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Ich denke, dass nur Leute, die in die Gehörlosenkultur hineingeboren sind, diese Einzigartigkeit vollständig verstehen können.

Zitat aus einer Fallbeschreibung (Leonhardt 2000:145)

6. GEHÖRLOSENBEWEGUNG UND GEHÖRLOSENKULTUR

In den 1970er-Jahren entwickelte sich zunächst in den USA, kurz darauf auch in Europa eine Gehörlosenbewegung, die auf einem neuen Selbstbewusstsein der Gehörlosen aufbaute und die Gehörlosensprache selbst erweiterte. Neue Gebärden wie „Selbstbestimmung“ und „Bevormundung“ drückten aus, dass sich Gehörlose gegen die Stigmatisierung als Behinderte wehrten. Sie begannen sich als Mitglieder einer kulturellen Gemeinschaft zu definieren, gründeten soziale und politische Organisationen, setzten sich für den Erhalt ihrer Sprache ein und kämpften für die Entwicklung angemessener Methoden für den Gehörlosenunterricht.

Die Merkmale der Gehörlosenkultur lassen sich nach Leonhardt (2010) folgendermaßen zusammenfassen: Grundlage der Gehörlosenkultur ist die Gehörlosensprache, unabhängig von der Hörfähigkeit ihrer Mitglieder. Die kulturelle Zugehörigkeit geht mit der Einstellung einher, Zugehörige der Gehörlosenkultur zu akzeptieren, sie zu erkennen und anzuerkennen. Innerhalb der Gehörlosenkultur existiert eine formale Sozialstruktur. Eigene Höflichkeits- bzw. Benimmregeln bestimmen das Gesprächssetting. Es besteht ein hoher Prozentsatz von Ehen der Gehörlosen untereinander. Gehörlose organisieren sich in eigenen Vereinen und Verbänden. Die Gehörlosenkultur umfasst eigene Kunstformen wie das Gehörlosentheater, eine eigene Art des Humors wie gehörlosenspezifische Witze, eine eigene Namensgebung durch entsprechende Gebärden, eine eigene gehörlosenspezifische Literatur und sie bringt Kulturgegenstände hervor, die nur von Gehörlosen im Alltag genutzt werden wie Signaleinrichtungen, die Töne ersetzen (Türklingel, Babyfon) oder Schreibtelefone.

Ein Beispiel für einen Repräsentanten der Gehörlosenkultur ist der finnische Rapper Signmark, alias Marko Vuoriheimo. Er verfasst seine Texte in Gebärdensprache und tritt weltweit mit seinen Konzerten auf. Die Texte werden für Hörende übersetzt. Gehörlose verstehen ihre Sprache und verbinden sie mit der Musik, die sie als Vibrationen spüren und zu denen sie tanzen.

Mit der Gehörlosenkultur ist der Begriff „Deafhood“ (Taubsein) verbunden. Der Begriff „Deafhood“ bezeichnet eine Lebenseinstellung, die auf gemeinsame Werte und ein starkes Gemeinschaftsgefühl bezogen ist. Diese wird als ein Konzept der Selbstermächtigung dem gehörlosen britischen Wissenschaftler Patrick Ladd zugeschrieben. Deafhood soll dem defizitorientierten Begriff der Taubheit „Deafness“ ein positives Wort und eine selbstbewusste Haltung entgegen setzen. Wird ein Mensch in Texten als nicht hörend beschrieben, verwendet man die Kleinschreibung „deaf“. Eine Person, die der Gehörlosenkultur angehört, wird mit einem großen „D“ geschrieben, also „Deaf“. Die Deaf-Szene ist weltweit im Internet vertreten und in eigenen Austauschforen organisiert. Die Ansichten von Ladd, der Gehörlose durch Hörende kolonialisiert sieht und zum Widerstand gegen die Dominanz der Hörenden aufruft, sind umstritten.

Unbestritten ist, dass die Rechte der Gehörlosen nicht den Rechten der Hörenden entsprechen. In nur wenigen Ländern ist die Gebärdensprache Landessprache oder als Minderheitensprache akzeptiert wie beispielsweise in Schweden, das bereits 1981 die schwedische Gebärdensprache als Minderheitensprache anerkannt hat. Eines der ersten Länder, in denen die Gebärdensprache in der Verfassung verankert wurde, ist Finnland, das 1995 die finnische Gebärdensprache neben Finnisch und Schwedisch als Landessprache festgeschrieben hat. Uganda bestätigte 2000 die Gebärdensprache verfassungsrechtlich, 2005 wurde in Österreich die Gebärdensprache als anerkannte Minderheitensprache in die Bundesverfassung aufgenommen und seit 2006 ist die neuseeländische Gebärdensprache neben Englisch und Maori offizielle Amtssprache.

Die deutsche Gebärdensprache ist in einer Vielzahl von Gesetzen verankert. Auffällig ist allerdings, so ein Kommentar des Gehörlosenbundes, dass alle diese gesetzlichen Regelungen in den Behindertenbereich fallen bzw. die Sozialgesetzgebung betreffen.

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