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Gold oder Liebe?

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Unter dem Baum war es halbwegs trocken, aber richtig warm war Faust nicht. Das Zetern einer Elster in der Kastanie, die in der leichten Brise rauschte, klang spöttisch in den Ohren des Alchemisten.

»Ich will Orgien, Orgien, wie im alten Rom«, rief der Markgraf und massierte seinen kümmerlichen Penis. Er war nicht einmal zehn Zentimeter lang und ragte wie ein Pfannenstiel aus dem aufgeklappten Wams heraus, das trotz der weißlichen Flecken seine edle Herkunft nicht verbergen konnte.

Faust, mit kurzgeschorenem, an den Schläfen bereits ergrauendem Haar und einem jugendlich gebliebenen Gesicht, das sein wahres Alter nicht erahnen ließ, wand sich.

Vielleicht, dachte er, vielleicht war es doch nicht der richtige Ort.

Der junge Mann bearbeitete seinen Knebel mit einer Vehemenz, die Faust weh tat. Orgien, immer wieder Orgien. Eine Spanische Fliege herzustellen war möglich aber nicht das, was er im Sinn hatte. Schon einmal hatte er damit eine gesamte Stadt vergiftet. Zu viel Aufwand und zu wenig Lohn.

»Ich denke, dass sich das auch bewerkstelligen ließe, Eure Exzellenz. Aber vielleicht kommen wir noch einmal auf mein ursprüngliches Angebot zurück. Ihr müsst verstehen, Eure Exzellenz, diese Kräuter sind selten. Ich lasse sie mit großem Aufwand eigens aus Afrika importieren, damit sich hochgestellte Persönlichkeiten wie Ihr an diesem Schauspiel ergötzen können.«

Das Lachen des jungen Mannes war leicht hysterisch und schrill und stoppte so abrupt, wie es begonnen hatte. Im Gras hockend rieb er seine kleine Erektion und starrte zu der fernen Stadtmauer hinüber, die hinter den Bäumen aufragte. Wieder lachte er unvermittelt auf. Es kam dem Grunzen eines Wildschweins gleich.

»Geld, Geld, es geht um Geld, nicht wahr?«

Der blonde Mann auf dem Boden bewegte seine Hand schneller. Jörg Faust räusperte sich.

»Nun, Euer Exzellenz, da Ihr es so direkt ansprecht, darum geht es. Ich brauche für meine Forschungen natürlich weitere Mittel. Ich kenne die Bemühungen des Stadtalchemisten, lasst Euch gesagt sein – er ist auf der falschen Fährte. Mit seiner Methode werdet Ihr in hundert Jahren keine Unze Gold in den Händen halten.«

»Und warum, warum, warum.« Die nächsten Worte gingen unter in mehreren Drehungen.

»Warum er es nicht schafft? Nun, er hat nicht das richtige Pulver.«

»Und, und, Ihr?«, bellte der junge Mann und hob die Hände. »Ihr wisst, was man braucht? Wisst Ihr auch, wie man Orgien feiert?«

Ein kühler Wind wehte von den Äckern herüber. In der Ferne zogen sich neue Wolken zusammen Faust dachte an den Hagelschauer am Morgen.

»Der April macht, was er will. Hagel und Regen, Sonne und Wolken. Natur lässt sich nicht kontrollieren, die Natur hat ihre eigenen Regeln. Es kommt darauf an, diese Regeln zu verstehen und sich danach zu richten. Fünf Jahre waren vergangen, seit Galilei den Energieerhaltungssatz aufgeschrieben hatte. Energie geht nicht einfach so verloren. Bis die Menschen das endlich einsehen, werden Tausende von Jahren vergehen. Man muss die Natur, und natürlich die des Menschen, verstehen und sich nach ihr richten, sie überlisten, dann kann man sie zu seinen Gunsten nutzen. Erst das Verständnis der Dinge bringt den Fortschritt.«

Wenn er nur alle so gut konnte wie schwafeln, dachte Faust und hoffte, dass sich diesmal der Erfolg einstellte.

»Und wie geht das mit dem Pulver?«

»Das kann ich Euch natürlich nicht en détail erklären, Ihr müsst verstehen, davon lebe ich.«

»Wenn, ja wenn...« Der Markgraf kniete sich hin, spuckte in die hohle Hand und massierte weiter. Faust wandte seinen Blick ab. Schade. Ein paar Zentimeter mehr, und er hätte schwach werden können. »Wenn, wenn, wenn Ihr Gold herstellen könnt, warum seid Ihr auf mein Geld angewiesen?«

Fausts Zwerchfell begann zu zittern. Wieso war der Wirrkopf zu solch klaren Gedanken fähig? Jetzt wurde die Angelegenheit kompliziert. Die Hände des Alchemisten begannen zu zittern. Das war keine normale Reaktion. Zu häufig war er in eine schier aussichtslose Situation geraten, nie hatten seine Hände angefangen zu zittern. Es musste der Wirrkopf sein, der Wirrkopf und die Stadt Goslar. Zu groß die Stadt, zu wichtig. Zweifel jagten durch Fausts Hirn, umso mehr überraschten ihn die nächsten Worte des Markgrafen.

»Wie viel braucht Ihr, für diese, diese Trans... hö?«

Er hörte auf sich zu drehen und sah Faust an. Die Augen weit offen, auf der Unterlippe ein Tropfen, der langsam von der Anziehungskraft gezwungen, einen Faden zog.

»Transmutation. Vorerst tausend Taler«, sagte Faust. Schwierig genug, seine Erregung zu überspielen, jetzt kam überdies die Erleichterung hinzu.

»Taler, Taler, tausend Taler, toll, hö. Tausend Taler tauschen, tatsächlich, toll, toll«, sang der Blondschopf auf der Wiese vor ihm, hüpfte auf den Knien herum. »Hab nur Gulden, gute Gulden, große goldene Gulden, hö.«

Gulden, Gulden. Was meinte er jetzt? Sprach er vom Zweidritteltaler nach dem Zinnaischen Münzfuß, das wären 16 Gutegroschen, wenn man von 24 Groschen für einen Rechnungstaler ausging, oder meinte der Wirrkopf den Gulden, der einen Dukaten wert war? War es noch die Goldmünze oder bereits die unselige Silbermünze zu 60 Kreuzer? Faust fluchte stumm. Er brauchte Geld, jetzt, auf die Hand.

Plötzlich ertönten Geräusche. In ein paar hundert Schritten Entfernung standen Häuser, dahinter erhob sich die Stadtmauer von Goslar. Zwischen Kirschblüten erkannte er eine Bewegung, Stimmen hallten herüber.

Faust sprang auf. Diese Stimmen verhießen nichts Gutes. Und tatsächlich. Die Männer, mit denen ein Mann über die Wiese gerannt kam, waren bewaffnet. Sie trugen schwere Musketen mit sich, gehörten zur Stadtwache. Der Mann war Bernhard von Pier, Stadtalchemist.

»Habt Ihr sie dabei? Die Gulden?«, fragte Faust. Jetzt war die Aufregung nicht zu überhören. Der Wirrkopf legte sich auf den Rücken und lachte in den blauen Himmel.

»Golden wie die Sonne, so golden wie die Sonne möchte ich sein. Midas möchte ich sein und alles was ich habe, in Gold verwandeln. Wie Midas. Golden wie die Sonne.« Er lachte irre, die Hand an seiner kümmerlichen Erektion, die keine Lust spenden wollte. Das letzte Wort an den Markgrafen war flehend: »Exzellenz.«

»So, mein Lieber, jetzt bist du geliefert«, rief Bernhard von Pier schon von weitem. »Dieses Mal wirst du dich nicht wieder herauswinden können.«

»Verflucht«, rief Faust und machte auf der Stelle kehrt.

»Bleib stehen, du Schwindler, du Hochstapler...«, rief Bernhard. Die Stadtwachen bauten in Windeseile ihre Musketen auf. Die Gabeln erzitterten unter dem Gewicht der Flinten. Faust rannte im Zickzack durch die Bäume. Als er sich umdrehte brannten bereits die Lunten. Dann donnerte es.

Ein Baumstamm drei Fuß neben dem Alchemisten schien zu explodieren. Holzsplitter fetzten ihm um die Ohren. Frisches Grün regnete auf ihn herab. Mit dem nächsten Schuss spritzte eine Fontäne Dreck und Grünzeug einen Schritt entfernt vom Boden hoch. Faust spürte Schmerzen im Gesicht, ignorierte sie, lief weiter, links an der Tanne vorbei, rechts an der kleinen Buche. Zwischen den Bäumen erkannte er seinen Wagen.

Ein Ruf hallte durch den Wald. »Kindermörder!«

Seine Füße trommelten auf den Boden, hoben sich über Wurzeln und kleine Baumstämme. Zwischen grünen Blättern tauchte der Wagen auf dem Weg auf. Seine zwei Pferde wackelten zur Begrüßung mit dem Kopf. Faust sprang mit nie geahnter Wendigkeit auf den Kutschbock, löste den Knoten, durch den die Zügel am Fußbrett befestigt waren, schnalzte mit der Zunge und griff mit schwitzenden Händen nach der Bremse.

Wieder donnerte ein Schuss. Der Alchemist hörte die Kugel an seinem Kopf vorbei pfeifen, duckte sich, löste endlich die Bremse, der Wagen rollte an. Der nächste Schuss schlug in die Seitenwand des Wagens ein, dort, wo eben Fausts Kopf gewesen war.

Trabt an, dachte Faust, trabt an. Schneckengleich kam ihm die Bewegung des Wagens vor, hysterisch das Zwitschern der Vögel, hörte Stampfen von Füßen und einen Ruf. »Schießt, lasst ihn nicht entkommen.«

Mit einem Seitenblick sah er Bernhard von Pier auf den Weg laufen, Faust geballt, hochrot der Kopf. Er rannte hinter dem Wagen her, kam näher. Der Alchemist trieb seine Gäule weiter an, zuckte mit den Zügeln. Der Verfolger rannte, hinter ihm stürmten die Schützen auf den Weg und bauten ihre Musketen wieder auf. Endlich gewann der Karren an Geschwindigkeit, der Griff von Piers ging ins Leere, der Mann stolperte, fiel in den Dreck.

Faust lenkte seinen Wagen den Weg hinauf.

Das letzte Donnern der Geschütze. Links vom Wagen spritzte Dreck vom Weg hoch. Die Pferde gerieten endlich in Wallung. Noch einmal kam er der Stadtmauer gefährlich nahe, da der Weg auf die Wiese vor dem Nordtor mündete. Menschenmassen strömten aus der Stadt, bewaffnet, aufgebracht und zur Gewalt entschlossen. Eine Sekunde lang glaubte Faust, sie seien seinetwegen da.

Doch da waren andere Wagen, andere Menschen, andere Vertriebene.

Scheppernd ging eine Scheibe zu Bruch. Die grölenden Städter rannten hinter acht großen Zigeunerwagen her, vereinzelt wurden Steine geworfen. Die Kaltblüter vor jedem Wagen zogen aus Leibeskräften. Langsam rumpelten die Karren von der Wiese auf einen neuen Weg.

Der Mann auf dem ersten Wagen, ein kräftiger Zigeuner mit mächtigem Schnurrbart, duckte sich. Ein von der Seite geworfener Stein ging fehl, landete im Gras. Der kleine Junge, der ihn geworfen hatte, lief ein paar Schritte neben dem Karren entlang, mit wenig Hass und viel Naivität auf seinem Gesicht, dachte der Rom Heinrich Malfoss, schnalzte mit der Zunge und trieb die gescheckten Pferde an, welche die Hufe hoben und zogen mit einer Seelenruhe, die sich in gleicher Weise Malfoss wünschte, diese Gelassenheit, dann rollte sein Wagen in den dunklen Wald.

Man warf Steine und Stöcke hinterher, die meisten Menschen blieben am Stadttor stehen. Malfoss hörte Rufe, sah zurück. Die Menge geriet erneut in Bewegung, wich einem kleineren Wagen aus, der von links auf die Wiese vor dem Tor rollte. Auf dem Kutschbock saß ein Mann in Schwarz mit einer flachen Mütze auf dem Kopf, schwang die Peitsche und ließ sie auf seine Pferde niederfahren. Die Rösser wieherten, stemmten sich ins Geschirr.

Die Städter wurden ein letztes Mal aktiv, Kinder rannten schreiend und pfeifend hinter dem vierrädrigen Wagen her, Männer schimpften und suchten nach neuen Steinen. Kurz vor dem Waldrand erreichte der Karren die anderen Wagen und hängte sich hinten an.

Die Nachmittagssonne hatte es kaum durch die Wolken geschafft. Es war ein kalter Tag, zu kalt wieder einmal für die letzten Tage im April, empfand Oberst Heinrich Malfoss. Vielleicht waren die Gemüter der Städter deswegen so dunkel. Goslar hatte sich immer als eine tolerante, offene Stadt beschrieben. Doch auf einmal warfen die Bürger Steine, verprügelten die Kinder, drohten damit, sie aufzuhängen.

Die Zigeunerwagen ratterten durch den Wald, vom Harz empfangen mit viel Grün und einer kühlen Brise. Der Weg führte gen Osten.

Malfoss rief nach ein paar hundert Ellen seinen Enkel herbei. Der kleine Junge rannte neben dem Wagen her, verstand die Anweisung, blieb stehen, wartete den letzten Karren ab und kam nach einer Weile wieder nach vorne gerannt.

»Also, Junge? Sag mir gleich, wer ist es.«

»Ein Zauberer«, sagte der Junge und nickte heftig.

»Ein Magier also ist er. Und was, sag mir, zaubert er uns?«

»Gold«, sagte der Junge wieder, seine Augen waren groß und rund. »Viel Gold.«

Der alte Rom mit dem mächtigen Schnauzbart lachte und sah nach vorne. Der Hohlweg machte einen Bogen nach Südosten.

Ein Zauberer hatte ihnen gerade noch gefehlt, ein Zauberer, der weitere Probleme anzog, ein Zauberer, der von sich behauptete, Gold herstellen zu können, ein Alchemist.

»Der kann uns sicher helfen«, sagte der kleine Junge und zupfte dabei den Rom an der Jacke. Dieser lächelte milde.

»Mein Junge, ich sag‘ dir, uns kann nur Gott helfen, niemand sonst nicht, merk dir das schön. Gott alleine ist unser Beschützer, nicht? Die göttliche Mutter Develeski sorgt für uns, uns alle schön, und was sie tut ist richtig und wahr. Kein Mensch kann nie nicht in ihr Wirken eingreifen, sag ich, merk es dir.«

Der Junge nickte eifrig, griff nach einer Fiedel und begann zu spielen. Malfoss sah zufrieden zu und trieb gelegentlich die Pferde an.

Walpurgisnackt

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