Читать книгу Das Israfil-Komplott - Sean D. McCarthy - Страница 16

Kapitel 14 Montag, 16. März 1998 Hardthöhe, Bonn

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„Odin“ dachte Dr. Sinn „zwar immer pünktlich und nützlich, aber leider völlig wirre und unberechenbar“ als genau um 12:00 h sein Telefon auf der verschlüsselten Leitung vier anfing zu blinken und zu schnarren.

Er ließ es bewusst sechsmal läuten, denn Odin sollte wissen, dass er, sein Boss, Dr. Sinn, die Schrittgeschwindigkeit, in welcher Sachen erledigt wurden, vorgab.

Dann hob er den Hörer ab und zwischen ihm und der elektronisch verzerrten Stimme wurden die üblichen Sicherheitscodes ausgetauscht. Sobald der Verzerrer wieder ausgeschaltet war, wurde die Stimme von Odin auf einmal ganz leise:

„Wenn Sie es noch einmal sechsmal läuten lassen, bis Sie den Hörer abheben, haben Sie ein Problem mit mir!“

„Odin, wollen Sie mir etwa drohen?“

Jetzt flüsterte die Stimme am anderen Ende der Leitung nur noch „Sie wissen, dass ich nie drohe, sondern ohne Vorwarnung töte; und wenn Sie es genau überlegen, ist es unter Ihrer Abteilungsleitung passiert, dass wir kompromittiert werden konnten.

Ach ja, lesen Sie einfach nach, was die vor über zwanzig Jahren getroffenen Abmachung zwischen Ihrer Abteilung und Odin und seinen Raben für einen solchen Fall festhält.

Wenn Sie, mein beamteter Freund, mit uns Macht- oder Eitelkeitsspiele anfangen wollen, sind Sie genauso tot, wie es unser Freund Dr. Rastatt noch heute Nacht sein wird, nachdem Sie ihn um 19:35 Uhr aus seiner Zelle im Keller des MAD haben herausholen lassen.

Haben Sie mich verstanden?“

Dann fuhr Odin, als ob nichts gewesen wäre, in normaler Lautstärke fort:

„Wie ich gerade sagte, heute Abend um genau 19:35 Uhr werden Sie Herrn Dr. Rastatt persönlich aus seiner Zelle abholen.

Sie werden den diensthabenden Offizier des MAD heute Nachmittag anrufen und die Freisetzung von Dr. Rastatt befehlen.

Rastatt soll die Kleidung tragen, die er am Samstag anhatte und er muss richtig proper aussehen. Wenn der MAD-Mensch muckt, machen Sie ihm klar, welche Positionen Sie und welche er innerhalb der Fresskette hat.

Sie, und nur Sie allein, werden Dr. Rastatt zu Fuß an den Hauptausgang des Ministeriums begleiten und ihm auf dem Weg erklären, dass Sie über das Wochenende die Wellen beim MAD haben glätten können und dass er keine Strafverfolgung zu befürchten habe.

Denn Sie sind der Ansicht, und haben die hohen Würdenträger im MAD auch davon überzeugen können, dass er lediglich aus Neugierde eine seiner Jugend zuzuschreibende Dummheit gemacht hat.

Tun Sie alles, um ihn zu beruhigen, geben Sie ihm das Gefühl, das wäre alles nur ein ärgerlicher Vorfall gewesen. Sie können ihm zum Beispiel sagen, er muss lediglich mit einem Verwarnungseintrag in seiner Personalakte rechnen. Auch, dass er jetzt drei Tage vom Dienst befreit sei.

In dieser Zeit soll er einen gründlichen, den Vorfall erläuternden Bericht schreiben. Machen Sie, was Sie wollen, aber nehmen Sie ihm jede Angst vor eventuellen, wirklichen Folgen seiner Tat.

Achten Sie darauf, dass er und Sie alleine den Weg zum Ausgang gehen, sodass keiner hört, was Sie ihm sagen. Ach ja, bitte seien Sie freundschaftlich zu ihm und sagen Sie, dass Sie ihn jetzt zu sich nach Hause fahren lassen.

Ich will, dass Dr. Rastatt die letzten Stunden seines Lebens glücklich und ohne Angst vor den Folgen seiner Tat verbringt!“

„Odin, um Gottes willen, was haben Sie vor?“

„Das geht Sie gar nichts an, und damit basta! Wenn Sie im normalen Tempo zum Haupttor mit ihm gehen, sollten Sie um 19:49 Uhr am Ausgang sein. Dort steht nach der Schranke auf der rechten Seite ein dunkelgrüner Mercedes 200 mit dem Y-Kennzeichen der Bundeswehr.

Darin sitzen drei Soldaten, die ihn nach Hause begleiten werden. Sie, mein beamteter Freund, werden sich diesem Fahrzeug keinesfalls auf mehr als 10 Meter nähern, sondern sich vorher von Dr. Rastatt verabschieden und ihm sagen, dass dies der Dienstwagen ist, welcher ihn nach Hause bringt.

Denn es darf unter keinen Umständen sein, dass Sie und wir – auch nur zufällig – zusammen gesehen werden.

Noch eines, Dr. Sinn: Odin und seine Raben wissen, dass wir von Ihnen und Ihrem Stellvertreter in Ihrer Abteilung als Psychopathen eingestuft sind.

Machen Sie keinen Fehler heute Abend, denn Psychopathen sind ja bekanntlich unberechenbar in ihren Verhaltensweisen. Nun jetzt leben Sie wohl; melden Sie sich erst wieder, wenn ein Auftrag unsere Hilfe erfordert.

Guten Appetit beim Mittagessen, es stehen heute sogar Kohlrouladen, also Ihr Lieblingsgericht, auf der Karte.

Ach ja, bevor ich es vergesse: Bitte melden Sie dem MAD morgen früh gegen 11 Uhr, dass Dr. Rastatt unentschuldigt nicht zum Dienst erschienen ist. Die sollen mal in seiner Wohnung in der Winterstrasse 24 in Bad Godesberg nachsehen“.

Es klickte, und die Leitung war tot. Dr. Sinn hatte eigentlich in dem Moment nur noch Angst vor Odin; und das Zitat aus Goethes „Zauberlehrling“, nämlich „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“ hämmerte in seinem Kopf.

Auch fragte er sich, woher Odin wusste, was es heute in der Kantine gab und dass Kohlrouladen sein Leibgericht war. Ebenso war ihm unerklärlich, wieso Odin die Wohnadresse von Dr. Rastatt kannte.

Dann erinnerte er sich voller Scham an die Worte seines Vorgängers Dr. Billardier, als dieser ihm die Abteilung übergab:

„Sinn, ich weiß nicht wie Sie in diese Position gekommen sind. Sie können nicht denken und ich halte Sie für dumm und faul, für eine eitle Pfeife und Sie werden versagen!“

Dr. Sinn nickte innerlich; das Einzige, was ihm in seinem längst ungeliebten Job noch Freude machte, war sein Wissen, dass er im August 2003 in Pension gehen durfte.

Aber er tat, was Odin ihm geheißen hatte und als er am Abend sich mit einem Handschlag vor dem Haupttor des Verteidigungsministeriums von Dr. Rastatt verabschiedete, wusste er, wie Judas Ischariot sich bei seinem Kuss von Jesus vor 2000 Jahren gefühlt haben musste.

Er sah aus mehr als dem ihm vorgeschriebenen Abstand zu, wie Dr. Rastatt in den dunkelgrünen Mercedes einstieg, dann drehte er sich abrupt um und ging zur Pforte des Ministeriums zurück.

Am nächsten Morgen rief er um 11:02 Uhr hausintern den MAD an und berichtete, dass Dr. Rastatt, welcher ja nun wirklich Ärger genug in den letzten Tagen gemacht habe, bis jetzt unentschuldigt dem heutigen Dienst ferngeblieben wäre.

Ob der MAD einmal bei diesem Rastatt zu Hause nachfassen könne, was denn jetzt wieder los sei?

Die vom diensthabenden Offizier des MAD beim Wachdienst angeforderten vier Feldjäger fuhren zu der angegebenen Adresse von Dr. Rastatt in Bad Godesberg.

Da auf mehrfaches Läuten an seiner Haustüre nicht geöffnet wurde, aber die Wohnung auf der Rückseite des Hauses im Erdgeschoß lag, gingen alle vier um das Haus herum, um vielleicht durch ein Fenster in das Innere der Wohnung blicken zu können.

Tatsächlich machten sie dort beim Blick in ein Fenster eine seltsame Entdeckung:

„Herr Stabsfeldwebel, dieser Kerl schläft an seinem Schreibtisch! Hat sich wohl gestern Abend zugelötet.“ Erst klopften sie, dann hämmerten sie an die Fensterscheibe.

„Kandinsky, hier ist etwas oberfaul! Gehen Sie sofort zum Wagen, und rufen Sie zuerst den Notarzt und dann unsere zivilen Kollegen von der Polizei an. Die sollen hier anrücken, und zwar dalli, dalli!

„Sie, Artmann, schlagen jetzt die Scheibe und wir steigen dann ins Haus ein.“

„Herr Stabsfeldwebel, wollen wir nicht warten, bis die Zivilpolizei da ist?“

„Tun Sie, was ich Ihnen sage, dies ist ein Befehl, Sie Schnarchnase!“

Und so geschah es: Bis die Polizei und der Notarzt nach fünf Minuten zeitgleich eintrafen, waren die drei Feldjäger bereits in die Wohnung eingestiegen. Als die Polizisten, zusammen mit dem Notarzt, an der Haustüre läuteten, öffnete ihnen ein Soldat die Türe:

„Tach, meine Herren, ich bin Stabsfeldwebel Möller, Feldjäger des Wachbataillons beim Bundesverteidigungsministerium. Melde eine tote Person, männlich, circa 35 Jahre alt, im Arbeitszimmer der Wohnung am Schreibtisch sitzend.“

„Gehen Sie mal weg, Herr Möller, und lassen Sie den Notarzt durch. Woher wollen Sie überhaupt wissen, dass der Mann tot ist“ war die ruppige Antwort eines blutjungen Polizisten.

„Junger Mann, 1996, Bosnien, stationiert in Primosten. Da lernt ein Soldat, wann ein Mensch tot ist.“

„Das Einzige, was ich nicht verstehe“, damit wandte sich Stabsfeldwebel Möller an den Notarzt „ist, dass der Tote eigentlich ganz heiter wirkt. Das war bei unseren Toten im Bosnien-Krieg ganz anders.“

Der Notarzt, dem das ganze Geschwätz auf den Wecker ging, marschierte ohne ein einziges Wort an Polizisten und Feldjägern vorbei und untersuchte kurz den Mann am Schreibtisch.

Dann wandte er sich an die Polizisten und sagte „Tot seit mindestens acht Stunden. Sieht nach einem Herzinfarkt aus, aber ich traue dem Braten nicht. Ich stelle keinen Totenschein aus; die Staatsanwaltschaft soll in der Gerichtsmedizin eine Obduktion anordnen. Schönen Tag noch, die Herren.“

Bei der am nächsten Tag durchgeführten Obduktion wurde auch selbstverständlich Blut entnommen. Die labortechnische Untersuchung, welche zwei Wochen später vorlag, ergab im Blut des Toten eine extrem hohe Quetiapinkonzentration.

Dieser Wirkstoff ist in atypischen Neuroleptika wie beispielsweise Seroquel, einem Medikament gegen Depressionen, enthalten und führt in hoher Dosis zum Tode. Zusätzlich wurde ein Alkoholpegel von 2,97 Promille ermittelt, welcher, wie die Blutgasanalyse ergab, aus Whiskykonsum resultierte.

Als Todesursache wurde „Suizid durch Intoxikation mit psychotropen Substanzen“ in den Totenschein eingetragen und die Leiche wurde zur Beerdigung an die Anverwandten freigegeben.

Dieser Befund erklärte auch die Verwunderung des Staatsfeldwebels Möller über das Aussehen des Toten:

In der Tat war Dr. Rastatt, bedingt durch Psychopharmaka und einen Vollrausch, sehr heiter gestorben.

Allerdings, aber danach hatte auch niemand gesucht, wurde weder eine leere Flasche Whisky noch leere Medikamentenschachteln in der Wohnung des Toten gefunden.

Ebenfalls wurde nie geklärt, weil es auch keiner bemerkte, warum der Tote an einem Computer saß, welchem die Festplatte entfernt worden war.

An dem Begräbnis von Dr. Rastatt nahmen nur Anverwandte und wenige Freunde teil. Seine Eltern waren erstaunt, ja sogar empört, dass niemand seitens des Arbeitgebers ihres Sohnes, also des Verteidigungsministeriums, beim Begräbnis anwesend war.

Was sie nicht wussten, war, dass den Kollegen ihres Sohnes sein Begräbnis völlig egal war. Denn Dr. Rastatt war vor seinem Tode vermutlich straffällig geworden.

Um es zu präzisieren, es bestand der Verdacht, dass er gegen den Paragraphen 94 des Deutschen Strafgesetzbuches, Landesverrat, verstoßen hatte. Genauer gesagt hätte auf ihn § 94 (2) zu, welcher in besonders schweren Fällen eine lebenslange Freiheitsstrafe vorschreibt, zutreffen können.

Und am Grab eines solchen Menschen wollte nun mal wirklich niemand aus dem Ministerium stehen.

Lediglich drei Männer, die niemals jemand zuvor gesehen hatte, sahen zu, wie der Sarg aus der Aussegnungshalle in Richtung Grabstätte getragen wurde.

Die Sargträger, als sie nach dem Begräbnis ihr übliches Bier tranken und welche diese drei Männer bereits in der Aussegnungshalle bemerkt hatten, waren sich einig, dass „es schon sehr kranke Menschen sein müssen, die beim Anblick eines Sarges schmunzeln“.

Das Israfil-Komplott

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