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2.Gottunmittelbar

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Schöpfer und Herr. Erstaunliche 17-mal (23 u.a.) kommt für Gott dieser Titel im Exerzitienbuch vor; meist ist Gott „ihr“ – der Seele – oder „unser“ – der Exerzitanten – Schöpfer und Herr. Damit wird Gott für die Exerzitantin zum ureigenen Gott, der sich binden lässt fast so, wie sie einen Besitz an sich bindet. „Schöpfer“ (Creador) ist die respektvolle Anrede für den, von dem sie herkommt und in dem sie sich geborgen und beschützt weiß; „Schöpfer“ bezieht sich auf das Gottesverhältnis im bisherigen Leben und im jetzigen Dasein. „Herr“ (Señor) ist in der Ritterwelt die ehrfürchtige Anrede für einen Höhergestellten: Der Ritter bindet sich mit Lehnseid an seinen Herrn, er vertraut ihm, er setzt sich mit Hingabe für ihn ein, er lässt sich von ihm beschützen und in den Dienst, ins weite Land führen; „Herr“ bezieht sich auf das Gottesverhältnis in seinem jetzigen Tun und im zukünftigen Leben. Dass Gott bevorzugt als „Schöpfer und Herr“ der „Seele“ gesehen wird, kennzeichnet das Gottesbild der Exerzitien: In seiner Güte erschuf Gott den Menschen. Dieser ist offen für Gott und lebt Freundschaft mit ihm. Gott spricht ihn persönlich an und liebt und führt ihn. Gott hat jede menschliche Person geschaffen, um für sie Herr zu sein und ihr Gnade zu erweisen: gütig, heilend, rettend.21

Der Schöpfer unmittelbar mit dem Geschöpf. Dieses Wirken Gottes (15) kann sich die Exerzitantin in ihrer Phantasie bildhaft vorstellen. Der Schöpfer wirkt (obrar) mit dem Geschöpf unmittelbar, etwa so, wie sie als Mutter – oder ein Exerzitant als Vater – sich um ihr neu geborenes Kindlein sorgt: liebevoll, zärtlich, ganz hingegeben. „Unmittelbar“ (inmediante) bedeutet, dass dieser Gott weder Mittel noch Vermittlung verwendet, sondern gleichsam direkt an seinem Geschöpf und in ihm wirkt. Theologisch ungewöhnlich für die Zeit des Ignatius ist, dass es in dieser Gottunmittelbarkeit keine Kirche, keine Sakramente, keine Amtsträger, keine Lehre braucht, vermittels derer der Schöpfer an seinem Geschöpf wirkt.22 Die Gnade kommt nicht durch die enge, exklusiv von Amtsträgern besetzte Pforte zum Gläubigen, sondern direkt und frei, ohne Hierarchie, ohne Methodik, ohne Kontrolle, gleichsam charismatisch, geistgewirkt, in den Formen unendlich vielfältig. Darf man hier kühn den Bogen zu Martin Luther schlagen, der zur gleichen Zeit eine ähnliche Gottunmittelbarkeit lehrte? Es ist eine direkte, also mystische Gotteserfahrung, die Ignatius anzielt und für möglich hält.23 Allerdings relativiert er nicht Sakramente und kirchliches Amt – Luther tendiert später dazu –, sondern er integriert diese in seine Spiritualität und Mystik.

Das Geschöpf mit seinem Schöpfer und Herrn. Ignatius ergänzt diese Aussage durch die umgekehrte, noch ungewöhnlichere: dass das Geschöpf ebenso unmittelbar mit seinem Schöpfer und Herrn wirke (15).24 Offensichtlich bewirkt das Tun des Menschen auch etwas in Gott. Ignatius führt das nicht weiter aus, aber er könnte meinen, dass in der Gottesbeziehung wie in jeder Beziehung etwas ausgetauscht wird (vgl. 231), das beide Seiten verändert. Auch Gott wird bewegt – ist das deutbar im Sinn der „Regungen“ (mociones25)? Bewegt könnte er werden durch die betende Hinwendung der Exerzitantin zu ihm und durch ihr seelisches und mystisches Erleben, das von ihm gleichsam miterlebt wird – auch mitgenossen und miterlitten? Führt jedoch dieser Gedanke nicht zu einem ungehörigen Anthropomorphismus im ignatianischen Gottesbild? Auch wenn dem so wäre: Für die Exerzitantin ist es menschlicher, wenn ihre bewegte Beziehung zu Gott bei diesem – um bildhaft zu bleiben – nicht auf eine starre, unveränderliche, kalte Maske trifft, sondern auf ein Angesicht, das lebendig ist, sich bewegen lässt und in diesem Sinn emotional und geistig stützend, ja liebevoll mit ihrer Exerzitien-Bewegung mitgeht. In Christus zeigt ihr Gott dieses Angesicht.

Übungen geben. Die man heute „Exerzitienbegleiter“ und „Exerzitant“ nennt, heißen bei Ignatius einfach „der die Übungen gibt“ bzw. „der sie empfängt“ (6, 15 u.a.). Offensichtlich ist in allem methodisch ausgefeilten und intensiv gelehrten „Begleiten“ der wichtigste Akt der, Übungen für den Exerzitanten auszuwählen und sie ihm persönlich so zu geben, dass jener sie alleine und selbständig machen kann. Der die Übungen gibt, braucht selbstverständlich eine gute Kenntnis möglicher Übungen, ihrer Wirkungen und eines sinnvollen Ablaufs von Exerzitienbewegungen und -themen. Er braucht auch ein gutes Gespür für die Person, die die Übungen empfängt, für ihre Regungen und Bewegungen und dafür, welche Übung in welchem Moment weiterhelfen kann. Der die Übungen gibt, soll sie – meistens sind es Phantasieübungen, Schriftbetrachtungen oder Gebetsübungen – knapp zusammenfassen und erklären, so dass der Übende sie eigenständig machen kann, mit seiner Phantasie und mit seinen inneren Bewegungen (2). Der Geber dirigiert nicht, sondern geht empathisch mit; vor allem hilft er dem Empfänger, die Geister wahrzunehmen und zu unterscheiden. Die Beziehung, die eigentlich bewegt ist, ist die zwischen Gott und der „Seele“. Der Geber der Übungen ist gleichsam der Dritte im Bunde, der sich aber zurückhält, eben nicht wirkt, sondern wirken lässt und intensiv hinschauend dabei ist, selbst aber nicht eingreift: Der göttliche Geist wirkt „unmittelbar“ (15), und der Mensch lässt dies zu. Im Dreiecksverhältnis der Exerzitien wird der begleitende Dritte nicht zu einem diese Unmittelbarkeit der beiden Hauptakteure störenden Mittel. Er ist weniger wichtig, bleibt weitgehend passiv, und er will nichts – wenn ihm dies zur narzisstischen Kränkung wird, muss er sie tragen. Er ist mehr ein Ermöglicher als ein Akteur, mehr ein Schauer als ein Macher. Durch die Auswahl der Übungen – seiner einzigen wirklichen Aktivität – führt er den Übenden immer wieder in Gottes Unmittelbarkeit zurück. Er hilft ihm, Störendes beiseitezuräumen, ja er wirft ihn gleichsam auf Gott – damit dieser wirken darf und die Ehre bekommt.

Wie eine Waage. Die, die Übungen gibt, darf den Übenden nicht durch das Geben von bestimmten Inhalten in eine Richtung treiben, auch wenn sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung oder ihrer geistlichen Kenntnis weiß oder zu wissen meint, was für ihn besser wäre. Vor allem bei persönlichen Entscheidungen, die der Exerzitant im Gespräch mit Gott fällen will oder soll, hält sie sich zurück. Das Bild der Waage (15) bezieht sich auf einen beweglichen Balken, der schwebend mittig auf einem festen Punkt aufruht. An seinen beiden Enden hängen Schalen, die sich zunächst auf gleicher Höhe, eben waagerecht, halten und dann mit Gewichten beschwert werden. Das schwerere Gewicht drückt seine Schale nach unten und die andere nach oben. Wenn die Begleiterin „wie eine Waage“ agiert, bleibt sie beim Entscheiden strikt neutral: Der Exerzitant beschwert selbst die Waagschalen und entdeckt so – durch den Geist, der in ihm wirkt –, welcher seiner alternativen Wege der bessere ist. Befolgt werden soll der Wille Gottes, nicht der Wille der Begleiterin – Entscheidungswege non-direktiv und dennoch helfend zu begleiten gehört zur großen Kunst derer, die die Übungen gibt.26

Freund oder Herr? Ist Gott ein hoher Herr, von dem die Übende abhängt, der sie zwar beschützt und führt und mit Gaben beschenkt, vor dem sie aber auch in Demut und Gehorsam sich zu verneigen hat? Oder ist er ein Freund, mit dem sie sich in gegenseitiger Freiheit trifft und sich partnerschaftlich, gleichsam auf Augenhöhe, austauscht? Ist die Beziehung zu ihm asymmetrisch, ein Geschehen zwischen Ungleichen, oder ist sie symmetrisch, zwischen Gleichen? Bedeutet das „unmittelbar“ eine direkte und äquivalente, quasi auch symbiotische Nähe? – Nun hat Ignatius beide Gottesbilder: Wie aufgezeigt, spricht er oft von Gott als „Herr“ oder „Schöpfer und Herr“ – ihm ist mit Respekt und Vertrauen, auch mit Ehrfurcht und Gehorsam zu begegnen. Allerdings begegnet ihm die Exerzitantin an wenigen, doch bedeutsamen Orten als ihrem „Freund“ – dieses Gottesbild wird immer christologisch gezeichnet: Sie geht ins Gespräch mit dem Gekreuzigten, mit dem man „wie ein Freund zu einem anderen spricht oder ein Diener zu seinem Herrn“ (54) – hier werden ausdrücklich beide Möglichkeiten zur Auswahl gegeben; ähnlich bei der Übung der „Zwei Banner“, in der Christus seine Rede an „alle seine Diener und Freunde“ hält (146); später bringt der Auferstandene „ein Amt zu trösten“, dabei soll man „vergleichen, wie Freunde einander zu trösten pflegen“ (224) – ist Christus als Auferstandener also nicht mehr Herr, sondern immer Freund? Ohne der Versuchung des Überinterpretierens nachzugeben, kann man wohl sagen: Je nach persönlicher Situation darf sich die Exerzitantin Gott als ihrem Herrn oder als ihrem Freund nähern. Als Freund zeigt sich Gott eher in Jesus Christus als im Vater und im Geist: Jesus ist das Gesicht Gottes, mit dem Gott Augenhöhe und Nähe, Partnerschaft und Unmittelbarkeit, ja auch Intimität und „Symbiose“ – enges Zusammenleben – zeigt. In seinem Trösteramt wird der Auferstandene zum Freund der Menschen; das wird noch genauer auszulegen sein. Gott ist Herr und Freund – man braucht die Bilder ja nicht unnötig in Gegensatz zu bringen. Als Herr meint er es so gut wie als Freund: Er erschafft und führt, er heilt und rettet, er tröstet und liebt.

Gott zeigt sich als Schöpfer und Herr. Die Exerzitantin darf ihm unmittelbar begegnen – auch ohne Vermittlung durch Amt und Sakrament. Gott bewegt sie, sie bewegt ihn. Die Begleiterin gibt ihr die Übungen und hilft ihr zur Begegnung, aber sie bleibt wie eine Waage, entscheidet nicht, steuert nicht. In dieser Mystik der Unmittelbarkeit kann Gott dem Menschen Herr oder Freund sein.

21In den Satzungen der Gesellschaft Jesu wird „Schöpfer und Herr“ auch direkt für Jesus Christus angewandt. Beispiele: „in dieser Gesellschaft Jesu unseres Schöpfers und Herrn“ (Sa 51, GG 603); „… um in allem unserem Schöpfer und Herrn zu dienen, der für sie gekreuzigt wurde“ (Sa 66, GG 608); „… dass größerer Lobpreis Christi unseres Schöpfers und Herrn folge“ (Sa 602, GG 755). – Bei Ignatius ist theologische Rede oft auch christologisch deutbar, selbst wenn er selbst diesen Transfer nicht macht.

22Die Inquisition verdächtigte Ignatius wegen dieses Ansatzes, ein Alumbrado zu sein.

23Karl Rahner dazu bewegend in seiner „Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute“, in SW 25, 299 ff.

24Dieser Satz wird m. W. von den Kommentatoren vollständig übergangen.

25Näheres bei der Unterscheidung der Geister, Kap. 9.

26Hierzu mehr in Kap. 14. Wenn die „Seele“ sensibel oder unreif ist oder vom Begleiter emotional abhängig wird, kann dieser sie, indem er das Bild der Waage ignoriert, leicht manipulieren und in eine Richtung drängen – hier beginnt der Missbrauch geistlicher Macht, oft subtil und lange unbemerkt.

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