicht anders als bei den untergeordneten Chargen. Man muss daher auch bei Alois Hitler, obwohl das nie ausgesprochen wurde, mit einer entsprechenden antisemitischen und minderheitenfeindlichen Grundhaltung rechnen.

Alois kam von ganz unten, wie seine Gegner, die Schmuggler. Wohin sollte er seine Sympathien wenden? Im Staatsdienst fragte man nicht viel. Er hatte Disziplin gelernt, ohne viel zu hinterfragen: Alois selbst umschrieb die Diensterfordernisse in einem Brief als unbedingten Gehorsam, als Willen, viel zu lernen, und schließlich als Bereitschaft, bei jedem Wetter Dienst zu tun, bei Tag und bei Nacht. Trinker, Spieler, Schuldner und andere Nichtstuer hätten hier nichts verloren. An eine Verwandte schrieb er 1876 bei einer Erbschaftsangelegenheit: Onkel Franz habe zu viel getrunken und viel zu viel Zeit in den Gasthäusern verbracht. »Wie ein Mann lebt, so stirbt er.« Er habe daher auch nichts hinterlassen, war Alois Resümee.66

Alois stieg rasch auf und machte viele Erfahrungen, immer an der bewegten Grenze zwischen Österreich und Bayern, im Salzburger Pinzgau und im oberösterreichischen Innviertel. Die fünfziger und sechziger Jahre waren politisch umstrittene Zeiten: Neoabsolutismus, Krimkrieg, Kämpfe in Italien, Konflikte um die deutsche Einigung und um die Vorherrschaft im Deutschen Bund, Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark, Krieg Österreichs gegen Preußen und Italien, zuletzt Krieg Preußens gegen Frankreich. Das militarisierte die Gesellschaft. Auch die Bedeutung der Zollwache hatte zugenommen, weil die Überwachung immer mehr an die Außengrenzen verlegt und die Schutzzollbewegung immer stärker wurde.

Für Alois Hitler war 1864 ein wichtiges Jahr. Obwohl nur mit Volksschulabschluss und ohne höhere Bildung, hatte er im Zolldienst rasch Karriere gemacht: Nach dem Eintritt in die k.k. Finanzwache im Jahr 1855 war er 1860 bereits Finanzwache-Oberaufseher in Wels.67 In einem Brief aus 1862 nennt er als seine Adresse den Salzburger Zollgrenzbezirk Saalfelden. 1864 hatte er mit der Ernennung zum »provisorischen Amtsassistenen« der 11. Dienstklasse und mit der Übernahme in den Beamtenstatus sein wichtigstes Ziel erreicht: eine pragmatisierte Position als Staatsbeamter im Zolldienst, den er im Nebenzollamt Mariahilf in der Gemeinde Schardenberg im »Finanz-Inspektoratsbezirk Wels« antrat.68 Elf Tage nach dieser Beförderung heiratete er zum ersten Mal, und zwar ein Mädchen aus seinem Vorgesetzten- oder Kollegenkreis: Anna Glassl-Hörer, angeblich die Adoptivtochter des Zolleinnehmers Josef oder Johann Hörer in Radstadt und laut Taufschein Tochter des Steuerbeamten Josef Glassl in Theresienfeld bei Wiener Neustadt. Ein Matrikeneintrag für diese Hochzeit konnte bis heute nicht gefunden werden, weil man den Ort der Heirat nicht kennt. Aber man darf dem deklarierten Antifaschisten und ersten seriösen Hitler-Biografen Konrad Heiden, der dieses Datum nach Einschau in die damals noch vorhandenen Personalakten erfahren haben will und in seinem 1936 erschienenen Buch Hitler. Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit publizierte, sicher mehr trauen als den notorisch unverlässlichen Braunauer Zeitzeugen, die im Jahr 1938 diese Eheschließung auf 1873 datierten.69 Heiden erwähnte auch den inzwischen nicht mehr vorhandenen Scheidungsakt aus 1880, dem zufolge diese Ehe nach sechzehnjähriger Dauer am 7. November 1880 durch das Bezirksgericht Braunau geschieden bzw. von Tisch und Bett getrennt worden sei. Die Adoptiveltern der Braut seien wohlhabend gewesen. Sie hätten Alois den Luxus von Büchern und Reisen und ein gewisses gesellschaftliches Auftreten ermöglicht.

Dass alle späteren Hitler-Biografen nicht 1864, sondern 1873 als Jahr dieser ersten Eheschließung angaben, geht auf die Braunauer Schuldirektorin Maria Pernstein zurück, die von 1913 bis 1933 in Braunau tätig war und 1955 in Salzburg 80-jährig verstarb. Sie hatte 1938 vom Hörensagen Aufzeichnungen zu Alois Hitlers Braunauer Zeit zusammengetragen, von denen schon Jetzinger feststellte, dass sie von Fehlern nur so wimmeln würden, was ihn aber nicht hinderte, sie dennoch zu übernehmen. So auch das Datum der Hochzeit mit Anna Glassl: »Die Eheschließung soll nach Angabe der Lehrerin Pernstein am 31. Oktober 1873 stattgefunden haben«, allerdings mit der schon von Jetzinger hinzugefügten Anmerkung, dass »Frau Pernstein eben jeden Tratsch kritiklos niedergeschrieben« habe.70 Dass Jetzinger, obwohl er Konrad Heidens Buch gekannt hat, die von ihm gelieferten Personaldaten negierte, muss daran liegen, dass er offensichtlich die Erstauflage benutzte, in der das Heiratsjahr noch nicht enthalten war, während Heiden noch im Jahr 1936 in den später gedruckten Exemplaren seine Darstellung um neu gefundene Informationen ergänzt hatte. Alle späteren Autoren sind aber Jetzinger gefolgt und haben Heidens Buch offenbar nie oder nur in der Erstausgabe nachgelesen.

Dass sich in den Braunauer Matriken aus dem Jahr 1873 oder auch aus früheren oder späteren Jahren keinerlei Hinweise auf diese Eheschließung finden, darf nicht überraschen. Sie war eben früher und an einem anderen Ort erfolgt. Fakt ist: Anna Glassl oder später Glassl-Hörer war am 26. März 1823 als Tochter des k.k. Tabak- und Stempelgefällsaufsehers, also Steuerbeamten Joseph Glassl und der Elisabeth Pfindt, Tochter des Johann Pfindt, Leichenträger in Wien, in Theresienfeld bei Wiener Neustadt geboren worden. Väterlicherseits bestand eine lange Zollamtstradition. Schon der Großvater war königlich-ungarischer Dreißigst-Aufseher und Zolleinnehmer an der bis 1848 bestehenden österreichisch-ungarischen Steuergrenze gewesen.71 Getauft wurde sie am 27. März 1823 in Theresienfeld. Die Taufpatin war Anna Bekerer, die Gattin eines Wiener Neustädter Seidenfärbers. Sonderlich begütert war die Familie also wohl nicht. Doch was bedeutet der von Konrad Heiden erwähnte Doppelname Glassl-Hörer? War sie adoptiert worden oder eine wohlhabende Witwe? Und wer war Josef oder Johann Hörer? War er der k.k. Steueramts-Cassa-Adjunkt Josef Hörer, der in den Wiener Adressbüchern bis 1864 als Hausbesitzer in Oberdöbling Nr. 272 aufscheint? Oder war er irgendein nicht näher bezeichneter Beamter irgendwo im Land Salzburg, in Radstadt vielleicht, wie Heiden schreibt? Wo Alois Hitler Anna Glassl kennengelernt hatte, ist nicht bekannt, und auch nicht, wo die Hochzeit stattfand. Jedenfalls war die Braut vierzehn Jahre älter als Alois. Ob die Heirat eine Liebes- oder Geldheirat war, lässt sich ebenfalls nicht klären. Die große Altersdifferenz ist allerdings auffällig. Man könnte sagen: Alois Hitler hatte schon in seiner Kindheit immer mit sehr alten Frauen zu tun gehabt. Seine Mutter war bei der Geburt fast 41 Jahre alt und auch im Haus des Ziehvaters Johann Nepomuk gab es eine alte »Mutter«, weil auch dessen Frau dreizehn Jahre älter war als ihr Mann.

Das Jahr der Heirat ist nicht ganz belanglos, ob 1864 oder 1873. Im Jahr 1873 war Alois Hitler bereits 36 Jahre alt und Anna Glassl 50. Natürlich: Der Altersunterschied war auch 1864 nicht kleiner als 1873, war aber noch nicht so in die Augen fallend wie in den 1870er Jahren, als Anna den Quellen zufolge schon eine kränkelnde, alte Frau geworden war. Hatte Alois 1864, als er die 41-jährige Anna Glassl heiratete, noch auf Kinder hoffen können, zumal seine Mutter ihn ebenfalls in diesem Alter entbunden hatte, so war in den 1870er Jahren, als Anna den Fünfziger überschritten hatte, diese Möglichkeit mit Sicherheit vorbei. Indem sein Heiratsdatum allerdings um neun Jahre umdatiert wurde, erscheint der bald darauf konstatierte Ehebruch eklatanter und die Scheidung im Jahr 1880 von einer bereits schwerkranken Frau umso skandalöser.

Mangels Personalakt bleibt vieles im Dunkeln. Wie lange Alois im Land Salzburg eingesetzt war und wann er nach Oberösterreich versetzt wurde, ist ebenfalls nicht ganz klar: ob das bereits 1864 mit der Übernahme in den Beamtenstand erfolgte, ob in einem der nächsten Jahre oder erst im Jahr 1870, in welchem er in Mariahilf bei Passau erwähnt ist. Feststeht, dass er 1871 von Mariahilf nach Braunau versetzt wurde.

Hitlers Vater

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