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Auf dem Markt und in der Werkstatt

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Anna war in der Schule, der Vater und Johann in der Werkstatt und Magdalena mit den Vorbereitungen zum Mittagessen beschäftigt. Gelegenheit für Mutter Harrass, auf dem Markt mit anderen Frauen ins Gespräch zu kommen. Die Waren der Markthändler waren auch immer interessant anzuschauen. Insgesamt blieb die Familie Harrass gern unter sich, denn alle wussten sich selbstständig Arbeit in Haus und Garten zu suchen, und sie machten alle nicht gern viele Worte. Vater Harrass war in dieser Hinsicht besonders schweigsam, Anna die Lebhafteste mit der größten Leidenschaft fürs Geschichten-Erzählen und mit dem größten Freundeskreis.

Obwohl die Familie Harrass sich auch weitgehend selbst versorgen konnte – es gab Eier von den Hühnern, Federn von den manchmal kämpferischen Gänsen, Milch von der Ziege hinten im Hof und Gemüse aus dem nahen Garten- gab es auf dem Markt manchmal schöne Stoffe zu kaufen. Auch den Vorrat an heilsamen Kräutertinkturen musste Mutter Harrass auffrischen. Im Winter hatte doch manches Familienmitglied mit Husten zu kämpfen gehabt. Anna schien dafür besonders anfällig zu sein. Bei dieser Gelegenheit wollte sie mit einer der Frauen eines Buckelapothekers sprechen und hoffte, dabei gleich eine Mitreisegelegenheit für Johann zu finden. Außerdem hatte Magdalena ihrer Mutter versprochen, ihr einen schönen Rock zu nähen. Die Mutter meinte aber doch, bei der Näharbeit könne sie gut das meiste selbst machen. Magdalena sollte dann lieber den Stoff zuschneiden, denn sie hatte sich schon einen ganz besonderen Schnitt ausgedacht und eine schöne Stickerei für den Saum. Gleich vorn am Markt war ein Stoffhändler, der nur selten in den Ort kam. „Schöne Stoffe, direkt aus Holland“, pries er seine Ware an. Marie Harrass trat neugierig näher. Ganz vorne lag ein Ballen Stoff, mit kleinen Quadraten in Hell- und Dunkelblau. Das ist er, dachte sie glücklich. Magdalenas Stickerei würde sich darauf hervorragend machen, und sie hätte nicht so viel Arbeit mit den Zählmustern wie früher in der Schule bei dem Stickmustertuch, das sie dort anfertigen musste.

Zum Glück habe ich einen guten Mann, dachte Marie glücklich. Sie hatte schüchtern bei ihm angefragt, ob sie vielleicht einen kleinen Teil des Vorschusses von Johann Sebastian Bach für einen neuen Rock für sich verwenden könne. „Natürlich, meine liebe Frau“, hatte er gesagt. „Du hast es dir verdient, dir von dem Geld auch etwas Schönes zu gönnen.“ Andere Frauen hatten mit ihren Ehemännern nicht so viel Glück, das wusste Marie genau. Die hätten den Vorschuss gleich im Wirtshaus vertrunken, und die Familie hätte von dem Geld überhaupt nichts gehabt. Marie wollte ihrem Johann aber auch zeigen, dass sie ihr Geld nicht verschleuderte. Vielmehr feilschte sie hart mit dem Händler um den Preis des Stoffes, bis er schließlich jammerte, er werde am Abend nicht zu essen haben, weil er ihr die Ware praktisch zum Selbstkostenpreis gegeben habe. Marie war aber sehr zufrieden mit sich, denn sie hatte eine gute Ware zu einem guten Preis bekommen und sich ihres Geschenkes würdig erwiesen.

Großbreitenbach war weithin bekannt für seine Heilmittel aus Kräutern, die so genannten Olitäten. Der Stand, an dem diese Medizinprodukte verkauft wurden, war dicht umlagert. Viele der Käufer kannte Marie gar nicht. Kein Wunder, denn viele kamen von weiter her, nur um sich heilsame Arznei gegen allerlei Beschwerden zu kaufen. Inzwischen hatten diese Medizinprodukte weithin so einen guten Ruf, dass sie beinahe in ganz Mitteleuropa vertrieben wurden. Für den Transport zuständig waren die so genannten Buckelapotheker aus dem Ort, die ihre Arzneien in speziell angefertigten Behältern auf dem Rücken transportierten. Deshalb eben auch der Name „Buckelapotheker“. Die Männer mussten körperlich sehr fit sein, um die Strapazen eines langen Weges zu Fuß mit schwerem Gepäck zu bewältigen. Sie waren oft sehr lange unterwegs und hatten dann viel zu erzählen, wenn sie wieder zu Hause waren. Für die Familien war das jedoch nur eine kleine Entschädigung dafür, dass sie oft monatelang auf ihren Vater verzichten mussten.

Marie war ganz glücklich, als sie hinter der Verkaufstheke die Mutter des kecken kleinen Sebastian erkannte, der am Tag zuvor der Sprecher von Annas Freunden gewesen war. Weder Sebastians Mutter noch dessen Vater waren allerdings besonders redselig, und woher Sebastian seine Erzählfreude hatte, war niemandem so recht klar. Nach einer Weile war Marie dann endlich an der Reihe und kaufte frischen Hustensaft und eine Salbe gegen Prellungen und Verstauchungen. In der Werkstatt wurde durchaus mit schweren Holzplatten hantiert, und da konnte es schon einmal zu Verletzungen kommen. Marie sah, dass sie nicht lange mit Sebastians Mutter würde reden können, denn hinter ihr standen noch eine Menge Leute an. Trotzdem fragte sie schnell, als sie bezahlte: „Weißt du zufällig, wann dein Mann wieder auf Reisen geht? Johann müsste für seinen Vater in einer wichtigen Angelegenheit nach Hamburg, aber wir wollen ihn nicht allein auf die Reise schicken.“ Sebastians Mutter überlegte kurz und antwortete dann: „Da hast du großes Glück, denn er ist gerade für einige Tage wieder zu Hause, um wieder neue Ware herzustellen und zu holen.“ „Was habt ihr denn so lange zu bereden, ihr Weiber?“, rief wütend ein Mann von weiter hinten. „Wir sind keine Weiber, sondern Frauen, und du bekommst auch noch, was du willst, keine Sorge“, entgegnete die Frau des Apothekers und sagte zu Marie: „Du hast Glück, als nächstes soll er Ware nach Norddeutschland liefern, ich glaube schon in wenigen Tagen. Komm doch morgen oder übermorgen einfach einmal bei uns vorbei, dann können wir alles weitere bereden. Du siehst ja, hier ist jede Menge los.“ „Ich komme gern“, antwortete Marie hastig. „Am besten nehme ich Johann gleich mit.“

Glücklich ging Marie nach Hause. Für sich selbst würden sie einen wunderschönen Rock schneidern, und für ihren geliebten Sohn sah sie jetzt eine Möglichkeit, ihm die Reise so leicht wie möglich zu machen. Dass er nicht gern weggehen würde, dessen war sie sich sicher. Aber mit einem guten Bekannten als Reisebegleiter würde es ihm hoffentlich nicht so schwer fallen. Außerdem konnte sie auf die Verschwiegenheit von Sebastians Eltern zählen. Die würden sicher nicht gleich allen im Dorf erzählen, dass Johann Heinrich seinen Sohn nach Norddeutschland schickte. Das wäre ein gefundenes Fressen für die Klatschmäuler im Ort. Denn die würden sicher gleich vermuten, dass Johann Heinrich seinen Johann nur deshalb wegschickte, um einen Esser von zu Hause wegzuhaben. Auch wenn im Hause Harrass niemand viel auf die Meinung anderer Leute gab, musste man trotzdem das Gerede ja nicht provozieren.


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