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Theologie. Wer sich über Gott (griech. theos) ein Wort, einen Begriff, einen Gedanken, eine Theorie (logos) bildet, betreibt Theologie. Theologie ist eine Arbeit des Denkens, der Vernunft. Theologie ist nicht zuerst kritischer Zugriff von außen auf den Glauben, sondern sie erwächst aus dem Glauben, indem dieser die Vernunft befragt.1 Quelle der Theologie ist Gottes Offenbarung, die von jener vernünftig ausgelegt wird. Da Gott sich nicht nur in Schrift und Tradition offenbart, sondern auch in individueller und gemeinschaftlicher geistlicher Erfahrung, wird in der spirituellen Theologie auch diese immer subjektive Erfahrung zur Quelle und zum Ort der Theologie. Theologie befriedigt zum Ersten das urmenschliche Bedürfnis nach rationaler Selbstvergewisserung in einem existentiellen Vollzug, dem des Glaubens; zum Zweiten hilft sie, den Glaubensvollzug auf den einen, wahren, in Jesus Christus offenbaren Gott hin auszurichten und ihn zugleich vor Irrwegen zu bewahren; zum Dritten ermöglicht sie ein vor dem Forum der Vernunft verantwortetes Bezeugen des Glaubens für Nichtgläubige, ein Anliegen nicht nur des ignatianischen Charismas. Das theologische Reflektieren gehört damit wesentlich – und wiederum ganz ignatianisch – zum Vollzug der Unterscheidung der Geister und damit zu den Exerzitien selbst. Theologische Reflexion ist immer gebunden an die Kultur und an den Kontext ihrer Zeit – das ist ihre Grenze und zugleich ihre Stärke. Theologie ist immer unzureichend, denn ihr Thema, Gott selbst, bleibt menschlichem Tun und Denken entzogen – begrifflich wird keine Theologie Gott wirklich fassen. Theologie ist ein Sprechen auf etwas hin; sie orientiert sich auf Ziele, geht tastend auf diese zu, erreicht sie nur näherungsweise; immer ist sie ärmlich und fragmentarisch, immer auch ausgestreckt auf Neues und durch Neues überbietbar.

Ignatianische Exerzitien. Ignatius von Loyola (1491–1556),2 der Gründer des Jesuitenordens, schrieb das Buch der Exerzitien, im Original Ejercicios espirituales (span.), also „Geistliche Übungen“. In das Buch hinein flossen seine persönliche geistliche Erfahrung, außerdem alte spirituelle Traditionen der Kirche und seine philosophisch-theologische Bildung. „Exerzitien“ meint im weiten Sinn, dass man, um im spirituellen Leben Fortschritte zu machen, regelmäßig üben muss. Ignatius vergleicht die geistlichen Übungen mit körperlichen: Wie der Körper regelmäßig trainiert, um sich zu kräftigen, so muss die Seele regelmäßig üben, um in der Gottesbeziehung zu wachsen und aus ihr zu leben (1).3 Im engeren Sinn bezeichnet „Exerzitien“ die konkreten Übungen, die Ignatius in seinem Buch dem Gott suchenden Menschen vorschlägt. Exerzitien verbinden Aszese (von griech. askein, üben), ein durchaus mühevolles und loslassendes Üben, und Mystik, die Erfahrung der Gegenwart Gottes: Sie sind aktives Tun der Übenden und zugleich Tun Gottes, das die Übenden erfahren.

Theologie der Exerzitien. Das Exerzitienbuch richtet sich ganz auf spirituelle Praxis und ist kein theologisches Werk. Dennoch enthält es theologische Aussagen und regt theologisches Denken an. Theologisches Nachdenken mag helfen, den spirituellen Weg der Exerzitien besser zu verstehen. Dabei ergibt sich aus dem übenden Vollzug eine Sicht und ein Verständnis Gottes, und umgekehrt ergeben sich aus dem reflektierenden Verstehen Gottes Hinweise zum übenden Vollzug. Spirituelle Theologie will Spiritualitäten mit ihren Sprachen, mit ihren Menschen- und Gottesbildern, mit ihren Pädagogiken, mit ihren sozialen, kulturellen und kirchlichen Prägungen auf Aussagen über Gott hin ausleuchten und ausdeuten. Die ignatianische Spiritualität ist theologisch ungewöhnlich ergiebig – das kann hier nur angedeutet werden und muss sich in der Durchführung erweisen.4

Gott die Ehre. Über Gott selbst kann und darf Theologie nicht viel sagen. Daher geht der Fokus dieses Buches mehr darauf, wie Gott im Menschen und mit dem Menschen wirkt. Im Blick auf das Geschehen in Exerzitien versucht es aufzuzeigen, wer der Mensch vor Gott ist, was er von Gott erfährt und was Gott an ihm getan hat und weiter tut. Die fünf Abschnitte des Buches entsprechen den fünf Phasen des Exerzitienwegs: Von Gott wird der Mensch geschaffen, geheilt, gesandt, gerettet und geliebt. Der Blick geht also von Gott zum Menschen – und zugleich vom Menschen zurück zu Gott: Allein seinem Gott gibt der Mensch die Ehre, im Gebet, im guten Leben und – das ist der ignatianische Akzent – in seiner Lebenshingabe und im Dienst. Vom Menschen her betrachtet – denn nur von ihm her können Menschen schauen – sind die Bewegungen die des Empfangens und die des Gebens, die der empfangenen Gnade und die der zurückgebenden Tat. Die beiden Bewegungen werden zur Doppelbewegung der ehrfürchtigen Liebe, die am Ende die ignatianische Theologie zusammenfassen wird.

Weise des Vorangehens. Diese kurze Theologie der Exerzitien gibt keinen historischen, pastoralen oder theologischen Kommentar zum Text des Exerzitienbuchs – dafür gibt es genügend Literatur.5 Sie versucht vielmehr, gleichsam essayistisch entfaltend, direkt in theologisches Nachdenken einzutreten, wobei selbstverständlich der Aufbau, die Begrifflichkeit und die Themen dem Exerzitienweg entstammen. Sie ist eine heutige Theologie, mit heutigen Fragestellungen und Denkweisen – die hermeneutische Brücke über fast 500 Jahre Distanz wird sie respektvoll zu schlagen versuchen. Diese Theologie ist maßvoll subjektiv: Der Theologe betreibt sie in der individuellen Perspektive seiner Geschichte, seiner Kultur und – selbstverständlich – seiner geistlichen Erfahrung. Und sie ist in Maßen selektiv: Aus der Fülle der Anregungen des Exerzitienbuchs wählt sie aus, was dem Theologen für heutiges Glauben und Denken relevant und anregend erscheint, und sie relativiert oder lässt beiseite, was ihm weniger relevant oder gar irreführend erscheint. Von der Fülle der Sekundärliteratur lässt sie sich anregen, aber sie setzt sich nicht direkt mit ihr auseinander und zitiert sie nur gelegentlich. Von Ignatius zitiert sie vor allem den Originaltext des Exerzitienbuchs; gelegentlich nimmt sie auch auf andere Texte von ihm und auf seine Biographie Bezug.6

Gefahren einer Theologie der Exerzitien. Dass man Elemente der Exerzitien, die allzu zeitbedingt sind, schnell ablehnt und damit unüberlegt das Ganze der Exerzitien verwirft. Dass man umgekehrt im Transfer für heute – hermeneutisch nachlässig – die schwierigen Elemente vereinfacht oder mit der guten Absicht, sie zu „retten“ (vgl. 22), glattbügelt. Dass man den Text der Exerzitien überkanonisiert und so überexegetisiert, dass jedes Wort für heute bedeutsam sei. Dass man umgekehrt die historisch bedingten Exerzitien mit heutigen theologischen Fragestellungen heillos überfordert. Dass man in der gegenwärtigen rationalen und funktionalen Lebensweise der Versuchung erliegt, das Verstehen der Exerzitien schon für die Erfahrung zu halten oder es an die Stelle der Erfahrung treten zu lassen. Dass man aus dem Verstehen eines vielleicht intellektuell konstruierten oder spirituell idealisierten „Prozesses“ vorschnell Maximen oder auch konkrete Entscheidungen für die Exerzitien-Praxis ableitet. Dass man generell die Theologie über- und die Erfahrung unterschätzt – oder umgekehrt.

Gott gibt zu denken – darum betreibt der Mensch Theologie. Spirituelle Theologie nimmt geistliche Erfahrung als Quelle theologischen Denkens ernst. Diese kurze Theologie der Exerzitien legt die von Ignatius von Loyola begründete spirituelle Praxis für heutiges Fragen theologisch aus. Ihr Blick geht auf Gottes Wirken an dem, der Exerzitien macht, auf seine Beziehung zu Gott und auf sein Tun für ihn.

1Nach dem klassischen lat. Diktum fides quaerens intellectum (Glaube, die Vernunft befragend).

2Als Einführung zu Ignatius und zum Exerzitienbuch: Stefan Kiechle (32020).

3Das Exerzitienbuch wird nach dem „Autographen“ zitiert, der ältesten, spanisch abgefassten Handschrift. Im vorl. Buch verweist eine eingeklammerte Zahl im Text immer auf die Randnummer des Exerzitienbuches. Übersetzung nach Peter Knauer, gelegentlich vom Verfasser verändert.

4Karl Rahner sagt in seinem Aufsatz „Die ignatianische Logik der existentiellen Erkenntnis bei Ignatius von Loyola“ von 1956, „die eigentliche Theologie der Exerzitien sei noch immer ein Desideratum“ (SW 10, 368 f.). Seither wurden dafür Bausteine zusammengetragen – auch dieses kurze Buch sei ein Baustein.

5Siehe das Literaturverzeichnis; auf Spanisch, Französisch und Englisch gibt es mehr Literatur als im Deutschen.

6Um die Kompliziertheit gendergerechter Sprache zu vermeiden, wechselt diese Theologie immer wieder zwischen weiblichen und männlichen Beispielen.

Gott die Ehre

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