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4. Befreit?

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Vor ihnen erstreckt sich ein Krater. Sams Schätzung nach hat er fast einhundert Meter Durchmesser und ist mindestens zehn Meter tief. Die Oberfläche des Trichters ist größtenteils glatt und sieht aus wie schmutziggraues Glas. Um den Kessel herum breitet sich ein Trümmerfeld aus. Alles ist kahl. Nur hier und dort ragt ein verkohltes Stück Holz oder bizarr verformtes Metall zwischen nacktem Stein und blanker Erde empor. Erst in gebührendem Abstand vom Krater wagt sich wieder vereinzelt etwas Grünes in die braun-graue Ödnis. Je weiter man von der Einschlagstelle wegschaut, desto mehr Vegetation ist zu sehen.

»Wow!«, staunt Urs. »Seht euch das an. Der Bunkerbrecher hat wirklich einen starken Eindruck hinterlassen.«

Aya schaut suchend hinab. »Vom Eingangsbereich ist nichts zu sehen. Wo ist er hin? Hat es ihn weggeschleudert?«

»Ich glaube, er ist verdampft.«, erklärt Paul. »Zu schade, dass wir davon keine Bilder haben.«

»Verdampft?«, fragt Aya mit großen Augen.

»Vielleicht auch geschmolzen.«, spekuliert Vilca.

»Oder beides.«, fügt Sam hinzu. »Vielleicht erst geschmolzen und dann verdampft.«

Sam schaut auf die Stelle, aus der sie gerade gekrochen kamen. Ein enges Loch zu ihren Füßen im oberen Drittel des Kraters. Aya bemerkt seinen Blick.

»Tja, nachdem von dem ursprünglichen Bunkereingang nichts mehr da ist, müssen wir wohl oder übel einen neuen bauen.«

»Ja, am besten einen mit Vordach.«, bemerkt Paul.

»Wozu das denn?«, erkundigt sich Vilca interessiert.

»Na, damit ich meinen Schaukelstuhl auf der Veranda aufstellen kann.«

Urs betrachtet ihn von der Seite, um herauszufinden, wie ernst es ihm damit wirklich ist.

»Um den ganzen Tag auf diese Ödnis zu blicken? Da kann ich mir was Besseres vorstellen. Ich bin neugierig. Kellinghusen ist die nächste Stadt. Bis dahin sind es circa fünfundvierzig Minuten Fußmarsch von hier. Wer kommt mit mir mit?«

»Ich.«, ertönt es einstimmig.

Sam kratz sich hinter dem Ohr.

»Leute, ich kann ich ja verstehen, dass jeder neugierig ist und aus erster Hand erfahren möchte, wie es nach dem EMP weiterging. Zwei müssen aber hierbleiben, um den Bunker zu bewachen.«

Er macht eine Pause, um zu sehen, wer sich meldet.

»Na schön.«, brummt er kurze Zeit später. »Die Liste der Freiwilligen ist zu kurz. Dann entscheidet das Los.«

Die Gewinner sind Sam, Vilca und Urs. Die Ausrüstung ist schnell zusammengestellt: eine Brotzeit, Trinkwasser und etwas Geld. Alles passt in einen Rucksack, den Urs schultert. Sie entscheiden sich für unauffällige Wanderkleidung. Funktionell aber kein Hightech-Schnickschnack, der womöglich Begehrlichkeiten weckt. Sam übergibt jedem einen seiner speziellen Wanderstäbe. Der Himmel ist bewölkt, es sieht aber nicht nach Regen aus. Die Datenbank des Bunkers liefert eine detaillierte Wegbeschreibung.

»Also, wir gehen in den Ort rein, sehen uns kurz dort um und kehren wieder zurück zum Bunker. Keine langen Gespräche. Wenn jemand fragt, wir kommen aus Hamburg und haben Freunde in Flensburg besucht. Verstanden?«

Nach dieser Ansage machen sie sich auf den Weg. Je weiter sie vom Krater wegkommen, desto dichter wird die Vegetation. Schließlich erreichen sie einen Viehzaun aus Maschendraht. Dahinter erstreckt sich eine Weide mit Kühen. Urs drückt den obersten Draht herunter und steigt darüber. Vilca und Sam flanken.

»Ich vermute, dass der Weidebesitzer einen Zaun gezogen hat, damit seine Kühe nicht in den Trichter fallen.«, verkündet Urs.

»Ja, vermutlich ist der ganze Trichterbereich umzäunt.«, pflichtet Sam bei. Seine Gedanken sind jedoch gerade woanders. Er sucht etwas. »Hier müsste eigentlich der Feldweg sein.«

»Ist er auch.«, meldet sich Vilca, die weitergegangen war. »Direkt vor mir. Ziemlich zugewuchert.«

Wie im Plan eingezeichnet, führt der Feldweg nach ein paar Kilometern zu einer Straße. Sie folgen ihr bis Kellinghusen in Sichtweite gerät. Ohne anzuhalten, gehen sie weiter. Sam fixiert die ganze Zeit mit zusammengekniffenen Augen ihr Ziel. Schließlich bleibt er stehen.

»Hey Leute, täusche ich mich oder ist das da vorne tatsächlich ein Wachhäuschen mit Schranke?«

Urs beschattet seine Augen mit der Hand.

»Hm, sieht in der Tat so aus. Was hat das wohl zu bedeuten?«

»Das bedeutet, dass wir vorsichtig sein müssen.«, erklärt Vilca. »In diesem Zusammenhang ist mir gerade aufgefallen, dass uns auf der ganzen Strecke nicht eine einzige Person begegnet ist. Und kein einziges Fahrzeug auf der Straße. Höchst merkwürdig, findet ihr nicht?«

»Allerdings!«, pflichtet Sam bei. »Jetzt, wo du das sagst, fällt es mir auch auf. Trotzdem bin ich dafür weiterzugehen. Wenn wir uns die Sache nicht aus der Nähe anschauen, werden wir nie erfahren, was los ist.«

An der Schranke angekommen, halten sie zwei Wachposten mit vorgehaltenen Gewehren auf. Die hatten sie schon von Weitem nicht aus den Augen gelassen. Beide stellen eine Miene zur Schau, mit der Arminius unbewaffnet sämtliche Römer aus Germanien hätte vertreiben können, schätzt Sam. Einer von ihnen trägt eine schwarze Hose und eine Feldjacke mit Tarnmuster. Der andere ist ähnlich gekleidet. Seinen Kopf bedeckt eine verwaschene Mütze, die vor langer Zeit einmal rot war. Die Dorfbewacher lassen sie mit erhobenen Händen der Reihe nach vortreten und durchsuchen sie nach Waffen.

Sam nutzt die Zeit sich umzuschauen. Es herrscht reges Treiben. Ihm fällt auf, wie viel Grün zu sehen ist. Wo es geht, stehen Töpfe oder Tröge mit Nutzpflanzen. Die Menschen sind entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Dazwischen stechen ein paar Fuhrwerke heraus, die von Pferden oder Ochsen gezogen werden. Er hebt die Augenbrauen, als er realisiert, dass die meisten davon ehemalige LKWs oder Transporter sind, vor die man die Tiere gespannt hat.

»Woher kommt ihr und was wollt ihr hier?«, knurrt der mit der Mütze, als die Durchsuchung beendet ist. Die Mündung seiner Waffe zeigt nach unten, aber sein Finger bleibt am Abzug. »Wir verkaufen keine Lebensmittel und keinen Treibstoff an Fremde.«, stellt er klar.

Den Bartstoppeln nach, hat er sich mindestens seit einer Woche nicht mehr rasiert. Dem Geruch nach, dürfte das letzte Bad noch deutlich länger zurückliegen, urteilt Sam.

»Wir sind von dem EMP in Flensburg überrascht worden und jetzt auf dem Weg zurück nach Berlin. Wir hatten gehofft, in diesem Dorf einen sicheren Platz für die Nacht zu finden und wenn möglich Lebensmittel kaufen oder eintauschen zu können.«

Sam hält sich mit seiner Erklärung an das, was sie auf dem Weg hierher abgesprochen hatten.

»Habt ihr eine Lebensmittelkarte?«, will der Wachposten wissen.

Sam schüttelt den Kopf.

»Niemand bekommt Essen oder Unterkunft ohne Lebensmittelkarte. Und wer keine Unterkunft nachweisen kann, kommt hier nicht rein.«

Der andere Wachposten tritt zurück und hebt sein Gewehr. Sam runzelt die Stirn. Nacheinander betrachtet er die beiden.

»Und wie bekommt man eine Lebensmittelkarte?«

»Ihr könnt euch im Rathaus registrieren lassen. Aber dazu müsst ihr eine Unterkunft und Arbeit hier im Ort nachweisen können.«

Sam spürt, wie sein Geduldsfaden eine kritische Spannung erreicht.

»Das ist doch Unsinn, wie soll man eine Unterkunft und Arbeit bekommen, wenn ihr die Leute nicht mal ins Dorf lasst? Ihr braucht keine Angst haben, dass wir euch zur Last fallen. Wir können für alles, was wir benötigen bezahlen.«

Der Wachposten studiert Sam eine Weile.

»Wir brauchen keine Fremden. Und euer Geld interessiert uns nicht. Das hat keinen Wert hier. Wenn ihr etwas zum Eintauschen habt, könnt ihr euer Glück auf dem Markt versuchen. Aber heute ist kein Markt. Kommt morgen wieder.«

Mehr sagt er nicht. Sam wartet noch ein paar Sekunden, aber die beiden Wachposten machen keine Anstalten, noch mehr zu sagen. Ihre Körperhaltung hingegen spricht Bände. Verschwindet, wenn ihr keinen Ärger haben wollt. Wortlos gibt Sam seinen Freunden ein Zeichen, dreht sich um und marschiert mit ihnen im Schlepptau davon. Nachdem sie außer Hörweite sind, macht Urs seinem Unmut gehörig Luft.

»Du hättest mich reden lassen sollen. Mich hätten die nicht so einfach abgewiesen. Ich hätte ihnen gewaltig den Marsch geblasen. Man kann hungrige Reisende, die Schutz suchen, doch nicht so einfach abweisen. Wovor haben die denn Angst? Vor uns etwa? Das ist ja lächerlich.«

Vilca schaut nachdenklich auf das Dorf zurück.

»Doch Urs, die haben Angst vor uns. Offensichtlich sind Lebensmittel knapp und rationiert. Jeder Fremde, den sie in ihr Dorf lassen, bedeutet etwas weniger für alle. Geld kann man nicht essen. Deshalb hat es keinen Wert für sie.«

»Stimmt!«, gibt Sam ihr Recht. »Wir kommen morgen wieder. Bis dahin überlegen wir uns, was wir ihnen zum Tausch anbieten wollen, damit sie uns hineinlassen. Offenbar hat sich die Welt gewaltig verändert. Wir müssen unbedingt mehr darüber herausfinden.«

Evolution 5.0 - Selektion

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