Читать книгу Die Krebs-WG - Sara M. Hudson - Страница 11

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Das Haus lag am Rande der Stadt auf einem Hügel in einem sehr vornehmen Viertel. Umgeben von einem eisernen Zaun mit scharfen Spitzen, der an manchen Stellen von Efeu umrankt war, erschien das Haus, oder besser gesagt die Villa fast ein wenig unheimlich. Der Garten hatte leichte Hanglage und war geschmackvoll angelegt. Der großflächige Rasen wurde von mehreren Blumenbeeten durchbrochen, die um diese Jahreszeit noch recht kahl aussahen. Bis auf ein paar Schneeglöckchen und Krokusse blühte noch nichts. Die Spitzen weiterer Frühblüher waren allerdings schon deutlich zu erkennen, was dem milden Wetter der vergangen Tage zuzuschreiben war. Das doppelflügelige, eiserne Tor zur Einfahrt stand offen und Ellen lief hindurch, nachdem sie dem Taxifahrer das Geld durch die Scheibe gereicht hatte. In der Mitte der Einfahrt, die gut und gerne die eines herrschaftlichen Landsitzes hätte sein können, war ein großes Rondell, in dessen Mitte sich die steinerne Skulptur einer Frau befand. Ihr Körper war bereits mit Moos und Flechten bewachsen. Das runde Blumenbeet, das die Skulptur umgab, war mit Rosen bepflanzt, die noch mit Tannenreisig abgedeckt waren, um die Pflanzen vor den kalten Temperaturen des Winters zu schützen. Eine große, mit roten Ziegeln gedeckte Doppelgarage befand sich am Ende der Einfahrt, von der ein gepflasterter Weg nach links abzweigte. Ellen folgte ihm und stand nach wenigen Schritten vor einer steilen, steinernen Treppe, die zur Eingangstür hinaufführte. Obwohl die Treppe an zwei Stellen durch Absätze unterbrochen wurde und Ellen diese nutzte, um kurz zu verschnaufen, kam sie keuchend oben an. Josephine musste noch ganz schön fit sein, wenn sie diese Treppen täglich schaffte, dachte sie. Bevor Ellen klingelte, schaute sie sich um. Von hier oben aus hatte man einen herrlichen Blick über die Stadt, ohne dem Lärm des Verkehrs ausgesetzt zu sein. Allein die ersten Frühlingslieder der Vögel waren zu hören. Ellen schloss die Augen und atmete mehrere Male tief ein. Dann wandte sie sich der Tür zu und drückte auf die Klingel, über der sich eine Sicherheitskamera befand. Ellen grinste hinein und es dauerte nicht lange, bis sich die Tür öffnete. Josephine stand mit einem vollen Glas aus Bleikristall in der Hand vor ihr. Natürlich war es Port. Ellen dachte bei sich, dass es das erste Mal war, dass sie ihre neue Freundin nicht im Nachthemd oder im Bademantel sah. Josephine trug ein schickes, dunkelblaues Kostüm, dazu passende Schuhe und einen bunten Seidenschal. Freudig begrüßten sich die beiden und Ellen betrat Josephine Althoffs herrschaftliches Haus.

Josephine führte sie durch einen dunklen Korridor, an dessen Ende eine geschwungene Marmortreppe in das obere Stockwerk führte. Links neben der Treppe gelangte man in das Wohn- und Esszimmer. Ellen staunte über die Größe des Raumes. Hier konnte man gut und gerne einen großen Ball veranstalten. Die Decke war hoch und mit Stuck verziert. Große Flügelfenster gaben den Blick auf den Garten frei. Direkt vor den Fenstern war eine große Terrasse, an deren einer Seite eine Buchsbaumhecke als Sichtschutz gepflanzt war. Von der Straße aus war diese gemütliche Ecke nicht zu erkennen gewesen. Ellen stellte sich vor, dass Josephine dort ihren Nachmittagstee einnahm wie eine feine, englische Lady, mal abgesehen von ihrem nicht gerade damenhaften Verhalten.

Links neben der Wohnzimmertür befand sich ein offener Kamin, vor dem eine Chaiselongue stand, die mit royalblau und gold-gestreiftem Stoff bezogen war. Die Teppiche schienen echte Perser zu sein. Sie waren zwar nicht ganz Ellens Geschmack, passten aber gut zu den antiken Möbeln, mit denen der Raum ausgestattet war. So könnte es im Buckingham Palast aussehen, dachte Ellen. Rechts neben der Tür stand ein Esstisch aus dunklem Holz, der so glänzte, als wäre er gerade frisch poliert worden. Es war für zwei Personen gedeckt und ein vierarmiger Kerzenleuchter stand in der Mitte des Tisches. Die Kerzen brannten bereits.

Was für ein Gegensatz zu ihrer eigenen nüchtern, funktionellen Stadtwohnung, dachte Ellen. All ihre Möbel waren schnörkellos, glatt und modern und hatten so gar nichts mit Josephines Einrichtung gemeinsam. Während Ellens Beleuchtung aus Halogenspots bestanden, hingen hier Kronleuchter von der Decke mit dicken, kristallenen Klunkern behangen und verschwendeten sicherlich unglaubliche Mengen an Strom.

„Wow“, sagte Ellen. „Du lebst aber chic.“

„Das hilft einem alles nichts, wenn man schon bald den Löffel abgibt“, antwortete Josephine und schenkte Ellen ungefragt ein Glas Port ein. Für einen kurzen Moment hatte Ellen wieder vergessen, wie sie sich kennengelernt hatten. Die Erinnerungen an die vergangenen Tage waren schmerzhaft.

„Was machen die Nebenwirkungen?“ Josephine hielt ihr das Glas hin.

„Heute waren büschelweise Haare in der Bürste“, antwortete Ellen und schaute aus dem Fenster. Man hatte von hier aus einen wunderschönen Ausblick auf das Tal und auf die Weinberge auf der anderen Seite des Flusses. Rechts neben der Terrasse befand sich ein hölzerner Pavillon, der, so stellte sich Ellen vor, sicherlich oft für Gartenpartys genutzt worden war. Ihn und den Garten hätte man sehr gut für einen Werbespot für Urlaub in einem echt englischen Landhaus nehmen können, dachte sie.

„Und wie ist das mit der Übelkeit? Hast du schon Aversionen auf gewisse Getränke oder Speisen entwickelt?“ wollte Josephine wissen.

„Am zweiten Tag nach der Chemo war mir sehr schlecht. Da konnte ich gar nichts essen. Aber das hat sich wieder gelegt. Ich esse momentan eigentlich noch alles“, antwortete Ellen, setzte sich auf das Chaiselongue und nahm einen Schluck von dem Port, den ihr Josephine eingeschenkt hatte.

„Na, dann ist es ja gut, dass ich Lachs in Sahnesoße gemacht habe. Ich dachte schon, du magst womöglich keinen Fisch. Dann hätten wir ein kleines Problem gehabt.“

„Du kochst selbst?“, fragte Ellen erstaunt. Irgendwie hatte sie sich vorgestellt, dass jemand, der so eingerichtet war, sicherlich eine ganze Belegschaft an Hauspersonal hatte. Josephine zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

„Ja denkst du, ich habe eine Köchin oder womöglich eine Kammerzofe? So dekadent bin ich nun auch wieder nicht. Lediglich eine Putzfrau leiste ich mir einmal die Woche, die den Kasten hier sauber hält. Ach ja und einen Gärtner. Der würde aber gerne in Rente gehen und ich weiß noch nicht, ob es sich noch lohnt…..“ Josephine sprach ihren Satz nicht zu Ende und Ellen war es fast peinlich, eine solche Frage gestellt zu haben. Ihre Fantasie war wohl etwas mit ihr durchgegangen.

„So, nun lass uns aber mit dem Essen beginnen. Ich habe einen Mordshunger.“ Josephine verschwand für einen Moment und Ellen hörte Töpfe klappern. Sie nutzte die Zeit, um sich noch etwas umzuschauen. An der Wand hingen viele Bilder, darunter einige Ölgemälde, die sicherlich wertvolle Originale waren. Aber auch eine Anzahl an Fotos hing in hübsch verzierten Rahmen an der Wand neben dem Kamin. Ellen stand auf, um sie sich etwas genauer anzuschauen. Ihr Blick fiel auf ein Bild, auf dem eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig zu sehen war. Das Bild war schon etwas verblasst, aber an ihren Gesichtszügen und ihrer aufrechten Haltung war deutlich zu erkennen, dass es sich um Josephine handelte, nur Jahrzehnte jünger. Sie war eine wahre Schönheit und sah aus wie ein Fotomodell: eine perfekte Figur, lange Beine und hochgesteckte, blonde Haare. Auf einem anderen Bild war sie bereits einige Jahre älter, aber noch immer sehr attraktiv. Sie umarmte einen großen, schlanken Mann mit dunklen Haaren. War das der Mann, den Ellen auf dem Bild im Nachtisch im Krankenhaus gesehen hatte? Auch er war äußerst attraktiv – ein wahres Traumpaar.

Wenige Minuten später betrat Josephine mit einer Platte dampfenden Essens das Zimmer. Sie setzte sie auf einem Untersetzer auf dem großen, dunklen Esstisch ab. „Ach, schaust du dir meine Sammlung an schönen Erinnerungen an?“ „Bist das etwa du?“ fragte Ellen, die erschrocken herumfuhr, da sie mit Josephine so schnell nicht gerechnet hatte. „Schwer vorstellbar, dass ich mal so jung war, was? Nicht so eine alte Fledermaus wie jetzt.“ Sie kicherte. Ellen fasste sich ein Herz: „Ist das… Ist das dein Mann?“ „Ich erzähl dir gerne unsere Geschichte nach dem Essen. Tut mir leid, aber wenn ich Hunger habe, bin ich keine gute Erzählerin“.

Sie setzten sich an den Tisch und machten sich über den leckeren Lachs her. Dazu gab es jede Menge Weißwein.

Schon lange hatte Ellen nicht mehr so viel gelacht wie an diesem Abend. Nach dem Nachtisch, der genau so lecker wie das Hauptgericht war und einem Gläschen Port, saßen die beiden Frauen kartenspielend am Tisch vor dem Kamin und schmetterten Udo-Jürgens-Schlager zu der CD, die im Hintergrund lief. Als „Ich War Noch Niemals in New York“ zu Ende war, fragte Ellen: „Warst du eigentlich schon mal in New York und auf Hawaii?“ Josephines Blick wurde düster.

„New York schon. Sehr oft sogar. Hawaii wollten Herbert und ich uns für die Rente aufheben. Tja, daraus ist nie was geworden und alleine wollte ich da auch nicht hin.“ Ellen schwieg nachdenklich und schon bald waren die beiden wieder in ihr Kartenspiel vertieft.

„Lass mich dir von uns erzählen“, begann Josephine nach einer unkonzentrierten Runde Canasta und legte die Karten beiseite. Ellen hatte schon die ganze Zeit gehofft, etwas mehr von Josephine zu erfahren, hatte sich aber nicht getraut, noch einmal nachzuhaken, weil sie das Gefühl hatte, es sei ihr unangenehm.

„Hast du schon mal jemanden getroffen, von dem du vom ersten Moment an wusstest, dass er der Mann deines Lebens ist und ihr für immer zusammen bleiben werdet?“ Ellen überlegte kurz und blickte dann verlegen zur Seite. Hatte sie je das Gefühl bei Ralf gehabt? Aber Josephine fuhr schon fort: „Kitschig, nicht? Aber bei mir und Herbert war es so. Wir lernten uns auf einer Dampferfahrt auf der Spree kennen. Ich war auf einem Ausflug mit ein paar Freundinnen und er unterwegs mit ein paar Geschäftskollegen. Ein Windstoss nahm mir den Hut weg und blies ihn quer über das Deck des Dampfers. Herbert sprang geistesgegenwärtig auf, hechtete nach vorne und schnappte ihn sich, bevor er für immer in den Fluten verschwinden konnte. Dieser kurze Moment, in dem er aufstand und mir in die Augen blickte, während er mir meinen Hut reichte genügte, damit wir uns beide ineinander verliebten.“ „Josephine, das klingt ja richtig romantisch. Erzähl weiter“, rief Ellen, begierig darauf, mehr von Josephines Vergangenheit zu erfahren. Einen derartigen Anfall von Romantik hatte sie ihr gar nicht zugetraut, nachdem sie bisher nur ihre harte Schale kennengelernt hatte. Den weichen Kern offenbarte sie ihr jetzt. „Tja, damals hat man noch recht zügig geheiratet und lebte nicht in wilder Ehe zusammen, wie die jungen Leute das heute machen und so war es bei uns auch. Noch auf der Dampferfahrt tauschten wir Adressen aus, trafen uns ein paar Mal und nach drei Monaten standen wir vor dem Traualtar. Wir waren beide sehr karriereorientiert wie ich dir schon sagte, und gründeten bald nach unserer Hochzeit unsere eigene Firma. Als Ingenieur und pfiffiger Erfinder hatte Herbert schon bald den Dreh raus, wie man in der Maschinenbaubranche so richtig zu Geld kommen konnte. Es war ja auch zur Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und so hatten wir es verhältnismäßig leicht. Ich hatte eine Ausbildung zur Sekretärin gemacht und ein Talent dafür, Leute zu lesen wie Bücher. Bald stieg ich von der Chefsekretärin zur Personalchefin unseres 40-Mann-Betriebs auf. Ich war verdammt gut in meinem Job. Leider war unser Höhenflug von kurzer Dauer. Herbert verspekulierte sich und wir verloren alles. Er musste seine Patente und die Firma verkaufen und da saßen wir nun, Ende dreißig und konnten wieder von vorne anfangen. Wir bewarben uns und fanden auch schnell wieder Arbeit bei einer Firma, die sich auf Hydraulikanlagen spezialisiert hatte. Noch einmal etwas Eigenes gründen, das wollten wir beide nicht mehr. So wurde mein Mann schnell zum Prokuristen befördert. Ich selbst stieg dort direkt als Personalleiterin ein und wir verdienten fast so gut, wie mit unserer eigenen Firma, nur ohne die Verantwortung. Die Jahre vergingen. Wir hatten alles, was man sich wünschen und leisten konnte. Dann kam Herberts Krankheit, pünktlich zur Pensionierung. Wir hatten so viele Pläne, aber am Ende war alles umsonst. Umsonst geschuftet, umsonst gerackert. Gesundheit kann dir alles Geld der Welt nicht kaufen, Ellen.“ Sie machte eine Pause und nippte an ihrem Port.

Ellen war nachdenklich geworden. Josephines Geschichte klang fast wie ein Märchen, ein Märchen ohne Happy End: der Traumprinz, die steile Karriere, das große Geld und selbst nach einem Rückschlag wieder der große Schritt nach oben. Jetzt saß Josephine vor ihr, vom Krebs gezeichnet, der Mann verstorben, in einem riesigen Haus, mit offensichtlich sehr viel Geld und war doch genau so sterbenskrank wie sie selbst. Was würde ihr ihr Reichtum bringen?

Josephine gab Ellen nicht lange Gelegenheit, in ihren düsteren Gedanken zu verweilen.

„So, genug von den guten alten Zeiten. Das ändert die Dinge auch nicht. Man muss alles so nehmen, wie es kommt. Unser lieber Herrgott wird schon wissen, warum er uns durch solche dunklen Täler führt. Sich wehren hilft nicht. Deshalb trinkst du nun auch noch ein Gläschen mit mir.“ Sie goss Ellen, ohne auf deren Zustimmung zu warten, nach und die beiden widmeten sich wieder fröhlicherem Gesprächsstoff.

„Das war ein netter Abend“, sagte Josephine, als sie Ellen weit nach Mitternacht zur Tür begleitete. Das müssen wir unbedingt schon bald wiederholen. Wie wäre es mit Donnerstag?“

„Das ist schlecht“, antwortete Ellen. „Ich habe am Mittwoch die nächste Chemo und da wird es mir am Donnerstag sicherlich nicht sonderlich gut gehen.“ „Ach, das hatte ich ganz vergessen“, entschuldigte sich Josephine. „Sagtest du nicht, die Chemo sei immer dienstags?“

„Sie hat sich dieses Mal um einen Tag verschoben, weil kein Termin am Dienstag frei war“, sagte Ellen.

„Lass uns doch einfach telefonieren. Auf jeden Fall hatte ich heute so viel Spaß, wie schon lange nicht mehr.“ Der gleichen Meinung war Ellen auch. Sie hatte, seit sie von ihrer Krankheit erfahren hatte, nicht mehr so viel gelacht oder war es schon eine ganze Weile davor gewesen, dass sie aufgehört hatte zu lachen?

Müde ließ sich Ellen wenig später in ihr Bett fallen. Plötzlich fand sie es komisch, alleine in ihrer Wohnung zu sein und düstere Gedanken übernahmen wieder die Kontrolle in ihrem Kopf. Nachdem sie sich lange hin- und her gewälzt hatte, fiel sie schließlich in einen unruhigen Schlaf.


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