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6. Parallelaktionen: Völkische Gesinnungsgemeinschaften

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Wie haben die Völkischen auf diese Entwicklung reagiert? In der Forschung begegnet man der Ansicht, sie hätten sich zunehmend auf die wirtschaftliche und soziale Interessenvertretung des Mittelstands verlegt und die antisemitischen Aspekte ihrer Programmatik an Ideologen delegiert, die nur mehr eine marginale Position eingenommen hätten.1 Aber das kann man so nicht sagen. Gerade die Ideologen zählen seit der Jahrhundertwende, wie gezeigt, zu den Aktivsten auf dem Feld der mittelständischen Verbands- und Ideologiebildung, und dies, ohne ein Jota von ihrer radikalantisemitischen Grundhaltung zu lassen. Auf der Parteiebene kommt es zwar 1903 zum Zusammenschluß der Deutschsozialen mit den Christlichsozialen sowie den süddeutschen Bauernbündlern zur Wirtschaftlichen Vereinigung, deren Programm keinen speziell gegen die Juden gerichteten Passus aufweist.2 Von solchen eher taktisch zu verstehenden Bündnissen bleibt jedoch die völkisch-antisemitische Grundeinstellung unberührt. Die Parteiprogramme von Deutschsozialen wie Deutschreformern sehen 1905 und 1906 immer noch die Aufhebung der Emanzipation vor, und auch die Parteipresse wird nicht müde, als Fernziel „die Ausstoßung des jüdischen Fremdvolkgiftes aus dem deutschen Volkskörper“ zu beschwören.3 Einige Jahre zuvor, auf dem Hamburger Parteitag der DSRP von 1899, hatte man sich gar erstmals zu der Forderung nach „völlige(r) Absonderung und (wenn die Notwehr es gebietet) schließliche(r) Vernichtung des Judenvolkes“ bekannt, ohne freilich zu präzisieren, ob diese Vernichtung sich nur auf die ethnische Identität oder auch auf die leiblichen Träger derselben beziehen soll.4 Von einer zunehmenden Ausrichtung auf mittelständische Interessen kann allenfalls mit Blick auf die Deutschsozialen gesprochen werden, die ihre zunächst von den Christlich-Sozialen adaptierten sozialpolitischen Forderungen Mitte der 90er Jahre deutlich abschwächen. Bei den Deutschreformern sind die letzteren ohnehin von Anfang an nicht sehr ausgeprägt, was Erwin Bauer damals veranlaßt, die Eisenacher Fusion von 1894 als „Capitulation des alten guten conservativ-aristokratischen Deutsch-Socialismus vor der antisemitischen Demokratie“ abzulehnen.5

Der Sache näher kommt die These, daß sich zahlreiche Aktivisten der völkischen Szene angesichts der zunehmend marginaleren Wahlergebnisse „zu einer Art ‚Kulturrevolution von rechts‘ (entschlossen), die tiefer und grundsätzlicher ansetzen wollte als politische Aktivitäten und Parolen.“6 Schon 1886 hatte Theodor Fritsch ja davor gewarnt, den Weg der Parteipolitik zu beschreiten und statt dessen die Gründung eines Germanen-Ordens beziehungsweise einer Germanischen Allianz vorgeschlagen7, sich dann allerdings selbst durchaus aktiv in das Projekt einer deutschsozialen Partei gestürzt. Nach seinem vorübergehenden Rückzug nehmen andere seine Bedenken auf und verschärfen sie zu einer grundsätzlichen Kritik an der Organisationsform Partei. Eine Partei, heißt es in einem Vortrag, den der Magdeburger Vertrauensmann des Deutschbundes, Dr. Rudolf Küster, am 29. Januar 1895 in Magdeburg hält, könne ihrem Wesen nach nur äußere Ziele verfolgen, speziell die Einwirkung auf die Gesetzgebung; zu diesem Zweck sammle und übe sie unter dem Zeichen des allgemeinen Stimmrechts möglichst große Massen. „Die innere Art des Einzelnen aber, seine Gesinnung und seine nichtpolitischen Handlungen vermag und beabsichtigt sie weder bestimmt zu beeinflussen, noch auch nur sicher und allseitig zu erkennen.“8 Eben dies, so im Jahr zuvor Friedrich Lange (1852 – 1918) in seinem Aufruf zur Gründung des Deutschbundes, leiste nur die Form des Bundes, der seinen Mitgliedern nicht gestatte, „mit dem Namen bloß oder einem Jahresbeitrage oder irgend einem Bruchteile ihrer Persönlichkeit ihm anzugehören“, vielmehr „von jedem sein Tiefstes und Bestes“ fordere. Was Lange vorschwebt, ist eine „Gemeinde“, die sich in „weihevoller Opferstimmung“ zusammenfindet und auf dieser affektuellen Grundlage zu einer wertrationalen Vergesellschaftung gelangt: einer „Burschenschaft der Erwachsenen“, die durch „einheitlichen Willen“, eine gleiche Weltanschauung und ein „in allen gleich starke(s) und zu religiöser Glut verklärte(s) Deutschideal“ zusammengeschlossen sein soll.9

Noch einen Schritt weiter geht 1912 Philipp Stauff (1876 – 1923), als er in seinem Deutschen Wehrbuch auf ein anderes Vorbild aus der Kirchengeschichte zurückgreift und der völkischen Bewegung die Schaffung von „Orden und ordensähnlichen Vereinigungen“ empfiehlt. Ein Orden, führt er aus, „kann mehr und Höheres leisten als der Verein oder Verband. Zunächst trifft er seine Menschenauswahl sorglicher; wer nicht gewünscht wird, kommt an den Orden in der Regel überhaupt nicht heran. Die Mitglieder stehen unter stärkerer Verpflichtung, als sich das beim Verein ermöglichen läßt. Ist bei letzterem die Gesinnungsgemeinschaft immerhin mehr äußerlich, oberflächlich und das Sichzusammenfinden mehr taktisch auf Grund allseitiger Zugeständnisse, so ist die Gesinnungsgrundlage im Orden wurzelhaft und der Zusammenhalt deswegen viel dauerhafter, selbstverständlicher; auch sind weit weniger Innenreibungen zu befürchten. Die Mitglieder kommen einander innerlich näher und übernehmen in irgendwelchem Sinn und Umfange eine Art Bürgschaft für einander. Beim Verein arbeiten im allgemeinen einige Vorstandmitglieder; im Orden müssen alle arbeiten. Weit leichter und sicherer lassen sich da Erkundigungen einziehen, ist da eine Einwirkung auf Erscheinungen und Vorgänge außerhalb systematisch durchzuführen. Gemeinsame Handlungen von Weihecharakter vertiefen den Willen und geben eine mystische Zusammenstimmung der Geister und Gemüter, die anderwärts nicht erreichbar ist, die aber gerade aus zahlreichen Einzelwillen einen Gesamtwillen und aus zahlreichen Einzelkräften die Einheitskraft macht.“10

Tatsächlich konstituieren sich in den beiden Jahrzehnten, die dem Gründungsaufruf Friedrich Langes folgen, zahlreiche völkische Verbände unter der Bezeichnung „Bund“ oder „Orden“.11 Dem 1894 installierten Deutschbund, der sich freilich explizit nur als Bund, nicht als Orden versteht12, gesellt sich sechs Jahre später der Deutsche Volksbund zur Seite, der von Otto Böckel, Paul Förster und Hans von Mosch ins Leben gerufen wird und nach dem Eindruck externer Beobachter „eine Art antisemitischer Freimaurerloge“ darstellt.13 Zunächst nicht völkisch geprägt, dann aber immer entschiedener in diese Richtung tendierend ist der um Wilhelm Schwaners Zeitschrift Der Volkserzieher14 gruppierte Volkserzieherbund von 1905, der zeitweise deutliche Sympathien für die Ziele der Freimaurerbewegung und deren Organisationsformen erkennen läßt15; von Anfang an eindeutig dagegen der Mittgart-Bund Willibald Hentschels (1906) und der Reichs-Hammerbund Theodor Fritschs (1912). Als „Orden“ präsentieren sich der Neutempler-Orden (Ordo Novi Templi) von Lanz von Liebenfels (1900); der Wälsungen-Orden Paul Hartigs (1909); der mit der Guido-von-List-Gesellschaft verbundene Hohe Armanen-Orden (1911); der Deutsche Orden Otto Sigfrid Reuters (1911) und der 1912 von Hermann Pohl gegründete Germanen-Orden, die wiederum nach dem Vorbild der Freimaurerlogen aufgebaute geheime Schwesterorganisation des Reichs-Hammerbundes. Als eine Abspaltung des Deutschen Ordens beziehungsweise der mit diesem verbundenen Deutschgläubigen Gemeinschaft kann auch die Germanische Glaubens-Gemeinschaft Ludwig Fahrenkrogs noch hier eingeordnet werden.16

Die nähere Analyse zeigt freilich rasch, daß die mit Begriffen wie Bund und Orden anvisierte, sich nicht bloß auf Rollen oder Rollensegmente erstreckende, sondern die ganze Person einschließlich ihrer Lebensführung erfassende Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung nirgends erreicht wird, so daß es sachlich angemessener ist, von Gesinnungsvereinen und -gemeinschaften zu sprechen. Der Deutschbund, mit seinen rund 1500 Mitgliedern um 1914 der größte und einflußreichste Zusammenschluß dieses Genres, verlangt zwar von allen Beitrittswilligen eine Probe- und Bewährungszeit, in denen sie beweisen müssen, daß sie ihr „Deutschbewußtsein“ zum „Deutschgewissen“ vertieft haben, fördert aber zugleich multiple Mitgliedschaften, womit er sich erhebliche Loyalitätsprobleme einhandelt.17 Sein Gründungsmitglied Heinrich Claß gehört mehrere Jahre zugleich dem Alldeutschen Verband an, dessen Vorsitzender er 1908 wird; Paul Langhans und Georg von Stössel sind im Geschäftsführenden Ausschuß dieses Verbandes. Umgekehrt nimmt der Deutschbund bekannte Führer der Deutschsozialen Partei wie Liebermann von Sonnenberg und Ferdinand Werner auf, Repräsentanten des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes wie Alfred Roth und Albert Zimmermann oder des Deutschvölkischen Schriftstellerverbandes wie Adolf Bartels.18

Die gemeinsame Gesinnung „zu einer nationalen Welt- und Lebensanschauung zu vertiefen“, gelingt nur sehr begrenzt, da es dem vielbeschäftigten Lange hierfür schlicht an Zeit mangelt.19 Die anfangs von ihm eingebrachten wirtschaftspolitischen Grundsätze, die zwar „eine planmäßige Stärkung und Sammlung der bürgerlichen Mehrheit des Volkes“ beabsichtigen, dies aber ausgerechnet mittels Zwangsgenossenschaften und weitreichenden Verstaatlichungen von Schlüsselindustrien und -betrieben anstreben, werden 1896 nur mit einer Mehrheit von 61 gegen 42 Stimmen angenommen und „mit so wenig tat- und schaffensfreudiger Stimmung“ verfolgt, daß Lange resigniert.20 Themen wie Überkonfessionalität oder christlicher Charakter des Bundes, elitäre Struktur oder Massenpolitik, selbst die Feindbestimmung, sind von Anfang an kontrovers und bleiben es auch, so daß Lange nicht umhin kommt, in der Satzung auf genauere programmatische Festlegungen zu verzichten.21 Lediglich der Ausschluß von Juden ist konsensfähig; schon bei den Mitgliedsbeiträgen beginnt die brüderliche Solidarität zu bröckeln, und dies bei Personen, die sich durchweg aus gebildeten und ökonomisch gut gestellten Kreisen rekrutieren.22

Die ideologische Verwirrung wird dadurch gesteigert, daß der Gründer und Leiter des Bundes – bis 1909: Friedrich Lange – auf mehreren Registern gleichzeitig spielt. Lange ist Radikalantisemit, hält aber von den Antisemitenparteien wenig, wie seine Ausfälle gegen deren Führungsriege und ihre Neigung zur „demagogischen Hetze“ und zum „Neid um des Geldes willen“ belegen.23 Gleichzeitig konterkariert er seine eigene Kritik an der Parteipolitik, indem er mithilfe des Deutschbundes in eben diesem Feld Machtpositionen aufzubauen versucht. Ende 1895 als Herausgeber der Täglichen Rundschau entlassen, weil er diese allzu dreist in ein Forum für antisemitische Propaganda verwandelt hat24, bringt er wenige Monate später ein eigenes Blatt heraus, die Deutsche Zeitung, und zwar mit Mitteln, die zum erheblichen Teil von Deutschbundmitgliedern aufgebracht worden sind.25 In diesem Organ, das sich an die „Gebildeten aller Stände“ richtet und deshalb über eine begrenzte Zahl von Beziehern nicht hinauskommt26, tritt Lange noch im Gründungsjahr für die Bildung eines „Deutschkartells“ ein, das sich am Vorbild der Septennatskoalition von 1887 orientiert und Wahlabsprachen zwischen Konservativen, Nationalliberalen, Deutschsozialen und dem BdL ermöglichen soll.27 Einen ähnlichen Sammlungsplan verfolgt er 1901 mit der Gründung eines Nationalen Reichswahlverbandes, dem die Aufgabe zugeteilt wird, der erstarkenden Sozialdemokratie und dem „Ultramontanismus“ den Wind aus den Segeln zu nehmen, und der zu diesem Zweck auch Juden als Mitglieder willkommen heißt. Den Antisemiten ist dabei die Rolle eines Juniorpartners zugedacht, der nicht viel mehr als ein Vetorecht gegen jüdische Kandidaten erhält.28

Die Idee findet, wie vorherzusehen, nicht nur bei den Antisemitenparteien wenig Anklang. Auch die Deutschbundgemeinden verweigern ihrem Bundeswart die Gefolgschaft und erteilen seinen Plänen eine „kühle Absage“, was Lange bei seiner Abschiedsrede von 1909 als „herbe Enttäuschung“ bezeichnet.29 Überhaupt wäre von Führerschaft zu sprechen in diesem Fall ein Euphemismus. Schon ein Jahr nach Gründung des Deutschbundes muß Lange den Mitgliedern die Konsultierung des Bundestages bei umstrittenen Fragen zusichern, und auch später kommt es immer wieder zu Konflikten mit einzelnen Gemeinden, die das autoritäre Gebaren des Bundeswarts nicht hinnehmen wollen.30 Prominente Mitglieder wie Theodor Fritsch und Willibald Hentschel ziehen daraus schon früh die Konsequenz, ihre Aktivität auf andere Organisationen zu verlagern.31

Der Bund deutscher Volkserzieher wird 1905 aus der Lesergemeinde der gleichnamigen Zeitschrift heraus gegründet, teils aus dem Wunsch, eine festere Gruppenidentität zu erlangen, teils in der Absicht, den Kampf gegen die geistliche Schulaufsicht in Preußen wirkungsvoller zu führen.32 In dem überwiegend aus Lehrern bestehenden Bund zeigen sich jedoch schon nach zwei Jahren „tiefe Disharmonien“ (Carstensen), da der Gründer und auf Lebenszeit gewählte Vorsitzende, Wilhelm Schwaner (1863 – 1944), hauptsächlich an der Durchsetzung seiner Bildungsreligion interessiert ist und demgemäß einen lockeren Zusammenschluß bevorzugt, der sich auf ein gemeinsames Lesen seiner Germanenbibel und allenfalls noch gemeinsames Singen und Wandern beschränkt, wohingegen die Gemeinde schärfere Außengrenzen verlangt, sich dabei aber über die genaue Organisationsform nicht zu einigen vermag.33 „Der eine wollte eine Schule, der andere einen Tempel, der dritte einen Bund, der vierte eine Loge; dieser eine Gemeinde, jener eine Anarchie, der letzte gar ein neues Demokratenblättchen – und jeder verschwor sich, nur auf seinem Wege und mit seinem Programm sei der Bund existenzmöglich und –berechtigt.“34

Von den Debatten entnervt, legt Schwaner zunächst 1908 die Leitung nieder und löst den Bund formell auf, entschließt sich aber schon ein Jahr später zum Wiederaufbau, diesmal mit einer klaren Satzung, definierter Zugangsbeschränkung und deutlich umrissenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder, die sich verpflichten müssen, weder zu rauchen noch zu trinken, Freundschaft und Kameradschaft zu pflegen, sich in die Natur zu versenken und sich allgemein als „Suchende, Werdende, Unvollkommene“ zu begreifen.35 Sich diesen Bedingungen und zumal dem autoritären Stil des Vorsitzenden zu unterwerfen, ist jedoch nur etwa ein Zehntel der Leserschaft des Volkserziehers bereit, etwa dreihundert bis fünfhundert Personen.36 Selbst dieser kleine Kreis wird immer wieder von Richtungskämpfen und Abspaltungen erschüttert, die sich am Führungsanspruch Schwaners, an seinen Allianzen mit deutschreligiösen und antisemitischen Gruppen und seiner allgemeinpolitischen Einstellung entzünden. Die Mehrzahl der Mitglieder, so muß Schwaner 1913 im Kunstwart einräumen, tendiere „dem politischen und religiösen Bekenntnis nach sehr weit nach links“, während die Leitung „immer und überall unter dem Gesichtswinkel des Nationalen und Deutsch-Völkischen“ arbeite.37 Daß der Verein gleichwohl über ein Vierteljahrhundert zusammenbleibt, ist letztlich nur damit zu erklären, daß die Vergesellschaftung auf die Gesinnungsgrundlage reduziert und der Vergemeinschaftung nachgeordnet wird. Das einzige Programm, auf das sich „alle Freunde in Nord und Süd, Ost und West“ verpflichten sollten, heißt es 1910, seien die zwei Worte „frei“ und „deutsch“.38 Bei seiner Auflösung 1936 (der ein Jahr zuvor die Umwandlung in einen ‚Bund für Deutschtum auf christlicher Grundlage‘ vorhergegangen ist), zählt der Verein nur wenig mehr als hundert Mitglieder und ist damit nicht viel mehr als ein erweiterter Freundeskreis.39

Eher als Gesinnungsverein denn als Bund ist auch der Reichs-Hammerbund anzusehen, der 1912 aus den seit einigen Jahren in größeren Städten wie Leipzig, Berlin, Stuttgart und Nürnberg existierenden „Hammer-Gemeinden“ gebildet wird.40 Gewiß handelt es sich nicht bloß um „Lesergemeinschaften“ (Weißbecker), sondern durchaus um einen Agitationsverein, der „durch Verbreitung der im Hammer vertretenen Gedanken und durch Gewinnung neuer Anhänger und Leser für das Blatt“ wirken will.41 Verlangt sind bestimmte Aktivitäten wie zum Beispiel die Verteilung von Flugblättern, die 1912 / 13 in einer Auflage von zwei Millionen Exemplaren vertrieben werden, ferner die „Ablehnung jüdischen Umganges und die Vermeidung jüdischer Geschäfte“.42 Darüber hinaus unterliegt die Mitgliedschaft wie beim Deutschbund speziellen Auslesebedingungen, allen voran dem „Bekenntnis deutschen Blutes und deutscher Gesinnung“. Für die letztere ist der Beweis in einer Probezeit zu erbringen, für das erstere ist eine Ahnenprobe erforderlich, die in den Zuständigkeitsbereich von Bernhard Koerner fällt, eines Guido-von-List-Anhängers, der seine im Königlich Preußischen Heroldsamt erworbenen Kompetenzen auch dem Deutschbund zur Verfügung stellt.43 Sieht man von den Flugblattaktionen ab, die man sich freilich wohl eher nur im Sinne eines Auslegens oder Liegenlassens in Gaststätten, Arztpraxen und Zugabteilen vorzustellen hat, reduziert sich die Aktivität auf die regelmäßigen Hammer-Abende, bei denen über einzelne Artikel gesprochen wird, sowie auf Beiträge zum Aufbau einer „Judenstatistik“, aus denen 1913 Philipp Stauffs Semi-Kürschner hervorgeht.44 Trotz seines pompösen Namens umfaßt der Reichs-Hammerbund bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr als sechzehn Ortsgruppen mit insgesamt 500 Mitgliedern, deren Tätigkeit sich in belanglosen Mitgliederversammlungen erschöpft.45 Lediglich Hamburg und Stuttgart dürften dabei die Zahl von hundert Mitgliedern erreicht haben, wobei sich die Bedeutung von Hamburg daraus erklärt, daß hier der Sitz der Deutsch-sozialen Partei und vor allem des DHV liegt, dessen führendes Mitglied Alfred Roth nach dem Tod des ersten Bundeswartes, Karl August Hellwig, im Sommer 1914 zum neuen Bundeswart des Reichs-Hammerbundes gewählt wird.

Nicht wesentlich eindrucksvoller fällt die Bilanz bei den „Orden“ aus. Der 1912 aus einer innerhalb der Magdeburger Hammer-Gemeinde bestehenden Loge hervorgegangene Germanen-Orden46, der sich als „Keimzelle einer religiös und rassisch reinen Wiedergeburt des deutschen Volkes“ (Hufenreuter) versteht, bricht schon nach kurzer Zeit auseinander, weil sein Gründer und Kanzler, Hermann Pohl, sich allzu obsessiv mit der Ausarbeitung ordensinterner Rituale und Regeln beschäftigt und der politischen Wirksamkeit zu wenig Beachtung schenkt.47 Im Oktober 1916 kommt es zum Schisma zwischen der Gruppe um Pohl, die sich als Germanen-Orden Walvater neu konstituiert48, und der weiterhin als Germanen-Orden sans phrase firmierenden Mehrheit. Letztere sammelt sich um ein neues Führungstriumvirat und beruft nach dem Krieg Philipp Stauff zum „Geheimkämmerer“, der sich in seinem Einsatz für Guido von List sowohl mit dem Deutschbund als auch mit Schwaners Volkserzieherbund und Fahrenkrogs Germanischer Glaubens-Gemeinschaft überworfen hat.49 Aus einer Untereinheit des Germanen-Ordens, die sich in Anlehnung an freimaurerische Vorbilder als „Germanenloge“ bezeichnet, wird die Münchner Thule-Gesellschaft hervorgehen, aus der heraus dann wieder der Weg in die Parteipolitik beschritten wird.50 Im Juli 1921 verschmilzt der Germanen-Orden mit dem Wälsungenorden, gewinnt aber dadurch mitnichten an Stabilität, weil Theodor Fritsch aus Protest gegen die Fusion mit insgesamt sechs Logen den Orden verläßt und Philipp Stauff als Geheimkämmerer entlassen wird.51

In den deutsch- und germanischgläubigen Gemeinschaften geht es ähnlich zu.52 Primum movens all dieser Gruppen und Grüppchen ist nicht so sehr, wie man auf den ersten Blick anzunehmen geneigt ist, der Wille zur Restauration der paganen Götterwelt, als vielmehr der Wunsch nach einer autochthonen, nicht durch irgendwelche Fremdeinflüsse verformten nationalen Kultur, wie er bereits das Werk Richard Wagners und mehr noch die Aktivitäten des Bayreuther Kreises grundiert.53 Ernst Wachler, der als einer der ersten diese Motive ins Völkische übersetzt und dafür ab 1903 mit dem Harzer Bergtheater ein eigenes Medium entwickeln wird54, erhebt schon 1893 Richard Wagner in den Rang eines geistigen Führers und erklärt: „Eine deutsch-nationale Kultur der Zukunft wird im Geiste Richard Wagners auf dem Hintergrunde einer künstlerischen Weltanschauung sich erheben, oder sie wird nicht sein.“55 Einige Jahre später hat sich Wachler zu dem anfangs noch abgewerteten Goethe bekehrt, der in seinem Werk der von Giordano Bruno begründeten Weltsicht den definitiven Ausdruck verliehen habe.56 Der Kern der anzustrebenden nationalen Religion, die allein die geistige und politische Zersplitterung der Deutschen zu überwinden vermöchte, sei in „Goethes Welt- und Lebensanschauung“ zu finden, das Ziel daher „nicht das siebente Jahrhundert, sondern Goethe“.57 Der katholischen Frauenrechtlerin Elisabeth Gnauck-Kühne versichert er 1904 brieflich, Freigeist zu sein und für „Altertümeleien reaktionairer Romantik“ nichts übrig zu haben, zu denen er auch die „Wodansanbetung“ rechnet.58 Bei Alfred Conn, einem führenden Mitglied der Deutschgläubigen Gemeinschaft, wird es später ebenso dezidiert heißen: „Es ist in der Tat notwendig, die Selbstverständlichkeit auszusprechen, daß deutscher Glaube kein Glaube an altgermanische Götter, überhaupt kein Glaube an etwas ist, daß deutschgläubig nicht heißt, an Stelle des Jahwe den Wodan setzen. Das sind kindliche Ansichten, die an unserm wesentlichen Wollen blind vorbeischießen, bewirkt durch die bedauerliche Unwissenheit auf dem Gebiete der altgermanischen Religionsvorstellungen. Wer würde wohl so töricht sein und jemanden glauben machen wollen, der Blitz sei nicht eine elektrische Entladung, sondern der Hammer Donars? Nein, wahrlich, alle altgermanischen Götter und alle Eddagesänge sind dem deutschen Glauben entbehrlich“.59

Bekundungen dieser Art haben die Deutsch- und Germanischgläubigen freilich nicht daran gehindert, die Suche nach den Wurzeln des „heimischen Erbgutes“ bis zur „heimischen Götter- und Heldensage, dem eingeborenen germanisch-nordischen Mythos“ voranzutreiben, von dem zugleich in ebenso anachronistischer wie unbelegter Weise behauptet wird, er stehe „mit den Ergebnissen der neueren Naturforschung (in keiner Weise) in Widerstreit“.60 Aus dieser Einstellung resultiert eine Aufwertung der Edda, eine Annäherung an ariosophische Kreise – Wachler gehört 1908 zu den Gründungsmitgliedern der Guido-von-List-Gesellschaft – und schließlich 1911 der Zusammenschluß mit Neomythikern wie Josef Weber, Adolf Kroll und Karl Konrad zur Gesellschaft Wodan, die sich kurz darauf der Germanischen Gemeinschaft, einem Freundeskreis der Germanischen Glaubens-Gemeinschaft, anschließt.61 Als Wachler allerdings 1914 auf dem ersten Allthing dieser Gemeinschaft über „Deutsche Religion und Einigung aller Germanisch-deutsch-Religiösen“ sprechen will, löst dies einen anhaltenden Streit aus, da man ihm vorwirft „als deutsch-jüdischer Mensch“ nicht über die hierzu erforderlichen Voraussetzungen zu verfügen.62

Der heftigste Widerstand gegen Wachler geht von der Deutschreligiösen Gemeinschaft (ab 1915: Deutschgläubige Gemeinschaft, DGG) aus, einer Unterabteilung des 1911 von dem Bremer Telegraphendirektor Otto Sigfrid Reuter (1876 – 1945) im Verein mit dem Ex-Deutschbündler und unterdessen zum Schriftleiter der Ostmark avancierten Ernst Hunkel gegründeten Deutschen Ordens, die von ihren Mitgliedern die Versicherung deutscher Abkunft und das Freisein „von semitischem und dunkelfarbigem Rasseneinschlag“ verlangt.63 Die Berufung auf das gemeinsame Blut kann jedoch nicht verhindern, daß auch auf dieser Grundlage der Spaltpilz bestens gedeiht. 1912 ruft Ludwig Fahrenkrog (1867 – 1952), seit Herbst 1911 Mitglied der DGG, gemeinsam mit Wilhelm Schwaner und dessen Volkserziehern einen eigenen Verein ins Leben, der sich als Germanisch-deutsche Religionsgemeinschaft bezeichnet.64 Auch diese, zunächst nur auf drei „Ursätze“65 eingeschworene Gruppe spaltet sich sogleich wieder, weil Schwaner seinem Anhang nicht den förmlichen Kirchenaustritt zur Pflicht machen will, im übrigen wohl auch die alleinige Führung der Volkserzieherbewegung in der Hand behalten will.66 Schwaners Volkserzieherbund wendet sich danach dem Deutschchristentum zu und kappt entschieden alle Verbindungen zur Ariosophie, die man eben noch zum höchsten Weistum erklärt hat, welches überhaupt je hervorgebracht worden sei67, während Fahrenkrog um so entschiedener das germanisch-pagane Element akzentuiert und seine Gemeinde Pfingsten 1913 in Germanische Glaubens-Gemeinschaft (GGG) umbenennt.68 Zu ihren bekannteren Mitgliedern zählen Philipp Stauff, Maria Grunewald, Bruno Tanzmann, Carl Weißleder und der Maler Fidus.69

Obwohl zwischen DGG und GGG anfangs enge Kontakte und sogar Doppelmitgliedschaften bestehen, driftet man rasch auseinander, weil die DGG es ablehnt, über ein nationalreligiöses Minimum hinauszugehen und den „Gesinnungsglauben“ zu einem „Bekenntnisglauben“ auszuweiten, der eine Festlegung auf die von Fahrenkrog entwickelte pantheistisch-idealistische Weltanschauung mit ihrer Mischung von Meister Ekkehart und Eduard von Hartmann, ihrer Fixierung auf ein zu schaffendes Nationalheiligtum (den „Germanentempel“) und ihren kultisch-rituellen Spezialitäten eingeschlossen hätte, darüber hinaus auch das Deutschtum, also Volk und Nation, dem Germanentum subordiniert.70 Die Deutschgläubigen beharren demgegenüber auf „Gewissensfreiheit“ und auf dem Vorrang der Nation gegenüber der Rasse. Gewiß solle der Germane dem Germanen Bruder sein und die Pflege dieser Brüderlichkeit „eine heilige, religiöse Aufgabe“. Dies dürfe jedoch nicht auf Kosten der geschichtlich gewordenen Volkheit geschehen, sei doch das Germanentum als Volkheit versunken und durch mehrere neue Volkheiten abgelöst, die das „größere Recht“ des Lebenden gegenüber dem Abgestorbenen beanspruchen könnten.71 Anstatt sich, wie die GGG, auf ein Programm der Selbsterlösung zu kaprizieren, das nur in der Sozialform der Sekte realisierbar ist, im übrigen in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht nicht über ein paar Banalitäten hinausgelangt72, zieht man es in der DGG vor, kulturpolitisch offensiv zu werden, wie die verschiedenen Initiativen im Rahmen der Volkshochschul-, Heimatschul- und Bauernhochschulbewegung, aber auch die vor allem von Ernst Hunkel gepflegten Kontakte zur Jugend- und Siedlungsbewegung zeigen.73 Die größere Offenheit und geringere dogmatische Festlegung hindert freilich nicht, daß auch die DGG immer wieder von – meist persönlich motivierten – „Bruderkämpfen“ betroffen wird, die 1923 zur Ausstoßung Ernst Hunkels, 1924 zur Verselbständigung der im Jungborn-Bund zusammengefaßten Jugend und 1927 zur Absplitterung der Nordischen Glaubensgemeinschaft führen.74 Erst 1933 / 34 finden einige dieser Gruppen sowie Fahrenkrogs Germanischgläubige unter dem Dach der Deutschen Glaubensbewegung wieder zusammen, ohne es freilich allzu lange miteinander auszuhalten. Angesichts der insgesamt nur geringen numerischen Stärke dieser Gruppen, die zusammengenommen kaum mehr als tausend Mitglieder gehabt haben dürften75, sollte man ihre Bedeutung nicht allzu hoch veranschlagen.

Die Völkischen in Deutschland

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