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2.1 Sprachwandel verstehen 2.1.1 Untersuchungsebenen

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In der Beschäftigung mit Sprache unterscheidet man traditionell verschiedene Betrachtungsebenen, die sich mit Nübling et al. (2013) auch als „Schichten“ interpretieren lassen: Phonologie, Morphologie und Syntax bilden in diesem Modell gleichsam den Kern der Sprache. In den äußeren Schichten sind Semantik, Lexik und Pragmatik angesiedelt. All diese Begriffe können sowohl eine Teildisziplin der Linguistik als auch ihren Forschungsgegenstand bezeichnen: So kann man von der Semantik, also der Bedeutung, eines Wortes sprechen, aber auch von Semantik als linguistischer Disziplin, die sich mit der Untersuchung von Bedeutung befasst. Ähnlich kann man von der Phonologie einer Sprache, etwa des Deutschen, sprechen oder auch von Phonologie als linguistischer Teildisziplin.


Fig. 1: Überblick über die verschiedenen Untersuchungsebenen.

Gegenstand der PhonologiePhonologie (Kap. 4) sind Phoneme, also die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten in einer Sprache (s. auch Infobox 1). Die Phonologie ist nicht zu verwechseln mit der PhonetikPhonetik, die sich mit den konkreten lautlichen Realisierungen von Phonemen, den sogenannten Phonen (Singular: Phon), befasst.

Die MorphologieMorphologie (Kap. 5) befasst sich mit den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten einer Sprache, den sogenannten Morphemen. Der Unterschied zwischen Phonem und Morphem lässt sich an den Beispielen Haus und Maus aufzeigen: Beide unterscheiden sich in nur einem Phonem, /h/ vs. /m/. /h/ und /m/ sind daher bedeutungsunterscheidend, ohne jedoch selbst Bedeutung zu tragen. Die Wörter Haus und Maus hingegen tragen Bedeutung. So lässt sich die Frage: „Was bedeutet Maus?“ beantworten mit: „Das Wort Maus bezeichnet ein Nagetier.“, während die Frage „Was bedeutet /h/?“ keinen Sinn ergibt.

Haus und Maus sind also Morpheme. Doch nicht jedes Morphem ist ein eigenständiges Wort. Beispielsweise ist auch das -en in Frauen eine bedeutungstragende Einheit: Es bringt die grammatische Information ‚Plural‘ zum Ausdruck. Dieses Beispiel zeigt auch, dass Wörter oft aus mehr als einem Morphem bestehen. Frauen besteht aus zweien, dem Stamm Frau und dem Pluralmarker -en. Während Haus frei vorkommen kann, ist dies beim Pluralmarker nicht der Fall: *Heute habe ich viele -en gesammelt.

Den Bereich der Morphologie kann man unterteilen in WortbildungWortbildung und FlexionFlexion. Mit Flexionsmustern, die grammatische Informationen wie Tempus (Zeit) oder Numerus (Anzahl) kodieren, werden unterschiedliche Formen desselben Wortes gebildet, z.B. ich lache (Präsens) – ich lachte (Präteritum), die Frau (Singular) – die Frauen (Plural). Durch Wortbildung indes entstehen neue Wörter, etwa durch Komposition (Donau + Dampf + SchiffDonaudampfschiff) oder durch Derivation, z.B. mit Suffixen wie -ung: befragen – Befragung.

Die SyntaxSyntax (Kap. 6) schließlich befasst sich mit der Frage, nach welchen Prinzipien Wörter zu Phrasen und Sätzen kombiniert werden. Die Wortstellung ist dabei keineswegs willkürlich.1 Vielmehr erfüllt auch sie oft genug eine ganz konkrete Funktion. So unterscheidet sich die Wortstellung im Deutschen zwischen Aussage- und Fragesatz:

(1) IchSUBJ treffe meine TanteOBJ.
(2) TriffstV duSUBJ auch deinen OnkelOBJ?

Damit kommen wir zu jenen Untersuchungsebenen, die zwar oft nicht der „Kernlinguistik“ zugerechnet werden, aber nicht minder bedeutsam sind: Lexik, Semantik und Pragmatik. Die LexikLexik (Kap. 7) bezeichnet den Wortschatz einer Sprache, der ebenfalls einer diachronen Dynamik unterliegt – so kann er etwa durch EntlehnungEntlehnung erweitert werden, während andere Wörter außer Gebrauch kommen. Beispielsweise gehört saelde, im Mittelhochdeutschen noch ein geläufiger Begriff, dessen Bedeutung sich mit ‚Güte, Segen, Glück‘ umschreiben lässt, nicht mehr zum neuhochdeutschen Wortschatz, während wir im Mittelhochdeutschen ein Wort wie W-LAN-Router vergeblich suchen. SemantikSemantik (ebenfalls Kap. 7) befasst sich mit der Bedeutung von Wörtern und Konstruktionen. Dabei ist, wie Kap. 7.1 zeigen wird, sehr umstritten, was genau unter Bedeutung zu verstehen ist und wie weit der Bedeutungsbegriff gefasst werden kann: Können wir beispielsweise sagen, dass ein Suffix wie -heit in Freiheit eine Bedeutung hat? Manche neueren Ansätze gerade in der Konstruktionsgrammatik (vgl. z.B. Kap. 6.2.3 und 8.2.2) vertreten dabei einen sehr weiten Bedeutungsbegriff, nach dem beispielsweise auch syntaktische Muster Bedeutung tragen können.

Die Pragmatik (Kap. 8) schließlich befasst sich mit sprachlichem Handeln. Dazu gehören z.B. Aspekte, die über die wörtliche Bedeutung einer Äußerung hinausgehen. Beispielsweise kann mit einer Aussage wie Es zieht eine indirekte Aufforderung vermittelt werden: ‚Bitte schließe das Fenster!‘ Es handelt sich um einen sog. indirekten Sprechakt. Auch andere Aspekte der konkreten Sprachverwendung, etwa die Verknüpfung von Äußerungen mit positiven oder negativen Einstellungen (vgl. das Zeitliche segnen vs. abnippeln) oder auch mit Kontextfaktoren (vgl. Sehr geehrte Frau Prof. Meier vs. Yo bro!), gehören in den Bereich der Pragmatik. Die Grenzen zwischen Semantik und Pragmatik sind dabei oft fließend. So lässt sich darüber streiten, ob das Wort Pferd und sein pejoratives (abwertendes) Pendant Gaul die gleiche Bedeutung haben, weil sie beide auf ein Tier der biologisch Equus genannten Gattung referieren und sich nur pragmatisch unterscheiden, oder ob der pejorative Gehalt als Teil der Semantik des Wortes gesehen werden muss.

Die GraphematikGraphematik (Kap. 9) befasst sich mit der Verschriftung von Sprache. Dabei gilt es im Blick zu behalten, dass Schrift gegenüber der Sprache sekundär ist – Sprache(n) gibt es schon viel länger als Schrift, und bis heute können viele Menschen nicht lesen und schreiben, aber alle normal entwickelten Menschen beherrschen eine Sprache. Das hat dazu geführt, dass die Graphematik in der Linguistik lange Zeit ein Schattendasein geführt hat und teilweise immer noch führt. In der germanistischen Linguistik hat sich jedoch ein ausgeprägtes Interesse am Verhältnis von Sprache und Schrift entwickelt. Die Graphematik ist auch insofern ein sehr vielversprechender Forschungszweig, als man davon ausgehen kann, dass in einer alphabetisierten Gesellschaft, in der zudem Schrift quasi omnipräsent ist, unser sprachliches Wissen auch sehr stark durch die Verschriftung von Sprache geprägt ist.

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