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III. Akt: Trügerische Affären

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Willam Cherring saß mit dem Telefon in der Hand in seinem Arbeitszimmer. Marla, seine Schwägerin und seit Kurzem auch Liebhaberin, sollte jeden Moment anrufen. Da seine Frau Camilla bereits lange zu Bett gegangen war, fühlte sich der Ehebrecher um diese Uhrzeit relativ sicher dabei, mit Marla zu sprechen.

Während die Minuten ereignislos verstrichen, spürte er allmählich die Auswirkungen seines langen anstrengenden Arbeitstages im Büro und gab nach und nach die Hoffnung auf, dass Marla ihn in dieser Nacht noch anrufen würde. Als sein Kopf langsam vornüber Richtung Brust sackte, drangen die sanften Klänge aus Spandau Ballets ‚True‘ an sein Ohr.

Das heimliche Pärchen plauderte diese Nacht über eine halbe Stunde lang. Ihr Hauptthema war seit fünf Wochen immer dasselbe: Wie und wann könnte man am besten vor Camillas Nase durchbrennen und ein gemeinsames neues Leben beginnen?

Verschiedene Möglichkeiten wurden mehr oder weniger ernsthaft erörtert. Der beste Zeitpunkt zu verschwinden wäre zweifelsohne eines der Wochenenden, an denen sie regelmäßig ihre Mutter besuchte, die über eine Stunde entfernt wohnte. Man hatte erwogen, Camilla die Wahrheit zu sagen, aber es rasch wieder verworfen, da es nur Ärger mit sich gebracht hätte.

Sie kannten Camillas Persönlichkeit nur zu gut und wussten, dass eine direkte Konfrontation zu tage- und wochenlangen Szenen, Geschrei und Rosenkrieg geführt hätte. Sich davonzustehlen mochte vielleicht feige erscheinen, war aber in manchen Situationen angebrachter, als sich unnötig einer Konfrontation auszusetzen.

Selbst Mord (während der Telefonate des Pärchens als preiswerte Menüwahl bezeichnet) war nicht ganz vom Tisch, obwohl diese spezielle Möglichkeit nur auf den ganz extremen Notfall begrenzt werden sollte, beispielsweise wenn Camilla irgendwie dahinterkäme und einem von ihnen selbst mit Mord drohte.

William hatte Mord zunächst als möglichen Ausweg zur Vermeidung eines Jahre andauernden Scheidungskrieges vorgeschlagen, wobei Camilla in dieser Hinsicht sehr viel unberechenbarer war.

Der Anruf endete gegen 23:50 Uhr mit der gegenseitigen Versicherung: ‚Ich liebe dich! Es dauert nicht mehr lange!‘ In dieser Nacht kam der Schlaf rasch über sie, trotz der täglich wachsenden Aufregung angesichts der Zukunft.

Marlas nächster Morgen begann ganz alltäglich. Auf einen weiteren Tag im Büro folgte der gewöhnliche Rückweg, bis sie nur noch eine Meile von zu Hause entfernt war; da bekam sie eine Textnachricht.

Normalerweise beantwortete Marla keine Nachrichten, wenn sie am Steuer saß, aber als sie den zu William gehörigen Klingelton hörte, nahm sie das Telefon und warf sofort einen Blick auf den Bildschirm: ‚Muss dich sofort treffen! Habe eine Lösung, kann aber jetzt nicht reden. Komm zu mir xoxox‘

Diese Worte lösten einen Sturm der Gefühle in ihr aus. Marla wusste, dass sie William gegenüber in der Pflicht stand zu erscheinen, doch welche Lage würde sie dort erwarten? Hatte das Ehepaar gerade einen Riesenstreit wegen der drohenden Trennung hinter sich? Oder schlimmer noch, hatte William beschlossen, die preiswerte Menüwahl zu treffen? Ihr Atem beschleunigte sich, als sie aufs Gaspedal trat und dem Schild mit der Aufschrift „I94 Ost: 4 Meilen“ folgte.

Etwa zwanzig Minuten später hielt Marla vor Willams und Camillas Haus. Sie saß eine Weile in ihrem Auto und schätzte die Situation vorsichtig ab. Das Haus war völlig dunkel, bis auf ein kleines Licht im Wohnzimmerbereich. Camillas Lieferwagen stand stumm in der düsteren Einfahrt, während von Williams schwarzer Limousine keine Spur zu sehen war.

Das Piepsen ihres Telefons ließ sie vor Schreck japsen und aus ihrem Sitz hochfahren.

‚Komm rein‘, stand da. ‚Ich habe hinten geparkt. Camilla schläft.‘

‚O. K.‘, tippte Marla kurz zurück und löste ihren Anschnallgurt, um aus ihrem Geländewagen zu steigen.

Die Eingangstür war unverschlossen und stand einen Spaltbreit offen, das Haus wirkte ruhig … fast schon eine Spur zu ruhig. ‚Will?‘, rief Marla mit unsicherer Stimme. ‚Will …! Ich bin`s! Wo bist du?‘ Das spärliche Licht der kleinen Wohnzimmerlampe ließ sie vom Flur aus nur Schemen erkennen. Beklommen tastete sie mit ihrer Hand über die Holztäfelung des Eingangsbereichs.

Als sie das schwach erhellte Wohnzimmer betrat, ließ der Anblick sie vor Schreck beinahe in Ohnmacht fallen:

Keine fünf Meter vom Türrahmen entfernt lag ihre Schwester Camilla in einer riesigen Blutlache. Ein Stuhl lag umgeworfen und zerborsten neben ihr, und der Fußboden war mit unzähligen Kleinteilen und Scherben übersät. Marla hatte Mühe, einen lauten Aufschrei zu unterdrücken.

Während ihr Verstand noch versuchte, sich über das Ausmaß ihrer Entdeckung klar zu werden, gewahrte Marla eine Handfeuerwaffe, die auf einem Tisch an der Wand lag. Genau in diesem Moment bemerkte sie ein Geräusch, das von der Rückseite des Hauses kam. Jemand schloss die Hintertür auf und säuberte seine Schuhe auf dem Fußabtreter. In nackter Panik sprang Marla vorwärts und packte die Waffe auf dem Tisch. Das Gewicht der Pistole zeigte ihr an, dass sie geladen war. Die junge Frau fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, torkelte zwei Schritte rückwärts und verkroch sich dicht neben dem Spirituosenschrank.

Schritte näherten sich dem Wohnzimmer, und Marlas Zeigefinger spielte nervös am Abzug herum. Plötzlich wurde die Deckenlampe angeknipst. Grelles Licht durchflutete alle Winkel des Raumes. Als William das Wohnzimmer betrat, sah er mit vor Schreck geweiteten Augen auf die Konturen Camillas herab; dann traf sich sein Blick mit Marlas.

‚Du …!‘, stammelte Willam und trat einen Schritt auf Marla zu, ‚du … hast sie umgebracht! Aber … warum gerade jetzt, wir … was sollen wir denn jetzt …??‘

‚Lügner!‘, schrie Marla ihn voller Wut an, ‚ich bin eben erst gekommen! Diese dämliche preiswerte Menüwahl war nur DEIN Wunsch …!‘

‚Nein, warte!‘, rief William verzweifelt. ‚Du verstehst das nicht! Ich bin … ich … Liebling, gib mir die Waffe! Nicht …!‘

William machte einen weiteren Schritt auf Marla zu und wollte nach der Waffe greifen, doch die verängstigte junge Frau zielte und drückte ab. Zwei Kugeln trafen mitten in Williams Brustkorb. Blut und Eingeweide schossen aus seinem Rücken heraus, als die Kugeln seiner Vorwärtsbewegung und seinem Leben ein jähes Ende setzten. Als sein Hinterkopf auf den harten Fußboden aufschlug, war William bereits tot.

Der Schrecken der letzten Minuten raubte Marla beinahe die Sinne. Nun traf sie das ganze Ausmaß des Geschehenen mit voller Wucht. Ihre Schwester und deren Mann waren durch Schüsse aus der Pistole getötet worden, die sie gerade in Händen hielt! Ganz ohne Zweifel hatte bereits irgendjemand wegen des Schusslärms die Polizei gerufen.

Für einen unvoreingenommenen Beobachter musste es so wirken, als hätte sie gerade einen Doppelmord begangen! Wie sollte sie das erklären? Marlas Gedanken überschlugen sich, als sie in ein entferntes Licht schaute, das durch das Wohnzimmerfenster schien. Hätte sie stattdessen weiter auf die leblosen Gestalten ihres Liebhabers und ihrer Schwester gestarrt, wäre ihr nicht entgangen, wie Camillas Körper leise von den Toten auferstand.

Marla spürte nicht einmal, wie die Nachbildung eines Bürgerkriegsdolches ihren Rücken durchbohrte und aus der Brust wieder heraustrat; wie ihr Liebhaber starb auch sie, noch bevor sie den Fußboden erreichte.

Das Haus versank erneut in Stille. Camilla lächelte auf die Überreste der ihr einst Nahestehenden herab und griff nach ihrem Handy …“

„Also …“, begann Professor Köhler mit leicht verwirrter Stimme, „der Ehemann, Will, er hat seine Ehefrau getötet, richtig? Aber wie konnte sie dann … ich meine …“

„Ja, das ist der bizarre Teil, und ich werde versuchen, ihn so gut wie möglich zu erklären“, antwortete Helen.

„Ich wusste zuerst nicht, was da geschehen war, denn als ich einige Tage später zur Arbeit erschien, war das Anwesen mit gelbem Klebeband abgesperrt, aber ohne jegliche Erklärung. Sowohl Williams als auch Camillas Handys waren ausgeschaltet. Ich rief bei der Polizei an und wurde zum zuständigen Ermittler durchgestellt.

Anscheinend hatte Camilla William und Carla getäuscht, indem sie zu verschiedenen Zeitpunkten Nachrichten an beide gesandt und dafür jeweils ihre Handys an sich gebracht und benutzt hatte.

Zunächst schickte sie sich selbst von einem unbekannten Handy aus eine Drohnachricht, dann schrieb sie Will an und behauptete, dass ihre Schwester ihr angedroht habe, sie umzubringen; danach folgte der Text von William an Carla, dass „er“ eine Lösung für ihr Problem gefunden habe und sie sofort zu seinem Haus kommen solle.

Und als Krönung arrangierte Camilla einen täuschend echt wirkenden Tatort, wobei sie richtig in der Annahme ging, dass beide angerannt kämen, das „Mordopfer“ auffinden und sich gegenseitig verdächtigen würden.

Während wir uns hier unterhalten, sitzt Camilla gerade im Gefängnis und wartet auf ihre Anklage. Sie hat die SIM-Karten zur Täuschung über das Internet bestellt, aber ironischerweise ist sie nicht deshalb erwischt worden, sondern weil die Polizei mehrere Flaschen Kunstblut in der Hausmülltonne fand, für die sie keine schlüssige Erklärung parat hatte. Eins kam zum anderen, bis Camilla schließlich zusammenbrach und ein vollständiges Geständnis ablegte.

Einer der Beamten erzählte mir im Vertrauen, dass sie sogar anfänglich behauptet hatte, sie hätte in Notwehr gehandelt. Aber das wurde durch die Tatsache widerlegt, dass der Dolchgriff aus dem Rücken des Opfers ragte.

Vielleicht hatte sie gar nicht eingeplant, dass irgendjemand sterben sollte, vielleicht wollte sie nur die Affäre auffliegen lassen, wer weiß das schon?

Tatsache ist nur: Ich will nicht mehr in Privaträumen arbeiten, es ist einfach zu … zu persönlich, verstehen Sie?“

Professor Köhler suchte nach einer passenden Antwort auf die eben gehörte Geschichte.

„Nun ja, ich kann gut nachvollziehen, weshalb Sie aufhören wollten. Verzweiflung bringt die Leute zu extremen Taten, wie ich heute mehr denn je erfahre!“

Wie auf ein Stichwort stand Helen auf, als der Professor von ihren Unterlagen aufsah.

„Möchten Sie, dass ich … äh … Destiny war ihr Name, glaube ich … Bescheid gebe, dass wir hier fertig sind?“

„Ja“, antwortete der Professor mit verhaltenem Lächeln, „und haben Sie vielen Dank!“

Während Destiny Professors Köhlers Büro betrat, nahm sie noch rasch einen Schluck Tee und ein Häppchen Schokolade und schüttelte dem lächelnden älteren Herrn die Hand. Er betrachtete das Deckblatt ihrer Bewerbung und fing an: „Destiny, Sie haben für ihr Alter schon einen beachtlichen Lebenslauf vorzuweisen.“

Ein Anflug von Unbehagen huschte über ihr Gesicht, daher versuchte er, seine Aussage abzumildern, indem er rasch hinzufügte: „Also, zumindest im Vergleich zu vielen anderen.“

Dann fuhr er fort: „Sie haben seit Ihrem letzten High-School-Jahr für Doktor … Kraig, den Onkologen, gearbeitet.“

„Ja“, sagte Destiny, „insgesamt über zweieinhalb Jahre lang. Bis letzte Woche lief alles hervorragend. Wir waren in dieser Praxis wie eine kleine Familie. Bis dieser Mann zur Behandlung hereinkam, Bruce … Warner, hieß er, wenn ich mich recht entsinne …“

Der Professor merkte bei der Erwähnung dieses Namens auf und seine Augen weiteten sich. „Mein Gott, stimmt ja!“, rief er aus. „Bruce Warner war sein Name! Ich habe erst vorigen Monat in der Zeitung über ihn gelesen. Die Polizisten sagten, dass ihnen in all ihren Dienstjahren noch nie ein derartiger Tatort untergekommen sei.“

„Ja, ehrlich gesagt, ja, ich …“

Destiny atmete tief ein und schluckte.

„Ich bin mir sicher, dass wir über denselben Fall sprechen; er war in allen Nachrichten rund um den Globus bis nach Sydney in Australien! Es ist vor einem Monat geschehen, und noch immer versuche ich, es aus meinen Gedanken zu verbannen …

Ich war Sprechstundenhilfe in Doktor Kraigs Büro. Eines Tages kam ein Mann, Herr Werner, mit einer Geschwulst am Hals zu uns.

Er trug einen richtig teuer aussehenden Anzug, wie ein ganz feiner Pinkel.

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