Читать книгу Die Kinder des Clavierbauers - Sabine Baumert - Страница 5

Währenddessen zu Hause in der Werkstatt

Оглавление

Johann war nur zur Hälfte bei der Sache. Kein Wunder- die Aufgabe, kleine Holzklötzchen zu sägen, war manchmal sogar für seine geduldige Art ein wenig anspruchslos. Trotzdem war ihm klar: sie musste gemacht werden, denn später würden in den Klötzchen kleine Einschnitte gemacht werden, in denen dann die Gänsekiele vorsichtig eingesetzt werden würden, mit denen man den Kontakt zu den Saiten herstellen könnte. Ohne dies würde, wie er schon Sebastian erklärt hatte, das Cembalo überhaupt keine Töne von sich geben.

Außerdem hatte Johann Sebastian Bach etwas ganz Besonderes in Auftrag gegeben. Er wollte mehr Töne auf seinem Instrument erklingen lassen, deshalb brauchte er mehr Tasten als auf den damals üblichen Instrumenten. Das hieß, das Brett, auf dem die ganzen Saiten gelagert sein würden, müsste breiter sein als die, die Harrass bis dahin gebaut hatte. Dadurch würde Vater Harrass alle Teile des Instrumentes neu berechnen müssen, besonders den Resonanzboden unten, aber auch die äußeren Teile und den Deckel. Bach hatte das Klangbild in Hamburg erlebt. Inzwischen hatte er, davon inspiriert, eine neue Komposition im Kopf, bei der er tiefe, dunklere Töne brauchen würde.

Deshalb war es so wichtig, dass Johann so bald wie möglich nach Hamburg reiste. Nur dort konnte er die Instrumente vor Ort anschauen und die Baupläne abzeichnen. Der Cembalobauer hatte Bach ausdrücklich mit auf den Weg gegeben, dass er Harrass exklusiv den Bauplan überlassen würde. Weitere Verwendung sollte der aber nicht finden, deshalb sollten so wenige Menschen wie möglich erfahren, wieso genau Johann nach Hamburg reisen sollte. Die offizielle Version würde sein, dass er die dortige Cembalobauschule einmal aus eigener Erfahrung kennenlernen sollte. Dass er so schnell wie möglich zurückkehren sollte , konnte man immer damit erklären, dass er unbedingt als Mithilfe in der väterlichen Werkstatt benötigt würde.

Johann hatte aber auch noch einen ganz anderen Grund dafür, wieso er mit den Gedanken so gar nicht bei der Sache war. Bevor er in wenigen Tagen abreiste, müsste er unbedingt bei seiner geliebten Sophie vorbeigehen und ihr von den neuesten Entwicklungen berichten.

Er wusste auch schon genau, wie er das bewerkstelligen konnte. Immer wieder, wenn er bei Sophies Eltern gewesen war, um Öl für die Behandlung der Instrumente zu holen, hatte er hinterher zu Hause einen Teil des Öls in der Ecke hinter seinem Bett versteckt. Nur gut, dass er ein Bett für sich allein hatte und sich nicht wie die beiden Mädchen ein Bett mit einem Bruder teilen musste! Zumindest sah er das jetzt so. Er konnte sich aber ganz gut daran erinnern, wie gern er sich früher mit einem mittlerweile verstorbenen Bruder abends im Bett noch kleine Geschichten erzählt hatte.

Nun sorgte aber sein geheimer kleiner Ölvorrat dafür, dass er öfter als eigentlich nötig in die Ölschröte musste, wo Sophie wohnte. Wenn er ehrlich war, war dieser Trick mit dem versteckten Öl ein Einfall von Sophie gewesen, die dadurch öfter ihren geliebten Johann treffen konnte. Er selbst war zwar nicht sonderlich gesprächig, aber immer sehr ehrlich und geradeheraus. Aber dass Sophie selbst als Mädchen die etwa zwei Stunden Gehzeit von Friedersdorf nach Großbreitenbach machen dürfte, war undenkbar. Also musste immer Johann sich auf den Weg machen, um neues Öl zu holen. Zudem lag die Ölschröte außerhalb des Ortes in einem waldigen Tal, in dem auch noch jetzt im beginnenden Frühjahr die Sonne schon sehr bald am Nachmittag nicht mehr zu sehen war.

Also kramte Johann betont auffällig im hinteren Raum der Werkstatt herum, um schließlich zu seinem Vater zu rufen: „Wir haben kaum noch Öl da!“ Sein Vater antwortete nicht gleich, denn er war gerade ganz in Gedanken versunken. Er war damit beschäftigt, längliche kleine Holzklötzchen für die Tasten des Instrumentes zurechtzufeilen. Die würde er auf alle Fälle brauchen, auch wenn er noch nicht genau wusste, wie viele. Auch dies hing davon ab, wie viele zusätzliche Tasten er für die tiefen Töne brauchen würde, die Bach im Kopf herumgingen. Simple Arbeiten wie diese hasste Harrass. Immerhin hatte er das Zusägen der Kiele erfolgreich an seinen Sohn delegiert. Aber der Meister sah ein, dass diese Arbeiten natürlich erledigt werden mussten, auch wenn er viel lieber über Neuentwicklungen tüftelte. Der Instrumentenbauer war deshalb ziemlich missmutig. Endlich nahm er wahr, was sein Sohn zu ihm gesagt hatte. „Das kann doch gar nicht sein“, polterte er. „Du hast doch erst kürzlich erst Öl gekauft.“ „Schau doch selbst“, antwortete der junge Mann. Sonst hatte er ziemliche Angst, wenn sein Vater so wütend wurde. Aber der Gedanke an das baldige Wiedersehen mit Sophie ließ ihn die Befürchtungen vergessen.

„Das mache ich, darauf kannst du dich verlassen“, knurrte der Vater und überzeugte sich mit eigenen Augen davon, dass hinten auf dem Regal in der Werkstatt nur noch ein einsames Ölfläschchen stand. Ein anderes stand im Versteck hinter Johanns Bett, aber das konnte der Vater natürlich nicht wissen. „Du hast recht, aber ich kann mir das überhaupt nicht erklären. Dann musst du unbedingt nochmal welches holen, denn wenn du wieder aus Hamburg zurück bist, müssen wir so schnell wie möglich das Instrument fertig bauen. Da haben wir keine Zeit mehr, noch irgendwelche Sachen einzukaufen.“

„Ich geh ja schon“, rief Johann eifrig und rannte schnell zur Mutter hoch, um ihr Bescheid zu sagen. „So, du brauchst also wieder Öl?“, fragte die und lächelte. „Seltsam, beim Saubermachen habe ich hinter deinem Bett doch welches gefunden. Was ist denn damit?“ „Das verstehst du nicht“, stotterte Johann verlegen. „Ich bewahre es für den Vater auf, er bekommt es sicher eines Tages von mir wieder.“

„Doch, ich glaube schon, dass ich verstehe“, meinte die Mutter. „Wenn mich nicht alles täuscht, wohnt doch die hübsche Sophie in der Ölschröte, wo du immer das Öl holst?“ „Ja schon“. Johann merkte, dass er rot wurde und ärgerte sich über sich selbst. Schließlich war es doch nichts Schlimmes, verliebt zu sein. „Ich mag sie auch sehr gern.“ „Das ist doch schön, wenn ihr beide euch gut versteht. Aber denk immer dran, ihr seid beide noch sehr jung. Ans Heiraten würde ich in eurem Alter noch nicht denken- nicht dass ihr es später dann bereut.“

„Aber…“ begann Johann, der ja schon am Abend vorher der Familie von seinen Heiratsplänen hatte berichten wollen. „Ach, habt ihr es euch doch schon überlegt?“ Johann nickte. „Ich glaube, da wird es ganz gut sein, wenn du einmal von hier wegkommst und einmal etwas anderes siehst. Versteh mich nicht falsch, ich will dir ganz bestimmt nicht von Sophie abraten. Ich möchte nur, dass ihr nichts überstürzt, das ist alles.“ „Ja, Mutter“, murmelte Johann und sah seine Mutter dankbar an. Insgeheim hatte er schon befürchtet, sie würde ihm rundheraus von einer Heirat mit einer Müllerstochter abraten. Überstürzen würde er sicher nichts, das lag gar nicht in seiner Art. Es war meist die ungestüme Sophie, die ans Heiraten dachte. „Ich habe gerade schönen Tee gebrüht, vorhin war ich doch auf dem Markt bei Sebastians Mutter. Davon gebe ich dir etwas mit, du hast ja sicher einen Beutel für die Ölfläschchen dabei. Und weißt du was, ich gebe dir für Sophies Familie ein Beutelchen mit Teekräutern mit. Da freuen die sich sicher, denn aus ihrem Tal kommen sie sicher nicht so oft heraus.“ „Ich bin dir so dankbar“, rief Johann und nahm seine Mutter fest in den Arm. Sorgsam verstaute er alles in seinem Brotbeutel und machte sich mit raschen Schritten auf den Weg.


Die Kinder des Clavierbauers

Подняться наверх