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3.Die Dinge der Welt

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Nutzen zum Ziel. „Die übrigen Dinge (cosas) auf dem Angesicht der Welt sind für den Menschen geschaffen und damit sie ihm bei der Verfolgung des Ziels helfen, zu dem er geschaffen ist“ (23). Das klingt arg anthropozentrisch: Haben die „Dinge“ keinen Eigenwert, werden sie nur für den Menschen und nur funktional, instrumentell geschaffen, und dienen sie ausschließlich seinem Nießbrauch? Öffnet Ignatius hier Tür und Tor dafür, die Welt wie mit einem Ritterheer zu erobern, gar die Völker zu unterjochen und sie und die Natur auszubeuten und zu zerstören – mit der bald folgenden Kolonialgeschichte und den heutigen ökologischen Problemen? Nun darf man auch hier nicht überinterpretieren. Ignatius spricht zunächst vom persönlichen Weg des Einzelnen. Mit Karl Rahner kann man von der „ignatianischen Mystik der Weltfreudigkeit“27 sprechen: Die „Dinge der Welt“ sind zunächst nicht verdorben und verführerisch, sondern gut und hilfreich. Der Mensch soll sich an ihnen freuen, sie genießen und nutzen – für sein gegebenes Ziel: Gott zu loben und ihm und den Menschen zu dienen. Dabei ist an ein pflegliches und wertschätzendes Umgehen mit den „Dingen“ zu denken: Vom Schöpfer sind sie geschaffen, damit sie dem Geschöpf Mensch helfen – diese Realität des gemeinsamen Geschaffenseins führt zum wertschätzenden Gebrauchen, dankbar und zielorientiert. Gelobt wird Gott nicht durch zerstörte, sondern durch blühende und singende Natur. Der Exerzitant besinnt sich, welche „Dinge“ – Leib, Seele und Geist; Beziehungen und besondere Gaben; Materielles und die Natur; Lebenschancen aller Art – er von Gott bekam und wie er sie künftig besser nutzen wird, für sich und für andere.

In allem Gott. Weil alle Dinge von Gott kommen, ist Gott „in allen Dingen“ präsent und spürbar. Zum Schwören etwa schreibt Ignatius, dass man nicht bei Geschöpfen schwören soll, denn man binde sich leicht an sie; die „Vollkommenen“ freilich dürften das, denn „… sie betrachten mehr, dass Gott, unser Herr, gemäß seiner eigenen Wesenheit, Gegenwart und Macht in jedem Geschöpf ist“ (39). Am Ende der Exerzitien lässt Ignatius „schauen, wie Gott in allen Geschöpfen wohnt“ – und er beschreibt die verschiedenen Arten von Geschöpfen, bis hin zum Menschen: „… indem er einen Tempel aus mir macht, da ich nach dem Gleichnis und Bild seiner göttlichen Majestät geschaffen bin“ (235). Ignatius kennt mehr die Immanenz Gottes – Gott in den Dingen – als die Transzendenz der Dinge – die Dinge in Gott. Er hält die heikle Balance zwischen zu viel Identität Gottes mit der Welt und zu viel Abstand beider. Freilich wollen Ignatius’ Andeutungen dazu keine Theorie entwickeln, sondern sie regen zur Betrachtung an – mit seinen Andeutungen befindet er sich auf gutem Boden der zeitgenössischen Theologie.28 Übrigens weist er selbst darauf hin, dass die „positiven Lehrer“ – er meint die Kirchenväter – mehr als die scholastischen Theologen „das Verlangen bewegen, in allem Gott, unseren Herrn, zu lieben und ihm zu dienen“ (363).

Ambivalent. Weil von Gott geschaffen, sind die Dinge zunächst gut und heilig und Orte der Gegenwart Gottes. Aber sie tragen auch eine Ambivalenz in sich: Sie können das Herz des Menschen binden, so dass er sie „in sich liebt“ und nicht „im Schöpfer von ihnen allen“ (316). Also begehrt er sie für sich, oft exklusiv und gierig und auf Kosten anderer, anstatt sie frei anzunehmen und zu genießen, sie zu teilen und für den Dienst einzusetzen. Indem er die Dinge nicht mehr als Geschöpfe Gottes dankbar wahrnimmt, sieht er nicht mehr den Schöpfer in ihnen, sondern sie bekommen einen Eigenwert, werden zum Ziel und Inhalt seines Begehrens und Agierens und führen ihn von Gott weg. In diesem Fall „hindern“ sie ihn „für sein Ziel“, „zu dem er geschaffen ist“ – er soll sie weglassen (23). Um die Dinge zu schätzen, aber zugleich ihrer Verführungskraft zu widerstehen, um also die rechte Balance zwischen Weltfreudigkeit und Weltflucht zu finden, braucht die Exerzitantin Unterscheidung der Geister, die sie auf dem Exerzitienweg einübt und ausübt. Mit Blick auf Novizen – sie sind ja der Urtyp des Exerzitanten – schreibt Ignatius in den Satzungen des Jesuitenordens: „Man ermahne sie häufig, in allen Dingen Gott unseren Herrn zu suchen, indem sie, sosehr es möglich ist, die Liebe zu allen Geschöpfen von sich entfernen, um sie auf deren Schöpfer zu richten und ihn in allen Dingen zu lieben und alle in ihm, gemäß seinem heiligsten und göttlichen Willen.“29

Indifferent/frei. Es ist „nötig, dass wir uns gegenüber allen geschaffenen Dingen … frei (indiferentes) machen“ (23). Dieser ignatianische Hauptbegriff – er zieht sich durch alle Theologie der Exerzitien – meint, dass die Exerzitantin die für sie attraktiven Dinge nicht einfachhin zu kriegen anstrebt, sondern ihnen gegenüber so gleichmütig und unabhängig, ja so distanziert und innerlich frei30 bleibt, dass sie, wenn sie Zugriff bekommt, diese Dinge annehmen kann oder auch nicht – je nachdem, ob sie ihr zur Verfolgung des Ziels ihres Daseins helfen oder nicht. Dabei bleiben gute Dinge für sie gut und anstrebenswert, sie geht weder abwertend noch ängstlich mit ihnen um, und sie freut sich, wenn sie einiges davon bekommt, aber das Kriterium ihrer Annahme oder Ablehnung ist ausschließlich deren Helfen bzw. Hindern zum Ziel. Ignatius wechselt übrigens an dieser Stelle von „der Mensch“ zum „wir“: Von allgemeiner anthropologischer Aussage geht er zur persönlicheren Form über und spricht vor allem jene Menschen an, die sich auf den Exerzitienweg begeben. Innere Freiheit – so ist „Indifferenz“ wohl am besten übersetzt – ist schwer zu erringen, sie muss durch den ganzen Exerzitienweg und ein Leben lang wachsen, sicher auch immer wieder mit Rückschritten und Umwegen. Zum einen ist sie eine innere Haltung, die die Exerzitantin grundsätzlich und nachhaltig anstrebt, zum anderen „macht“ sich die Exerzitantin (vgl. hacernos, 23) immer dann, wenn sie vor einer Entscheidung steht, für diese neu indifferent.31 Das Gegenbild des indifferent-freien Menschen wäre der Süchtige, der von Mitteln, die ja in der Regel in sich gut sind, so abhängt und sie unter Druck und im Übermaß konsumiert, dass sie ihn einengen und schädigen; er ist nicht nur unfrei in dem, was er entscheidet, sondern er entscheidet nicht mehr. Frei ist der Mensch, der Gutes und Hilfreiches mit Dank, mit Genuss, im rechten Maß, mit Selbstlosigkeit und mit wirklichem Nutzen für sich und für andere annimmt und gebraucht.32

Gott erschafft die Dinge der Welt, auf dass der Mensch sie dankbar genieße und nutze, für gute, göttliche Ziele. In allem ist Gott gegenwärtig und erkennbar. Weil der Mensch jedoch dazu tendiert, sich ungeordnet an Dinge zu binden und sich so von Gott wegführen zu lassen, soll er sich ihnen gegenüber innerlich frei machen. In Exerzitien arbeitet er an dieser im Grunde lebenslangen Aufgabe.

27Karl Rahner, Die ignatianische Mystik der Weltfreudigkeit, in: SW 7, 279–293.

28Rainer Carls (2017) untersucht, ob und inwieweit der ignatianische Ansatz „panentheistisch“ ist. Er zeigt, dass dieser Begriff aus späterer Zeit stammt und auf Ignatius nur eingeschränkt angewandt werden kann, auch wenn er manches erklärt. Carls zeigt auch auf, wie Ignatius in seinem Ansatz aus Augustinus, Thomas von Aquin und Petrus Lombardus schöpft. Die heutige Frage, ob Gott – wenn er in allem ist – auch in Dingen sein kann, die krank oder böse oder tot sind, wird von Ignatius nicht gestellt.

29Sa 288, GG 670.

30Im Deutschen ist die ignatianische „Indifferenz“ zu unterscheiden vom allgemeinen Sprachgebrauch, in dem sie ja abwertend etwas wie Gleichgültigkeit bezeichnet: Wer beispielsweise religiös indifferent ist, hat kein Interesse an Religion, sie ist ihm gleichgültig. Positiv kann „gleichgültig“ freilich auch wie „indifferent“ verstanden werden: Mehrere Dinge sind zunächst einmal gleich gültig.

31Ob Indifferenz das eine oder das andere ist, wurde in der Interpretationsgeschichte kontrovers diskutiert. M.E. spricht nichts dagegen, dass sie beides in Ergänzung und Integration sein kann.

32Dominik Terstriep (2009, 8) schreibt: „Indifferenz wird mal Ausflucht, mal anspruchsvolles Suchen und Unterscheiden. Sie ist vorübergehende Schwebe. Es gelingt ihr, den Differenzen schöpferisch standzuhalten, wenn sie nicht der Gefahr der Vergleichgültigung erliegt. Eine anspruchsvolle Haltung, die gleichermaßen geistliche, geistige, politische, moralische und alltägliche Lebenswelten prägt.“

Gott die Ehre

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