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IV. Akt: Heilen Sie mich …!

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‚So, nun werden wir mal diesen Knoten an ihrem Hals untersuchen, Herr Werner‘, erklärte Doktor Kraig mit ruhiger Stimme. Der Patient zog den rechten Kragen seines Hemdes herunter. ‚Hmmm … ja. In Ordnung‘, sagte der Arzt, nachdem er die ringförmig angeordneten, fleckigen Erhebungen am Hals des Mannes abgetastet hatte. ‚Ich muss erst ein Röntgenbild und einige Bluttests machen lassen, um das abzuklären. Schwester Fran wird sich darum kümmern.

Wir besprechen die Behandlungsmöglichkeiten, wenn die Ergebnisse da sind und wir genau wissen, womit wir es zu tun haben.‘

Bruce Werner bemerkte Doktor Kraigs neugierigen Blick auf seine Unterarmtätowierungen, als er sich beim Aufstehen vom Untersuchungstisch vorbeugte.

‚Navy-Tattoo‘, erklärte er. ‚Ein Anker und 5 18 16, mein Entlassungsdatum. Und darunter ein schwarzer Diamant, in Anlehnung an den Titel der Gruppe KISS.‘

Der Doktor lächelte, als die Arzthelferin im Türrahmen des Untersuchungszimmers erschien.“

Destiny machte eine kleine Pause und trank einen Schluck Tee, bevor sie weitererzählte.

„Nun, es stellte sich heraus, dass der Mann Krebs hatte, weißen Hautkrebs. Er war erschüttert, nur zu verständlich nach so einer Nachricht. Ich war im Büro und erinnere mich noch an die Stimme des Arztes, wie er mit Herrn Werner am Telefon über dessen Prognose sprach …

‚Nein, diese Krebsform ist die wahrscheinlich am einfachsten zu behandelnde, Bruce‘, beruhigte Dr. Kraig seinen Patienten mit einfühlsamer Stimme. ‚Haben Sie keine Angst, ich kann Sie heilen. Ja … Kommen Sie an diesem Tag gegen 8:30 Uhr in meine Praxis, dann können wir um 9:00 Uhr den Eingriff vornehmen.‘“

Professor Köhler nickte und Destiny fuhr mit dem Erzählen fort:

„In der restlichen Woche ereignete sich nichts Erwähnenswertes mehr. Als ich aber am Montag zur Arbeit erschien, ja, da …

Der Arzt hatte schlechte Nachrichten. Seine Tochter war am Freitagabend übel zugerichtet aufgefunden worden, überdies fehlte ein Teil ihrer Kleidung. Sie hat überlebt, mittlerweile geht es ihr besser, aber ein … Ich vermute, jemand hat sie überfallen, als sie gerade auf dem Heimweg vom Haus eines Freundes wenige Blocks entfernt war. Der Täter schaffte es nicht, sie zu … ähm … Sie wissen schon, zu vergewaltigen, aber er begrapschte und schlug sie mehrfach, ich glaube, er hat sie zusätzlich noch ausgeraubt. Was auch immer genau geschehen ist, es war ein schrecklicher Vorfall. Der Kerl floh, als bei den Nachbarn das Licht anging. Das Opfer beschrieb ihn, so gut es eben ging, aber ansonsten gab es keine direkten Augenzeugen. Ich hatte Dr. Kraigs Tochter davor einige Male getroffen, ihr Name war Kari. Trotzdem arbeitete der Arzt ganz normal weiter, so gut er es vermochte.

An dem Tag, ich meine, diese Sache, das Ereignis, das den Anlass für meine Kündigung darstellt, hatte mir Dr. Kraig bezahlten Urlaub gegeben, damit ich meine ganzen College-Hausaufgaben nachholen konnte. Ich war natürlich dankbar dafür und habe es nicht weiter hinterfragt …

Bruce Werner kam am Dienstag, dem 2. Juni, morgens um 8:17 Uhr in Doktor Kraigs Praxis an. Abgesehen von einem leichten Summen, das aus dem Untersuchungsraum zu kommen schien, war es im Gebäude totenstill.

Er klopfte vorsichtig gegen das geschlossene Milchglasfenster der Rezeption, vor dem er stand.

‚Merkwürdig‘, dachte er bei sich, während er sich langsam nach allen Seiten umsah. Zwar war die Praxis hell erleuchtet, doch schien der Ort bis auf den einzigen Patienten verlassen zu sein. Augenblicke später erschien ein Schatten hinter der Scheibe. Das Glas wurde zur Seite geschoben, dann wünschte Dr. Kraig seinem Patienten einen guten Morgen.

‚Heute keine Angestellten oder Schwestern da, Herr Doktor?‘, erkundigte sich Bruce Werner, während ihm der Arzt die Tür aufhielt, die in den hinteren Teil der Praxis führte. ‚Nein‘, meinte Dr. Kraig ruhig, als sie gemeinsam zu den Untersuchungszimmern gingen. ‚Der Eingriff ist einfach und kurz.‘

‚Sie können sich hinter diesem Schirm umziehen“, wies ihn der Arzt, der ihm den Rücken zudrehte, an. ‚An der Wand rechts neben Ihnen hängt ein Kittel, und dann kann es losgehen …‘

Bruce Werner trat kurz darauf in einem dünnen OP-Kittel hinter dem Schirm hervor. Dr. Kraig wandte sich ihm zu, eine Injektionsnadel und einen Alkoholtupfer in Händen haltend.

‚Sie können sich jetzt auf den OP-Tisch legen. Dies hier wird Sie entspannen, damit wir mit dem Eingriff beginnen können.‘

Gehorsam erklomm der Patient den Tisch und streckte den Arm aus. Der Einstich der Nadel war kurz und kaum spürbar. Die Flüssigkeit, die in seine Vene strömte, fühlte sich etwas warm an.

‚Werden Sie mich betäuben?‘, fragte er, als der Doktor sich umdrehte, um sich eine hellblaue OP-Maske überzustreifen.

‚Gewissermaßen‘, antwortete Dr. Kraig. ‚Stellen Sie es sich wie einen Dämmerschlaf vor, Bruce …‘

Nachdem er ihm die Maske aufgesetzt hatte, stach der Doktor eine weitere Nadel in den Unterarm des Patienten.

Die Betäubung fing bereits an zu wirken, als Dr. Kraig nochmals hinter sich griff und eine zweite Spritze nahm. Während er den Puls fühlte, fing der Arzt an zu sprechen:

‚Und? Wie fühlt es sich an, mit sexueller Nötigung in besonders schwerem Fall davongekommen zu sein … wie sie sich zumindest erhofft haben?‘

Bruce Werner reagierte auf diese Bemerkung mit einem Ausdruck des Erstaunens, der nur durch den dämpfenden Effekt des Betäubungsmittels abgemildert wurde.

‚Ich weiß, was Sie dieser jungen Frau angetan haben, denn sie war meine Tochter!‘, sprach der Arzt weiter. ‚Sie hat haargenau Ihre Tätowierung beschrieben, es hat also keinen Zweck, irgendetwas zu leugnen …‘

Der Mann unternahm einen schwachen Versuch, sich aufzurichten, wurde jedoch unsanft auf die harte Unterlage zurückgestoßen.

‚Nicht dass Sie sich jetzt noch ernsthaft wehren könnten, ungefähr so wie Kari, als Sie versuchte, sich gegen Ihre Annäherungsversuche zu wehren. Aber keine Angst, ich habe immer noch vor, mein Wort zu halten. Sie mögen ein furchtbarer Mensch sein, und verstehen Sie mich nicht falsch, die gerechte Strafe wird Sie ereilen – aber ich werde trotzdem mein Versprechen einhalten, Sie zu heilen.‘

Der Arzt redete noch weiter, doch Bruce Werner hörte ihn nicht mehr, da nun auch das zweite Anästhetikum seine Wirkung zu entfalten begann.“

Destiny erklärte Professor Köhler, wie sie dann am nächsten Tag zur Arbeit gekommen war, wo bereits eine große Razzia in der Praxis im Gange war. „Zum Glück habe ich den Tatort selbst nie persönlich zu Gesicht bekommen, da er bereits durch die Beamten versiegelt worden war und Vorhänge gnädig den grausigen Anblick verhüllten.

Der Arzt ließ sich widerstandslos abführen. Die Polizistin am Tatort war so freundlich, mich kurz beiseitezunehmen und mir zu erklären, was sich zugetragen hatte.

Bruce Werner war kopfüber hängend aufgefunden worden. Seine Fußgelenke waren mit Stricken gefesselt, die an der Decke befestigt waren. Seine tote Haut hatte Blasen geschlagen und sich durch eine Überdosis Strahlung rötlich-rosa und lederartig verändert. Die Augen waren regelrecht in ihren Höhlen geschmolzen.

Seine Zunge war durch die Strahlungseinwirkung obszön aus dem Mund gedrückt worden. Der Körper war zusätzlich noch mit Honig eingeschmiert worden, als eine Art krankes Finale, wie die Ermittler vermuteten.

Dr. Kraig hatte Wort gehalten und den Krebs getötet. Den Mann hatte er am Ende mit einer letalen Strahlendosis „geheilt“, sodass er wie eine groteske Parodie auf einen Schinken aussah.

Die Praxis wird bald unter einer neuen Leitung wiedereröffnet. Aber das war mir alles zu viel, ich musste diesen Ort verlassen!“

Schweigend saßen sie da. Professor Köhler starrte sekundenlang ins Leere. Endlich raffte er sich zu einer leisen Erklärung auf:

„Ja, also, ich verstehe, weshalb Sie … urks! … diese Anstellung loswerden wollten! Ja, könnten Sie nun bitte … äh … in den Warteraum zurückkehren, ich werde … auf Sie zurückkommen …“

Nachtkerzen Phantastische Geschichten

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