Читать книгу Tiara - Stefanie Worbs - Страница 9

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Ein Schatten legte sich über Tias Gesicht. Sie hatte sich gerade ins Gras fallen lassen und die Augen kurz geschlossen, da eine kleine Welle der Müdigkeit sie überkommen hatte. Jetzt stand Heras vor ihr und verdeckte die Sonne. Sie sprang auf, wobei ihr kurz schwindelig wurde, und nahm Haltung an. Ihre Gruppe tat es ihr nach, wenn auch langsamer. Hinter Heras standen Killian und Timar in voller Rüstung. Tia empfand Mitleid für die beiden.

„Was wird das hier?!“, fragte der Hauptmann mit schneidender Stimme.

„Wir machen eine kurze Pause, Hauptmann“, erklärte Tia.

„Pause?! Du weißt schon, warum wir hier sind?! Das hier ist kein Urlaub! Los zurück aufs Feld!“

„Wir haben bis gerade eben trainiert. Ich wollte nur, dass sie sich nicht überhitzen. Das wäre nicht förderlich. Sobald sie etwas ausgeruht haben, machen wir weiter.“

„Das war keine Bitte, Tiara!“

Sie senkte den Blick und wandte sich an ihre Gruppe. „Los Leute, Aufstellung.“

Ihre Kameraden stapften los, allerdings ohne Murren, wie sie erleichtert feststellte.

„Schon besser. Du auch“, befahl er ihr mit einem Kopfnicken und drehte sich halb, um sie vorbeizulassen.

„Ich wollte ein paar Tage aussetzen, wegen meiner Verletzungen.“

„Im Kampf kannst du auch nicht aussetzen, nur weil du verletzt bist. Los jetzt!“

„Ja, Herr Hauptmann.“ Sie nahm ihre Waffen auf, hängte den Bogen um, zog ihr Schwert und trat an ihm vorbei und wollte zu Donens gehen, der sich schon für sie bereitstellte, als Heras ihn zurückrief. „Ich mach das! Such dir einen anderen Partner.“

Verdammt, dachte Tia.

Mit Donens hätte sie weniger hart kämpfen können, denn er hätte Rücksicht genommen. Heras würde aber keine Gnade zeigen. Was auch immer gerade sein Problem war. Er schien es, auf sie abgesehen zu haben.

„Wo ist deine Rüstung?“, fragte er forsch.

„Im Zelt. Ich wollte zum Training nur die Leichte tragen.“

„Im Kampf hast du auch keine leichte Rüstung!“

Ich weiß. Ich habe genug Kämpfe mitgemacht. Das hier ist Übung und keine Schlacht. Gerne hätte sie die Augen verdreht, doch sie verkniff es sich. Heras nahm Aufstellung und hob das Schwert. Tia tat es ihm nach, ließ ihres aber mehr seitlich hängen. Sie wartete auf den Angriff des Offiziers. Er musterte ihre Haltung kurz, dann machte er einen Ausfallschritt nach vorn und schlug zu.

Tia hob ihr Schwert und wehrte den Schlag gezielt ab. Sie kannte Heras’ Kampfstil und wusste, welche Taktiken er hatte. Schon nach dem dritten Schlag konnte sie die nachfolgenden voraussehen. Doch sie hatte keine Zeit, einen eigenen Angriff zu starten. Heras ließ das Schwert auf sie niederfahren, als wollte er seinen gesamten Frust bei ihr abbauen. Schlag um Schlag wehrte sie ab und wurde dabei immer weiter zurückgedrängt. So konnte das nicht weitergehen. Sie musste ebenfalls einen Angriff starten.

Der Hauptmann ließ nicht nach und schlug in einem stetigen Rhythmus auf sie ein. Endlich erkannte Tia ihre Chance. Zwischen zwei seiner Schläge holte sie aus. Nicht so weit, wie sie es gern getan hätte - dafür hatte sie keine Zeit -, traf ihn aber trotzdem hart an der Seite. Hätte er keine Rüstung getragen, wäre ihr Schwert glatt in ihn eingedrungen. Heras knickte durch den unerwartet harten Schlag seitlich ein. Nur ein wenig und kaum wahrnehmbar, doch Tia sah die Wut in seinen Augen aufflammen.

Verdammt, dachte sie. Das war ein Fehler. Er hielt kurz inne und bedachte sie mit einem Blick, der hätte töten können. Dann ging er wieder auf sie los. Diesmal hatte er keinen Rhythmus. Er wechselte die Taktiken so schnell, dass Tia kaum die Chance hatte, einer zu folgen. Seine Schläge wurden immer härter und trafen sie oft an den gleichen Stellen, doch zum Glück immer nur mit der flachen Seite des Schwertes.

Ihre Lungen brannten vor Anstrengung und sie bekam kaum noch Luft. Was auch immer er damit bezwecken wollte, sie hoffte, er wäre bald fertig. Heras war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer, das wusste jeder. Ebenso vermieden es alle, ihn als Duellgegner zu haben. Tia war ihm fast ebenbürtig, doch seine Wut ließ sie lieber zurückweichen als angreifen. Sie hoffte, dadurch ein schnelleres Ende des Kampfes herbeizuführen. Sie irrte sich.

Im Augenwinkel nahm sie wahr, dass keiner mehr trainierte. Sämtliche Kämpfe waren eingestellt und jeder beobachtete den Schlagabtausch zwischen Heras und ihr. Er drosch ungnädig weiter auf sie ein. Seine Schläge brachten ihre Waffe zum Beben, doch sie hielt dagegen. Ihre rechte Hand, die Schwerthand, wurde feucht und sie wechselte in die linke. Zwar war Tia mit der nicht so schnell, doch für die Abwehr genügte es. Immer noch hoffte sie, der Offizier würde müde werden oder die Lust verlieren. Doch was auch immer in ihm geschlummert hatte, jetzt ließ er es raus und Tia war sein Opfer.

„Kämpfe!“, brüllte er sie immer wieder an und zwang sie mehrmals fast in die Knie. Er würde nicht aufhören, bis sie sich wehrte. Doch das würde ihn nur noch wütender machen. Trotzdem gab sie irgendwann nach. Der Kampf musste enden. Sie drehte sich aus seinem Schlag heraus und stand nun etwas seitlich. Heras’ Angriff ging ins Leere und Tia hob blitzschnell ihr eigenes Schwert. Sie traf den Hauptmann hart an der Schulter und zog die Klingenspitze an seinem Arm nach unten.

Es durchschnitt den Stoff an dessen Handrücken und brachte dem Hauptmann einen Kratzer bei. Es war wirklich nicht mehr als ein Kratzer, denn Tia hatte ihre Waffe weggezogen, sobald diese am ungeschützten Handgelenk angekommen war. Heras trug seine Panzerhandschuhe nicht und sie wollte ihn nicht ernstlich verletzen. Selbst wenn er das anscheinend bei ihr vorhatte.

Sein Blick schoss zu dem Kratzer und noch während er ihn ansah, landete Tia den nächsten Schlag auf seinem Rücken. Der brachte ihn ins Stolpern, doch er hielt sich oben. Dreimal hatte sie ihren Offizier bis jetzt angegriffen und dreimal hatte sie getroffen, hart. Sie wusste, es waren drei Fehler gewesen, aber was sonst sollte sie tun? Aufgeben? Niemals!

Er drehte sich zu ihr und ging erneut auf sie los. Wieder folgte Schlag um Schlag und wieder hatte Tia keine Möglichkeit, als abzuwehren. Sie wartete auf eine Gelegenheit. Doch bevor diese kam, rutschte ihr unvermittelt das Schwert aus der Hand und plötzlich schien alles etwas langsamer zu laufen. Sie registrierte, wie ihr der Griff entglitt und sie den Halt des Schwertes verlor. Heras sah es kommen und holte aus. Ohne darüber nachzudenken, ließ Tia die Waffe komplett los, griff hinter sich und hatte ihren Bogen binnen eines Wimpernschlages in den Händen. Zeitgleich fuhr ihre Rechte zum Köcher und zog einen Pfeil heraus. Sie legte an, zog die Sehne zurück und zielte direkt auf Heras’ Kopf.

Dann hörte sie nur noch ihren eigenen keuchenden Atem. Heras hatte mitten im Überkopfschwung innegehalten und starrte sie fassungslos und wütender denn je an. Trotz der gewaltigen Anstrengung des Kampfes gerade eben, hielt Tia den Bogen so ruhig, als wäre er in Stein gemeißelt, den Blick starr auf ihr Ziel gerichtet. Natürlich würde sie nicht schießen, doch für den Moment verschaffte es ihr eine Pause. Was sie tun würde, wenn Heras weiter angriff, wusste sie selbst nicht. Loslassen konnte sie jedenfalls nicht.

Dann endlich ließ er das Schwert sinken, bedachte sie mit einem abfälligem und mehr als zornigem Blick und verließ schließlich das Feld ohne ein weiteres Wort. Tia ließ ihre Waffe ebenfalls sinken, entspannte die Sehne wieder und hakte den Pfeil aus. Die Menge schwieg noch immer, auf eine unheimliche Weise.

Fin trat schließlich vor und gestikulierte, um die Aufmerksamkeit der Masse zu bekommen. „So Leute alles vorbei, weitermachen. Los“, rief er ihnen zu und langsam trollten sie sich. Eine Welle der Erschöpfung brach über Tia zusammen und sie ließ das Kinn auf die Brust sinken. Dabei fiel ihr Blick auf den Bogen und den Pfeil in ihren Händen.

Beide waren blutverschmiert. Sämtliche Schnitte waren aufgerissen und durch den Verband an ihrer rechten Handfläche sickerte Blut. Sie spürte keinen Schmerz. Wie betäubt starrte sie auf das Rot, das sich immer mehr auf dem Weiß des Tuches ausbreitete. Fin kam zu ihr, gefolgt von Tamara.

„Was sollte das denn?“, empörte sich ihre Freundin und sah sie mit offenem Mund an.

„Ich musste das beenden. Er hätte mich erschlagen, wenn ich es nicht getan hätte.“

„Ich meinte nicht dich, sondern ihn. Ist er vollkommen verrückt geworden?!“

Tia hob den Blick. „Er war total sauer.“

„Warum?“, wollte Fin wissen.

„Ich habe keine Ahnung.“

„Du musst zu einem Heiler“, befahl Tamara und deutete auf Tias Hände.

„Ja“, sagte sie nur leise und machte sich auf den Weg zum Zelt der jungen Frau von heute Morgen.

Die war jedoch gerade nicht da und so musste Tia etwas warten. Die ganze Zeit starrte sie auf ihre Hände. Was war nur mit Heras los?

Klar, er war schon immer ein Arsch gewesen, doch so war er noch nie ausgerastet. Auch war er kein Freund der Frauen in der Truppe, doch er hatte sie akzeptiert, weil sie kämpfen konnten und seinen Befehlen Folge leisteten.

Was auch immer ihm über die Leber gelaufen ist, es war definitiv größer als eine Laus, überlegte Tia. Sie betrachtete die Schnitte auf ihrer linken Hand. Sie waren nicht tief aber schmerzhaft und sie bluteten immer noch leicht. Den Verband von der Rechten zu lösen, traute sie sich nicht. Er war mittlerweile komplett durchtränkt und es fühlte sich nicht so an, als hätte es schon aufgehört zu bluten. Endlich kam die Heilerin. Sie sah Tias Hände, noch bevor diese etwas sagen konnte, und zog Tia ins Zelt.

„Was hast du denn gemacht?“, fragte sie mitfühlend, löste den Verband vorsichtig und begann das Blut weg zu tupfen.

„Es war eine Strafe.“

„Was?!“, entfuhr es der Frau. „Wer straft denn so? Und wie?“

„Es ist schon gut. Ich musste unsere Ausrüstung prüfen. Bei 150 Mann ist das Einiges. Da bleibt so was nicht aus.“

Die Frau schüttelte den Kopf. „So was. Du gehörst zu den Neuen, nicht wahr?“

„Ja.“

„Die Kavallerie des Westens. Man hört so einiges über euch.“

Tia grinste. „Was denn so?“

„Na ja, ihr seid ziemlich furchtlos. Und anscheinend auch ziemlich rau.“ Sie deutete mit einem Nicken auf Tias Hände. „Eure Siege-Niederlagen Statistik liegt bei 100 Prozent Siegen.“

Tia nickte. „Stimmt. Wir haben noch keinen Kampf verloren.“

„Ihr seid eine echte Bereicherung für das Heer“, lächelte die Frau.

„Kann schon sein. Wenn man uns kämpfen lässt, wie wir es gewohnt sind.“

„Dürft ihr das denn nicht?“, fragte sie argwöhnisch aber auch neugierig.

„Ich weiß noch nicht genau. Bis jetzt sieht es nicht danach aus. Allerdings gibt es bis jetzt auch keine weiteren Pläne, außer, dass wir uns eurer Kavallerie anschließen sollen.“

„Da holt man euch her und sagt euch nichts. Und man schlägt euch blutig. Das sind ja Aussichten.“

„Was soll man uns denn sagen?“

In dem Moment wurde die Eingangsplane beiseite geschlagen und Ilkay kam herein.

Tia stöhnte innerlich auf. „Du schon wieder“, entfuhr es ihr, bevor sie nachgedacht hatte. Sie verstummte sofort und biss sich auf die Unterlippe. Hoffentlich reagierte er nicht auch so über, wie Heras.

Doch Ilkay lächelte über ihre Aussage und kam näher. „Tamara sagte mir, dass du hier bist.“ Sein Blick fiel auf ihre Wunden und wurde finster. „Was ist passiert?“

„Ich hatte einen Übungskampf.“

„Davon habe ich gehört, deswegen bin gekommen. War das Heras?“

„Nein. Ich habe das Schwert geführt.“

Er kniff die Lippen zusammen, weil sie wusste, wie er es gemeint hatte und ihm dennoch auswich. Sie würde ihren Offizier nicht ins offene Messer laufen lassen, egal was für ein Idiot er war.

Ilkay ließ sich neben ihr nieder und betrachtete die aufgerissenen Hände. „Das sieht schlimmer aus als heute Morgen.“

„Sie sind etwas weiter aufgerissen. Ist aber nicht schlimm. Kaputte Hände und Schwertkämpfe vertragen sich eben nicht.“

„Warum hast du überhaupt gekämpft? Du hättest warten sollen bis das verheilt ist.“

„Es war ein Befehl.“

Ilkays Miene wurde noch finsterer. „Ich glaube, ich werde das ansprechen müssen“, sagte er, den Blick noch immer auf ihre Hände gerichtet. Die Heilerin schaute erst ihn, dann sie an. Dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.

„Tu das nicht. Das erste Mal war eine Strafe und jetzt war es ein Befehl. Er hat nichts falsch gemacht.“

„Was auch immer er für ein Problem hat, man kann es auch anders lösen“, fauchte der Hauptmann und sah sie scharf an. „Egal welchen Rang er hat. Er darf seine Launen nicht an seinen Leuten auslassen!“

„Das stimmt“, meinte die Heilerin. „Strafen sind wohl gerechtfertigt, wenn sie angebracht sind. Aber man muss das Maß beachten. Ich denke, was immer du angestellt hast, dies hier ist zu viel Maßregelung.“ Sie deutete auf Tias Hände. „Ich muss den Schnitt in der rechten Hand nähen.“

Ilkay brummte bei diesen Worten, sah Tia aber nicht an.

„Melde es nicht, bitte. Ich weiß, ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst, aber ich kann dich darum bitten.“

Er schaute sie lange an und schien abzuwägen, dann gab er nach. „Meinetwegen.“ Er erhob sich. „Ich warte draußen.“

Als die Plane hinter ihm zufiel, meinte die Heilerin: „Ilkay hat recht. Euer Hauptmann darf das nicht. Offizier hin oder her. Alles müsst ihr euch nicht gefallen lassen.“

„Seid ihr Freunde? Du und Ilkay?“

„Wir kennen uns schon lange. Ich bin übrigens Mira.“

„Tia. Freut mich. Und danke für das hier.“

„Das ist mein Beruf.“ Mira lächelte. Die ruhige, sanfte Stimme der Heilerin, brachte Tias aufgewühlte Gedanken zur Ruhe. Sie beobachtete deren geschickte Finger bei der Arbeit, während sie nachdachte.

Ilkay hatte durchaus recht. Heras hatte vielleicht überreagiert, doch es brachte auch nichts, ihn anzuschwärzen. Solange er ihr Hauptmann war, würde sie seinen Befehlen Folge leisten müssen und er konnte sie auch auf weniger offensichtliche Weise bestrafen.

Sie verstand nur nicht, warum er jetzt so war. So unerträglich er schon früher gewesen war, seit sie im Hauptlager waren, schien es von Tag zu Tag schlimmer zu werden und irgendwie traf es nur sie. Sie nahm sich vor, noch vorsichtiger zu sein, was ihren Hauptmann betraf. Es war leichter, sich ihm unterzuordnen, als ständig Gefahr zu laufen in seine Schussbahn zu geraten.

Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, als sie aus Miras Zelt trat. Ilkay wartete davor und sah sie nachdenklich an.

„Was ist los?“, fragte sie und verengte die Augen.

„Ich habe mir was überlegt.“

„Aha und was?“

„Ich werde beantragen, dich in meine Kavallerie zu holen. Was denkst du?“

„Was? Nein! Auf keinen Fall! Wieso?“

Seine Augen weiteten sich. „Willst du dir das etwa weiter antun?“

„Natürlich nicht. Aber ich werde auch nicht weglaufen. Diese Leute sind meine Familie und meine Freunde. Ich will nicht weg von ihnen. Bitte.“ Tia betonte das letzte Wort leicht flehend, damit er nicht auf den Gedanken kam, es als Befehl weiterzugeben. Er hatte sicher mehr Einfluss als Heras und wenn er anordnen würde, sie zu versetzen, würde es auch geschehen.

„Ich verstehe.“ Er senkte den Blick.

„Sie sind mein Zuhause“, versuchte sie die Stimmung zu retten und wusste selbst nicht warum.

„Wenn du nicht willst, dann nicht. Es war nur ein Gedanke.“

Sie schwieg. Warum will er mich zu sich holen? Ausgerechnet mich?

„Begleite mich ein Stück“, bat er.

„Ich muss zu meinen Leuten zurück“, sagte sie und sah sich um. Der Platz war leer. „Wo sind die denn?“ Sie war verwirrt.

Ilkay lachte leise. „Ich habe Tamara gebeten, sie mitzunehmen.“

„Oh, gut.“

„Du hast den Abend frei. Also kommst du mit?“

„Wo willst du denn hin?“, hakte Tia argwöhnisch nach. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass es mit Sicherheit nichts Militärisches war. Wollte sie das?

„Dir was zeigen.“ Er stieß sie leicht mit der Schulter an und da schlich sich doch tatsächlich ungewollt ein Lächeln in ihre Züge. Entgegen ihrem Bauchgefühl stimmte sie zu und folgte ihm. Sie überquerten den Platz und gingen mitten durch eine Ansammlung von Zelten und Feuern. Ein Stück entfernt, konnte Tia große, dunkle Zelte ausmachen. Sie stachen mit den fast schwarzen Planen aus der Masse hervor.

„Was ist das?“, wollte sie wissen und deutete darauf.

„Dort leben die Kahn. Sie mögen es dunkler, deswegen haben sie schwarze Zelte.“

„Es muss elend heiß da drin sein“, merkte Tia an.

„Es geht. Sie sind oben offen, das hilft.“

„Kennst du die Magier gut?“

Ilkay hob den Blick, den er auf den Boden gerichtet hatte, wieder zu den Zelten. „Ploth ist der Einzige, der regelmäßig bei uns ist. Er ist ihr Meister Kahn, weil er am besten mit der Magie zurechtkommt. Die anderen leben sehr zurückgezogen. Es ist schwierig als Kahn zu existieren. Egal was man tut, es könnte das Letzte gewesen sein. Für sie oder uns.“

„Wie funktioniert ihre Magie eigentlich genau? Ich weiß nur, dass sie mit dem Geist zaubern.“

„So ist es sehr einfach ausgedrückt. Jeder der als Kahn geboren wurde, muss erwachen. Sobald das geschehen ist, ziehen sich die meisten komplett aus der Welt zurück. Wenn sie das Erwachen überhaupt überleben. Sobald das aber geschehen ist, sind ihre Gedanken ihre Waffe und gleichzeitig ihr Fluch. Ploth hat es mir mal erklärt. Man kann es sich als zwei Teile im Kopf vorstellen. Man muss sie mental trennen können und nur dann auf den Magischen zugreifen, wenn man ihn braucht. Ansonsten können alle Gedanken tödlich sein.“

„Ihre Gedanken? Aber wie denn?“

„Mhh, wie erkläre ich das.“ Er schwieg kurz und überlegte. „Wenn sie zaubern wollen, müssen sie sich auf etwas konzentrieren. Zum Beispiel einen Windstoß, der die Gegner wegweht. Dann müssen sie auf den magischen Teil ihres Geistes zugreifen und den Gedanken damit verbinden. Wenn sie das tun, wird der Gedanke sozusagen real. Wind kommt auf und pustet die Gegner um.“

Tia grinste bei der Vorstellung, wurde aber gleich wieder ernst, als ihr ein weiterer Gedanke kam. „Wenn sie also an etwas denken, zum Beispiel den Tod von jemandem, und dann unbewusst auf den magischen Teil zugreifen, könnte dieser jemand einfach tot umfallen?“

„Im Zweifelsfall, ja. Deswegen müssen sie lernen, den magischen Teil zu kontrollieren. Das ist gar nicht so einfach. Viele überleben das Erwachen deshalb nicht. Sie haben solche Angst davor jemandem oder sich selbst zu schaden, dass ihnen die schlimmsten Gedanken kommen, und schon ist es zu spät.“

„Das ist schrecklich“, musste Tia feststellen. „Ich wusste ja, dass es mehr Fluch als Segen ist, wenn man als Kahn geboren wird, aber dass es so schlimm ist?“

„Leider ist es so.“

„Sind die Kahn im Lager, dann nicht eine Gefahr?“, wollte sie weiter wissen.

„Nein. Sie sind allesamt gut ausgebildet. Der Orden besteht, um junge angehende Kahn auf ihre Zeit als Magier vorzubereiten. Sie lernen früh, sich zu konzentrieren und wissen, was beim Erwachen auf sie zu kommt. Die 14 Kahn hier sind mental so stark, dass sie keine Gefahr darstellen. Alle anderen bleiben unter sich. Sie haben wohl irgendwo in Tau einen Stammsitz.“

„Aber trotzdem bleiben sie auch hier unter sich.“

„Sicher ist sicher. Sie wollen es allerdings selbst so. Wir haben sie oft eingeladen, bei uns zu sein. Sie haben immer abgelehnt.“

„Ploth aber nicht.“

„Er nicht. Er ist unsere Verbindung zu ihnen.“

Tia erinnerte sich an den unsteten Ausdruck in den Augen des Mannes. Das zeigte wohl die enorme Konzentration, die es erforderte nicht aus Versehen doch zu zaubern.

„Sie sind trotzdem gefährlich“, hielt sie fest. „Was wenn sich einer entscheidet, dem Feind zu helfen? Sie könnten dieses Heer mit einem Gedanken auslöschen.“

„Es ist ein Risiko ihnen zu vertrauen. Aber wann ist Vertrauen kein Risiko? Außerdem kann ein Kahn keine ganze Streitmacht erledigen. Auch diese Magie kostet Kraft. Ein Kahn könnte vielleicht zehn Soldaten töten und würde dabei selbst sterben. Das ist es nicht wert.“

„Was tun sie dann für das Heer?“

„Im Moment? Nichts. Wenn es zur Schlacht kommt, werden sie Angriffe führen oder schützen. Je nachdem welches ihre Stärke ist. Im Gegenzug schützen wir sie, damit der Feind sie nicht bekommt. Nicht ganz uneigennützig für uns. Aber das wissen sie.“ Ilkay grinste.

Sie hatten den Rand des Lagers erreicht und ein hoher Holzzaun schnitt ihnen den Weg ab. Tia sah sich nach einem anderen Weg um, doch Ilkay ging weiter auf den Zaun zu. Er blieb davor stehen und drückte dagegen. Zwei Stämme schwangen nach außen und er warf ihr einen auffordernden Blick zu.

Sie schob sich durch den entstandenen Spalt und wartete draußen, dass er es ihr nachtat. Er kam und die Stämme schwangen zurück an ihren Platz. Es war nicht zu sehen, wo die Lücke gewesen war.

Der Hauptmann lächelte fröhlich. „Komm weiter.“

Tiara

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